Für den Krieg in der Ukraine braucht Russland nicht nur Waffen und Soldaten. Ebenso gilt es jegliche Wirtschaftsgüter zu nutzen, um Kriegsmaschinerie und Sanktionswirtschaft am Laufen zu halten. Nachdem die Binnenkonjunktur geringere Einkünfte aus dem Energiesektor im Staatshaushalt laut Finanzministerium aufzufangen scheint, soll aus verlassenen Liegenschaften und ungenutzten Gerätschaften heruntergekommener Flusshäfen mittels Privatisierung für 1 Rubel Kapital geschlagen werden. Eine dementsprechende Gesetzesänderung unterzeichnete Präsident Wladimir Putin Ende November. Mit dieser Investorenmobilisierung der besonderen Art will er den Verfall seit dem Niedergang der Sowjetunion bekämpfen und Verkehrsarterien im Inland modernisieren.
Staatsduma von Russland winkte Gesetzesänderung durch
Tritt die Privatisierung zu einem Symbolpreis von 1 Euro oder in Russland jetzt von 1 Rubel auf den Plan, ist das ein untrügliches Zeichen für den Versuch, das letzte Quäntchen aus abgewirtschafteten kommunalen und staatlichen Betrieben herauszuholen und irgendwie in Gewinn umzumünzen. Einstiegs- und Übernahmehürden sind für Käufer und Investoren symbolträchtig tief, so dass diese Bedenken über Bord werfen und sich dem wirtschaftlichen Himmelfahrtskommando annehmen. Möglicherweise steckt in Wirtschaftsruinen aus der Sowjetzeit tatsächlich noch ein Geschäftsmodell, mit dem keiner mehr rechnet.
Das Reißbrett dafür soll eine Gesetzesänderung zur Privatisierung von staatlichem und kommunalem Eigentum liefern. Diese richtet sich auf die Privatisierung verlassener Flussliegeplätze zu einem Symbolpreis von 1 Rubel. Die Staatsduma und der Föderationsrat winkten das betreffende Dokument im November durch und Präsident Putin unterzeichnete es am 27. November selbst. Ziel ist es, damit das Privatisierungsverfahren von Umschlaganlagen, verlassenen Liegeplätzen und anderen Objekten in Flusshäfen in Russland, die sich in einem mangelhaften Zustand befinden, zu vereinfachen. Die Initiative hierzu habe das russische Verkehrsministerium ausgearbeitet.
Instandhaltung ist auf fünf Jahre befristet
Demnach kann jedes Objekt in heruntergekommenen Flusshäfen auf jede im Privatisierungsgesetz vorgesehene Weise veräußert werden, sofern die Person, die das Vorkaufsrecht zum Erwerb eines solchen Objekts hat, auf dieses Recht verzichtet. Der Vorsitzende des Staatsduma-Ausschusses für Eigentum, Land und Eigentumsverhältnisse, Sergej Gawrilow, erklärte, dass Objekte, die unter dieses Gesetz fallen, zu einem Startpreis von 1 Rubel zum Wettbewerb angeboten werden. Bei mehreren Interessenten finde eine Auktion statt. Wer den höchsten Preis biete, erhält den Zuschlag für das Objekt.
Innerhalb von fünf Jahren ist der Käufer per Gesetz verpflichtet, den Binnenhafen in Ordnung zu bringen, andernfalls geht die Anlage in kommunales oder staatliches Eigentum zurück. „Die gestellte Aufgabe des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Verkehrsadern, darunter auch Wasserstraßen, auszubauen, ist dringend“, erläuterte Gawrilow. Nach Maßgabe von Putin sollen zur Entwicklung der Transportindustrie in Russland fortschrittliche heimische Technologien eingesetzt, strenge Umweltstandards und öffentlich-private Partnerschaftsmechanismen eingeführt werden. Die russische Regierung ist Medienberichten zufolge nun beauftragt, die Kriterien für die Einstufung von Häfen und Liegeplätzen als Objekte in mangelhaftem Zustand festzulegen.
Die Weiße Stadt ist der schrecklichste Ort in Russland
Wie schlimm der mangelhafte Zustand aussehen kann, porträtiert der Influencer Sergej Wolkow in seinem Video Bely Gorodok an der Wolga, was übersetzt die Weiße Stadt heißt. Sie liegt nur 160 km von Moskau entfernt im Twersker Gebiet und ist für Wolkow einer der schrecklichsten Orte in Russland. Er will zeigen, wie die Weiße Stadt stirbt, was auch Einwohner selbst so wahrnehmen. 1979 lebten noch 3783 Einwohner in der Stadt. 2021 waren es offiziell nur noch 1842. Vermutlich sind es sogar weit weniger. Der Flusshafen ist ein Schiffsfriedhof. Hinzu kommen verfallene Häuserblöcke und Ruinen. Alles ist geschlossen. Einen Arzt gibt es schon lange nicht mehr.
In einem Kommentar vor einem Monat bemerkte jemand: „Der Zusammenbruch der UdSSR führte zu einem Rückgang der Staatseinnahmen und einem Rückgang aller Investitionen. Der Produktionsumfang ist zurückgegangen und große Schiffe mit Massengütern fahren auf der Wolga nicht mehr. Große Importe aus China legen wahrscheinlich die heimische Produktion lahm.“ Diese traurige Geschichte vom Niedergang könnte die Aufmerksamkeit von Staatsspitzeln auf sich lenken. YouTube ist in Russland sehr beliebt, aber der Staatsführung ein Dorn im Auge. Wie Medusa im Oktober berichtete, arbeitet die russische Technologiefirma VK an einem heimischen Ersatz. Mit dem Blockieren von YouTube sei nach Aussage einer Quelle jedoch nicht vor den Präsidentschaftswahlen im März 2024 zu rechnen.
