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Stagflation? Experte widerspricht der EZB – hier seine Argumente

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Wird es in Deutschland und Europa zur Stagflation kommen, also einer hohen Inflation bei gleichzeitig sehr geringem Wirtschaftswachstum, oder sogar einer schrumpfenden Wirtschaft? Schauen wir erstmal kurz auf die Aktualität. Vor wenigen Minuten hat das ifo-Institut seine Aussichten für die Inflation angehoben – sie soll in diesem Jahr mit 5,1 bis 6,1 Prozent zwischen 1,7 und 2,8 Prozent höher ausfallen als noch im Dezember erwartet. Das Wirtschaftswachstum soll mit 2,2 bis 3,1 Prozent in diesem Jahr 0,6 bis 1,5 Prozent geringer ausfallen als im Dezember erwartet.

Laut EZB keine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Stagflation

Der folgende Chart von Holger Zschaepitz zeigt die seit einem Jahr ständig fallenden Prognosen für das Wirtschaftswachstum, während die Prognosen für die Inflation immer weiter ansteigen. Geht der Trend so weiter, also in Richtung Stagflation? Immerhin sehen wir für Deutschland offiziell bereits 5,1 Prozent Inflation für Februar. Dank des Ukraine-Kriegs dürfte es ab März wohl weiter bergauf gehen mit der Teuerung? Ist das nicht ein klares Szenario dafür, dass die Wahrscheinlichkeit einer Stagflation größer wird?

Gestern hat sich Luis de Guindos genau dazu geäußert. Der Vizepräsident der EZB sagte gestern laut Berichten, dass eine Stagflation nicht in Sicht sei. Ungeachtet der Risiken, die sich aus dem Konflikt in der Ukraine ergeben, sei das aktuelle Umfeld in der Eurozone nicht mit dem von vor zwei Jahren vergleichbar. In den jüngsten Projektionen erwarte die EZB in ihrem Worst-Case-Szenario für dieses Jahr immer noch ein Wachstum von über 2 Prozent, also keine Stagflation.

Experte sieht steigende Wahrscheinlichkeit einer Staglfation

Eine andere Meinung hat Dr. Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement bei StarCapital. Die Stagflation werde immer wahrscheinlicher. Er bringt ein Zitat von Friedrich Schiller, das da lautet: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt!“ Das Jahr 2022 hat laut Manfred Schlumberger an den Börsen mit heftigen Turbulenzen begonnen. Erst schockte die US-Notenbank in einem Anflug von Konvertiteneifer die Märkte mit der Ankündigung einer Serie von Zinserhöhungen und Anleiheverkäufen wegen der grob unterschätzten Inflationsgefahr. Dann ließ Putin am 24. Februar seine Armee in die Ukraine einmarschieren. Der Westen reagierte mit harten Wirtschaftssanktionen. Energie- und Rohstoffpreise explodierten von teilweise schon stark erhöhten Niveaus aus. Jetzt musste seiner Meinung nach „auch der Dümmste erkennen, dass die Inflation gekommen war, um hartnäckig zu bleiben.“

Vor dem Einmarsch in die Ukraine konnte man laut Manfred Schlumberger erwarten, dass im Sommerhalbjahr mit der Aufhebung der Corona-Beschränkungen ein «kleiner Wirtschaftsboom» beginnen würde. Der dürfte jetzt viel bescheidener ausfallen. Kommt stattdessen eine Rezession oder zumindest eine Stagnation, begleitet von hohen Inflationsraten auf die Industrieländer des Westens zu (also eine Stagflation)? Und wie geht es an den Aktienmärkten weiter, die sich zumindest von ihren Tiefständen schon wieder kräftig erholt haben?

Zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine glaubten Militärexperten, dass die Ukraine nach maximal drei Wochen besiegt sei. Welch ein Irrtum, so die Aussage von Manfred Schlumberger. Jetzt versuche Putin die Hauptstadt Kiew zu umzingeln und auszuhungern und so viel Landgewinn wie möglich an der Schwarzmeerküste zu erzielen (finden Sie zu dem Thema beim Klick an dieser Stelle eine Analyse von Hannes Zipfel). Erst wenn er glaubt, sich gesichtswahrend als Sieger darstellen zu können, dürfte er zu Friedensverhandlungen bereit sein – natürlich zu seinen Bedingungen! Einen Frieden, egal zu welchen Bedingungen, würden die Kapitalmärkte mit weiteren Kurssteigerungen feiern.

Zieht sich der Krieg aber noch viele Monate hin, wird laut Aussage von Manfred Schlumberger der Druck auf Europa und insbesondere Deutschland massiv zunehmen, ein Verbot von russischen Öl- und Gaseinfuhren zu erlassen. Doch dann sei es mit einem „Frieren für den Frieden“ im nächsten Winter nicht getan. Zwei Drittel des Gasverbrauchs entfallen in Deutschland auf die Industrie. Ein Ausfall könne noch auf längere Sicht nicht ausgeglichen werden und die Preise würden weiter drastisch steigen. In diesem Fall wäre eine Rezession in Deutschland nach Meinung von Manfred Schlumberger unausweichlich. Vor dem Hintergrund, dass Deutschland in diesem Jahr vermutlich mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen muss, käme dies einer Katastrophe gleich. Der Schaden für Putin dürfte sich in Grenzen halten. Dank der dann erheblich weiter steigenden Weltmarktpreise dürfte es ihm gelingen, zumindest einen Großteil seines Öls und Gas zu Discountpreisen an Länder wie China und Indien loszuschlagen, ohne große finanzielle Einbußen erleiden zu müssen.

Kommt es nicht zu diesem Extremszenario, wird das Wachstum der Weltwirtschaft und insbesondere in Europa laut Manfred Schlumberger dennoch 1 bis 1,5 Prozent niedriger ausfallen als noch Anfang des Jahres prognostiziert. Gleichzeitig komme die Inflation trotz der entlastenden Basiseffekte aus dem Vorjahr nicht zurück. Die Energie- und Rohstoffpreise würden auf hohem Niveau bleiben, und der sich noch verstärkende Trend zur Deglobalisierung lasse die Inflationsraten vorläufig nicht nennenswert sinken. Das Szenario der Stagflation mit bescheidenem Wachstum und hoher Inflation werde somit immer wahrscheinlicher.

Dr. Manfred Schlumberger sieht wachsendes Risiko einer Stagflation
Dr. Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement bei StarCapital



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