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Inflation, G7, EZB: Lindner hinterfragt Unabhängigkeit der EZB

Über die Entmachtung der gesamten EZB-Spitze

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Die überschießende Inflation bestimmte vom 18. bis 20. Mai die Konsultationen der G7 auf dem Petersberg – nach Beendigung der Gespräche gab Christian Lindner als amtierender Vorsitzender der G7 eine Abschlusserklärung: Darin hinterfragte der Bundesfinanzminister die Unabhängigkeit der EZB, indem er sie kräftig überbetonte.

Lindners Statement läuft auf die Entmachtung der gesamten EZB-Spitze hinaus. Das Ungeheuerliche an dem Vorgang aber ist, dass diese Entmachtung nicht im Hinterzimmer stattfand, etwa in vertraulichen Gesprächen. Sie wurde vielmehr offiziell verlautbart, sprich: vor versammelter Weltpresse! Es scheint, als sei wichtigen politischen Akteuren und mächtigen finanziellen beziehungsweise wirtschaftlichen Interessengruppen der Geduldsfaden gerissen. Unser Autor Georg Habenicht hat auf finanzmarktwelt.de das Statement Lindners, von dem die Massenmedien offenbar nichts mitbekamen, bereits gestern eingehend zitiert und thematisiert. Nachstehend nimmt er den Faden noch einmal auf.

Lindner spricht von Inflation – und meint die EZB

Der Reihe nach: Die überschießende Inflation bestimmte vom 18. bis 20. Mai die Konsultationen der G7 auf dem Petersberg. Anschließend gab Bundesfinanzminister am 20. Mai vor versammelter Weltpresse folgende Erklärung ab: „Das äußere Umfeld hat eine Dringlichkeit an dieses Treffen gerichtet. […] Es ist kein Geheimnis, wenn ich sage, dass in nahezu allen Gesprächssituationen und auch den informellen Begegnungen die makroökonomische Entwicklung eine ganz wesentliche Rolle gespielt hat. Ich will es auf den Punkt bringen: Die G7 ist entschlossen, mit konsequenten Maßnahmen die Inflationsentwicklung zu stoppen und das Wachstum zu stärken.“

Lindner wiederholte den letzten Satz leicht variiert noch einmal, um seine Entschlossenheit nachdrücklich zum Ausdruck zu bringen: „Wir sind deshalb entschlossen, mit konsequenten Maßnahmen die Inflation zu bekämpfen und das Wachstum zu stärken.“ Dem aufmerksamen Zuhörer wird nicht entgangen sein, dass das Wort „Dringlichkeit“ prominent in Verbindung mit „Infaltionsentwicklung“ fällt. Lindners abschließende Presse-Erklärung hat finanzmarktwelt.de in der Reihe ORIGINALTON als Auszug verschriftlicht. Als Video-Mitschnitt finden Sie das Statement hier und hier.

Vollständiger Gesichtsverlust der EZB-Spitze

Lindner hielt seine Pressekonferenz nicht nur in seiner Eigenschaft als Bundesfinanzminister ab. Er sprach vielmehr als amtierender Vorsitzender der G7 für die gesamte G7-Gruppe. Neben ihm stand Bundesbankchef Joachim Nagel. EZB-Präsidentin Christine Lagarde fehlte. Dabei ist Frankfurt am Main keine 45 Minuten per Helikopter vom Petersberg bei Bonn entfernt. Dieser Umstand ist die zweite Ungeheuerlichkeit an diesem Vorfall: Die G7 sind die mächtigste Interessengruppe der Welt. Die EZB ist die zweitmächtigste Notenbank der Welt. Die Weichenstellung, die auf diesem Gipfel gestellt wurde, wird das monetäre Regime im EURO-Raum überdies das gesamte Jahrzehnt bestimmen. Vor diesem Hintergrund markiert Lagardes Abwesenheit den totalen Gesichtsverlust der gesamten EZB-Spitze. Man wollte sich von Lindner offenbar nicht vorführen lassen. Indes, es sollte noch schlimmer kommen…

Lindner: EZB „sehr sehr sehr sehr unabhängig“

Denn Lindner hinterfragte in seiner Abschlusserklärung auch die Unabhängigkeit der EZB ganz offen, indem er sie kräftig überbetonte. Wörtlich: „Ich hab es mal für mich nach meiner Überzeugung auf den Punkt gebracht mit dem Satz: Die Notenbanken sind sehr sehr sehr sehr unabhängig. Aber sie haben auch eine sehr sehr sehr große Verantwortung in dieser Zeit.“ (Lindner mit geschlossenem Mund schmunzelnd, kleine Pause).

