Vor einem Vierteljahrhundert endete der Dotcom-Rausch in einem spektakulären Crash der Tech-Aktien und Aktienmärkte – heute fragen sich viele, ob sich die Geschichte mit der Künstlichen Intelligenz wiederholt. Zwischen bahnbrechender Innovation und hemmungsloser Spekulation fließen Milliarden in Technologie, deren wirtschaftlicher Nutzen noch kaum bewiesen ist. OpenAI und Nvidia stehen im Zentrum dieses Booms – gefeiert als Wegbereiter einer neuen Ära, aber auch als Symbol für eine mögliche KI-Blase, die größer sein könnte als alles, was das Silicon Valley seit der Dotcom-Zeit erlebt hat.
KI: Die teuerste Wette der Tech-Geschichte
Wie Bloomberg in einem aktuellen, ausführlichen Bericht mitteilt, investieren immer mehr Tech-Konzerne Hunderte Milliarden Dollar in Chips und Rechenzentren. Das Ziel besteht nicht nur darin, die Nachfrage nach Chatbots wie ChatGPT, Gemini oder Claude zu bedienen, sondern auch darin, menschliche Arbeit zunehmend durch Maschinen zu ersetzen. Die Gesamtausgaben könnten sich auf mehrere Billionen Dollar summieren und werden durch Risikokapital, Kredite sowie kreative Finanzierungsmodelle, die selbst an der Wall Street für Stirnrunzeln sorgen, finanziert.
Selbst überzeugte Befürworter der KI räumen ein, dass der Markt überhitzt wirkt – betonen aber das langfristige Potenzial der Technologie, die ganze Branchen umwälzen, Krankheiten heilen und den menschlichen Fortschritt beschleunigen soll.
Noch nie zuvor wurden in so kurzer Zeit derart hohe Summen in eine Technologie investiert, deren wirtschaftlicher Nutzen weitgehend unbewiesen ist. Doch wer sich dem Trend entzieht, läuft Gefahr, im KI-Markt der Zukunft abgehängt zu werden.
Was sind die Warnsignale für eine KI-Blase?
Als OpenAI-Chef Sam Altman im Januar gemeinsam mit anderen Unternehmern den Infrastrukturplan „Stargate“ im Wert von 500 Milliarden Dollar vorstellte, sorgte das schon durch seine Dimension für Aufsehen. Inzwischen haben Wettbewerber wie Meta-CEO Mark Zuckerberg nachgezogen und eigene Investitionen im dreistelligen Milliardenbereich angekündigt. Altman erklärte, OpenAI plane langfristig sogar Ausgaben in Billionenhöhe.
Zur Finanzierung geht OpenAI neue Wege. Nvidia kündigte an, bis zu 100 Milliarden Dollar in OpenAIs Rechenzentren zu investieren – ein Schritt, den viele als Versuch sehen, den Absatz eigener Chips indirekt zu sichern. Nvidia steht schon länger im Verdacht, durch Investitionen in Startups und Cloud-Anbieter den eigenen Markt anzutreiben – doch der OpenAI-Deal übertrifft alles bisher Dagewesene.
OpenAI prüft zudem, Fremdkapital aufzunehmen, statt sich ausschließlich auf Partner wie Microsoft oder Oracle zu stützen. Laut einem Bericht von The Information erwartet das Unternehmen bis 2029 einen negativen Cashflow von rund 115 Milliarden Dollar.
Auch andere Tech-Riesen greifen zu Fremdfinanzierungen: Meta sicherte sich 26 Milliarden Dollar für ein Rechenzentrum in Louisiana, angeblich so groß wie Manhattan. Weitere 22 Milliarden fließen – angeführt von JPMorgan und Mitsubishi UFJ – in den Ausbau von Vantage Data Centers.
Wie sieht es mit der Rückzahlung aus?
Laut einer Studie von Bain & Co. müssten KI-Unternehmen bis 2030 jährlich zwei Billionen Dollar Umsatz erzielen, um ihre Recheninfrastruktur zu finanzieren. Doch die Analysten rechnen mit einer Lücke von 800 Milliarden Dollar.
„Die Summen, über die hier gesprochen wird, sind so extrem, dass sie kaum noch greifbar sind“, sagte Hedgefonds-Manager David Einhorn. „Ich bin mir sicher, dass es nicht null sein wird, aber es besteht eine begründete Chance, dass dieser Zyklus enorme Kapitalvernichtung mit sich bringt.“
Immer mehr kaum etablierte Firmen wollen ebenfalls vom Rechenzentrums-Boom profitieren. Der niederländische Cloudanbieter Nebius, hervorgegangen aus Yandex, schloss ein Infrastrukturabkommen mit Microsoft über 19,4 Milliarden Dollar. Das britische Unternehmen Nscale – einst im Krypto-Mining tätig – arbeitet mittlerweile mit Nvidia, OpenAI und Microsoft zusammen.
„KI wird wahrscheinlich tiefgreifende Veränderungen in der Arbeitswelt bringen“, schreibt John Authers von Bloomberg Opinion. „Aber wie bei jeder schöpferischen Zerstörung wird es zunächst schmerzhafte Verluste geben, bevor neue Geschäftsmodelle Früchte tragen.“
Gibt es Bedenken hinsichtlich der Technologie selbst?
Begleitet wird der Investitionsboom von grundlegenden Zweifeln. Eine MIT-Studie zeigt: 95 % der befragten Unternehmen sehen bislang keine messbare Rendite aus ihren KI-Projekten. Forscher von Harvard und Stanford warnen vor „Workslop“-Inhalten – Aufgaben, die wie produktive Arbeit wirken, aber keinen Mehrwert schaffen. Damit kehrt sich das ursprüngliche KI-Versprechen um: Laut den Studien verursachen solche Inhalte Verluste in Millionenhöhe.
