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S&P 500 und Nasdaq: Jetzt geht es um die Gewinnerwartungen

Bei S&P 500 und Nasdaq geht es jetzt um die Gewinnerwartungen. Schauen wir uns die Aussichten in einer Detailanalyse an.

New Yorker Börse

Es ist die allgegenwärtige Frage – wann endet der aktuelle Bärenmarkt? Der allgemeine Tenor hierfür lautet: Wenn die Notenbank Signale dafür aussendet, dass man ein Ende der monetären Straffung in Aussicht stellt. Aber auf die US-Notenbank würde ich mich nicht allzu viel verlassen, schließlich reagiert diese auf die Signale der Märkte, immer deutlicher als Getriebene oder Gefangene derselben. Diese haben es der Federal Reserve in letzter Zeit nicht einfach gemacht, weil die Wall Street die Gewinnerwartungen für den S&P 500 partout nicht nach unten setzen will.

Sprich, man rechnet immer noch mit einer relativ starken Konjunktur, die der Fed nichts anderes übrig ließe, als weiter mit der monetären Keule zu schwingen. Deshalb meine Annahme: Die Lage am Aktienmarkt wird sich – so komisch es auch klingen mag – dann wieder aufhellen, wenn Analysten die Gewinnerwartungen der Unternehmen drastisch nach unten angepasst haben. Verbunden mit der Einpreisung einer rezessiven US-Wirtschaft. Denn das wäre der Wink mit dem Zaunpfahl für die Federal Reserve, es mit dem monetären Klimawandel nicht zu übertreiben, Teilziel erreicht. Zunächst aber ein Rückblick auf die Woche, das Monat und das Halbjahr.

Dow Jones, S&P 500, NASDAQ: 15, 21, 30 Prozent minus, die Halbjahresbilanz

Nichts verdeutlicht den monetären Klimawandel der Notenbanken weltweit so sehr, wie die Halbjahresbilanz der Aktienmärkte in den USA. Dabei ist es nicht einmal die Höhe des Leitzinses der US-Notenbank mit 1,50-1,75 Prozent, sondern die Erwartung der weiteren Geldstraffung durch die Notenbank, die die Märkte über fallenden Dow, S&P 500 und Nasdaq wieder einmal mehr vorweg genommen haben. Die Kapitalmarktzinsen in Gestalt der 10-jährigen US-Staatsanleihen waren bereits bis 3,48 Prozent gestiegen, und damit dürfte es nicht allzu hellseherisch sein, wenn man behauptet, dass es mit den Märkten schon wieder ganz anders aussehen dürfte, wenn die Fed Funds Rates in der Nähe dieses Zinsniveaus angelangt sind.

Wenn man sich die aktuelle Bilanz der jahrzehntelangen Erfolgsformel ansieht: Investieren im 60/40-Verhältnis, Aktien zu Anleihen, so kann man ermessen, dass es auf Dauer so nicht weiter gehen kann. Die schlechteste Performance für Kapitalanleger seit Jahrzehnten. Wie es Charlie Bilello in einem Tweet aufzeigt. So eine Performance hält die Finanzbranche, die auf Rendite angewiesen ist, nicht ewig aus. Mit Cash an der Seitenlinie stehend, welches durch die Inflation aufgefressen wird. Irgendwo wird man einsteigen müssen, die Pensionskassen brauchen Ertrag.

Schlechteste Verläufe im S&P 500 im Juni

S&P 500: Zu Quartalsbeginn wieder ein wenig frisches Geld

Was war das für ein Quartalsende, die letzte Juniwoche! Kein Window Dressing, vier Verlusttage im marktbreiten S&P 500, erst der Monatsbeginn am Freitag brachte eine Gegenbewegung.

S&P 500 Chart

Die Bilanz des ersten Tages im zweiten Halbjahr:

Dow Jones plus 1,05 Prozent, 31.097 Punkte
S&P 500 plus 1,06 Prozent, 3825 Punkte
Nasdaq plus 0,90 Prozent, 11.127 Punkte
Russell 2000 plus 1,16 Prozent, 1727 Punkte

Dennoch blieb die Woche damit tiefrot, mit minus 1,3 Prozent beim Dow, minus 2,2 Prozent im S&P 500 und 4,1 Prozent beim Technologie-Index Nasdaq. Jetzt ist aber erst einmal durchschnaufen angesagt, durch den montäglichen Feiertag in den USA. Übergeordnet ging das Geschaukel natürlich weiter, mit abwärtsgerichteter Tendenz. Die 12 Verlusttage innerhalb der letzten 19 Handelstage führten zum vielzitierten schlechtesten ersten Halbjahr beim S&P 500 seit 1970, aber die 20,25 Prozent minus sind zwar formal ein Bärenmarkt, aber für eine Rezession ist dies noch eine zu milde Korrektur.

