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Knappe Düngemittel: Wie Wladimir Putin den Hungerkrieg vorbereitet

Weizenfeld

Das Drehbuch zur digitalen Kabinettssitzung am 10. März ähnelte der zur Schau gestellten Sitzung des Sicherheitsrates, als es um die Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk ging. Nur dieses Mal verhaspelte sich keiner. Die beteiligten Regierungsmitglieder spielten ihre Rolle fehlerfrei. „Heute sprechen wir über den Maßnahmenkomplex zur Minimierung der Sanktionsfolgen für die russische Wirtschaft und die Bürger unseres Landes“, leitete Wladimir Putin das neue Schaustück ein. Dass er die Lage unter Kontrolle hat, wollte er öffentlich zur Schau stellen und vor allem sein neues Ziel, den Hungerkrieg vorstellen. Damit will er offensichtlich sein Regime stabilisieren.

Putin setzt auf rechtzeitige Aussaat im Frühjahr

In Parteitagsmanier nannet Premier Michail Muschistin „die Hauptaufgaben“, die sich auf den Schutz des Binnenmarktes, das reibungslose Funktionieren von Lieferketten und die Anpassung von Menschen und Unternehmen an die veränderten Bedingungen richteten. „Wir achten besonders auf die Landwirte. Da geht es nicht nur um Arbeitsplätze, sondern auch um die Ernährungssicherung des Landes. Jetzt gilt es, die Aussaat, die in einigen Regionen bereits begonnen hat, nicht zu stören“, unterstrich der Premier.

Der agroindustrielle Komplex und die verarbeitenden Betriebe in Russland funktionierten normal. „Die Situation auf dem Lebensmittelmarkt ist stabil. Die Waren werden pünktlich an den Einzelhandel geliefert“, nahm Patruschew den Faden auf. Dann schilderte er in einem Duktus, der an Parteitagsreden aus Sowjetzeiten erinnert, wie es mit der Frühjahrsbestellung auf den Feldern bestellt ist. „Jetzt treten wir in die wichtigste Phase ein – das ist die Frühjahrsfeldarbeit. Trotz äußerer Zwänge war die rechtzeitige Einsatzbereitschaft frühzeitig sichergestellt. Die Arbeiten begannen vor 2021. Die Frühjahrssaat wurde auf einer Fläche von mehr als 200.000 Hektar durchgeführt. Die Gesamtaussaatfläche im Jahr 2022 soll 81,3 Millionen Hektar betragen und somit eine Million Hektar mehr als im Vorjahr. Verstärkte Anstrengungen liefen zur Aussaat von Getreide, Hülsenfrüchten, Ölsaaten, Zuckerrüben, Kartoffeln und Freilandgemüse. „Bis zum Arbeitsbeginn in jeder Region ist die rechtzeitige Bereitstellung von Saatgut und Landmaschinen sichergestellt.“

Nachdem Patruschew Maschinenpark, die Versorgung mit Kraft- und Schmierstoffen, Düngemitteln, Ernteprognosen, Viehzucht und Arbeitskräfte für die Feldarbeiten ergänzend abgehandelt hatte, bekräftigte er: „Damit möchte ich noch einmal betonen, dass die Ernährungssicherheit unseres Landes garantiert ist. Russland deckt seinen eigenen Bedarf an allen wichtigen Produktarten vollständig. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass wir bereit sind, unsere Exportverpflichtungen weiter zu erfüllen.“ Das quittierte Putin mit Wohlwollen und erklärte: „Unsere landwirtschaftlichen Erzeuger verstehen zu arbeiten und haben dies in den letzten Jahren vielfach bewiesen. Wir verfügen auch über ein gutes Exportpotential. Sie und ich kennen unsere Partner. Sie sind daran interessiert, Kontakte zu pflegen, und es wird für sie schwierig, wirklich schwierig sein, ihre Aufgaben, einschließlich der Versorgung ihrer Bürger mit Lebensmitteln, ohne unsere direkte Beteiligung zu lösen. Aber darauf werden wir noch zurückkommen.“

Das klingt wie eine Kampfansage. Fällt die Ernte in der europäischen Kornkammer Ukraine aus und führt zu Hunger, kann Russland liefern. Hat der Landwirtschaftsminister das Besteck für eine gute Ernte in Russland vorgestellt, war nun Industrie- und Handelsminister Denis Manturow an der Reihe, Sorgen vor leeren Regalen zu zerstreuen und die Beschleunigung zum Ersatz von Importprodukten im Inland zu erläutern. Einige Rohstoffe für die Industrie könnten vorerst aus befreundeten Ländern importiert werden. „Das sind China und Indien, die übrigens die Hauptlieferanten für die ganze Welt sind“, so Manturow.

