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Lieferengpässe bald vorbei? Die Crux mit der Fortschreibung von Trends

Lieferengpässe - der recency bias

Die Lieferengpässe auf hoher See und im Warenhandel könnten in ein paar Wochen deutlich nachlassen. Sicherlich werden jetzt einige aufschreien, aufgrund der aktuellen Meldungen, der leeren Regale und den vielen Schlagzeilen, die es aus allen Ecken der Wirtschaft gibt.

Aber dies ist eben eine Monentaufnahme, Wirtschaft entwickelt sich dynamisch in extremer Interaktion – deshalb hier ein paar Argumente, die diese These, zumindest in einigen Bereichen bekräftigen könnten.

Lieferengpässe und der „Recency Bias“ (Neigung zur Trendverlängerung)

Was haben wir in den letzten eineinhalb Jahren nicht alles lernen müssen? Wie schnell eine Wirtschaft einbrechen und sich auch wieder erholen kann und wie plötzlich das Gespenst der Inflation wie Phönix aus der Asche auftauchen kann, auf seit Jahrzehnten nicht mehr erlebte Höhen. Oder auch wie die Wertschöpfungsketten kollabieren können und das ziemlich nachhaltig, trotz eines rückläufigen Wachstums in den USA, China, Japan, der EU und vielen anderen Staaten. Immer noch warten Hunderte Schiffe vor und in den Häfen auf Abfertigung, stapeln sich Container, weil die Anschlusslogistik (LKW-Transort) nicht nachkommt. Es gibt den Materialmangel, nicht zuletzt bei Halbleitern, deshalb könnten viele Waren nicht rechtzeitig die Kunden vor Weihnachten erreichen – ergo Lieferengpässe.

Warum sollte sich dann die besondere Lage in absehbarer Zeit – zum Beispiel bis zum Jahresende – verbessern?

Zunächst unterschätzen viele die Flexibilität der Wirtschaft, die sich in Krisenzeiten rasch auf das Unerwartete einstellen kann (anders als die Politik).

Natürlich geht es nicht so schnell beim Hochfahren einer Wirtschaft, wie es zum Stilllegen von Produktionsketten der Fall sein kann.

Wie zum Beispiel nach Naturkatastrophen, wie Erdbeben, Hurrikans, an Land, aber auch auf See, oder eben wie bei Corona.

Der Aufbau einer komplexen Produktion dauert aber sehr viel länger, schließlich sind große Containerschiffe bei Hin- und Rückfahrt zwischen den Kontinenten schon einmal einen Monat und länger unterwegs. Und dann beginnt vielleicht erst der Fertigungsprozess.

Aber heimlich still und leise beginnt sich die Situation auf hoher See zu entspannen, zumindest in den USA, Europa hinkt einmal mehr hinterher.

Lieferengpässe USA und Europa

Lieferengpässe und der Hamstereffekt

Ein zentrales Element für die Situation in wirtschaftlichen Extremsituationen ist das Verhalten der Konsumenten, aber auch der Akteure im Produktionsprozess, die sich in einem reflexiven Markt auf neue Bedingungen einstellen. In extremster und skurriler Weise haben wir das in Deutschland im April des Jahres 2020 erleben können, als viele Bürger aus Angst kein Toilettenpapier mehr zu bekommen, die Läden leergekauft hatten.

Was natürlich absurd war, aber dieser urbiologische Hamstereffekt ist in allen Ebenen der Wirtschaft gelegentlich anzutreffen. So wie jetzt. In wie vielen Interviews mit Unternehmenschefs war in letzter Zeit die Rede davon, dass diese aufgrund der Lieferengpässe ein Mehrfaches an Waren (z.B. an Halbleitern bestellen), um wenigstens einen Teil davon zu bekommen? So wie es der Vorstandvorsitzende der Elektrofirma Katek, Rainer Koppitz, vor Kurzem in einem Interview im Handelblatt hervorhob: Wer 100.000 Chips benötige, bestelle 300.000, in der Hoffnung dann einen Teil davon zu bekommen. Dabei fürchtet man in der Branche schon Überkapazitäten, da sich Länder und Konzerne seit Monaten mit ihren Kapazitätsausweitungen überbieten. Gemäß des Dachverbandes World Semiconductor Trade Statistics (WSTS), soll der weltweite Halbleitermarkt in diesem Jahr um 25 Prozent auf 551 Milliarden US-Dollar wachsen, im Jahr 2022 aber um 10 Prozent weniger.