Kursverlauf im S&P 500 seit Februar

S&P 500: Die Schwäche von Hightech im ersten Halbjahr

Betrachtet man sich die Sektorenbilanz im S&P 500, so sieht man natürlich erst recht die Spuren der Verschlechterung der „Financial Conditions“ mit dem großen Verlierer Hightech und dem bisherigen Gewinner Energie.

Sektoren im S&P 500

Was sich in selten gesehener Deutlichkeit bei der Rangliste der Aktien im S&P 500 offenbart.

Die besten und die schlechtesten Aktien 2022

Das Ergebnis aus einem Tweet von Charlie Bilello überrascht nicht. Allerdings schon die Dominanz von Öl und Gas und die Schlusslaterne mit Netflix (minus 70 Prozent). Einmal mehr das Risiko der Einzelaktienanlage unter Beweis stellend. Vor zwei Jahren wurden Ölaktien nicht mit der Kneifzange angefasst (Stichwort ESG), dem Streamingdienst gehörte die ganze Aufmerksamkeit.

Beste und schlechteste Aktien im S&P 500

Ich möchte jetzt nicht dem Indexing das Wort reden, aber circa 90 Prozent der Aktien gehen langfristig unter oder werden übernommen. Auch wenn jetzt die aktive Fondsbranche das Motto herausgibt: Es ist die Zeit für Stockpicking, man muss nur die richtigen Aktien zur jeweiligen Zeit haben. Wie vor zwei Jahren, vor 12 oder vor 22 Jahren!

Unser Dax 40 kommt unter die Räder

Während der deutsche Leitindex im Frühjahr eine erstaunliche Stabilität gegenüber seinem großen Bruder S&P 500 in Übersee gezeigt hatte, ging es auch für ihn im Juni gewaltig gen Süden. Mit einem Minus von 11,2 Prozent war es nicht nur der schlechteste Sommerauftakt seit seinem Bestehen, sondern auch die schwächste Monatsbilanz seit März 2020. Was könnte man daraus schlussfolgern, für unseren Exportindex, der einen Großteil seiner Gewinne im Ausland verbucht und als Proxi auf die Weltwirtschaft einzustufen ist? Nichts anderes, als dass man eine Schwäche der Weltwirtschaft in Windeseile eingepreist hat.

Sinkende Preise, sinkende Aktienkurse?

Was auf den ersten Blick eigentlich unlogisch klingt, könnte kurzfristig tatsächlich eine Rolle spielen, denn was sagen uns denn fallende Preise bei all den existierenden Preistreibern wie Lieferengpässen, hohen Erzeugerpreisen und auch steigenden Löhnen? Dies lässt doch vor allem den Schluss zu, dass es um die Unternehmen doch nicht so gut gestellt ist mit all ihrer bisherigen Preismacht, die dann an ihr Limit gerät, wenn der Konsument in Sparzwänge gerät.

Weil eben die Inflation die Budgets der Verbraucher bereits empfindlich getroffen hat. Worum geht es am Aktienmarkt in allererster Linie (natürlich in Abhängigkeit von Liquidität und Zinsniveau)? Natürlich um die Gewinne der Unternehmen und um deren Dividendenzahlungen. Genau diese Anreize für Investoren geraten mit sich verschlechternden Wirtschaftsaussichten immer mehr unter Druck und dies wurde in den letzten Monaten in den Aktienmärkte nicht übermäßig eingepreist. Nach und nach steigende Zinsen und eine nur langsam nachlassende Inflation schon, allenfalls eine moderate Wirtschaftsabschwächung, deshalb auch der Fall in den Bärenmarkt in den ersten sechs Monaten.

