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Streit mit Gazprom Wie eine Siemens-Gasturbine zur Staatsaffäre wurde

Wie eine Siemens-Gasturbine zur Staatsaffäre wurde? Hier ein Überblick und eine Analyse der Ereignisse rund um Gazprom und Nord Stream 1.

Gas-Flamme mit Russland-Flagge

Das Verwirrspiel um den Verbleib einer instandgesetzten Siemens-Gasturbine aus Kanada für die Gasleitung Nord Stream 1 schien kein Ende zu nehmen. Am 1. August erging daher eine schriftliche Anfrage an Siemens Energy. Am Folgetag sagte sich plötzlich Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem Besuch am Unternehmensstandort in Mühlheim an der Ruhr an, um die besagte Gasturbine in Augenschein zu nehmen. Dieser Besichtigungstermin fand am 3. August zusammen mit Vorstandschef Christian Bruch unter großem Medieninteresse statt.

Gasturbine zum Transport nach Russland bereit

Einzigartig sei so ein Vorgang, berichtete RTL. Im ZDF hieß es zur Erklärung, wieso denn der Verbleib der Turbine so lange im Ungewissen lag, dass dies aus Sicherheitsgründen geheim gewesen sei. Jetzt endlich lüftete sich der Schleier. Olaf Scholz und Christian Bruch erklärten Seit an Seit zur Gasturbine: „Sie ist da und kann geliefert werden.“ Die Bilder gingen um die Welt. Seit Mitte Juli befindet sich die betreffende Turbine laut Bundesregierung in Deutschland und steht zur Überstellung nach Russland bereit. Dem schnellen Einbau und dem Transport von Gas über Nord Stream 1 stünde demnach nichts mehr entgegen. „Es muss nur jemand sagen: Ich möchte sie haben. Dann ist sie ganz schnell da“, sagte Bundeskanzler Scholz während der Pressekonferenz im Siemens-Werk.

Russland wartet angeblich auf Papiere

Schon des Öfteren war aus Russland zu hören, dass technische Dokumente und eine schriftliche Bestätigung aus Kanada und Deutschland fehlten, dass Wartungsarbeiten der Gasturbinen für Nord Stream 1 westlichen Sanktionen nicht unterliegen. Dazu äußerte sich Ende Juli Gazprom-Vizechef Witali Markelow im russischen Fernsehen. Bis heute gebe es kein vollständiges Paket von Dokumenten, die den Transport und die Reparatur von Turbinen ermöglichen. Die betreffende Gasturbine sei noch im Dezember letzten Jahres in das Siemens-Werk nach Montreal verschickt worden und sollte längst zurück sein. Die Auslieferung nach Deutschland sei nicht vertragsmäßig gewesen.

Altkanzler Schröder spricht sich für Nord Stream 2 aus

Für Altkanzler und Aufsichtsrat-Chef von Nord Stream Gerhard Schröder liegt der Ball klar im Feld bei Siemens Energy. Das machte er im Stern-Interview klar und verwies auf die betriebsbereite Gasleitung Nord Stream 2 – um die Versorgungsprobleme zu lösen, sollte sich die Wartung der Turbinen für Nord Stream 1 weiter verzögern. Auch das ist ein bekanntes Echo aus Russland, das nicht verhallen will. Sowohl der russische Präsident Wladimir Putin als auch Gazprom erinnerten an die Möglichkeit, Nord Stream 2 doch endlich in Betrieb zu nehmen, um gegen die Energiekrise in Europa vorzugehen.

Zolldokumente für Gasturbine fehlen

Siemens Energy-Vorstandschef Bruch stellte beim Kanzlerbesuch in Mühlheim Medien zufolge klar, dass die Verzögerung beim Weitertransport der gewarteten Gasturbine nicht auf das Konto von Siemens Energy geht und erklärte, dass diese erst im September zum Wiedereinbau vorgesehen war. Außerdem gebe es an der Gasverdichterstation Portowaja ein baugleiches Ersatzteil, „was da ist, was man jetzt schon einbauen könnte”. Das mache Gazprom jedoch normalerweise nur dann, wenn das nächste Ersatzteil schon wieder im Zulauf sei. „Aus unserer Sicht ist alles vorbereitet, was geht”, bekräftigte Bruch und ergänzte: „Es gibt einen Dialog mit Gazprom nach wie vor, und es gibt nach wie vor noch die Klärung der Thematiken, was denn nun eigentlich fehlt und oder nicht.” Dass der Transport bisher scheiterte, weil Gazprom in Russland nicht die notwendigen Zollpapiere bereitstelle, habe Siemens Energy im Juli bereits mehrfach erklärt. „Ohne die fährt eine Spedition überhaupt nicht los“, bestätigte ein Unternehmenssprecher von Siemens Energy am 3. August erneut.

