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Geht es auch ohne russisches Gas in diesem Jahr? Experten sagen JA – hier die Begründung

Tanker transportiert Gas in verflüssigter Form

Die deutsche Energieversorgung soll auch kurzfristig ohne Gas aus Russland gesichert sein. Das sagen die Energieexperten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer heute veröffentlichten Analyse. Wie das gehen soll? Möglichst viel Gas einsparen, möglichst viel von anderen Lieferanten kaufen, effizienteres Netz innerhalb Europas – und oben drauf noch jede Menge Glück – so möchte ich die Analyse mal arg verkürzt zusammenfassen. Denn würde die EU auf Gas aus Russland verzichten, müssten wohl sämtliche Faktoren in einem völligen Idealzustand zusammen wirken, damit die Lichter nicht ausgehen.

Schon dieses Jahr unabhängig von Gas aus Russland – das soll machbar sein

Aus Russland stammten bisher mehr als 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas (2020), also mehr als die Hälfte der deutschen Importe. Laut DIW gibt es auf der Nachfrageseite für Gas ein kurzfristiges Einsparpotenzial von 19 bis 26 Prozent der bisherigen Erdgasnachfrage. Mittelfristig sei insbesondere ein Schub in Richtung erneuerbarer Wärmeversorgung und höherer Energieeffizienz notwendig. Wenn Einsparpotenziale maximal genutzt und gleichzeitig die Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch möglich ausgeweitet werden, sei die deutsche Versorgung mit Gas auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert.

Gas woanders einkaufen

Wir wollen uns hier auf Teile der Analyse beschränken, die wir für wichtig halten. Angesichts der bisherigen Abhängigkeit von Lieferungen aus Russland stellt sich laut dem DIW die Frage, ob, beziehungsweise in welchem Umfang russische Exporte nach Deutschland ersetzt werden könnten. Wegen der Abhängigkeit von Pipelines und/oder Flüssigerdgasterminals sei es kurzfristig nur über bestehende Infrastrukturkapazitäten möglich die Lieferungen zu erhöhen. Allerdings gebe es dabei im Verhältnis zu den Lieferungen in den vergangenen Jahren deutliche Wachstumspotenziale, wie auch die bereits gesteigerten Lieferungen der vergangenen Wochen zeigen. Diese Steigerungspotenziale sollen sich in Summe auf bis zu 37 Milliarden Kubikmeter für das gesamte Jahr 2022 beziehungsweise 28 Milliarden Kubikmeter für die Monate April bis Dezember 2022 belaufen.

Für diese maximal mögliche Angebotsausweitung wird aber zugrunde gelegt, dass zum Beispiel ein wichtiger Lieferant wie Norwegen in diesem Jahr ohne Unterbrechung auf dem Niveau der Tageshöchstkapazität der Pipelines Gas nach Deutschland liefern kann. Dies ist aber aufgrund von regelmäßigen Wartungen unrealistisch. Auch kann man zum Beispiel Flüssiggas-Lieferungen über die Niederlande und Belgien erwähnen, wo das Gas angelandet wird. Für das DIW-Szenario mit der maximalen Angebotsmenge wird davon ausgegangen, dass mindestens die Hälfte der Kapazitäten der Terminals für Importe nach Deutschland genutzt werden können (Rotterdam), beziehungsweise die im vergangenen Jahr ungenutzten Kapazitäten für Deutschland zur Verfügung stehen könnten (Dunkerque, Zeebrugge, abzüglich des Ersatzes möglicher Ausfälle russischer Exporte nach Belgien). Im realistischen Szenario müssen die LNG-Importmöglichkeiten über die Niederlande (Rotterdam) niedriger angesetzt werden, da die Niederlande wahrscheinlich sowohl ihre eigenen Produktionsschwierigkeiten sowie zuletzt recht hohe Importe aus Russland durch LNG-Importe ausgleichen müssen.

Einsparungen

Gas einsparen ist wohl der einfachste Weg um weniger Gas aus Russland importieren zu müssen. Einfach die Heizung runter drehen, beim Kochen die Gasflamme kleiner? Ganz so einfach ist es dann wohl doch nicht. Das DIW erwähnt, dass vor allem im Stromsektor (ohne Wärmeerzeugung), wo der Ersatz von Erdgas aus technischer Sicht einfacher machbar ist, der Erdgasverbrauch reduziert werden kann. Dabei müsste allerdings kurzfristig mehr Kohle genutzt werden. In den Nachfrageszenarien wird davon ausgegangen, dass mindesten 30 Prozent und bis zu 100 Prozent (im Verhältnis zu 2020) des Erdgasverbrauchs im Stromsektor verschoben werden könnten.

