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Ölpreis zu stark gefallen? Jenseits der Kaffeesatz-Leserei

Ölpumpe Symbolbild

Was war das für eine Woche, vom letzten Freitag bis heute. Der Ölpreis schoss kräftig nach oben nach der Tötung des iranischen Generals Soleimani. Dann der relativ harmlose iranische Angriff auf einen US-Stützpunkt, und danach die verbale Absage beider Seiten an eine gewollte weitere Deeskalation. Der Ölpreis krachte wieder runter. Wir schrieben Ende letzter Woche und Anfang dieser Woche noch darüber, dass die Lage eskalieren könnte – und danach sah es ja zunächst auch aus. Dass der Iran seine groß angekündigte Racheaktion so derart klein halten würde, war kaum vorstellbar nach den enormen Drohungen. Von heutiger Perspektive aus darf man fragen: Die Führung im Iran brauchte lediglich einen optisch vorzeigbaren Angriff mit schönen Raketen-Bildern im Fernsehen, für die Besänftigung des eigenen Bevölkerung?

Ölpreis zeigt sich mehr als nur entspannt

Aber man weiß ja nie… kommen noch Folge-Angriffe? Wer es vielleicht verpasst hat: Gestern bei Maybrit Illner ging es um die Iran-Krise, und um die Frage, ob es noch eine weitere Eskalation geben könnte (hier die Sendung ansehen). Die Runde war sich im Großen und Ganzen einig, dass Donald Trump aus innenpolitischen Gründen keine Eskalation gebrauchen kann, und dass auch der Iran keinen richtigen Krieg wünscht. Aber wird es durch dem Iran nahestehende Gruppen eigenständige Aktionen geben? Zum Beispiel gegen Öl-Anlagen im Irak? Diese Angst wird aktuell zum Beispiel bei CNBC durch Analysten geäußert. Solche Angriffe könnten die Ölzufuhr nach Asien beeinträchtigen – denn immerhin ist der Irak nach Saudi-Arabien der zweitgrößte Ölproduzent der OPEC.

Von so einer Nervosität ist am Markt derzeit aber nichts zu spüren. Am Ende dieses Artikels zeigen wir den Verlauf des WTI-Ölpreis seit Juli 2019. Man könnte nun jede Menge Trendlinien, Widerstands- und Unterstützungslinien, Indikatoren etc in den Chart einbauen. Bei genug Kaffeeesatz-Leserei kann man letztlich alles was man will aus dem Chart rauslesen. Fakt ist: Vor dem Start der Iran-Krise vor einer Woche stand der WTI-Ölpreis bei 61,15 Dollar. Aktuell notiert er bei 59,62 Dollar. Also hat sich die Lage nicht nur entspannt, sondern richtig tiefenentspannt. Ist der Ölpreis nun so tief, dass dieses Kursniveau eine Kaufchance bietet?

Überraschung bei den Lagern

Oder ist vielleicht irgendwas geschehen, was diesen „zu tiefen“ Rückfall im Ölpreis rechtfertigen könnte? Ja, am Mittwoch Nachmittag gab es die offiziellen Lagerbestände für Rohöl in den USA. Mit +1 Million Barrels nahmen die Lagerbestände überraschend zu, wo ein Minus von gut 3 Millionen Barrels erwartet wurde. Vollere Lager bedeuten zu wenig Nachfrage, zu viel Angebot, oder beides. Das drückt natürlich auf den Ölpreis. Und so fiel WTI-Öl ab Mittwoch Nachmittag von gut 62 Dollar auf das jetzige Niveau, auf dem sich der Kurs seit zwei Tagen eingependelt hat. Die folgende Grafik zeigt die US-Lagerbestände seit einem Jahr (ein Balken pro Woche). Vor diesem aktuellen Anstieg gab es drei Wochen lang deutlich fallende Lagerbestände. So eindeutig ist die Zunahme der Lager also derzeit keinesfalls, nur weil sie eine Woche um 1 Million Barrels steigen. Letzte Woche fielen die Lager um mehr als 10 Millionen Barrels. Der Markt wollte diese Woche wohl erstmal richtig durchpusten mit fallenden Preisen? Vorsicht… wir wollten gerade anfangen mit Kaffeesatz lesen.


source: tradingeconomics.com

Zu viel Ölangebot vorhanden?

Henning Gloystein von der Eurasia Group vertritt eine klare Meinung. Im Moment sei so viel Öl auf dem Markt, dass eine einzige Störung oder sogar eine kleine Serie von Störungen im Nahen Osten die Welt nicht mehr so stark beeinträchtigen könnte wie noch vor fünf oder zehn Jahren. Wir meinen: In den letzten Monaten, wo der Ölpreis eine lange klare Aufwärtsstrecke hinlegte, hörte man davon eher wenig. Man hörte vor allem viel von Euphorie rund um eine Entspannung im Handelskrieg und eine bessere Konjunktur, was mehr Öl-Nachfrage nahe legen würde. Und die OPEC kürzte ihre Fördermenge, was Öl ebenfalls pushte. Aber ganz aktuell zu diesem jetzigen Zeitpunkt, da scheint die Stimmung gefühlt ganz schlicht zu lauten „Es ist zu viel Öl auf dem Markt“. Nächste Woche will der chinesische Abgesandte bei Donald Trump den Phase 1 Deal-Vertrag unterschreiben, und es sollen weitere Verhandlungen in der „Phase 2“ folgen. Bringt das womöglich die Trendwende für Öl, wenn sich am Markt das Gefühl durchsetzt, dass durch eine fortschreitende Entspannung im Handelskrieg wieder mehr Öl-Nachfrage entsteht? Ups, nein, wir fangen schon wieder an mit Kaffesatz-Leserei. Bilden Sie sich bitte Ihre eigene Meinung!

WTI Ölpreis im Verlauf seit Juli



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