Technische Argumente

Nach Bruchs Angaben verfügt Portowaja neben zwei kleineren Turbinen über sechs große Turbinen, die Kompressoren antreiben, um Gas mit dem nötigen Druck über beide Nord Stream 1-Stränge durchleiten zu können. „Sie brauchen fünf von solchen Turbinen, damit 100 Prozent Leistung erzeugt wird. Davon läuft heute eine. Deswegen sind wir bei 20 Prozent.” Für Bruch ist aus technischer Sicht nicht nachvollziehbar, warum keine Betriebsbereitschaft vorliegt, sprich wieso nur eine große Turbine aktuell im Einsatz ist.

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An der Verdichterstation Portowaja im Wyborger Bezirk des Leningrader Gebiets könne von sechs Großturbinen nur noch eine arbeiten. Diese sei nicht in der Lage 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr über eine Entfernung von 1.200 Kilometern durch Nord Stream 1 zu pumpen, hatte auch Markelow festgestellt. Wegen 11 registrierter Notausfälle hätten im Mai und Juni weitere Turbinen stillgelegt werden müssen. Wir haben wiederholt die russische Repräsentanz von Siemens diesbezüglich kontaktiert. Zehn Briefe wurden verschickt. Siemens hat nicht mehr als ein Viertel der festgestellten Mängel beseitigt“, so Markelow weiter.

Spiel um Gasturbine geht weiter

Auf das große Medienereignis zur Gasturbine in Deutschland konterte Gazprom zügig, auch via Twitter: „Die Sanktionsregime Kanadas, der EU, Großbritanniens und die Widersprüchlichkeit der aktuellen Situation mit den aktuellen vertraglichen Verpflichtungen seitens Siemens machen die Lieferung der 073-Turbine an die Kompressorstation Portowaja unmöglich.“ Dabei hatten Scholz und Bruch öffentlich erklärt, dass keine Sanktionen der Auslieferung der Gasturbine und Wartungsarbeiten für weitere Turbinen von Portowaja entgegenstehen. „Und natürlich verstößt es nicht gegen Sanktionen, wenn wir Wartungsarbeiten ausführen, sonst würden wir das nicht machen“, so auch der Sprecher von Siemens Energy.

Auf die Frage, ob es Wladimir Putin nicht um die Drosselung von Gaslieferungen an Deutschland gehe, sagte Schröder dem Stern: „Ich habe genau das natürlich auch gefragt bei meinem Besuch in Moskau. Aber die klare Antwort lautete: Es gibt keine politische Ansage des Kremls, den Gasfluss zu drosseln. Es handelt sich hier vorwiegend um ein technisches und bürokratisches Problem, übrigens eins auf beiden Seiten. Und eine Seite schiebt der anderen den Schwarzen Peter zu.“ Mit der Reaktion von Gazprom dürfte klar sein, dass das „Schwarze Peter Spiel“ erst einmal weitergeht. Für Russland ist die reparierte Gasturbine in Deutschland ein nützliches Vehikel um Druck aufzubauen. Für Deutschland ergibt sich die Herausforderung hierbei nicht ins Hintertreffen zu geraten.



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8 Kommentare

  1. Also hat Kanada die Turbine angenommen, obwohl sie wussten, dass sie wegen der Sanktionen nicht wieder zurückgeliefert werden konnte?
    Oder warum wurde die Turbine dann überhaupt nach Deutschland geliefert?
    Warum sollte Russland keine Sanktionen gegen Technologie aus Deutschland verhängen?
    Sanktionen sind keine Einbahnstraße.
    Wenn durch Sanktionen gegen Russland die Wirtschaft zerstört werden soll, dann jubelt der Westen. Warum auch nicht andersherum?
    Wer Wind sät wird Sturm ernten.

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  2. Pro Dotto Diddi Otto

    Übrigens steht Bundeskanzli Scholzi in den „Bildern, die um die Welt gingen“, nicht vor besagter Gasturbine, sondern lässt sich vor einer Flugzeugturbine ablichten. Na ja, Turbine ist auch irgendwie Turbine. – Die ziehen da eine Show ab, und wenig davon ist wahr.

    1. Und ich dachte schon das ich bekloppt bin. Habe nämlich das Gleiche vermutet. Danke.

    2. @Pro Dotto Diddi Otto, @Scholz
      Kompletter Unsinn und absolut nicht von der Hand zu weisen, dass da jemand bekloppt ist!
      Die Turbine hat nicht das Geringste mit einer Flugzeugturbine zu tun, aber Hauptsache, man kann protestieren, ablästern und miese Stimmung verbreiten. Wenn Sie sich so sicher sind, nennen Sie doch die Typenbezeichnung, anhand derer eine Identifikation möglich ist.