Bei den Haushalten kann dies laut DIW durch ein Absenken der Raumtemperatur, der Warmwassernutzung sowie dem kurzfristig stärkeren Verbau von Wärmepumpen erreicht werden. Einkommensschwache Haushalte müssten für die hohen Erdgaspreise finanziell entlastet werden. In der Industrie bestehe das größte Einsparpotenzial durch den Umstieg auf alternative Energieträger in der Wärmerzeugung wie Strom, Kohle oder Biomasse. Allerdings sei dieser Wechsel für Prozesse, die eine hohe Wärme benötigen, schwierig, weswegen mit insgesamt 15 Prozent eher moderate Einsparungen für die Industrie angenommen werden.

Speicher vorhanden – schön und gut

Auch spricht das DIW davon, dass Deutschland im europäischen Vergleich über großzügige Erdgasspeicherkapazitäten in Höhe von 24,5 Milliarden Kubikmeter verfügt, was mehr als ein Viertel der bisherigen Jahresnachfrage beziehungsweise mehr als zwei Drittel der Nachfrage in den Wintermonaten Januar bis März entspricht. Und das DIW erwähnt, dass die Bundesregierung eine verpflichtende Befüllung der Speicher zu 80 Prozent am 1. Oktober und zu 90 Prozent am 1. November plant. Schön und gut – aber man kann noch so viele Speicher haben und eine noch so hohe Bevorratung vorschreiben. Wichtig ist ja erst einmal, dass man auch genug Liefermengen an Gas erhält, um diese Lager zu füllen – damit die Heizungen nicht ausgehen und die Industrie weiter produzieren kann.

Fazit

Wie bereits gesagt: Die Unabhängigkeit von russische Gas noch dieses Jahr zu erreichen – wie es das DIW für möglich hält – ginge wohl nur, wenn wirklich alle einzelnen Bausteine ideal funktionieren, und oben drauf wohl noch viel Glück dazu kommt. Hier das Fazit des DIW im Wortlaut, aus dem man dies auch herauslesen kann:

Wenn das deutsche Energiesystem schnell angepasst wird, könnte im Lauf des Jahres 2022 der Wegfall russischer Erdgasexporte kompensiert und die Energieversorgung im kommenden Winter gesichert werden. Bedingung hierfür ist, dass die Erdgasimporte Deutschlands aus den traditionellen Lieferländern deutlich ausgeweitet werden. Weiterhin ist es notwendig, die vorhandenen Speicher rechtzeitig vor Beginn der Heizperiode im Winter 2022/23 auf 80 bis 90 Prozent aufzufüllen. Eine effizientere Nutzung des deutschen und europäischen Erdgaspipelinesystems auch zur Verbindung Deutschlands mit Südeuropa könnte die Situation weiter entspannen. Zwar reicht das zusätzliche Angebot nicht aus, um die gesamten bisherigen russischen Erdgasimporte zu ersetzen, in Kombination mit einem rückläufigen Erdgasverbrauch kann die deutsche Energieversorgung gesichert werden. Der Bau von LNG-Importterminals an der Küste ist aufgrund der langen Bauzeiten und dem mittelfristig stark rückläufigen Erdgasbedarf nicht sinnvoll und es bestehen erhebliche Verlustgefahren (sogenannte stranded investments).

Unter optimistischen Annahmen sind Einsparungen von Erdgas in Höhe von 18 bis 26 Prozent der Nachfrage möglich. Während Erdgas im Stromsektor kurzfristig durch alternative Energieträger ersetzt werden kann, gehen die Einsparungen bei der Industrie mit einem Produktionsrückgang einher. Die besonders betroffenen Branchen sollten daher entschädigt werden. Diese Programme sollten darauf abzielen, den Erdgasverbrauch strukturell zu reduzieren und die Umstellung auf treibhausgasarme Produktionstechnologien voranzutreiben. Bei den privaten Haushalten kann Erdgas zum großen Teil nur durch eine geringere Energienachfrage eingespart werden, so dass schnellstmöglich Energiesparkampagnen notwendig sind. Darüber hinaus müssen jetzt rasch Maßnahmen umgesetzt werden, die die Energieeffizienz steigern und den Umstieg auf erneuerbare Wärme (in Verbindung mit Wärmepumpen) erleichtern.

Wenn Einsparpotenziale maximal genutzt und gleichzeitig die Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch möglich ausgeweitet werden, ist die deutsche Versorgung mit Erdgas auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert.

FMW: Gerade wenn man diesen letzten Satz des DIW nochmal liest, dann ist die Headline der Analyse „Energieversorgung in Deutschland auch ohne Erdgas aus Russland gesichert“ doch wohl unglücklich formuliert. Denn es geht eher um ein Ideal-Szenario, bei dem wirklich alle Einzelfaktoren perfekt wirken müssten. Ein wirklich sicheres Szenario, auf welches man ein solides Fundament bauen kann, scheint es aber nicht zu sein, sondern eher ein Maximal-Szenario, das unter Umständen eintreten kann.



