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Rezession in den USA lässt auf sich warten S&P 500: Nach den Wochen der Wahrheit – große Analyse

Quo vadis S&P 500 nach den Wochen der Wahrheit? Hier eine ausführliche Analyse über die aktuelle Lage und die Aussichten.

Wall Street Schild

Was für eine Woche für den Leitindex S&P 500, aber vor allen Dingen für den Nebenwerte-Index Russell 2000! Mit Apple hat das letzte Dickschiff an der Wall Street Quartalszahlen gemeldet – und oh Wunder, auch hier wurden die Erwartungen übertroffen. Das Financial Engineering, hier das Absenken von Umsatz- und Gewinnerwartungen, um sie dann am Berichtstag zu übertreffen, hat wieder einmal funktioniert, gepaart mit großen Ankündigungen an Aktienrückkäufen und Dividendenausschüttungen (90 Milliarden Dollar). Apple war und ist mit seinen 33 Prozent plus seit Jahresanfang der ganz große Treiber der Rally bei den großen US-Indizes.

S&P 500 unter dem Eindruck der Bankenkrise, oder eher Russel 2000?

Das Bankenbeben hatte trotz der Rettungsaktion um die First Republic Bank wieder an Fahrt gewonnen – viele kleine Geldinstitute verloren zweistellig am Markt. Der Index für die kleinen Aktien, der bankenlastige Russel 2000, taumelte. Dennoch hob die US-Notenbank die Leitzinsen ein weiteres Mal um 25 Basispunkte an. Gefolgt tags darauf von der Europäischen Zentralbank. Man erachtet anscheinend den Bankensektor diesseits und jenseits des Atlantiks als gesund und widerstandsfähig (sound and resilient) und blendet die Warnzeichen der Konjunktur im Hinblick auf eine kommende Abschwächung der Weltwirtschaft aus.

Für zusätzliche Verwirrung sorgte am Freitag ein auf den ersten Blick sehr starker US-Arbeitsmarkt mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit auf historische 3,4 Prozent (1969). Der Zinssenkungszyklus dürfte aber an seinem Ende angekommen sein (bis auf die EZB). Denn wie kann es sein, dass die nochmals angehobenen Zinsen auf das Niveau von 2006 zu einem Widererstarken der sich im Abkühlungsmodus befindlichen US-Wirtschaft führt? Hier der große Vergleich: Leitzinsen versus Staatsschulden:

Vergleich von US-Leitzins und US-Staatsschulden

Damit dürfte sich jetzt der Fokus der Anleger im dominanten S&P 500 verstärkt auf die Konjunkturdaten richten, mit der Frage – wann kommt sie denn endlich, die seit vielen Monaten schon erwartete Rezession? Als kleines (vielleicht auch größeres Event) ist das Intermezzo um die Anhebung der US-Schuldenobergrenze, die es bereits seit dem Jahre 1917 gibt. Allein schon seit dem Zweiten Weltkrieg 102-mal angehoben oder ausgesetzt, aber oft mit einem großen politischen Spektakel verbunden. Auch dieses Mal mit der irreal anmutenden „Debt Ceiling“ von 31,4 Billionen Dollar?

S&P 500: Start in den Mai mit einem Angriff der Bären

Hier zunächst ein Rückblick auf eine ereignisreiche Börsenwoche. In der für deutsche Anleger verkürzten Börsenwoche war für den großen S&P 500 allerhand geboten: Inflationsdaten, die bis auf die Erzeugerpreise durchweg „hotter“ hereinkamen, Einkaufsmanagerindizes, die noch immer divergent aufgefallen waren – Dienstleistungen stark, Industrie schwach. Dann die beiden Zinsentscheidungen durch Fed und EZB und die große Angst um eine Verschärfung der Regional-Bankenkrise.

Der S&P 500 musste bis zum Donnerstag gewaltig Federn lassen, er drohte die Unterstützung bei 4060 Punkten zu durchbrechen – nichts war es mit der Ausbruch nach oben über die Zone bei 4170/4200 Zählern, die einen richtigen Pain Trade bei bärisch positionierten Anlegern hätte auslösen können. Dann kamen die überraschend guten Quartalszahlen von Apple, die aufgrund des gigantischen Gewichts der 2,75 Billionen-Dollar-Aktie und der Kursreaktion um fast fünf Prozent die großen Indizes nach oben ziehen musste. Vorbei war es mit dem Durchbruch nach unten, denn am Freitag vollzog sich Erstaunliches. Die stärker als erwarteten US-Arbeitsmarktdaten mit zugleich steigenden Lohnkosten befeuerten sogar noch den Kursanstieg bei S&P, Dow und Nasdaq.

