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Europa braucht eine neue Strategie Russland: Neuste Waffe im Wirtschaftskrieg – Öl aus Kasachstan

Wirtschaftskrieg in der Praxis

Kasachstan Öl Russland

Russland hat eine neue Waffe im Wirtschaftskrieg gegen den Westen: Öl aus Kasachstan!

Russland, das Öl aus Kasachstan und die Sanktionen: Eine politische Posse

In Novorossiysk, einer russischen Stadt an der Schwarzmeerküste, spielte sich in den letzten Wochen unter den wachsamen Augen europäischer Ölhändler ein Gerichtsfall ab, der fast schon einem Schauspiel glich. Denn Novorossiysk beheimatet ein Export-Terminal der Firma CPC (Caspian Pipeline Consortium), über das 40 Millionen Barrel Crude-Oil und mehr pro Monat hauptsächlich nach Europa, via Tanker über das Schwarze Meer, exportiert werden. Nun hatte am 05. Juli ein lokales Gericht verfügt, dass das Terminal für 30 Tage geschlossen werden soll. Eine höhere Gerichtsinstanz hat das Urteil mittlerweile wieder aufgehoben und in eine Geldstrafe umgewandelt.

Obwohl das Export-Terminal auf dem Hoheitsgebiet Russlands liegt, fließt über 90 Prozent Öl aus Kaschstan durch die angeschlossene Pipeline. Damit wird es zu einem idealen Instrument in der Hand des russischen Präsidenten, um weiter Druck auf den Westen aufzubauen, ohne den eigenen Öl-Handel direkt zu vermindern. Die Androhung der Schließung hat ausgereicht, um dem Westen erneut klar zu machen, wie fragil doch die europäische Erdölversorgung tatsächlich ist.

Lokales Gericht schließt wegen Umweltverschmutzung Export-Terminal für 30 Tage

Das CPC wurde zuerst wegen angeblicher Umweltverschmutzungen aufgefordert, sein „Umwelt- und Nachhaltigkeits-Konzept“ für das Export-Terminal nachzubessern. Die Ermittlung gegen CPC wurde von dem erst kürzlich mit diesem Amt betrauten und vorher im landwirtschaftlichen Sektor tätigen stellvertretenden Premierminister der Russischen Föderation angestoßen. Nachdem der Richter der Meinung war, das Unternehmen sei seinen Verpflichtungen nicht genügend nachgekommen, wurde eine 30-tägige Schließung veranlasst. Das alles nährte den Verdacht, dass politische Motive der tatsächliche Antrieb der Ermittlungen gegen das CPC waren.

Höhere Gerichtsinstanz kippt das Urteil gegen das CPC

Nun hat aber eine höhere Gerichtsinstanz das Urteil in eine 200.000 Rubel Geldstrafe (ca. 3.200 €/$) umgewandelt, das Export-Terminal kann weiter genutzt werden. Das Gericht hatte die Warnung ernst genommen, dass ein Sudden-Stopp die Pipeline und das Terminal beschädigen könnten. Der Betreiber des Export-Terminals hatte ebenfalls von „irreversiblen Konsequenzen der eigenen Operationsfähigkeit“ im Falle einer Schließung gesprochen. Aktuell werden täglich 1,24 Millionen Barrel Crude-Öl über das Terminal verladen.

Russland hat schon den einen oder anderen Konflikt von seinen lokalen Gerichten austragen lassen. Der internationalen Öffentlichkeit am ehesten in Erinnerung bleibt wohl der Streit zwischen Rosneft und BP um die Firma TNK-BP – der damit endete, dass sich BP aus dem gemeinsamen Projekt zurückzog und Rosneft die Mehrheit an TNK-BP übernahm.

