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Inflation und EZB: Hans-Werner Sinn über Ursachen und Folgen

Eine Reform der EZB ist notwendig, um ein Auseinanderbrechen der Eurozone zu verhindern

Hans-Werner Sinn Inflation EZB

Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des Ifo-Instituts, spricht in seinem neusten Vortrag in Luzern, anlässlich einer Veranstaltung des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik, über Ursachen und Folgen der Inflation – und die Verantwortung der EZB für diese Entwicklung.

Professor Sinn hat die Inflationswelle in den 70-er Jahren miterlebt und zu diesem Thema auch bereits publiziert, so dass man ihn durchaus als Experten und Zeitzeugen zugleich für Inflation und die aktuelle EZB-Politik ansehen kann. Er sieht (natürlich) Parallelen zwischen heute und damals, „und es ist unglaublich, es wiederholt sich alles, allerdings noch viel schlimmer, als es damals war.“ Von dieser These will er sein Publikum überzeugen.

Hans-Werner Sinn: Das Streichholz, dass die Inflation entfacht hat

Den Auslöser der Inflation, das Streichholz, dass die Inflation sozusagen entfacht hat, sieht Professor Sinn in den weltweiten Lieferengpässen bei Stahl, Holz, Chips, Magnesium und Aluminium, die durch die Quarantänemaßnahmen in China bedingt sind. Insbesondere der Stau der Containerschiffe vor den chinesischen Häfen habe verheerende Auswirkungen auf die weltweiten Lieferketten. Die Frachtraten haben sich im Vergleich zum Jahre 2019 versechsfacht.

Die neue Stagflation

Aus der akademischen Sicht der Ökonomen befinden wir uns aktuell in einer Phase der Stagflation, d.h. eine angebotsseitige Verknappung bei gleichzeitig steigenden Preisen. Die Ölkrise in den 70ger Jahren wird von Ökonomen als Stagflation eingeordnet – ein Unterschied zu damals ist aber, dass heute neben dem Öl-Preis auch der Gas-Preis nach oben schießt.

Die Explosion der gewerblichen Erzeugerpreise

Die aktuell bei gut acht Prozent liegende Inflation in Deutschland schätzt Hans-Werner Sinn nicht als temporäre Entwicklung ein, sondern erwartet „noch viel mehr Inflation in der Pipeline.“ Gradmesser ist hierfür der Index der gewerblichen Erzeugerpreise in Deutschland, der seit 1950 vom Statistischen Bundesamt erhoben wird. Den Wert von 33,50 Prozent für Deutschland im April nennt Professor Sinn eine „astronomische Zahl“.

Noch schlimmer treffe es Italien und Spanien, der Index notiert aktuell bei über 45 Prozent. Dass gerade die Länder der Eurozone, die gegenüber Deutschland langsamer inflationieren müssten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit relativ zu verbessern, ausgerechnet schneller inflationieren als Deutschland,  sieht Hans-Werner Sinn als Gefahr für die Stabilität der Eurozone an.

Historisch betrachtet befinde sich Deutschland in einer außergewöhnlichen Situation: selbst die Korea-Krise 1951 mit 22,80 Prozent Inflation bei den Erzeugerpreisen werde mit den aktuellen Zahlen weit in den Schatten gestellt. Dass diese einmaligen Zahlen in der Presse nicht gebührend aufgegriffen würden, begründet Hans-Werner Sinn mit dem Ukraine-Krieg, der die mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe. Natürlich gebe es eine Korrelation zwischen den gewerblichen Erzeugerpreisen und den Konsumentenpreisen, erklärt der Professor seinem Publikum. Ökonomen hätten errechnet, dass die Preissteigerungen bei den Erzeugern zu rund 35 Prozent und mit einer Verzögerung von drei Monaten an die Konsumenten weiter gegeben würden, so dass im August durchaus mit zweistelligen Inflationsraten zu rechnen sei. Das sei zwar nicht zwangsläufig so, aber man sollte sich darauf vorbereiten, so Hans-Werner Sinn weiter.