Dies konnte aber schlussendlich nicht verhindern, dass die Indizes eine recht schwache erste Mai-Woche präsentieren. Der Leitindex ist dennoch zurück in seiner Range, es scheint mit dem Patt zwischen Bullen und Bären zunächst weiter zu gehen. Vor einer Woche hieß es an dieser Stelle: S&P 500 – Der unüberwindbare Deckel bei 4150 Punkten – wird er jetzt durchstoßen? Nein, dies war nicht der Fall. Hier eine Wochengrafik des S&P 500. Vier rote Tage bis Donnerstag und dann der „Apple-Day“.

S&P 500 Chart

Aber der Jahreschart mit dem Future auf den S&P 500 zeigt es. Wir sind in einer großen Schaukelbewegung. Der große Index schwingt auf und ab, seit vielen Monaten in der Range zwischen 3800 und 4200 Punkten.

Längerfristiger Kursverlauf im S&P 500

Die Freitagsschlusskurse:

Dow Jones: plus 1,65 Prozent – 33.674 Punkte Vorwoche (34.098 Punkte)

S&P 500: plus 1,85 Prozent – 4136 Punkte (Vorwoche 4169 Punkte)

Nasdaq Composite: plus 2,25 Prozent – 12.235 Punkte (Vorwoche 12.226 Punkte)

Russel 2000: plus 2,39 Prozent – 1759 Punkte (Vorwoche 1768 Punkte)

Dax 40: plus 1,4 Prozent – 15.958 Punkte (Vorwoche 15.922 Punkte, Xetra-Schluss)

Volatilitätsindex VIX: 17,34 Punkte – minus 14,34 Prozent, Vorwoche – 15,78 Punkte

Ein wildes Auf- und Ab beim Stimmungsbarometer.

10-jährige US-Staatsanleihe: 3,429 Prozent – Vorwoche 3,450 Prozent

2-jährige US-Staatsanleihe: 3,908 Prozent – Vorwoche 4,039 Prozent

Arbeitsmarkt: Das große Phänomen im jetzigen Wirtschaftszyklus

Mit Argusaugen beobachtet die US-Notenbank die Entwicklung des US-Arbeitsmarktes, denn dieser hat maßgeblichen Einfluss auf den Fortgang der Inflationsraten. Wieder einmal überraschten die Daten, es war bereits der 13. Monat in Folge. Mit 253.00 neu geschaffenen Stellen (erwartet wurden 180.000), einer Arbeitslosenquote von 3,4 Prozent und über den Schätzungen liegenden durchschnittlichen Stundenlöhnen von plus 0,5 Prozent, auf Monatsbasis.

Schon war sie wieder zurück, die Furcht, dass die Federal Reserve doch noch einmal die Zinsen anheben müsse (hier der Verlauf der Fed-Zinsen im Detail). Die Renditen bei den Staatsanleihen kletterten etwas nach oben. Aber gleichzeitig wurden die Zahlen der Vormonate heftig nach unten revidiert – für den März von 236.00 auf 165.00 Stellen, für den Februar von 326.000 auf 248.000. Kann man sich also auf das Zahlenwerk für den Monat April verlassen? Insgesamt ging der Stellenaufbau in den letzten Monaten zurück, aber geht das für die Fed bereits rasch genug? Wieder ein Rätsel. Schließlich soll die Arbeitslosenquote laut Federal Reserve bis zum Ende des Jahres auf 4,6 Prozent steigen. Wie soll dies von der jetzigen Rate aus möglich sein, ohne eine knackige Rezession?

Leitzinsen: „Hat die Fed fertig?“

Es ist die Frage aller Fragen, könnte man angesichts der Dauerdiskussionen annehmen. Betrachtet man den recht zähen Rückgang der Inflationsraten, speziell im Dienstleistungsbereich, müsste man diese Frage eigentlich verneinen. Aber es gibt eben noch eine weitere Entwicklung, die man sogar noch vor die Inflationsbekämpfung setzen könnte: Finanzstabilität versus Geldstabilität.