Wir wollen kurz innehalten und die Sätze auf uns wirken lassen. Was ist geschehen? Nun, Lindner hat den Primat der Politik eingefordert. Die EZB, so Lindner, müsse sich endlich ihrer Verantwortung hinsichtlich Geldwertstabilität und Bekämpfung der Inflation stellen. Der Druck, der hier von Lindner als dem Sprecher der sieben größten Volkswirtschaften der Welt aufgebaut wird, ist so überwältigend, dass der EZB keine andere Wahl bleibt, als das Ruder um 180 Grad herumzureißen. Aber damit nicht genug…

Lindner: Geschlossenheit

Lindner betonte nämlich vor dem versammelten Pressekorps, dass er in seinem mündlichen Abschlusskommuniqué nicht als Bundesfinanzminister spreche. Er machte deutlich, dass vielmehr die gesamte G7-Gruppe geschlossen hinter ihm stehe. Lindner wörtlich: „Und ich finde es außerordentlich beachtlich, dass dieser politische Zugang zu den makroökonomischen Fragen [gemeint ist die Inflation, siehe oben] zwischen den Finanzministerinnen und Finanzministern der G7 uni sono vertreten worden ist. Das stärkt uns natürlich auch bei den jetzt anstehenden Diskussionen, wie am besten auf diese makroökonomischen Herausforderungen reagiert wird.“

Wer oder was mit „anstehenden Diskussionen“ angesprochen ist, dürfte klar sein. Die EZB ist die letzte große westliche Notenbank, die noch Geldschwemme betreibt und sich weigert, die Zinsen zu erhöhen. Das wird sich jetzt ändern. Die EZB-Spitze hat sich in den vergangenen acht Monaten wissenschaftlich, kommunikativ und politisch ohne Not ins Abseits manövriert. Warum?

EZB: Inkompetenz spreizt sich

In einer Stellungnahme vom 16. November 2021 fragte die EZB: „Warum ist die Inflation im Moment so hoch?“ Der Beitrag ist aufschlussreich, denn er gewährt Einblick in die intellektuelle Tristesse der obersten Währungshüter. So heißt es dort etwa: „Die Inflation ist jetzt hoch, da sie letztes Jahr so niedrig war“. Hans-Werner Sinn meinte in ähnlichen Zusammenhang, wie könne man von Seiten der EZB so einen Unsinn von sich geben. Der in Rede stehende EZB-Beitrag schließt mit der optimistischen Prognose: „Wir rechnen mit einem Rückgang der Inflation im Laufe des Jahres 2022.

Am 11. Februar 2022 gab Christine Lagarde ein Interview zu den steigenden Energiepreisen und der nach oben schießenden Inflation. Dabei kam die EZB-Präsidentin auch auf neue schönere Geldscheine zu sprechen. Das Projekt liegt ihr am Herzen: „Wir schauen uns die Banknoten genau an“, so Lagarde. „Persönlich kann ich mir Porträts berühmter Europäer vorstellen: Leonardo da Vinci, Ludwig van Beethoven James Joyce. Das Interview ist auf englisch auf der Seite der EZB einsehbar.

Schaden begrenzen – Rest an Glaubwürdigkeit retten

Erst lag die EZB systemisch falsch mit ihren Inflationsprognosen, weil sie an falschen Modellen festhielt. Anschließen erlitt die EZB den Kontrollverlust, weil sie die überschießende Inflation nicht mehr beherrschen konnte. Und schließlich verspielte die EZB den Rest an Glaubwürdigkeit, indem sie andere für ihr Versagen verantwortlich macht (Putin, Corona, Lieferketten). Irren ist menschlich. Aber systematisches Irren berührt tiefere Schichten. In diesem Fall bedroht es die Glaubwürdigkeit der EZB als Institution (vgl. Otmar Issing im Interview mit Daniel Stelter).