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Die Verantwortung der EZB

Was hat die EZB nur alles damit zu tun, fragt Professor Sinn rhetorisch? Aus seinen Vorträgen in der jüngsten Vergangenheit ist Habs-Werner Sinn als fundierter Kritiker der EZB-Politik bekannt (auf Finanzmarktwelt wurde regelmäßig berichtet). Die Hauptverantwortung der EZB sieht Professor Sinn in der Ausweitung der Geldmenge im Euroraum, die sich seit ihrem Start, selbst um einige Faktoren wie Wirtschaftswachstum und EU-Beitritte bereinigt, immer noch versechsfacht hat. Von 880 Milliarden Euro vor der Lehmann-Krise auf mittlerweile 6,2 Billionen Euro.

Der Grund für diese starke Ausweitung ist der seit der Finanzkrise erfolgte Ankauf von Staatsanleihen aus dem Euroraum im Wert von mittlerweile über 4.265 Milliarden Euro. „Damit trägt die EZB sehr wohl eine nicht zu leugnende Verantwortung“, argumentiert Sinn, „da Staatsschulden inflationär wirken.“ Sinn verweist zudem auf die versteckten EU-Schulden, die zusätzlich auf die Schuldenquote jedes einzelnen Landes hinzu gerechnet werden müssen und mittlerweile acht Prozent ausmachen. Somit liegt die Schuldenquote der Eurozone nicht bei 94 Prozent des BIP, sondern bei 104 Prozent. Die Maastricht-Grenze von 60 Prozent ist keine echte Grenze, sondern reine Makulatur.

EZB folgt nicht den Zinserhöhungen der FED

Als viel gravierender sieht Hans-Werner Sinn die zögerliche Bremspolitik der EZB, die eine Euro-Abwertung erzeugt und zu einer importierten Inflation führt. Vor allem, weil die EZB den Zinserhöhungen der FED nicht folge. Dadurch steige das Zinsdifferenzial zwischen beiden Währungen, was wiederum zu einer Kapitalflucht aus dem Euro raus in den US-Dollar führe. Da die Rohstoffe aber in US-Dollar bezahlt werden, führe dies zu einer importierten Inflation.

Hans-Werner Sinn kann sich einen Seitenhieb auf die EZB-Chefin nicht verkneifen, da sie diesen einfachen ökonomischen Zusammenhang ignoriere, oder wie Sinn es sagt, „sie versteht es vielleicht auch nicht.“ Unweigerlich fällt einem hier Ludwig Thoma ein, der über den Berufstand, dem Lagarde angehört, geschrieben hat: „Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande.“

Das einzige Mandat der EZB ist die Preisstabilität

Das Mandat der EZB sei laut Maastricht-Verträgen eindeutig und lasse keinen Spielraum zu, einzig die Preisstabilität zählt. Allerdings werde dieser Auftrag von der EZB schlichtweg ignoriert, so Sinn. Die Argumente der EZB, um an ihrer jetzigen Politik festzuhalten, würden immer fragwürdiger und leugneten selbst einfache ökonomische Zusammenhänge.

Hans-Werner Sinn: Die EZB hat die Kontrolle über das Preisniveau verloren

Hans-Werner Sinn geht sogar so weit, von einem „totalen Kontrollverlust“ des Preisniveaus zu sprechen, der bereits eingetreten ist. Die Frage nach den notwendigen Reformen erscheint auch mehr rhetorischer Natur, aber Professor Sinn schlägt folgende Maßnahmen vor, um die Inflation einzubremsen: Rückverkauf der Staatspapiere, sofortiger Schuldenstopp, Kontrolle der EZB durch den Rechnungshof, strikte Zentralisierung der Geldmarktpolitik in Frankfurt, Stimmrecht innerhalb der EZB nach Landesgröße – und die strikte Einhaltung der Artikel 123 (Verbot der Monetarisierung der Staatsschulden) und Artikel 125 AEV (Bail-out-Verbot).

Ob dieser ambitionierte Reformkatalog umgesetzt oder zumindest von den Politikern offen diskutiert wird, bleibt offen, aber eine Reform der EZB und ihrer Mechanismen ist wohl absolut notwendig, um ein zukünftiges Auseinanderbrechen der Eurozone zu verhindern.



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10 Kommentare

  1. Dr. Sebastian Schaarschmidt

    Eine Reform der Eurozone wird es nicht geben. Herr Sinn gibt sich Illusionen hin. Er fordert nichts anderes als die Quadratur des Kreises.

    1. @Sebastian

      Herr Sinn gibt sich nicht nur Illusionen hin, seine pessimistischen Vorhersagen treffen schlicht und einfach nicht ein.
      Schon 2000 sah er Deutschland am Ende. Aber es kam, wie so oft, anders. In der Krise 08/09 stand Deutschland am besten da.
      Für mich ein etwas trauriger Crashprophet.