Angesichts der Bankenkrise und der heutigen Mobilität des Kapitals ist es fast absurd zu glauben, die Federal Reserve könne die Zinsen noch so ohne Weiteres anheben. Über 5,25 % hinaus, was gleichzeitig die Referenz wäre für kurzlaufende Staatsanleihen und damit auch den Zinssatz bestimmend, den Geldmarktfonds bieten können. Wer ließe denn sein Geld noch auf dem Konto von Banken liegen, die im US-Bundesschnitt zuletzt 0,37 Prozent Rendite für Einlagen geboten hatten. Die US-Notenbank und die Einlagensicherung FDIC kämen wohl kaum mit dem Retten eines Teils der 4800 Fianzinstitute in den USA nach. Wie stark der Rentenmarkt in Aufruhr ist, zeigt sich in einer Grafik von Charlie Bilello mit den absonderlichen Ausschlägen am kurzlaufenden Anleihemarkt.

Tweet über Anleiherenditen

Aber ganz so einfach ist die Lage sicherlich nicht. Hier das ganze Rätsel in einem Tweet. Die Arbeitslosigkeit in den USA befindet sich auf einem Mehr-Dekadentief. Deshalb auch noch immer der relativ starke Konsum, trotz des 24. Monats an realem Kaufkraftverlust für die Amerikaner. Aber die Märkte, speziell die Investoren im S&P 500, sind sich sehr einig, dass die Fed bereits im September die Zinsen senken muss. Erklärung: Die 75 Prozent ergeben sich aus den addierten Erwartungen von Juli und September.

Tweet über Arbeitsmarkt und Zinsen

S&P 500: Sell in May, and …-, noch eine gültige Regel?

Dies ist nach wie vor nicht ganz auszuschließen, schließlich ist der Sommer eine umsatzschwache Zeit, mit hoher Schwankungsanfälligkeit. Dies war jedenfalls oftmals der Fall und hat seine historische Ursache im feudalen Umfeld der Londoner Börse. Im 19. Jahrhundert verkauften Banker, Adelige und wohlhabende Kaufleute ihre Aktien, bevor sie im Sommer die Zeit in ihren Sommerresidenzen verbrachten. Deshalb lautete der Spruch ursprünglich eigentlich: Sell in May…..and come back on St. Leger’s Day. Einen damals sehr bedeutenden Pferderennen an einem Tag im September.

Aber in den letzten Jahren hat sich Vieles geändert, wie zum Beispiel der Siegeszug der Exchange Traded Funds (ETF), die häufig in monatlichen Sparplänen erworben werden. Das Volumen marschiert auf die 10 Billionen-Dollar-Grenze zu und befindet sich weltweit im Aufwärtstrend. So auch in Deutschland, wo es im Februar 2023 bereits 3,734 Millionen ETF-Sparpläne gab, mit einem Volumen von 171 Euro pro Anlagevehikel – was zu ständigen monatlichen Zuflüssen führt, häufig zu Beginn oder der Mitte des Monats. Das Wachstum ist ungebrochen. Gegenüber dem Jahr 2014 hat sich das Anlagevolumen bereits verzehnfacht. Ein Aspekt, der die alte Börsenweisheit doch ein wenig relativiert.

Warum die Zinsen in diesem Jahr sinken werden – aus historischen Gründen

Neben den wirtschaftlichen Überlegungen gibt es ein weiteres Argument, warum die Zinsen in diesem Jahr noch sinken könnten – ein statistisches. Noch niemals gab es drei Jahre mit negativem Bondmarkt (gesamt) hintereinander, nicht in einhundert Jahren. Charlie Bilello zeigt in seinem Tweet die lange Phase niedriger Zinsen seit der Finanzkrise 2008. Jetzt läuft schon seit 2021 die Phase mit den großen Zinssteigerungen, respektive den großen Kursverlusten bei den länger laufenden Anleihen. Aber die Schäden sind da und würden sich bei einem zu ausgeprägten „Higher for longer“ ausweiten. Anleihen laufen aus, müssen umgeschichtet werden – allein am US-Immobilienmarkt haben 80 Prozent der Immobilienkredite Zinssätze von unter fünf Prozent.

Tweet über Anleiherenditen seit den 90er-Jahren

Auch Thomas Callum legt den Finger in die Wunde. Gemäß dem „Labor and Inflation Model“ müssen die Fed Funds Rate bald nach unten. Geschieht dies nicht, werden es die Kollateralschäden richten.