Der Gerichtsfall kann also als eine Art Warnung an den Westen angesehen werden, welche Waffen noch im Arsenal des russischen Präsidenten darauf warten, gegen die Sanktionspolitik des Westens eingesetzt zu werden. Insgesamt wird nämlich über die Pipeline ein Prozent des weltweiten Öl-Bedarfs und fast der gesamte Öl-Export Kasachstans gepumpt. Eine Unterbrechung oder Schließung würde bedeuten, dass Kasachstan als Erdöl-Exporteur kurzfristig ausfiele. Dies hätte verheerende Auswirkungen auf den Öl-Markt und könnte die Preise in ungeahnte Höhen katapultieren.

Seit Kriegsbeginn Ausfälle beim CPC Export-Terminal

Seit Beginn des Ukraine-Krieges steht das Export-Terminal des CPC immer wieder mit Betriebsausfällen in den Schlagzeilen. Ende März wurde das Terminal teilweise geschlossen, ein Sturm beschädigte zwei der drei Ladebojen. Mitte Juni wurde die Verladung wieder unterbrochen, weil bei der Überwachung der umliegenden Gewässer ein paar Minen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges gefunden wurden.

Wem gehört das Caspian Pipeline Consortium?

1992 auf den Bermudas gegründet, wechselte in den vergangenen Jahrzehnten die Aktionärsstruktur. Mittlerweile gehört das CPC einem Konsortium aus Chevron, LUKoil, Exxon, BP, Royal Dutch Shell, Rosneft und Transneft. Über die Pipeline wird hauptsächlich Öl aus dem Tengis-Feld im Kaspischen Meer zum Novorrosyisk-2 Marine Terminal transportiert. Sie ist die einzige Pipeline auf russischem Territorium, die nicht ausschließlich Transneft gehört, dem staatseigenen Pipeline-Betreiber. Die Karte veranschaulicht die Lage (Caspian Pipeline in Rot nachgezeichnet):

Öl Russland Kasachstan

Woher bekommt Europa sein Öl?

Statista gibt an, dass der Hauptlieferant der Europäischen Union für Öl – sie ahnen es vielleicht schon – Russland ist. Über ein Viertel kommt aus Putins Reich. Aus Kasachstan kommen immerhin 7,5 Prozent, und aus Aserbaidschan 4,3 Prozent. Im Worstcase-Szenario, ohne Russland, Kasachstan und Aserbaidschan, müsste Europa fast 40 Prozent seines Erdölbedarfs aus anderen Quellen beziehen.

Woher kommt das restliche Öl? Zehn Prozent kommen aus Norwegen, knapp neun Prozent aus dem Irak und gut 15 Prozent aus den USA und Saudi-Arabien zusammen. Dieses Öl ist den Europäern wohl sicher. Nigeria, Algerien und Libyen liefern ebenfalls zusammen 18 Prozent der benötigten Öl-Importe nach Europa. Allerdings sind die Importmengen aus den Ländern Aserbaidschan, Kasachstan, Libyen, Nord See und West-Afrika ausgerechnet in den letzten Monaten signifikant gefallen, nämlich um kumuliert rund eine Millionen Barrel pro Tag.

Laut dem BP Statistical Review of World Energy 2021 verbraucht Europa täglich 13.221.000 Barrel Öl. Mit der Schließung des Terminals würde mehr als eine Millionen Barrel verloren gehen und aus anderen Quellen bezogen werden müssen. Und selbst wenn diese Quellen so einfach verfügbar wären, die Raffinerien in Europa sind auf russisches und kaspisches Crude kalibriert und nicht so ohne weiteres umzurüsten. Je nach Fundort variieren nämlich die chemischen Eigenschaften von Erdöl teilweise erheblich.

Kann Europa seine Ölversorgung ohne Russland sichern?