      Ich würde sagen, die sieht schwer nach der SIEMENS Gasturbine SGT-A65 aus.

      https://pdf.directindustry.com/pdf/siemens-power-genereration/sgt-a65-gas-turbine/23116-773844.html
      https://img.directindustry.com/pdf/repository_di/23116/sgt-a65-gas-turbine-773844_1b.jpg
      https://www.handelsblatt.com/unternehmen/nord-stream-1-gas-turbine-kann-geliefert-werden-kanzler-scholz-kontert-putins-bluff/28569092.html?nlayer=Newsticker_1985586
      https://media0.faz.net/ppmedia/aktuell/190881936/1.8218118/format_top1_breit/scholz-und-die-turbine.jpg
      https://bilder1.n-tv.de/img/incoming/origs23504092/7002799480-w0-h0/Die-fur-Nordream-1-gewartete-Turbine-steht-fur-den-Weitertransport-nach-Russland-bereit.jpg

  3. Ich verstehe gar nicht das deutsche Gejammere. Das ist doch jetzt die einmalige Chance der Welt zu zeigen, dass die deutsche Energiewende keine Totgeburt ist 😂

    1. @Thomas Koch

      Sie vergessen ein paar wichtige Dinge. Zum einen jammern in erster Linie nur die deutschen Putinfreunde speziell im Osten.
      Zum anderen vergessen Sie den zeitlichen Faktor. Wie soll eine Energiewende innerhalb von 9 Monaten bereits Wirkung zeigen, wenn die jahrzehntelange disruptive und destruktive Politik von Schwarz und Gelb noch immer nachwirkt und christliche Polit-Clowns wie Söder und Kretschmer weiterhin fröhlich blockieren und verhindern? Leider dauern Gesetzesänderungen und Genehmigungsverfahren viel zu lange, und hierzulande kann niemand per Dekret regieren, wie ein Trump, Orban oder Putin. Nur blockieren und verhindern funktioniert zeitnah und effektiv.
      Aber es wurde etwas auf den Weg gebracht, reden wir in ein paar Jahren weiter.
      Bis dahin gilt es festzuhalten: Wir haben der Welt gezeigt, dass die Abhängigkeit von russischer Energie fatale Sackgasse und teure Totgeburt ist und immer sein wird.

    2. Tja, dummerweise ist speziell die deutsche Energiewende aber eine Totgeburt. Anstatt das ständig zu bestreiten, sollten die Befürworter der Wende lieber einen vernünftigen Weg suchen, anstatt jetzt die schmutzigste aller Energieformen hochzujubeln.

      Da hatte Scholz völlig Recht, als er sagte, dass das kein Projekt ist, dass man in wenigen Jahren stemmen kann. Das braucht eher Generationen. Damit man das überhaupt weiter angehen könnte, muss man nämlich zuerst mal eine dauerhaft erfolgreiche Industrie haben. Man muss von etwas leben und nebenbei Überschüsse in die Wende investieren.

      Wenn man aber sieht, dass ein eingeschlagener Weg nicht funktioniert (zum Preis einer Kugel Eis), dann muss man frühzeitig umsteuern.

      Funktioniert bei uns alles nicht. Atom will der grüne Kern nicht. Selber Gas fördern will man auch nicht. Beim Fracking kann ich das nachvollziehen.

      Fakt ist: Jetzt brauchen wir das russische Gas. Für die Energiewende ebenso wie für den Erhalt unseres Wirtschaftsstandortes.

      Parallel dazu benötigen wir weiterhin Öl und was daraus so hergestellt wird. Wer das nicht will, soll sich ehrlich machen und den Wählern mitteilen, wie es ohne Öl und Gas aussieht.

      Da gibt es doch genug Dokus, wie die Menschen früher gelebt haben. So mit Vieh vor dem Pflug (wenn man reich war) und ohne Reisen.

      Für Brot und Brötchen wird es schon noch reichen.

      1. @Felix
        Die schmutzigste aller Energieformen ist und bleibt die Atomkraft, wenn man sie an der Toxizität statt an klimawirksamen Gasen bemisst. Außerdem jubelt niemand die Kohlekraft hoch, sie ist ein notwendiges Übel zur Überbrückung.

        „Man muss von etwas leben und nebenbei Überschüsse in die Wende investieren.“ Wir hatten jahrzehntelang eine dauerhaft erfolgreiche Industrie. Nur hat die leider keine Überschüsse aus ihren Jahr für Jahr exorbitanteren Gewinnen in eine Wende investiert, sondern in unverschämte Ausschüttungen an Aktionäre und Vorstände. Und die haben ihren bescheidenen Wohlstand in dicke Autos und drei bis vier Urlaube p.a. per Flugzeug „investiert.“

        Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft dein eigenes neoliberales Märchen von Märkten als Wunderheiler, die jedwedes Problem mirakulös und wie von selbst lösen? Und noch schlimmer, dass mit billigem russischen Gas sich auch nur das Geringste in Richtung zeitnaher Energiewende ändern würde? Aber wir haben ja genug Zeit, das ist doch alles nur Panikmache von den Grünen…

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