Jetzt geht es, im Nachrichtenstrudel fast unbemerkt, mit den Preisen ein wenig abwärts, der für die Federal Reserve so relevante Index für die Verbraucherausgaben – Personal Consumption Expenditures (Grafik von Advisor Perspectives) – ist nun schon den dritten Monat in Folge gefallen, in seiner Kernrate.

Index für Konsum und Ausgaben

Die „optimistischen“ Gewinnschätzungen für S&P 500 und Co

Aber immer noch gibt es an der Wall Street den Konsens einer im Trendwachstum gedeihenden US-Wirtschaft – mit Gewinnen der Unternehmen von 10 Prozent im zweiten Halbjahr 2022 sowie um 10 Prozent im Jahr 2023.

Estimates

Wo um alles in der Welt ist hier eine Wirtschaftsabschwächung oder gar eine Rezession? Hier prallen Welten aufeinander, eine extreme Divergenz.

Gewinne bei S&P 500 Unternehmen

Hierin liegt vermutlich das eigentliche Problem für die Märkte. Mittlerweile fürchten sich viele Investoren vor den Gewinnrevisionen der Unternehmen im S&P 500. Während die letzte Börsenentwicklung mehr und mehr auf eine Rezession hindeutet, sieht man im Lager der Analysten noch deutliches Wachstum. In Kürze beginnt die US-Berichtssaison für das Quartal und den Ausblicken für die nächsten Quartale.

Die Anleihemärkte haben sich umorientiert

Nach etwa 10 Monaten in Summa steigender Renditen und fallender Anleihekurse, signalisiert die 10-jährige US-Staatsanleihe, die Benchmark für viele Kreditarten in den USA, seit zwei Wochen einen deutlichen Richtungswechsel. Hatte man Mitte Juni nicht erst einen Höchststand bei den Langläufern von 3,48 Prozent erreicht und jetzt gab es vor dem Wochenende einen Fall bis an die Marke von 2,8 Prozent heran? Ist das das Signal der Märkte, dass die Hoffnung der Federal Reserve auf ein Soft Landing der US-Wirtschaft ein unerfüllbares Wunschdenken bleibt?

US-Anleihekurse

Fazit

Das erste Halbjahr ist abgehakt, in letzter Zeit hagelte es aus den USA statistische Vergleiche aus der Vergangenheit sowie daraus abgeleitete Perspektiven für die nahe Zukunft. Aber diese Krise ist doch ein wenig anders als vergangene, dazu muss man nur die Zinslandschaft heranziehen, oder den US-Arbeitsmarkt. Noch nie gab es eine Rezession bei einer US-Arbeitslosigkeit von 3,6 Prozent und so vielen offenen Stellen.

Aber an der Börse zählen die Gewinne der Unternehmen, oder noch mehr die Gewinnerwartungen für die Zukunft – und das gilt natürlich auch für den Blick auf den gesamten S&P 500 Index. Und gerade da hakt es in der Gegenwart, denn die Wall Street weigerte sich bisher auch nur eine Abschwächung des Gewinnwachstums der Unternehmen zu akzeptieren. Dies erschwert den großen Turnaround an den Börsen, die Angst der Investoren vor rückläufigen Gewinnen und steigenden Kurs/Gewinn-Verhältnissen ist mit den Händen zu greifen (oder an den Sentimentindikatoren abzulesen). Andere Parameter wie die Inflation und die US-Leitzinsen sind am Markt bereits eingepreist. Aber genauso wie kaum einer das Fazit für das erste Halbjahr vorhersagen konnte, so dürfte dies auch für die zweite Jahreshälfte schwierig werden. Gemäß dem Spruch des Urvaters der spekulativen Geldanlage, Jesse Livermore: „The stock market is never obvious. It is designed to fool most of the people, most of the time.“

Diese Krise ist anders, aus diesem Blickwinkel allerdings auch wieder einmal gar nicht. Denn es gibt schlussendlich auch noch eine Variante, die sich derzeit extrem unwahrscheinlich liest: Dass es tatsächlich zu einem Soft Landing kommen könnte, aus welchen Konditionalitäten auch immer. Und vielleicht haben wir in den USA schon eine technische Rezession, ein über zwei Quartale gesunkenes Wachstum? Über dies, das erhoffte und das reale Gewinnwachstum werden wir in den nächsten Wochen in Kenntnis gesetzt werden, die Riesenschar der Investoren, aber auch die US-Notenbank mit ihren fieberkurvenartigen Zinsprojektionen.