Tweet über Fed Funds Rate

Fazit

Die jetzige Lage für US-Wirtschaft und Börse bleibt ein großes Rätsel – und voller Widersprüche. Da gibt es zum einen die nachlaufenden Indikationen, wie den Arbeitsmarkt, die Inflation, aber auch den Dienstleistungssektor, der aufgrund der großen Nachholeffekte wegen Corona noch extrem boomt. Auf der anderen Seite deuten die Frühindikatoren schon geraume Zeit auf eine bevorstehende Abkühlung der Wirtschaft hin – nicht nur in den USA. An erster Stelle die inversen Zinskurven oder der Sammelindex des Conference Board über die amerikanischen Frühindikatoren LEI.

Mittendrin die US Notenbank, die gefangen ist durch ihren Gesetzesauftrag (Preisstabilität und Vollbeschäftigung), auf der anderen Seite es aber sicherlich nicht ignorieren kann, was ein Rekordanstieg bei den Zinsen von 500 Basispunkten in nicht einmal 14 Monaten für Spätfolgen zeitigen wird. Auch wenn der Arbeitsmarkt so ultrastabil erscheint, hat die abgelaufenen Quartalsberichtssaison doch gezeigt, dass die Unternehmensgewinne zwar überraschend positiv ausgefallen sind, die Unternehmen den Jahresausblick im Wesentlichen aber doch nicht angehoben haben. In den nächsten Wochen dürfte sich der Fokus der Anleger damit auf die große Frage nach einer möglichen Rezession richten. Eben auf den Widerstreit der ständig wiederkehrenden Meldungen über Konjunkturstärke oder auch Schwäche. Oder blicken die Börsen bereits über ein wackliges zweites Halbjahr hinweg, wie es gelegentlich der Fall ist? Auf eine Phase sich wieder verbessernder Konjunktur bei gleichzeitig sinkenden Zinsen?

Der große Meinungsstreit: Anleihemärkte gegen die Fed – Aktienmärkte gegen die Anleihemärkte. Selten wurde eine Rezession von den Zinsmärkten so deutlich vorhergesagt. Die wahrscheinliche Zinspause der Federal Reserve dauerte historisch durchschnittlich sieben Monate nach dem Erreichen des Zinsgipfels. Das wäre eigentlich eine gute Phase für die Börsen, wenn es nicht die Bewertungsfrage gäbe, bei einer sich abzeichnenden Konjunkturschwäche.

Hinzu kommt ein sehr unangenehmer politischer Streit in den USA um die Anhebung der Schuldenobergrenze, der zu massiven Verwerfungen an den Märkten führen kann. Kann, wer erinnert sich nicht an den Government Shutdown unter Donald Trump, mit massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens? Sollten die Republikaner blockieren, hätte man im Vorwahljahr aber bereits einen Schuldigen.

Zusammengefasst ergeben sich zwei wesentliche Fragestellungen:

Wann gab es je eine Rezession bei einer so niedrigen Arbeitslosigkeit? Und wann standen jemals die Aktien so hoch bei einer Wirtschaftsschrumpfung? Das Rätsel könnte sich noch eine Zeit hinziehen, aber viele Monate wird die mit 95 Billionen Dollar verschuldete US-Gesellschaft nicht den immer stärker werdenden Druck der hohen Zinsen standhalten können.

Wie in der ersten Grafik ersichtlich: 2006 lag der Leitzins auf dem selben Niveau wie aktuell, die Verschuldung aber mehrere Etagen tiefer. Nicht nur die des Staates, sondern auch die seiner Bürger.

Ist ein Soft Landing der Wirtschaft bei einer Rendite der dreimonatigen US-Staatsanleihen von 5,30 Prozent überhaupt möglich? Dies werden sich nicht nur die US-Banken fragen, die bei durchschnittlich 0,4 Prozent Einlagezinsen ihre Anleger bei der Stange halten wollen. Wenn es am Geldmarkt dieselben Konditionen wie bei den kurzlaufenden Staatsanleihen gibt.

Im besten Fall geht das Geschaukel so weiter wie bisher. Der Leitindex S&P 500 steht ziemlich genau dort, wo er schon vor einem Jahr gestanden hat (4148 zu 4136 Punkten). Wird 2023 also ein weiteres Zwischenjahr mit weiteren sogenannten Bärenmarktrallys? Mit einem Abbau der jahrelang gewachsenen Überbewertung der US-Märkte über die Zeit? Es ist eine ungewöhnliche Prognose zum jetzigen Zeitpunkt, die wohl weder Bären noch Bullen zufrieden stellen sollte.



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2 Kommentare

  1. Gut die Sachlage zusammen gefasst. Top Artikel

  2. Wann sollte man bei den Staatsanleihen in der EU anfangen einzusammeln?
    Die zwei Schritte noch abwarten oder jetzt schon?

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