EZB hatte ihre Chance

Der Autor kann sich nur wiederholen: Lindners Presse-Erklärung vom 20. Mai ist historisch. Sie läuft auf eine Entmachtung der gesamten EZB-Spitze hinaus. Das Ungeheuerliche an dem Vorgang aber ist, dass diese Entmachtung nicht im Hinterzimmer, etwa in vertraulichen Gesprächen, stattfindet. Sondern vor aller Augen, sprich: vor der Weltpresse. Es scheint so, als sei wichtigen politischen Akteuren und mächtigen finanziellen und wirtschaftlichen Interessengruppen der Geduldsfaden gerissen. Die EZB-Spitze, allen voran Christine Lagarde und Isabel Schnabel, hatten ihre Chance. Sie haben sie nicht genutzt.



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7 Kommentare

  1. Wenn das alles so einfach wäre…

    Die Unabhängigkeit der EZB ist im EU-Vertrag festgeschrieben. Und der EU-Vertrag kann nur durch einstimmigen Beschluss aller Mitgliedssaaten geändert werden. Das ist eine hohe Hürde. Damit ist der Druck, den die deutsche (oder auch eine andere) Regierung auf die EZB ausüben kann, eher moralischer Natur. Denn bis sich alle Mitgliedsstaaten auf eine Änderungs des Vertrags einigen können, muss schon viel geschehen.

    Und inwieweit eine stärkere Bindung der EZB an die EU-Politik eine Verbesserung der Lage wäre, könnte man auch diskutieren.

  2. Wer glaubt, dass die EZB jemals und vor allem in den letzten 15 Jahren unabhängig war, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Das Vertragswerk der sogen. EU wurde schon einen Tag nach seiner Geltendmachung (Ein anderes Wort wäre schlicht falsch) gebrochen und wird es seit dem täglich.
    Das die G7 in Person eines liberalen Politikers, dessen Gruppierung dafür bekannt ist für ein bisschen Macht die Fahne stets nach dem Wind zu hängen, sich nun über die selbst in den Sattel gehobenen Kriminellen der EZB wie eine Lagarde aufzuregen ist an Scheinheiligkeit nicht zu übertreffen.

  3. Es war höchste Zeit dieses Problem öffentlich und deutlich auszusprechen. Die EZB trifft wichtige Entscheidungen, hierzu benötigt man Sachkompetenz, dies scheint hier offensichtlich und insbesondere bei der Vorsitzenden nicht gegeben zu sein. Es ist mir absolut unverständlich wie man eine vorbestrafte Juristin zur Vorsitzenden machen konnte. Aber das war wohl wieder so ein Meisterstück unserer Altkanzlerin in Verbindung mit der deutsch- französischen Freundschaft.

  4. Young Global Leader

    Die EZB will keine Maßnahmen ergreifen, weil alle Maßnahmen irgendwem Schmerzen bereiten. Die von Draghi initiierte Geldpolitik war i.d.S. optimal. Die EZB wollte diesen Kurs halten und am besten nie mehr verlassen. Das Gerede von der MMT hatte nur den Zweck das so aussehen zu lassen, als wäre es durch den akademischen Mainstream gestützt und selbst wenn das nicht der Fall gewesen sein sollte, dann gilt immer noch: modern = gut.

    Damit ist es nun vorbei. Die EZB wird darauf gehofft haben, dass die Ursachen der Inflation wieder verschwinden ( „transitory inflation“ ) bevor die Inflation ihre berüchtigte Eigendynamik entwickelt, aber die Ursachen sind immer noch da. Es ist für mich schwer nachzuvollziehen, warum die FED schon vor 7 Monaten eine Wende zumindest angekündigt hatte und die Inflationsbekämpfung zur ersten Priorität erklärte, während die EZB sich davon nicht groß beirren ließ.

    Vielleicht hat sie auf ein klares Signal aus der Politik gewartet, so wie Powell es von Biden und Yellen bekommen hatte? Das dürfte sie nun von Lindner erhalten haben.

  5. Lindner sagt: „Wir sind deshalb entschlossen, mit konsequenten Maßnahmen die Inflation zu bekämpfen und das Wachstum zu stärken.“ Von sehr viel Wirtschaftskompetenz scheint mir dieser Satz nicht geprägt zu sein. Meiner Meinung nach kann man ggf. nur durch ein vermindertes Wachstum bzw. eine Rezession die Inflation wieder runter bringen – wenn überhaupt. Lindner scheint mir genauso ein Schwätzer zu sein wie Madame Lagarde & Co.

  6. Pingback: Christine Lagarde als de "lame duck" van de EURO - Ful Bai

  7. Pingback: Christine Lagarde als „lahme Ente“ der EURO - TalkFusionWeb

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