Es wird immer wieder schnell ausgesprochen und über die Medien kommuniziert, Europa müsse sich von russischer Energie-Lieferung unabhängig machen. Aber wie ist das überhaupt möglich? Kasachstan und Aserbaidschan sind immerhin wichtige Öl-Lieferanten und könnten die Fördermengen erhöhen. Aber um die Versorgung sicher zu stellen, müsste das Schwarze Meer unter Hoheit, zumindest Lufthoheit, der westlichen Allianz sein – und minenfrei. Ein sicherlich schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen, da das Schwarze Meer bei einer weiteren Eskalation sicherlich zu einem Kriegsschauplatz werden würde. Ohne massiven Geleitschutz wären Öl-Tanker schutzlos den neusten, russischen Waffentechniken ausgeliefert. Oder, wie es die Militärstrategen harmloser formulieren, die Tanker wären dann im Wirkungsbereich russischer Gegenmaßnahmen.

Zudem verläuft die Pipeline bis zum Export-Terminal durch Territorium Russlands und wäre somit überhaupt nicht zu schützen. Ob außerdem die russische Regierung tatenlos zuschauen wird, wie Kasachstan und Aserbaidschan als Ersatzlieferanten für russisches Öl einspringen und Europa versorgen werden, ist wohl nur ein schöner Traum westlicher Politiker. Ein simpler Sabotage-Akt würde schon ausreichen, um das Terminal oder die Pipeline zu beschädigen. Oder ein weiteres Gerichtsurteil. Europa sollte also die Warnung von Putin ernst nehmen.

Eine andere Option, unter Umgehung Russlands an das kaspische Öl zu gelangen, wäre über das Kaspische Meer nach Baku und von dort per Pipeline bis nach Ceyhan, Türkei, um dann übers Mittelmeer via Tanker nach Trieste transportiert zu werden. Aber auch hier hätte Russland genügend strategische Optionen, um den Öl-Fluss zu stören. Als Anrainerstaat hat es Hoheitsrechte und Marinebasen im Kaspischen Meer. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass Aserbaidschan an Russland, Georgien, Armenien und dem Iran angrenzt. Zudem beheimatet Syrien einen Marinestützpunkt Russlands, der als stationärer Flugzeugträger wie ein Pfahl im Geflecht der europäischen Sicherheitspolitik steckt und das östliche Mittelmeer strategisch abschirmt. Europa riskiert mit seiner immer schärferen Sanktionspolitik also nicht nur, russisches Öl zu verlieren, sondern das von Kasachstan und Aserbaidschan noch dazu. Das nicht zu erkennen, wäre ein strategischer Fehler westlicher Politiker. Ein Blick auf die Karte zeigt das Dilemma:

Russland Öl Kasachstan

Grafik: https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Devil_m25; CC BY-SA 3.0

Die Bedeutung von Erdöl als Treib- und Schmierstoff für die industrielle Gesellschaft ist kaum zu überschätzen: ohne Öl bricht unsere aktuelle Welt sprichwörtlich zusammen, das Wirtschaftsleben kommt zum Stillstand. Ein aktuelles Beispiel ist Sri Lanka, wo das Volk mittlerweile den Präsidenten-Palast gestürmt hat. Wie Europa seine Strategie, russisches Öl vollständig zu ersetzen, realistisch umsetzen will, bleibt unklar..



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8 Kommentare

  1. Was für ein informativer Artikel. Danke.
    Doch er macht Angst. In der MSP liest man fast ausschließlich über die Nähe Niederlage von Russland.

    1. …über die nahende…

      1. Über die baldige Ende des Westens wollten Sie schreiben?

  2. Arsch kalt, Hirn verbrannt

    Sie schreiben richtig : die Bedeutung von Erdöl als Treib und Schmierstoff ist kaum zu überschätzen.Erdöl ist auch sehr wichtig für die Chemie und für Düngemittel sowie Kunsstoffe.Schon vor langer Zeit hat ein Kenner geschrieben,dass Erdöl so wertvoll ist ,dass man es nicht verbrennen dürfte.Einige Uninformierte werden noch staunen was alles von den hohen Erdölpreisen beeinflusst wird.Auch die plötzliche Verachtung des SCHWARZEN GOLDES durch die Politik und Bankenindustrie spricht für Nichtwissen auf höchstem Nivau.