Selbst die Investorin Cathie Wood sprach schon im Sommer davon, dass die Unternehmen über Bedarf bestellen, um die Läger zu füllen. Was das bedeuten kann, wenn dieser Nachfragedruck infolge der konjunkturellen Situation (wenn den Konsumenten möglicherweise infolge der Inflation das Geld ausgeht) nachlässt, dürfte jedem klar sein: Wenn die Nachfrage der Produzenten oder Händler urplötzlich befriedigt wird, aber die Nachfrage der Konsumenten abebbt.

Wie schnell sich der Wind drehen kann und wie wenig selbst die Chefs der größten Unternehmen dies voraussehen können, zeigte in brutaler Form die Finanzkrise. Der Chef des größten Chemiekonzerns der Welt BASF, Jürgen Hambrecht, sprach noch im Frühjahr 2008 davon, er könne von einer Krise nichts in seinen Büchern sehen. So wie Siemens_Chef Peter Löscher, der sich erst ein paar Monate zuvor dick mit Aktien seiner Firma eingedeckt hatte, wie Hambrecht. Kurz darauf kam es zur größten Rezession in der Nachkriegszeit. Klar war dies eine extreme Ausnahmesituation, die sich nicht so oft wiederholen wird, aber sie zeigt, wie extrem volatil Wirtschaft sein kann.

Wie oft war im letzten Sommer zu lesen und zu hören, niemals wird es in der Wirtschaft eine V-förmige Erholung geben, wie sie der Aktienmarkt anzeigt. Nicht einmal ein Jahr später gab es Lieferengpässe wie seit Jahrzehnten nicht mehr aufgrund der überbordenden Nachfrage.

Wenn Preisanstiege zu steil gehen (exponentiell) wie bei Bauholz und Containerpreisen, wird es Gegenmaßnahmen geben: Spikes haben nie lange Bestand. Auch Krisen dauern nicht ewig. Der Durchschnitt aller 12 Rezessionen in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg betrug elf Monate.

Klar kann ein Produktionsaufbau in manchen Bereichen nicht schnell geschehen, wie etwa bei der hochkomplexen Fertigung von Halbleitern. Aber auch hier sind bereits 20 Fabriken im Bau, weil man sich die jetzigen Umsatzchancen nicht entgehen lassen will.

Sondersituation Weihnachtsgeschäft

Die Lieferengpässe wurde zuletzt noch einmal verschärft durch die Tatsache, dass das große Geschäft für den Einzelhandel in der Weihnachtszeit vonstatten geht. Ausgerechnet in einer Phase, wo die Lieferketten sowieso schon zum Bersten gespannt sind. Haben aber nicht große Retailer wie Walmart und Macy’s bei der Vorlage ihrer letzten Quartalszahlen gerade davon berichtet, dass man sich auf die Lieferengpässe zum Jahresende prophylaktisch eingestellt habe, früher geordert, extra Schiffe eingesetzt, um keine Lagerschwierigkeiten für die große Konsumsause nach Thanksgiving zu bekommen? Aber was passiert jetzt, wenn die große Nachfrage nach Weihnachten nachlässt und zusätzliche viele Corona-Einschränkungen zum Sparen verleiten? Dann die Zinsen steigen, dadurch die Budgets belastet werden und keine Helikopterschecks mehr kommen (können)?

In Deutschland deuten sich bereits für das Weihnachtsgeschäft Bremsspuren an, denn am gestrigen Tag ist das GfK-Konsumklima auf den tiefsten Stand seit neun Monaten gesunken.

Fazit

Auch wenn die Inflation gekommen ist um zu bleiben: dafür spricht schon allein die Anhebung der Mindestlöhne in den USA sowie in Teilen Europas und die steigenden Energiekosten, die politisch gewollt sind, um den Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft zu beschleunigen. Aber das könnte erst recht dazu führen, dass die Lieferengpässe, denen man vielfach schon ein langes Leben prophezeit, schneller zurückgehen als viele erwarten. Wenn nämlich der Konsument von einem Tag auf den anderen zum Sparen gezwungen wird – weil eben sein Haushaltsbudget dahinschmilzt. Ist in den USA die Sparquote der Amerikaner nicht schon von sensationellen 16 Prozent während der Coronaphase auf 7,5 Prozent gesunken?

Noch sind die Preise weiter im Aufwärtstrend, noch wirkt der Hamstereffekt, aber wie lange noch? Warum steigen eigentlich die Kapitalmarktzinsen nicht stärker, wo doch „getapert“ wird und Zinsanstiege eingepreist werden?

Nur ein paar Gedanken zum Recency Bias.



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