Abschied von einer lieb gewonnen Illusion des Westens – und der Machtgewinn der USA
Gestern war ein schwarzer Tag für die Schwellenländer: ihre Währungen crashten, nachdem der HSBC-Einkaufsmanagerindex aus China unter die Wachstumsschwelle von 50 gefallen war. Natürlich gibt es in den am stärksten betroffenen Ländern des gestrigen Debakels, wie der Türkei, hausgemachte Probleme. Aber übergeordnet sind praktisch alle Schwellenländer abhängig einerseits vom Glauben, dass die Zeit des billigen Geldes durch die amerikanische Notenbank niemals vorbei geht, und andererseits von der bislang im Westen als Gewissheit geltenden Illusion, dass China immer weiter wachsen wird.
Und wenn beides sich als Irrtum erweisen wird? Am Anfang des Booms der Schwellenländer stand die Politik des ultrabilligen Geldes durch die amerikanische Fed. Risikokapital strömte aus dem Westen in Länder wie China, Brasilien etc. Folge war der Aufstieg von Teilen der Bevölkerung in eine Mittelschicht, die ihren neu gewonnen Status durch Immobilienkäufe und den Konsum prestigeträchtiger ausländischer Waren definierte. Der gehobene Lebensstandard dieser Mittelschicht aber war und ist in hohem Maße kreditfinanziert – man lebt gewissermaßen bereits im Heute auf Kosten der Zukunft. Bis auf China haben daher praktisch alle Schwellenländer ein extrem hohes Leistungsbilanzdefizit, während die Staatsverschuldung aufgrund kaum ausgeprägter Sozialsysteme noch gering ist.
Das westliche Risikokapital berief sich als Investitionsgrund auf die geringe Staatsverschuldung der Schwellenländer, während die Risiken durch die enorme Kredit-Ausweitung ignoriert wurden. Und genau diesen Risiken drohen nun aus dem Ruder zu laufen, wenn der Glaube an das Wachstum dieser Länder schwindet. Kredit kommt von lateinisch „credere“, glauben. Geht der Glaube verloren, wollen die Gläubiger ihr Geld zurück. Wir stehen am Anfang einer Desillusion von gutgläubigem westlichen Kapital, das nun aus den Schwellenländern – inklusive China – zu fliehen beginnt.
Es ist bezeichnend, dass die Interbankenzinsen in China unmittelbar mit der Ankündigung Bernankes im Frühsommer 2013, die Anleihekäufe der Fed zu reduzieren, in die Höhe schossen. Davon besonders betroffen ist das (mit dem offiziellen Bankensektor eng verknüpften) Schattenbanken-System im Reich der Mitte. Die Schattenbanken sind die Achillesferse Chinas, gleichsam das Fieberbarometer für das hoch gehebelte Kreditsystem. Es ist insofern nicht überraschend, dass die ersten Krisensymptome genau dort aufbrechen.
Anders als vom Westen angenommen, wird China eine schwere Krise durchleben müssen. Historisch hat jede kommende Weltmacht eine schwere Krise erlebt, aus deren konstruktiver Verarbeitung dann der wirkliche Aufstieg begann.
So wird es auch mit China sein, das langfristig global eine große Rolle spielen kann. Kurz- bis mittelfristig aber werden sich die Machtverhältnisse weg von China, hin zu den USA verschieben. Die amerikanische Notenbank spielt die Musik, und China wird auf Jahre nach dieser Musik tanzen müssen. Das schien dem fest an den „China-wächst-ewig-Mythos“ glaubenden Westen noch bis vor kurzem undenkbar. Aber genau das beginnt den Finanzmärkten nun zu dämmern – und Abschiede von Illusionen sind stets ein schmerzvoller Prozess. Das Jahr 2014 dürfte daher ein Jahr der Turbulenzen werden.
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