Allgemein

Nach dem Türkei-Referendum: Die erstaunliche Reaktion der türkischen Lira

Die Sache ist durch, Präsident Erdogan hat sein Ja zum Verfassungsreferendum bekommen, wenn auch denkbar knapp mit nur 51,4%. Aber letztlich heißt es: Gewonnen ist gewonnen. Die Wahlergebnisse zeigen, dass in der...

FMW-Redaktion

Die Sache ist durch, Präsident Erdogan hat sein Ja zum Verfassungsreferendum bekommen, wenn auch denkbar knapp mit nur 51,4%. Aber letztlich heißt es: Gewonnen ist gewonnen. Die Wahlergebnisse zeigen, dass in der Türkei eindeutig die ländlichen Gebiete mehrheitlich für Erdogans Reform stimmten, während die Gebiete Ankara, Istanbul sowie an den südlichen und westlichen Küstenregionen dagegen votierten. Die Auslandstürken stimmten eindeutig pro Erdogan.

Hier kann man nun endlos weiter „analysieren“, aber letztlich gilt auch hier: Gewonnen ist gewonnen. Die Struktur des Staates wird nun umgebaut, und de facto kann der türkische Präsident nun mit Dekreten regieren. Sie werden nur verhindert, wenn das Parlament parallel zum Dekret ein eigenes Gesetz erlässt. Aber hier hat der Präsident nun die Möglichkeit jederzeit das Parlament aufzulösen. Ein machtvolles Druckmittel Richtung der Parlamentarier!

Nun muss sich die Türkei also darauf verlassen, dass die eine Person dort oben die richtigen Entscheidungen im Sinne der Wirtschaft trifft, aus dessen Sicht wir die Dinge betrachten. Aktuell läuft es nicht so rosig. Gestern kurz nach der Wahl veröffentlichte Daten zeigen für die Türkei kein so schönes Bild. Mit 13% erreicht die Arbeitslosenquote aktuell einen Höchststand seit sieben Jahren, die Jugendarbeitslosigkeit steigt weiter auf jetzt 24,5%. Auch das Haushaltsdefizit steigt weiter auf aktuell 19,5 Milliarden Lira.

Türkische Lira

Und nun kommen wir zur interessanten Reaktion der türkischen Lira auf das Referendum. Wir hatten letzten Donnerstag vor möglichen Turbulenzen gewarnt, vor einer Art „Brexit-Reaktion“ mit möglichen starken Schwankungen in die eine oder andere Richtung. Erstaunlicherweise ist nichts dergleichen passiert. Im Gegenteil, die Schwankungen sind bis jetzt zumindest extrem gering. Der erste Chart (seit letztem Donnerstag bis jetzt) zeigt eine Schwankung von US-Dollar vs türkischer Lira von gerade mal 3,61 im Tief bis 3,71 im Hoch. Aber auch das sind nur die jeweiligen Spitzenwerte. Vergleicht man ehrlicherweise die Kurse von Freitag Abend mit dem von jetzt, ist der Kurs unterm Strich unverändert geblieben bei 3,69.

Das ist mehr als erstaunlich. Ein Blick zurück. Der Putschversuch in der Türkei fand am 15. Juli 2016 statt (roter Kreis im zweiten Chart). Das war ein Wendepunkt, von dem an Präsident Erdogan umfassend gegen Staatsfeinde oder vermeintliche Staatsfeinde vorging. Seitdem steigt die Angst gerade der ausländischen Investoren massiv vor eine Türkei, die sich von einem demokratischen Staatsgefüge entfernt, womit auch die Verlässlichkeit für ausländische Investitionen angeblich schwindet. Aufgrund dieser Unsicherheit gegenüber Präsident Erdogan (leicht vereinfacht ausgedrückt) stieg der US-Dollar seit dem Putsch (zweiter Chart) von 3,00 zügig auf 3,94 an. Die Lira wertete also dramatisch ab. Zuletzt kam man dann wieder zurück auf jetzt 3,69, aber noch immer ist die Lira extrem schwach.

Jetzt, wo die Entscheidung endgültig gefallen ist, dürfte die Angst vor einer abgeschotteten Türkei steigen, die sich noch weiter vom Westen abwendet. Auch darf man an so manchen Aussagen Erdogans zweifeln, der zum Beispiel den Zinsen „den Krieg“ erklärt hat. Wie er die hohe Inflation eindämmen will – ein Rätsel für alle Beobachter. Das ist nur ein Beispiel für die wirtschaftlichen Unsicherheiten, die nun zunehmen dürften, wo er deutlich mehr Macht in Händen hält als je zuvor. Dass die Lira nicht kräftig abschmiert, bleibt ein interessantes Rätsel.

Hört man sich seit gestern bei Analysten um, dann begegnet einem dazu das Argument „die Märkte bevorzugen Kontinuität“. Und in der Tat, von der Sicht her wird es jetzt jede Menge Stabilität und Kontinuität geben! Auch hört man Aussagen, dass es nun nicht zu vorgezogenen Neuwahlen käme, was auch gut für die Stabilität in der Türkei sei. Also sind ganz plötzlich all die negativen Gedanken der so genialen Analysten auf einmal wie weggeblasen? Also keine Probleme mehr durch Erdogan´s autokratischen Regierungsstil, der sich jetzt deutlich steigern dürfte? Eine erstaunliche Sichtweise, wo sich doch eigentlich alle einig waren, dass genau dies der Grund für die schwache Lira der letzten Monate war.

Man kann es auch anders sehen. Man könnte nämlich argumentieren, dass die „negativen Erdgogan-Faktoren“ aus heutiger Sicht bereits in den letzten Monaten in der schwachen Lira eingepreist wurden. Und von heute an heißt es plötzlich nur noch „Stabilität ist gut für die Lira“? Eine erstaunliche Änderung der Sichtweisen, aber gut, so ist es eben. Wir bleiben da eher kritisch. Auf die lange Sicht kann es verdammt problematisch sein, wenn jemand ganz alleine alles in der Hand hat. Was, wenn er schlicht und einfach falsche Entscheidungen im Sinne der Wirtschaft trifft? Wir sagen da nur mal Stichwörter wie „Inflation und Notenbank“.


US-Dollar vs türkische Lira seit letztem Donnerstag.


US-Dollar vs türkische Lira seit 2014.



Kommentare lesen und schreiben, hier klicken

Lesen Sie auch

2 Kommentare

  1. Die Stabilität in der Türkei steigt, der Ausenhandel wird aber vermutlich stark zurückgehen.

  2. Die Geschichte hat Humor. Die „Doppel-Pass-Türken“ haben dafür gesorgt, dass das türkische Ermächtigungsgesetz durch kam. Und dafür wurden in Deutschland noch die Wahllokale bereit gestellt. Aus der 1933 nichts gelernt?

Hinterlassen Sie eine Antwort

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert




ACHTUNG: Wenn Sie den Kommentar abschicken stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zur Verwendung der Kommentarfunktion zu.
Weitere Information finden Sie in unserer Zur Datenschutzerklärung

Meist gelesen 7 Tage