Düngemittel als Druckmittel

Nach den Beruhigungspillen für die russische Bevölkerung holte Putin aus „Aber es gibt noch einen anderen sehr wichtigen Bereich, den Sie hier angesprochen haben, wie Ihre Kollegen heute sagten, und das sind Düngemittel. In der Welt entwickelt sich eine äußerst akute Situation. Schon vor irgendwelchen Ereignissen im Zusammenhang mit der Ukraine war es schon kompliziert. Jetzt wird es noch schlimmer, weil Russland und übrigens Weißrussland einer der größten Lieferanten von Mineraldünger auf den Weltmärkten sind. Wenn wir weiter irgendwelche Probleme in der Finanzierung der Arbeit, in der Versicherung, Logistik und Lieferung unserer Waren haben, dann werden die ohnehin schon unerschwinglichen Preise noch weiter steigen. Und dies wirkt sich wiederum auf das Endprodukt aus – die Lebensmittel.“

Das dürfe auf dem inländischen Lebensmittelmarkt keine negativen Folgen haben. „Deshalb müssen wir vor allem unseren landwirtschaftlichen Erzeugern die notwendige Menge an Düngemitteln auf unserem Markt zur Verfügung stellen, aber wir haben die Ressourcen, wir sind bereit, unsere ausländischen Partner zu beliefern“, so Putin weiter. Mit diesem Hebel will er sich in der Welt Gehör verschaffen. Düngemittel unterliegen wie Öl und Gas keinem Ausfuhrverbot. Diese Karten will sich der Kremldespot offenbar nicht aus der Hand nehmen lassen und betont immer wieder: Wenn die Katastrophe kommt, können wir liefern. Nach Kälte im Winter, ist jetzt Hunger auf der Tagesordnung. Der Ernteausfall in der Ukraine, die mit ihren Schwarzerdeböden (Chernozem) mit über die fruchtbarsten Böden der Welt verfügt, ist für Putin Kalkül oder Strohhalm, sein Überleben zu retten.

Gegenwart und Geschichte

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir warf im Interview mit dem Deutschlandfunk am 12. März Präsident Putin vor, Hunger als Kriegsmittel einzusetzen. Es sei eine klare Strategie, dass er Preissteigerungen und Verknappungen an den Agrarmärkten gezielt provoziere. „Dass im 21. Jahrhundert gezielt Getreidespeicher abgebrannt werden, Produktionsanlagen, Transportinfrastruktur, um den Hunger als Mittel zu benutzen, um uns die Ukraine erst mal, aber natürlich auch uns alle in die Knie zu zwingen, das sollte all diejenigen vielleicht prägen in ihrem Denken, die immer noch glauben, dass man mit autoritären Herrschern besonders nett sein muss, um sie dann wohlgesonnen zu stimmen“, warnte Özdemir.

Im 20. Jahrhundert starben in den dreißiger Jahren unter dem Diktator Josef Stalin in der Ukraine 3,5 Millionen Menschen den Hungertod, Holodomor. Zwangskollektivierung und Devisenbeschaffung mit Korn aus der Ukraine waren Beschlüsse vom XV. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion vom Dezember 1927. Damals wollte Stalin den Freiheitswillen der Ukraine unterdrücken und das eigene System mit Devisen stabilisieren. Für den geschichtlich versierten Putin ist das vermutlich die Steilvorlage.



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16 Kommentare

  1. Ich schätze die Seite „Finanzmarktwelt“ für eine nüchterne realitätsnahe Haltung.
    Bitte bleibt dabei.
    Der Mainstream ist voll von ideologischen und tendenziösen Artikeln.
    Bitte lasst diese „propagandistische“ und nicht gerade deeskalierende Berichtserstattung hier nicht Einzug halten.
    Danke

    1. Zustimmung auf der ganzen Linie! Und ein Zitat: „Die ich rief, die Geister, werd´ ich nun nicht los…“

  2. Ja, frisches Gemüse wird auch wohl bald knapp und teuer werden.
    Sicherlich, in Spanien auch, nur für die Ware nach Deutschland kommen auch noch die Transportkosten dazu.
    Man kann frisches Gemüse auch schlecht horten.

    Wasser-Notstand an Costa del Sol: Hahn zu wegen Dürre in Spanien | Costa del Sol

    https://www.costanachrichten.com/costa-del-sol/wasser-notstand-costa-del-sol-malaga-duerre-spanien-massnahmen-pool-garten-91406306.html

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  3. Diese Frau schreibt mir zu einseitig propagandistisch; das wurde schon in mehreren ihrer Artikel sichtbar. Wenn man mit solchen Themen anfängt und einigermaßen objektiv bleiben will, dann muß man auch die Hunger- und Boykottkampagnen des Westens gegen Länder der 3. Welt erwähnen. Bitte bleibt bei den nüchternen Fakten; Propaganda gibt es mittlwerweile genug. Irgendwie wäre es schade, wenn diese Reportagen das tadellose Image von Finanzmarktwelt beschädigen.