      1. Holla,

        jetzt wird es aber befremdlich. Zwischen 2000 und 2009 standen die Reformen von Schröder. Da kann man nicht sagen, dass Sinn völlig falsch lag. Wir waren der kranke Mann Europas.
        Und außerdem haben wir seitdem insgesamt auch keine glänzende Entwicklung gesehen. Oder kommt heute viel mehr von ihrem Hausstand aus deutscher Produktion?
        Ab 2009 sind wir besser in mancherlei Hinsicht besser gefahren, als andere, auch weil Schröder sich so gut mit Putin verstanden hat.
        Das ist gerade nicht mehr so, richtig?
        Und wir haben wie blöde nach China exportiert, die sich wie blöde verschuldet haben. Das ist gerade nicht mehr so, richtig?

    2. Die Analysen von Herrn Prof. Dr. Sinn, einem erfahrenen Wirtschaftsexperten, bestätigen sich – leider. Im November 2020 publizierte Herr Prof. Dr. Sinn seine bissige Monographie „Die wunderbare Geldvermehrung“ mit entsprechenden Inflationswarnungen. Seinerzeit wurde er dafür belächelt. Heute lächeln die damaligen Kritiker nicht mehr, sondern schweigen bedröppelt, zeigen eine verkniffene Mimik oder aber – die Betonköpfe sterben wohl nie aus – kläffen dumm daher. Das geldpolitische Debakel ist da, die Inflation ist gekommen, um zu bleiben. Nur werden Reformimpulse und Appelle von Herrn Prof. Dr. Sinn, die er an die EZB richtet, tatsächlich ins Leere laufen. Diesbezüglich muss ich Ihnen leider zustimmen.

  2. Ob Prof. Sinns Vorschlag wirklich Sinn macht, den Inflationsteufel mit dem Zinserhöhungsteufel auszutreiben? Es riecht nach Waterloo bzw. nach CDBC-basiertem neuen Finanzsystem. EU-ropas Versailles ante portas?

  3. >> Rückverkauf der Staatspapiere, sofortiger Schuldenstopp, Kontrolle der EZB durch den Rechnungshof, strikte Zentralisierung der Geldmarktpolitik in Frankfurt, Stimmrecht innerhalb der EZB nach Landesgröße – und die strikte Einhaltung der Artikel 123 (Verbot der Monetarisierung der Staatsschulden) und Artikel 125 AEV (Bail-out-Verbot).

    Allein der Gedanke ist unfassbar ABSURD. Ich frage mich, ob Hr. Sinn der Meinung ist das wäre wirklich möglich? Wenn ja, scheint er auch in einer Blase zu leben.

    1. @dontspeak – Es geht nicht darum, ob es wirklich möglich wäre, sondern Herr Sinn will es einfach klar ausgesprochen haben, welche Schritte nötig wären, um den Euro zu stabilisieren. Diese Diskussion findet in den Medien und in der Politik ja nicht statt.

  4. Nette Ideen zur Therapie, die Sinn vorschlägt – leider völlig irreal. Eher werden wir das Auseinanderbrechen der Eurozone erleben; mit gruseligen Wirkungen.

  5. Für DE ist es ein Super Gau.Früher als Produzent und Exportweltmeister mit billigen Rohstoffen von Russland und vielen Exporten nach China. Jetzt hat der liebe Onkel aus Amerika erreicht,dass man seine teureren Rohstoffe kauft und hat sich somit auf einen Schlag die kommenden Weltmächte ( Bric-Staaten) als Gegner eingehandelt.Der bisherige EU Retter müsste jetzt von den absteigenden Amis gerettet werden.Der letzte Weltkrisenretter war China mit immenser Verschuldung. China wird jetzt für sich schauen und wer rettet diesmal den Westen? Diese Kuh ist noch nicht vom Eis, vor allem es ist eine ganze Herde.Ein Poster hat heute kritisiert,dass in einem gewissen Land Selbstverletzung strafbar ist und er nach DE ausgewandert ist.Das ist Freiheit,wenn Selbstzerstörung erlaubt ist.

  6. Pingback: Die neue Euro-Krise – über das Scheitern der Europäischen Zentralbank! - My Blog

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