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Marcel Fratzscher und sein persönlicher Inflations-Schock

Wo Fratzscher wirkt, verdunstet Wissenschaft

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin und talentierte Fernsehökonom, erlebt dieser Tage seinen ganz persönlichen Inflations-Schock. Noch vor vier Monaten verkündete er, die höhere Inflation sei willkommen und notwendig für die Transformation. Als der Wirtschaftsweise Volker Wieland warnte, das Preisniveau steige gefährlich, konterte Fratzscher: „So einfach ist das nicht!“ Die Teuerung sei nur ein temporäres Problem.

Im Januar 2022 wiederholte Fratzscher: „Es gibt keinen Grund für Inflationspanik.“ Die Fakten indes sprechen eine andere Sprache und sind allerdings alarmierend: Juni 2021 lag die Konsumentenpreisinflation in Deutschland noch bei 2,3 % gegenüber dem Vorjahresmonat. Januar 2022 stieg sie auf 4,9 %, im Februar auf 5,1 % – und im vergangenen März auf 7,3 %. Die Auswirkungen des Ukrainekriegs sind darin erst ansatzweise enthalten.

Marcel Fratzscher und die Inflation: alle Prognosen zeigen..

Fratzschers Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hatte für 2020 und 2021 prognostiziert, dass dank der Corona-Hilfen die deutsche Wirtschaft jährlich um 2 % wachsen werde – und lag damit bereits krachend falsch (2020: +4,9 %; 2021: + 2,7 %).

In seinem neuen Buch „Geld oder Leben“, das am 10. März 2022 erschienen ist, behauptet Fratzscher, alle Prognosen würden zeigen, „dass die Inflation wohl bereits im Jahr 2022 wieder unter die Marke von zwei Prozent fallen wird. 2023 dürfte die Inflation nochmals weiter zurückgehen“ (Seite 170). Und dann wird Fratzscher grundsätzlich: Die starke Überschätzung der Inflation sei kein Einzelphänomen aus dem Herbst 2020, sondern dauerhaft zu beobachten (Seite 151).

Mittlerweile weiß jeder Pendler, der tankt, jede Hausfrau, die den Familieneinkauf macht, dass diese vermeintlich wissenschaftlichen Inflationsprognosen Makulatur sind. Was die deutsche Öffentlichkeit gerade durchlebt, ist ein Inflations-Schock, dessen Wucht den Ölschock von 1973 in den Schatten stellt. Dieser Inflations-Schock kam allerdings für viele seriöse Ökonomen mit Ansage, man denke nur an Hans-Werner Sinn, Deutschlands maßgeblichem Realökonom. Oder Thomas Mayer, Deutschlands maßgeblicher Finanzökonom. Wieso verharmloste Marcel Fratzscher das strukturelle Inflationsrisiko so lange so passioniert so konsequent? Warum?

Fratzscher und die Inflation: wenn die historischen Sinne schwinden

Man sollte nicht sinistre Absichten unterstellen, wo Inkompetenz als Eklärung hinreicht. Indes, die Gemengelage ist komplizierter, als unverstandene Quantitätsgleichung und tote Philippskurve indizieren. Marcel Fratzscher ist nämlich der analytische Instrumentenkasten abhanden gekommen, den die Wirtschaftsgeschichte im allgemeinen bereithält – und die deutsche Geschichte im besonderen.

Seine historischen Sinne sind soszusagen verkümmert. Fratzscher behauptet, die Hyperinflation von 1923 habe „damals einen vergleichsweise geringen materiellen Schaden verursacht“ (Seite 162), um gleich die Frage rhetorisch nachzuschieben: „Aber war nicht die Hyperinflation ein unmittelbarer Auslöser für den Aufstieg der Nazis und des Dritten Reichs? „Diese Erzählung ist ein Mythos“, so Fratzscher. Fakt sei, „dass nicht die Hyperinflation, sondern die Weltwirtschaftskrise und die damit verbundene Deflation zwischen 1929 und 1933 eine sehr viel gewichtigere Ursache für den Wahlerfolg und den Aufstieg der Nazis war.“

Das klingt nach Schlussstrich im Causa-finita-Ton, als hätten Ökonomen von Rang wie Peter Bernholz, Constantin Brescani-Turroni oder Gerald D. Feldman, die ihr ganzes Leben der Erforschung dieser Frage gewidmet haben, nur Unsinn geschrieben.

Stefan Zweig widerlegt Marcel Fratzscher

Prominenten Widerspruch aus dem historischen Off erhält Fratzscher von Stefan Zweig. Stefan Zweig, der Jahrhunderbegabte, floh vor den Nazis nach Brasilien, wo er 1942 Selbstmord beging. „Sein Weltruhm war wohl verdient“, schrieb Thomas Mann. Der große Romancier und Novellist beleuchtete die große Inflation 1922/23 aus der Perspektive der Betroffenen, zumal der kleinen Leute. In seinen Erinnerungen „Die Welt von gestern – Erinnerungen eines Europäers“ hat Zweig die zerstörerische Wirkung der großen Inflation von 1923 eindringlich beschrieben: Der schwindende Wert des Geldes, so Zweig, habe alle anderen „Werte“ ins Rutschen gebracht und Deutschland „hitlerreif“ gemacht. Wörtlich: „Nichts hat das deutsche Volk – dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.“

Marcel Fratzscher: Hyperinflation währte doch nur kurz..