  3. Staatspräsident Wladimir Wladimirowitsch Putin ist aufgerufen, dies im Rahmen eines Kaspischer Gipfel zu thematisieren. Und während die Bundesministerin des Auswärtigen Annalena Baerbock Verhandlungen mit Russland ablehnt, möchte Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder seinen Gesprächskanal zu Präsident Putin dankenswerterweise aufrechterhalten. Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck tönte kürzlich im Deutscher Bundestag, daß kaum noch ein Land mit Russland zusammenarbeiten möchte. Tatsache ist aber, daß die NASA weiterhin mit Russland in Sachen Raumfahrt kooperiert. Fazit: Diplomatie statt Waffen. Eine sichere Erdölversorgung ist im Interesse der Industrie.

  4. Auf die Bevölkerung umgerechnet arbeiten 2/3 der Weltbevölkerung mit Russland zusammen. Allerdings nicht gegen das andere Drittel, sondern weil das andere Drittel Saktionen gegen Russland verhängt hat, oder sich neutral verhält, möchte das eine Drittel nur noch Handel mit Russland treiben, wenn dieser Handel nicht unter die verhängten Sanktionen fällt.
    Die deutsche Regierung (als Vorreiter) riskiert dabei einen Gasstopp mit verheerenden Folgen. Andere Länder, wie Frankreich und Spanien kaufen munter russisches LNG-Gas, die Saudis (kein Treppenwitz) sogar Erdöl von Russland, und die Amis fliegen mit den Russen in den Weltraum. Die griechische Tankerflotte ist in der Welt unterwegs, um russisches Öl in die Welt zu liefern, und auch die russische Kohle findet jetzt und in der Zukunft reißenden Absatz, denn es befinden sich weltweit alleine etwa 1380 Kohlekraftwerke im Bau.
    Und gerade in Europa werden die Kohlekraftwerke wieder angeheizt.
    Die Inder und die Chinesen, decken sich mit russischen fossilen Brennstoffen zu Sonderrabatten ein, und die Verflüssigungsanlagen, mit denen das Gas von N1 und N2 (etwa 2 Tanker am Tag) befüllt werden können, werden auch schon im Bau sein.
    Da auch Niemand mit Putin reden will (außer dankenswerterweise der Deutsche Altkanzler) wird Putin nun wohl mit seinem Krieg richtig Gas geben. Worauf sollte Putin jetzt noch Rücksicht nehmen?
    Verhandlungen sind nicht möglich, der Handel brummt, und dank der Sanktionen hat Russland nun einen sehr starken Rubel. Also können nur noch von Putins Seite Taten folgen.
    Ich bin ja mal gespannt, was die Hunderttausende von ukrainischen Flüchtlinge sagen werden, denen es gelungen ist, vor Krieg und Tod nach Deutschland zu fliehen, und jetzt miterleben müssen, wie es schnurgerade in Deutschland auf kalte Wohnungen im Winter zugeht, und eine Industrie, die gegen die Wand gefahren wird.
    Was sie sagen werden, wenn die Deutschen sagen: Das nehmen wir auf uns, um Solidarität mit euch zu demonstrieren.
    Ja, damit wird den Flüchtlingen sehr geholfen sein.
    Wieviel Flüchtlinge werden aber erst dann aus der Ukraine zu uns kommen, wenn Putin
    jetzt so vorgeht, das er selber diesen Krieg auch einen Krieg nennen wird.
    Ich hoffe nur, die Nahrungsmittelversorgung bricht nicht in Deutschland zusammen, denn zwischen Zivilisation und Barbarei liegen nur 5 ausgefallene Mahlzeiten.

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  5. Pingback: Aktuelles vom 17.07.2022 | das-bewegt-die-welt.de

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