    1. @Jürgen, das ist weder propagandistisch, noch einseitig. Putin spielt mit seinen zeitlich längst geplanten und in den Angriffskrieg eingepreisten Druckmitteln. Putin vergewaltigt einen halben Planeten und nimmt neben dem Kriegstod auch den Hungertod von vielen Millionen Menschen in Kauf. Ihre einseitige, geschickt platzierte Propaganda ändert daran gar nichts, vor allem nicht am Image der FMW.

  4. Dass Putin sadistische Tendenzen hat, hat man schon beim Besuch von Merkel gesehen, wo er seinen Hund auf sie losgelassen hat…

    1. Hallo! Diese Seite heißt Finanzmarktwelt.de! Was bitte hat das mit den Märkten zu tun? Gibt es übrigens Bilder von Merkels Bissverletzungen? Wo soll das noch hinführen…

      1. Hier der Foto-Beweis. Man muss auch wissen, dass Merkel unter einer Hundephobie leidet:

        https://img.nzz.ch/2021/8/19/3358bc11-7790-4739-8f6d-840de026bad9.jpeg

        Besonders fies war auch diese Putin-Attacke mit Geheimdienstmethoden:

        https://www.tagesspiegel.de/images/bundeskanzlerin-angela-merkel-besucht-den-vogelpark-marlow/27645258/3-format43.jpg

        1. @Lausi, das letzte Bild sind all die grünen Vögel und Hüpfer, die nach 16 Jahren leeren Versprechungen ihr Recht auf Existenz einfordern.

      2. @Klebbé, was haben 99% der Kommentare derzeit mit den Märkten zu tun?
        Es gibt geringfügige andere Probleme, die sich in den Vordergrund drängen. Wo soll das noch hinführen…

  5. Jürgen hat Recht, jedes Land schaut zuerst für sich, oder waren es nicht die guten Westler die sogar Scheisse -Papier gehortet haben ,von Maskenkrieg und Impfstoffkrieg nicht zu reden. Die Solidarität der Gutmenschen beim Verteilen des Impfstoffes mit armen Ländern hielt sich auch sehr in Grenzen.

  6. Young Global Leader

    Ein Hetzartikel, wie sie in Kriegszeiten nun einmal geschrieben werden. Shit happens.

    Der russische Premierminister heißt übrigens nicht Muschistin sondern Mischustin. Soviel Sorgfalt sollte bei der Benennung des Dämons schon aufgebracht werden.

    1. Muschistin klingt auch irgendwie so nach Lesbe… ;-)

      1. @Lausi, wenn schon Muschistin, dann die hier:
        https://www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-handel-und-finanzen-roundup-2-anti-kriegs-protest-im-fernsehen-tv-mitarbeiterin-als-heldin-gefeiert/28166348.html
        https://www.n-tv.de/politik/Ihr-Name-ist-Marina-Owssjannikowa-article23198032.html

        Was die Frau gewagt und getan hat, verdient maximalen Respekt. Besser geht es nicht, mehr Mut, Stärke und Tapferkeit kann man nicht zeigen. Aus solchem Holz sollten Politiker und Menschen allgemein geschnitzt sein. Ich verneige mich und nehme mir diese Frau als Vorbild, als ultimative Steigerung von Pussy Riot in den letzten Jahren.

        Putins feiges „Rowdytum“ aus dem sicheren Bunker kann sich da riesige Scheiben abschneiden. Ein wenig Größe zeigen, indem er Fehler eingesteht und sich in die nicht-verdiente Rente verabschiedet. Das gilt übrigens ebenso für andere ältere Herren, die sich von jubelnden desinformierten Massen feiern lassen.

    2. @Young Global Leader, was ist daran ein Hetzartikel? Der größte Teil sind Zitate aus der digitalen Kabinettssitzung vom 10. März. Dazu ein abschließender Satz zur Historie vor 90 Jahren.

      Einen Tippfehler sollten wir übrigens nicht überbewerten, war der doch schon mehrfach Anlass für aufgeregte Diskussionen bis hin zum Shitstorm, je nachdem, wer wann was gerade mokiert hatte. Für manche gelten keine Rechtschreib- und Grammatikregeln, andere stehen mit jedem einzelnen Buchstaben unter Beobachtung.

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