Der Anstieg der Inflation versetzt nun auch Präsident Joe Biden in Alarmzustand. Er erhob die Teuerung in den USA und dessen Bekämpfung zur Top Priority, weil die Stimmung in der US-Bevölkerung für die Zukunft deutlich pessimistischer geworden ist. Ablesbar am US-Verbrauchervertrauen der Uni Michigan, als Frühindikator für den kommenden Konsum der Amerikaner. Betrachtet man sich aber die Einzelhandelsumsätze, so ist von der großen Zurückhaltung noch nicht viel zu sehen.
Inflation, Konsum, Stimmung: Die weichen und die harten Daten
Wie bereits in der letzten Woche auf FMW berichtet, fiel das sehr beachtete Verbrauchersentiment der Universität von Michigan im November um neun Prozent (4,9 Punkte) auf den tiefsten Stand seit einem Jahrzehnt.
Jeder vierte Verbraucher gab in der Umfrage einen inflationsbedingten Rückgang seines Lebensstandards an, besonders betroffen: Niedrigere Einkommen und ältere Bürger. Die Hälfte der Familien rechnete mit sinkenden Realeinkommen im nächsten Jahr.
Der Index der Uni Michigan, nicht mehr weit bis zum Rezessionsniveau:
Auch der nationale Einkaufsmanagerindex des Conference Board befindet sich im Rückwärtsgang, allerdings konnte dieser nach drei Rückgängen in Folge im Oktober zulegen. Der Novemberwert liegt noch nicht vor.
Das waren die weichen Fakten, das Sentiment der Verbraucher, aber was sind die harten Fakten, die Einzelhandelsumsätze, die der Konsument umsetzt? Hier könnte man zu der Schlussfolgerung gelangen: Höre nicht auf das was sie sagen, sondern achte auf das was sie tun!
Die US-Einzelhandelsumsätze für Oktober:
Filial- und Onlinehandel : plus 6,1 Prozent (2021 zu 2020)
plus 12,9 Prozent (2021 zu 2019)
Onlinehandel allein: plus 13,2 Prozent (2021 zu 2020)
plus 76,7 Prozent (2021 zu 2019)
Auch für den November ist trotz starker Inflation von großer Konsumzurückhaltung nichts zu spüren, vor allem wenn man sich die Aktienkurssteigerungen von großen US-Warenhäuser im November betrachtet.
Dillard: plus 42 Prozent
Kohl‘s: plus 18 Prozent
Nordstrom: plus 16 Prozent
Macy‘s: plus 15 Prozent
Sind die Retail Sales (Einzelhandelsumsätze) auch im Oktober die große Stütze für die US-Wirtschaft gewesen?
Bald werden wir mehr erfahren. In dieser Woche stehen noch die Quartalsberichte großer US-Einzelhändler wie Walmart (heute!), Target, Home Depot und Macy’s an.
Fazit
Waren die unverändert hohen Einzelhandelsumsätze Ausdruck für eine Divergenz zwischen dem „Gesagten und dem Getanen“ oder eine Art Vorzieheffekt, wenn Verbraucher höhere Preise erwarten und viele Anschaffungen deshalb vorziehen?
Aber: Nicht nur die US-Notenbank befindet sich derzeit in einem Dilemma. Auch die US-Regierung sieht, welche Auswirkungen die Rettungspakete der letzten eineinhalb Jahre hinterlassen haben. Es ist eine Art Sugar Rush in der Wirtschaft entstanden, der zu großen Kollaterialschäden führt. In punkto galoppierender Inflation und sogar bei der Entwicklung am Arbeitsmarkt.
Steigende Löhne sind jetzt ein Muss, um bei einem Kaufkraftverlust den Konsum am Leben zu erhalten. Was aber die Margen der Firmen unter Druck setzen müsste, die derzeit noch so überraschend positiv ausgefallen waren: 13 Prozent in Q3, bei einem historischen Schnitt von etwa acht Prozent. Aber wie werden die US-Unternehmen auf eine solche Entwicklung reagieren? Wohl mit Rationalisierungsmaßnahmen. Derzeit kann man die gestiegenen Kosten noch an die Verbraucher weitergeben, wie es gestern der US-Konzern Tyson Food bei der Vorlage seiner Zahlen betont hat.
Wirtschaft und Börse sind derzeit voller Widersprüche und gegensätzlicher Entwicklungen. Wie lange können sich Preisanhebungen noch fortsetzen, bei Verbrauchern, die bereits jetzt unter der Inflation stöhnen? Ein Kreislauf könnte sich in Gang setzen und das Ziel einer „Maximum Employment“ würde rasch unrealistisch – und dies ein paar Monate vor den US-Zwischenwahlen!
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