Ein weiteres Problem betrifft das sogenannte Skalierungsgesetz – die Annahme, dass sich KI-Modelle automatisch verbessern, wenn man sie mit mehr Rechenleistung und Daten füttert. Doch zuletzt blieb der erhoffte Leistungssprung aus.
Besonders bei OpenAI fiel das auf: Nach monatelangen Ankündigungen wurde GPT-5 im August vorgestellt – die Resonanz war verhalten. Altman räumte ein, dass „etwas Entscheidendes noch fehlt“, um eine allgemeine künstliche Intelligenz (AGI) zu erreichen.
Gleichzeitig wächst der Druck aus China. Dort entstehen kostengünstige, leistungsfähige Modelle, die westliche Anbieter preislich deutlich unterbieten. Das gefährdet die Kapitalrendite milliardenschwerer Infrastrukturprojekte im Silicon Valley. Auch der Energieverbrauch wird zum Problem: Der Ausbau von Rechenzentren belastet Stromnetze, die vielerorts an ihre Grenzen stoßen.
Was sagt die KI-Branche dazu?
Altman, das Gesicht des KI-Booms, warnt selbst vor einer Blase – betont aber zugleich das transformative Potenzial der Technologie. „Sind Investoren übermäßig begeistert? Ja“, sagte er im August. „Ist KI das Wichtigste seit Langem? Ebenfalls ja.“
Auch andere Topmanager teilen diesen Zwiespalt. Zuckerberg sprach im Juli von „Superintelligenz“ als absehbarem Ziel. Die Branche müsse massiv in Rechenkapazitäten investieren, um die wachsende Nutzung zu bewältigen. Altman betonte, OpenAI stoße bereits an seine Kapazitätsgrenzen: Hunderte Millionen Nutzer verwenden ChatGPT.
Trotz externer Kritik verweisen OpenAI und Anthropic auf den praktischen Nutzen ihrer Systeme. Laut einer Studie nutzen drei Viertel der befragten Unternehmen den Claude-Chatbot zur Prozessautomatisierung. OpenAI stellte zudem das Bewertungssystem GDPval vor.
„Die besten Modelle erreichen fast die Qualität von Branchenexperten“, schrieb OpenAI. „In Aufgabenfeldern, in denen sie besonders stark sind, spart es Zeit und Geld, sie zuerst einzusetzen.“
CFO Sarah Friar deutete an, OpenAI erwäge ein Premium-Abo für 2.000 Dollar im Monat. Zuckerberg erklärte im September, eine KI-Blase sei „durchaus möglich“, sah aber das größere Risiko darin, zu wenig zu investieren.
Was kennzeichnet eine Marktblase?
Blasen entstehen, wenn Vermögenswerte weit über ihre fundamentalen Werte hinaussteigen. Ihnen folgen in der Regel abrupte Korrekturen. Der US-Ökonom Hyman Minsky beschrieb diesen Prozess in fünf Phasen: Verdrängung, Boom, Euphorie, Gewinnmitnahmen und schließlich Panik. Aktuell dürfte sich der Markt noch in der Euphoriephase befinden – doch wie lange noch?
Zu Jahresbeginn schien es kurz, als wäre die KI-Blase bereits geplatzt: Das chinesische Unternehmen DeepSeek überraschte mit einem leistungsstarken Modell, das mit einem Bruchteil der Kosten der US-Konkurrenz entwickelt wurde. Der Erfolg löste einen Schock an den Börsen aus – Tech-Werte verloren über eine Billion Dollar, die Nvidia-Aktie brach an einem Tag um 17 % ein.
Doch im Silicon Valley blieb ein Kurswechsel aus: Die Investitionspläne wurden sogar ausgeweitet. Anleger reagierten begeistert. Die Nvidia-Aktie erholte sich rasch und machte das Unternehmen im September zum wertvollsten der Welt – mit einer Marktkapitalisierung von mehr als vier Billionen Dollar.
Ist das also eine Wiederholung von 1999?
Auch in der Dotcom-Ära flossen gewaltige Summen in neue Technologien, gestützt auf zweifelhafte Kennzahlen wie Seitenaufrufe statt Gewinne. Als die Internt-Blase um 2001 platzte, verschwanden schließlich zahlreiche Firmen von der Bildfläche.
Heute zeigen sich Parallelen in überhöhten Bewertungen und demonstrativem Umgang mit Kapital. Risikokapitalgeber umwerben KI-Startups mit Luxus-Events und dreistelligen Millionensummen. Viele Jungfirmen preisen wiederkehrende Umsätze an, doch Beobachter zweifeln an deren Tragfähigkeit.
„Ich denke, es gibt viele Parallelen zur Internetblase“, sagte Bret Taylor, Vorsitzender von OpenAI. „Aber wie damals wird es auch Gewinner geben – so wie Amazon oder Google.“
Jeff Bezos sprach von einer „industriellen Blase“, ähnlich dem Biotech-Hype der 1990er, bleibt aber überzeugt, dass KI die Produktivität jedes Unternehmens steigern wird. Gleichzeitig ist das Fundament heute stabiler. Die „Magnificent Seven“ – von Microsoft bis Nvidia – sind hochprofitable Giganten mit enormen Cash-Reserven.
ChatGPT zählt rund 700 Millionen aktive Nutzer pro Woche. OpenAI erwartet für 2025 einen Umsatz von 12,7 Milliarden Dollar – mehr als eine Verdreifachung. Zwar rechnet das Unternehmen erst gegen Ende des Jahrzehnts mit positiven Cashflows, doch eine interne Aktienrunde bewertete OpenAI bereits mit 500 Milliarden Dollar – das wertvollste Privat-Startup der Welt ohne Gewinn.
FMW / Bloomberg
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