Eine baufällige Wohnung in Workuta kostet 1 Rubel
All das, was keinen großen Investor fand und in Staatseigentum verblieb wie der Binnenschiffhafen der Weißen Stadt, rostet vor sich hin und verfällt. Ähnliche Bilder gibt es von Ortschaften mit einstigen Kolchosen und Kohlegruben. Nicht nur Wolkow machte zum Beispiel einen Rundgang durch verlassene Häuserblöcke in Workuta. Der Ort mit einstigem Strafgefangenenlager und Kohlebergbau erlebte von 1959 bis 1989 seinen Aufstieg mit weit über 100.000 Einwohnern. Danach ging es mit der Schließung der Kohlegruben bergab. Die Einwohnerzahl halbierte sich und hinterließ immense Leerstände im Umkreis der größten Stadt am Nordpolarkreis in Russland.
In den verlassenen und baufälligen Häuserblöcken finden sich letzte Bewohner und tatsächlich Anschläge zu einem Wohnungsverkauf für 1 Rubel. „Möge Gott jedem unserer Abgeordneten eine gemütliche Wohnung in Workuta geben und nicht im Süden Italiens“, lautet ein bissiger Kommentar zu diesem Workuta-Video vom Reiseblogger Anton Lyadov. Oder: „Schade, dass dies NIEMALS auf Kanal 1 gezeigt wird.“ Ist das Video von vor zwei Jahren und damit aus der Vorkriegszeit, fallen die bissigen Kommentare in die Kriegszeit der Ukraine.
Ein Gesetz, das darauf abzielt, eine rechtzeitige Generalsanierung von Wohnhausblöcken unter Berücksichtigung ihres technischen Zustands sicherzustellen, unterzeichnete Putin ebenfalls am 27. November. Die Probleme in Workuta und an anderen Orten scheinen offenbar Gehör gefunden zu haben. Auch wenn das alles weit von Moskau entfernt ist, kann Putin sich eine massenhafte Unzufriedenheit in den Regionen nicht leisten. Zugleich ist die Instandsetzung auch in Moskauer Wohnsiedlungen ein Dauerbrennerthema. Damit die Unterstützung für einen langen Krieg in der Ukraine nicht schmilzt, braucht Putin Symbole, die zeigen, dass er sich um die Belange der Bevölkerung kümmert. Beide Gesetze sollen die Heimatfront besänftigen.
Die Privatisierung in Russland weckt ungute Erinnerungen
Die Privatisierung der Neunziger Jahre brachte Oligarchen hervor, die mit am runden Tisch des russischen Präsidenten saßen. Der denkwürdige Prozess zur Zerschlagung der einst führenden Ölgesellschaft Jukos von Michail Chodorkowski nahm 2003 hier seinen Anfang. Putins Geheimdienstfreund Igor Setschin steht dem staatlichen Ölkonzern Rosneft vor und hat die Aktiva von Jukos seinerzeit übernommen. Damit setzte sich Rosneft in Russland an die Spitze der Ölwirtschaft. Chodorkowski lebt nach Schauprozess und Straflager im Exil in London. Dass seine oppositionellen Botschaften Russland erreichen, ist zweifelhaft.
Die geplante Privatisierung zum Symbolpreis von 1 Rubel wirkt jetzt wie ein Hilferuf für Leerstand und veraltete Technik. Der Binnenhafen der Weißen Stadt steht unter einem schlechten Stern, weil nicht nur der Hafen stillsteht und verfällt. Auch viele Bewohner haben im wahrsten Sinn des Wortes das sinkende Stadtschiff verlassen. Möglicherweise gibt es Beispiele mit günstigeren Vorzeichen. Für Putin wäre das eine Gelegenheit, sich als Retter in Szene zu setzen. Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto mehr werden Videos über Landflucht, rostende Autos, Schiffe, Hafenkräne und Landmaschinen zur Bedrohung. Russland muss diese Bilder loswerden, um jede Flamme für Widerstand im Inland zu ersticken.
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UPS, das sieht ja schlimm aus, in Russland.
Im westfälischen Altena ist die Bevölkerung von 36.000 Einwohner auf gegenwärtig 17.000 gefallen.
Die Wohnungen wurden nicht für 1 Euro verkauft sondern mit Steuergeldern abgerissen.
Wirklich schlimm ist das, wenn so etwas passiert.
Wer dann eine „Idee“ hat kann ja mal einen Rubel riskieren.
Was soll da schief gehen?
Die soetwas von vorneherein schlecht reden wollen, haben wohl noch nie irgendetwas Stein für Stein aufgebaut, und sich darauf gefreut, am nächsten Tag weiter machen zu können.
Viele Grüße aus Andalusien Helmut
Spanien geht es so schlecht, dass sogar dafür bezahlt wird, wenn Menschen dorthin (in bestimmte Städte) umziehen.
In diesen Dörfern in Spanien werden Sie dafür bezahlt, dort zu leben — idealista
https://www.idealista.com/de/news/leben-spanien/2022/11/30/7292-diesen-staedten-und-doerfern-spanien-werden-sie-dafuer-bezahlt
Viele Grüße aus Andalusien Helmut
Ist wohl eher was für menschenscheue Einsiedlertypen. Ganz dumm, wenn man alt und krank wird.
Kein Arzt (da will keiner hin), keine Sanitätsstrukturen weit und breit.
Kein Wunder, dass da niemand hingeht, nicht einmal für Geld.
Na los, @ottonorma, zuschlagen! So guenstig kommen Sie nicht noch mal an neue Butze + Liegenschaft!