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5 Kommentare

  1. Hallo Herr Müller. Ich lese Ihre Artikel auf FMW immer sehr gerne und in der Regel mit Gewinn, auch wenn Sie eine Meisterschaft darin entwickelt haben, sich in keiner Weise festzulegen; genau wie Howard Marks, dessen Name Ihnen bestimmt etwas sagt. Auf der Seite oaktree.capital.com findet sich ein äußerst interessantes und auch humorvolles Gespräch mit ihm. Vielleicht kennen Sie es noch nicht (Conservation at Panmure House). Grüße T.D.

  2. @Tom Drews. Danke für die Wertschätzung. Ich lege mich natürlich deshalb nicht fest, weil es aus erfahrungsbasierter Sicht nicht ungefährlich ist, sich auf etwas einzuschwören. Was am logischsten ist, trifft oft nicht ein. Nicht bei grundsätzlichen Einschätzungen, sondern hinsichtlich von kurzfristigen Prognosen. Die Rolle des Zufalls in einer überaus von Reflexivität geprägten Wirtschafts- und Börsenwelt. Was man liest, ist schon längst verarbeitet. Es geht um Schlussfolgerungen. Danke für ihren Hinweis auf Howard Marks, habe aber zunächst nur seinen Podcast: The Rewind – Something of Value (why open-mindedness – at all ages – is key when investing in a rapidly changing world) gefunden.
    Viele Grüße

  3. Sehr geehrter Herr Müller. Das Gespräch finden Sie auf: http://www.oaktreecapital.com/insights Grüße T.D.

    1. Hallo Tom Drews. Danke für den Link. Gefällt mit natürlich gut, bestätigt meinen Ansatz, weil dies auch mit vielen Irrtümern über Wirtschaft und Börse aufräumt. Erklärt natürlich auch, warum ökonomische Modelle so oft scheitern, (auch die der Notenbanken), weil Ökonomie eben keine Wissenschaft ist.
      Hier ein paar Sätze von Vielen, die mir gefallen haben.

      Applying the word “mechanical” suggests that it’s governed by the rules of physics, the laws of nature, that it’s a science, that it performs the same each time, that it’s repeatable, studiable and extrapolable.  And I think these are all wrong.
      When you watch TV and you hear the newsreaders talking about what happened in the stock market today, you get the impression that prices are the result of fundamentals and changes in prices are the result of changes in fundamentals.  And that is vastly inadequate.  (By the way, they always say, “The market went up today because of X” or “The market went down today because of Y.”  I always say, the price of an asset is based on fundamentals and how people view those fundamentals.  And a change in an asset price is based on the change in fundamentals and the change in how people view those fundamentals.

      Geniale Sätze wie:
      Richard Feynman, the great physicist, once said, “Physics would be much harder if electrons had feelings.” 
      So, the point is that economics is not a science, in my opinion.  You know, science is all about causality and predictability, and if A happens, then B is sure to happen.  Well, that’s certainly not true in economics.  If A happens, B might tend to happen most of the time.  That doesn’t make it a science.
      Sometimes prices are too high.  Sometimes prices are too low.  But because the price reflects the collective wisdom of all investors on that subject, very few of the individuals can identify those mistakes and profit from them.  And that’s why active investing doesn’t consistently work, in my opinion.  I think my version of the efficient market hypothesis makes it roughly just as hard for active managers to beat the market as does the strong form of the hypothesis, that everything’s always priced right. 
      The return on the S&P 500 was 10 1/2 percent a year the last 90 years.
      Why doesn’t it just return 10½% every year?  Why sometimes up 20% and sometimes down 20%, and so forth?  In fact – and I included this factoid in one of my memos – it’s almost never up between 8% and 12%. 
      Ergo: Be humble, oder wie André Kostolany gesagt hat: Börse verleiht Demut.
      Viele Grüße

  4. Hallo Herr Müller. Herzlichen Dank für das doppelte feedback. Ja, H.Marks ist eine Bereicherung (ich habe es mir von google übersetzen lassen). Und der „große Philosoph“ namens Yogi Berra hat mich an den deutschen Philosophen Andi Brehme errinert. Alles Gute T.D.

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