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Prekariat: 12% der Arbeitnehmer in täglicher Angst um die Existenz

Warum hat das „Prekariat“ ein oft viel größeres Problem als viele Menschen denken? Aber von Anfang an. Es gibt zunächst einmal die Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen. Sie stehen (wenn man es so ausdrücken will) ganz unten auf der sozialen Skala. Darüber kommen Menschen, die zwar Arbeit haben. Sie verharren aber in einer Art dauerhafter täglicher Angst. Denn sie sind in der Regel Leih- und Zeitarbeiter, Mindstlohnempfänger, befristet beschäftigt usw.

Ihr Problem ist: Verlieren sie ihre Arbeit, und ihre Wohnung ist nur 1 Euro zu teuer laut Vorgaben des Jobcenters, müssen sie ausziehen und rutschen womöglich in die Obdachlosigkeit. Der schon bestehende Langzeitarbeitslose hat bereits seine kleine Wohnung, die vom Amt akzeptiert und bezahlt wird. Solche kleinen freien Wohnungen gibt es aber für „Angehörige“ des Prekariats nicht, die nach Wohnungsverlust direkt in die Obdachlosigkeit rutschen können.

Das ist natürlich eine verdammt harte und auch reale Drohkulisse für diese Personengruppe. Wer in solch „prekären“ Beschäftigungsverhältnissen lebt, kann natürlich nicht am Konsumrausch der anderen 88% der Beschäftigten teilnehmen. Er/sie kann also keine Reisen buchen, Autos und Fernseher kaufen etc. Und wie man sieht, wird die Zahl der Leiharbeiter beständig größer. Dass das Prekariat jetzt eine gewisse Aufmerksamkeit erhält, liegt an der heutigen Veröffentlichung der gewerkschaftsnahen Hans Böckler-Stiftung. Zitat aus einer aktuellen Studie:

In der Erwerbsbevölkerung leben gut 12 Prozent oder gut vier Millionen Menschen dauerhaft in prekären Umständen. Das heißt: Job ohne Perspektive, zu wenig Einkommen, mangelhafte soziale Absicherung, und das über mehrere Jahre. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie. Der Begriff Prekariat war jahrelang in aller Munde. Dennoch existiert bis heute keine allgemeinverbindliche Definition. Klar ist immerhin: Gemeint ist eine Gruppe, die zwischen der sozial abgesicherten Mehrheit der Erwerbstätigen und den beinahe gänzlich aus dem Erwerbszusammenhang Ausgeschlossenen, etwa Langzeitarbeitslosen, steht. Sie strampelt sich in wechselnden, schlecht bezahlten Jobs ab, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen.

Und weiter heißt es:

Die Forscherinnen und Forscher haben eine Reihe sozialer Indikatoren zusammengestellt, die als Indizien für ein prekäres Leben dienen können. Diese beziehen sich zum einen auf das Erwerbsleben, darin enthalten sind etwa Niedriglohn, ein unsicherer Job oder fehlender Kündigungsschutz. Zum anderen geht es um den Haushaltskontext: Armut, beengte Wohnverhältnisse oder auch Überschuldung. Von einer „prekären Beschäftigungsepisode“ sprechen die Wissenschaftler, wenn wenigstens zwei der auf den Arbeitsmarkt bezogenen Negativkriterien erfüllt sind. Nach dem gleichen Muster bestimmen sie „prekäre Haushaltsepisoden“. Dies sei ein „konservatives Messverfahren, das erst bei einem deutlicheren Problemumfang“ anschlage. Anhand repräsentativer Befragungsdaten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) haben die ForscherInnen berechnet, wie groß die Gruppe ist, die längerfristig sowohl von prekärer Beschäftigung als auch von einer prekären Haushaltslage betroffen ist. Der Kalkulation liegen die repräsentativen Angaben von fast 10.000 Personen zugrunde, die in einem Beobachtungszeitraum von zehn Jahren mindestens einmal erwerbstätig waren. Der Untersuchungszeitraum reicht von 1993 bis 2012 und wird in zwei Perioden unterteilt. Ergebnis: 12,3 Prozent der Erwerbsbevölkerung waren in einem Zehnjahreszeitraum überwiegend prekär beschäftigt und mussten sich anhaltend mit einer ebensolchen Haushaltslage arrangieren.

Fazit:

Die Politik sei gut beraten, resümieren die ForscherInnen, sich mit dem Phänomen des Prekariats intensiver auseinanderzusetzen, das in der zahlenmäßigen Größenordnung dem Problem des Hartz-IV-Bezugs ähnelt, sich jedoch in vielen Fällen substanziell davon unterscheidet, vor allem im Hinblick auf die ausgeprägte Erwerbsnähe und Erwerbsbeteiligung. Der Mindestlohn sei für diese Gruppe eminent wichtig, könne aber das Problem nicht alleine lösen. Nachzudenken sei auch über eine „solidarische Lohn- und Steuerpolitik mit Umverteilungskomponenten in Richtung von Geringverdienern“ und ihren Haushalten. Außerdem gebe es Potential für arbeitsrechtliche Reformen: Einschränkung von Befristungen, Regeln für Leiharbeit und Werkverträge, leichterer Zugang zum Arbeitslosengeld für Menschen mit regelmäßigen Erwerbsunterbrechungen.

Prekariat



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3 Kommentare

  1. und so greift das eine in das andere. diese personengruppe leih- zeit- und mindestlohnarbeiter und die langzeitarbeitslosen. diese gruppen haben zu 80% negative schufa einträge. und zwangsläufig opfer der inkasso büros. hauptfoderung sind kleinstbeträge, jeden monat kommt der gerichtsvollzieher und erhält 10-20 euros. die hauptforderung ist längst bezahlt. aber die nebenkosten des inkasso büros machen die seiner zeits 50-100 euro foderung zu einer lebenslangen forderung, welches nie und nimmer zu ende geht.

  2. Man (wir alle) sollten uns langsam damit auseinandersetzen, dass die klassische Form der Erwerbstätigkeit duch stetig steigende Automatisierung und Digigatilsierung nicht aufrecht zu halten sein wird. Diese Tatsache wird soziale Unruhe schaffen. Wenn es der Politik nicht gelingt eine monetäre Umverteilung der durch diese Veränderungen entstehenden Ungleichgewichte herzustellen fürchte ich um den sozialen Frieden in der westlichen Welt. Zur Erwerbslosigkeit gezwungene, resp. verurteilte Menschen, weil die klassische Form eben dieser Arbeitsangebote mehr und mehr verschwindet, muss durch geeignete Programme in den Bereichen der Sozialberufe (z.Bsp. Alten-u. Krankenpflege)ersetzt werden – finanziert durch die Kostenersparnisse der Konzerne welche eben durch deren Automatisierungen entstehen. Es ist doch eine Sackgasse zu glauben, dass Automatisierungen Massenrodukte verbilligen, Gewinne steigen, wenn sich am Ende des Tages diese Produkte immer größere Anteile der Gesellschaft nicht mehr leisten, kaufen können. Keynesianismus, bei dem ein Teil der Gleichung (das Einkommen der Konsumenten, das ja durch die Produktion der Produkte steigen sollte) wegfällt. Diese m.E. schlicht weg falsche Theorie ist (wieder einmal) nahe dem Ende angelangt und ich bin neugierig wie lange es dauert bis das in den Köpfen der Politik ankommt.

  3. da immer mehr immer weniger zu verlieren haben, könnte diese Gruppe doch mal das Land lahmlegen..Generalstreik.. und angemessene Löhne von mind. 14 Euro fordern…mal sehen was dann passiert.

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