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4 Kommentare

  1. Die deutsche Energiewende war schon vor dem Ukraine-Krieg gescheitert, s. McKinsey-Energiewende-Index. Jetzt soll auch noch auf das Russland-Gas verzichtet werden, mit dem die nicht funktionierende Energiewende repariert werden sollte. Wenn unser allmächtiger Staat die Energie-Mangelversorgung jetzt genauso organisiert wie die Corona-Maßnahmen, dann haben wir bald wieder Lockdowns, Stilllegungen ganzer Wirtschaftszweige, Kurzarbeit Null und viel mehr Arbeitslose; nur die Begründung/Propaganda ändert sich: Putin statt Corona als Schuldiger. Es geht nicht um „Einsparungen“, sondern um Rationierung und Abschaltung. Impfkampagnen werden dann abgelöst durch „Energieeinsparkampagnen“ und der deutsche Michel hat neue Möglichkeiten, sein Gutmenschentum und seine Staatshörigkeit zu beweisen. Auf der Strecke bleiben Freiheit, Wohlstand und Vernunft.

    1. Young Global Leader

      „… nur die Begründung/Propaganda ändert sich: Putin statt Corona als Schuldiger“

      Das wird nicht funktionieren. Die neue deutsche, „grüne“ Planwirtschaft muss sich den internationalen Vergleich gefallen lassen. Wird sie zur „Mangelwirtschaft in einem Land“ dann fällt das nicht auf Putin zurück.

      Staatshörig sind andere auch, aber Deutschland ist unangenehm als Streber aufgefallen, als Land, dass allen anderen ein Vorbild sein wollte. Ich fand diese Großspurigkeit schon in der letzten Dekade bedenklich und realitätsfern

      https://de.tradingeconomics.com/germany/gdp

      Sieht man sich den Verlauf über 25 Jahre an, dann erkennt man die Stagnation der Merkel-Ära in einem Chart. Fairerweise muss man sagen, dass sie der Stagnation der Eurozone entspricht. Nur Irland fällt positiv auf. Kein Wunder, dass das irische Geschäftsmodell der EU sauer aufstößt.

  2. Das DIW handelt wie immer: euphorische Schönfärberei abseits jeder Realität. Diese Einrichtung kann niemand mehr ernst nehmen – es ist nur zu befürchten, das die Politik diese Märchen als Tatsache hernimmt, um dann hinterher, wenn es, wie realistischer Weise zu erwarten, nicht so läuft, sich hinzustellen und Schulter zuckend zu bedauern, daß es leider anders gekommen ist, obwohl die (selbst ernannten) „Experten“ doch alle gesagt hätten, es würde klappen…
    Mir bleibt als Fazit nur der Spruch: Unterstelle nie Bösartigkeit, wo Dummheit als Erklärung ausreicht.

    1. Young Global Leader

      Aus dem Mission Statement des DIW

      „Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das DIW Berlin, verbindet exzellente Forschung, Bereitstellung von Infrastruktur und Nachwuchsförderung mit fundierter Beratung.“

      https://www.diw.de/de/diw_01.c.598936.de/seiten/ueber_uns.html

      Die sehen sich ganz explizit als Influencer, aber auch nicht erst seit Fratzscher den Laden führt. Wem gegenüber sind die eigentlich verantwortlich? Nun, der „Wissenschaft“:

      „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DIW Berlin sind den forschungsethischen Prinzipien des DIW Berlin (PDF, 121.54 KB) verpflichtet. Diese Regeln basieren auf den „Vorschlägen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), den entsprechenden Empfehlungen der Leibniz-Gemeinschaft sowie dem Ethikkodex des Vereins für Socialpolitik.“

      Woran erkennt man eigentlich, dass sie Wissenschaftler sind? Ich könnte ja auch so einen Verein aufmachen, einen Ehrenkodex unterschreiben, in der ich meine Selbstkontrolle als Wissenschaftler bekunde. Nun, des Rätsels Lösung ist die institutionelle Vernetzung:

      „Knapp ein Drittel der Einnahmen des DIW Berlin stammen aus der Projekt­förderung sowie aus der Auftrags­forschung (37 Prozent). Bedeutendste Auftraggeber sind dabei deutsche und europäische öffentliche Institutionen (25 Prozent). Weitere Fördermittel werden von anderen Forschungseinrichtungen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworben (neun Prozent). Die Projektmittel von Stiftungen, Unternehmen und sonstigen Einrichtungen machen etwa drei Prozent des Institutshaushalts aus. Rund ein Prozent des Gesamthaushalts wird durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und sonstige betriebliche Erträge finanziert.“

      Sie leben als Influencer von unseren Steuergeldern für unser Gemeinwohl – aber ich komme da nicht auf 100%. Auch die Infografik klärt das nicht auf, präsentiert aber ganz andere Zahlen, die sich auch nicht zu 100% addieren. Wenn die Gesamtsumme stimmt, dann flossen 2020 34 Mio € an ein selbstverantwortliches Wirtschaftsforschungsinstitut, dass Probleme mit der Prozentrechnung hat oder nicht genau weiß, wie sich sein Etat zusammensetzt, aber bestens vernetzt ist.

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