Fratzscher konstatiert mit Blick auf die Inflation von 1923, es sei doch „in vielerlei Hinsicht erstaunlich, warum sich diese relativ kurze und fast hundert Jahre zurückliegende Episode von zwei Jahren so tief in das kollektive Gedächtnis gegraben hat“ (Seite 161). Stefan Zweig kontert auch diesen Einwurf Fratzschers souverän aus dem historischen Off: Zwar schien 1924 „die wüste Phantasmagorie“ der Hyperinflation vorüber. Doch in der Nachschau habe es sich nur um eine Pause in der Aufeinanderfolge von Katastrophen gehandelt. Die Überzeugung, dass Inflation das Wohlstands- und Wertegefüge von Gesellschaften von Grund auf zerstöre, indem es elementare Bezugsgrößen im Leben eines jeden einzelnen verschiebe, war für Zweig und seine Zeitgenossen allgemein. Die „deutsche Inflation und der amerikanische Schwarze Freitag“ ließen „Millionen alles verlieren und einige wenige daran Milliarden gewinnen“, konstatierte Friedrich Dürrenmatt knapp.

Fratzscher: intellektuell abgeschlagen

Der Katalog der Ereignisse, die den gegenwärtigen Inflations-Schock speisen, sind weltgeschichtlicher Art. Das Versagen der hiesigen Akteure auch. Anders als der Zaungast Fratzscher berichtet Stefan Zweig als Zeitzeuge. Der Grad an Wissenschaftlichkeit hängt letzthin immer an der Frage, ob man die Kraft aufbringt, sich der Fülle des Materials auszusetzen, um sich von der Fremdheit der Welt, die darin beschlossen ist, überraschen zu lassen. Ohne dieses wissenschaftliche Wagnis werden Marcel Fratzscher und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung auch weiterhin irrelevante Prognosen produzieren oder abgestandene Inflationseinschätzungen abgeben – und auf diese Weise den intellektuellen Wettlauf mit der Inflation chancenlos und abgeschlagen verlieren.

Zum Schluss: distanzierte Inspektion von Selbstüberschätzung

Der Autor dieses Artikels kann zwar nicht in Fratzschers Kopf schauen, dafür aber in die Bibliographie seines neuen Buches. Alles, was in der Ökonomie Rang und Namen hat, ist dort nicht zu finden. Nicht einmal der populäre Nobelpreisträger Paul Krugmann. Dafür erwähnt Fratzscher sich 28 Mal selbst. Doch handelt es sich dabei nicht etwa um schwierige, anspruchsvolle Fachartikel oder gewichtige Monographien. Fratzscher zitiert vielmehr 21 Zeitungsartikel, die er für ZEIT Online publiziert hat.

Das kann ein flott formulierender Journalist machen. Indes, dem Präsidenten eines deutschen Leibnitz-Instituts steht das schlecht an. Hart an der Grenze zum Selbstplagiat zieht Fratzscher auf dem Zitierkarrussell seine Runden. Angestellte und Untergebene stehen davor und applaudieren. Wer nicht applaudiert, hat ein Karriererisiko. Hier schrumpft Wissenschaft zur Echokammer. Wo Fratzscher wirkt, verdunstet Wissenschaft. Als Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kommt Fratzscher mit der wissenschaftlichen Bugwelle eines Ozeanriesen daher. Dabei sitzt er in einem Schlauchboot.

Fratzscher Inflation Schock
Marcel Fratzscher (Präsident DIW Berlin)Foto: Stephan Röhl

Von Heinrich-Böll-Stiftung from Berlin, Deutschland – Marcel Fratzscher, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=97999799

 



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12 Kommentare

  1. Zu seiner „Verteidigung“ könnte man durchaus sagen,dass er die Aussagen der EZB und unserer
    Bundesregierung vehement unterstützt.
    Es ist sicher nicht im Interesse der Wirtschaft oder der Bevölkerung unseres Landes.
    Wenn man ihn in diesen Bezügen anklagen würde,wäre die Verteidigung seines Standpunktes zu 100%
    gleich mit einer angenommenen Stellungnahme von EZB und der deutschen Bundesregierung wie folgt:
    „Ich handle im Interesse unseres Volkes um eine vorzeitige Panik zu vermeiden.Wirtschaft ist zu 60-70%
    reine Psychologie.Es kann nur Optimismus verbreitet werden,um größeren Schaden (vom Volk ?) abzuwenden“.

  2. Wessen Brot ich ess`,dessen Lied ich sing !
    Für mich ist Fratscherino einfach ein Komiker ohne Rückgrat.
    Würde sich sicher bestens mit Selenskyj verstehen.

    1. Young Rural Rabble-rouser

      Selenskyj ist für dich ein Komiker ohne Rückgrat?
      Marcel Fratscher darf jeder beleidigen und öffentlich mit allen Mitteln durch den Kakao ziehen, weil ihn ein Comedian namens Fugmann (m/w/d) zum persönlichen Feind erklärt hat?

      Dies ist mein zweiter Versuch, dir zu erklären, dass auch du nur ein Kasper ohne Rückgrat bist, wenn du keine Argumente für die schlauen Beleidigungen und Unterstellungen lieferst.
      Mal sehen, ob auch der zweite Anlauf zensiert wird.

  3. Also ich verstehe gar nicht warum man diesem Systemclown hier überhaupt so viel Aufmerksamkeit widmet. Gegen Fratzschers erzeugte Geräuschkulisse ist jede in Bayern geplatzte Wurst ein geradezu epochales Ereignis.

    1. Young Global Leader

      Wäre er nur ein eitler Selbstdarsteller, der einen Youtube-Kanal hat oder so was, dann könnte man ihn getrost vergessen. Sein Verein, der DWI, wird laut Selbstbeschreibung mit 34 Mio € vorwiegend aus Bundesmitteln finanziert. Das geschieht ausdrücklich mit dem Ziel, sich von denen, als Experten, beraten zu lassen. Es ist wie mit ARD/ZDF: du kannst versuchen sie zu ignorieren, aber sie ignorieren dich nicht.

  4. Dr. Sebastian Schaarschmidt

    Marcel Fratzschner redet der EZB das Wort, weil er politisch dort Karriere machen will. Außerdem spekuliert er selbst mit Aktien, Aktienfonds und ETFs insofern hat er ein Interesse an niedrigen Zinsen.

    Denn wir dürfen nicht vergessen, die Hauptprofiteure der Niedrigzinspolitik sind die Aktionäre, Immobilienbesitzer und Fondsanleger.

    1. Herr Dr.,
      Wenn das so ist, warum „investieren“ Sie nicht einfach auch in Aktien, Aktienfonds, etfs oder Immobilien? Sie wären doch dann auch ein Profiteur..
      Ich würde das auch nicht als „Spekulieren“ bezeichnen.

      1. Dr. Sebastian Schaarschmidt

        Ich bin seit Januar 91 an der Börse aktiv dabei. Insofern ja allerdings sehe ich auch über meinen eigenen Tellerrand hinaus.

        Ich habe einmal den Untergang eines Systems erlebt, dass in der ehemaligen DDR, dass langt. Auch damals habe ich und viele andere viel zu lange weggehen und nichts gemacht.
        Gewartet und den Kopf in den Sand gesteckt obwohl jeder wusste, was los war.
        Im Gegensatz zu den Ausführungen von Herrn Fugmann erwarte ich aber keine signifikante Zinswende und bleibe sowieso immer investiert.
        Ich investiere monatlich und immer wieder einmalig. Monatliche jeweils 200 Euro in 5 verschiedene ETFs auf Dax, Mdax, Dow, Nasdaq 100 und MSCI World Index.
        Einmalig in verschiedene Aktien und Aktienfonds oder ETFs je nach Lust und Zeit. Somit ist Ihre Frage ausführlich beantwortet.

  5. Marcello ist nur ein Paladin der 16 Jahre zu regieren versuchenden Kommunistin,welche uns den Lira-Franc-Euro eingebrockt hat! Stirbt die Kunstwährung €,dann stirbt €uropa! Wollt ihr die totale europäische Währung,hätte die Göbbeline im Sportpalast brüllen müssen,um ähnlichen Schaden wieder mal am deutschen Volk anzurichten!Zur Zeit sind wir ja endlich auf der Seite der Guten.Der Korruputionsstaat schlechthin (Schokoprinz Poroschenko und andere ukr.Oligarchen sagen uns was wir zu tun haben hat unsere Regierungsgeschäfte übernommen!Der Frühstücksdirektor Steinmeier tanzt schon mal nach Selenskyis Pfeife.Der Verteidigungsminister Melnyk schimpft wie ein Rohrspatz über unsere Unfähigkeit.Quo Vadis Deutschland?Der Ami,der mit der Weltleitwährung und dem mit Abstand höchsten Militäretat der Welt freut sich derweil wie Bolle,über unsere Verstimmung mit den Reussen!Armes Deutschland empfinde ich nur!

  6. Also ich finde, dass Fugi eindeutig die schönere Glatze hat… ;-)

  7. Sehr geehrter Georg Habenicht…..morgen gehe ich als erstes in ein Hutgeschäft und kaufe mir eine passende Kopfbekleidung, damit ich diese vor Ihnen ziehen kann, sollte ich Ihnen jemals persönlich begegnen. Virtuos formuliert…chapeau

    1. Lieber Herr Schomber,
      herzlichen Dank für Ihren Kommentar des Artikels „Marcel Fratzschers persönlicher Inflationsschock“.
      Ein Schreiber wie ich, der von einem gebildeten und geistreichen Leser wie Ihnen gelesen wird, ist reich beschenkt, ja geradezu gesegnet.

      Mit freundlichem Gruß

      Ihr
      Georg Habenicht

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