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Stahlüberkapazitäten in dramatischem Ausmaß: Was für ein langweiliges Thema? Nein, verdammt wichtig!

Stahlüberkapazitäten sind in der Öffentlichkeit gar kein Thema. Hört sich trocken und langweilig an. Aber an dem Thema hängt eine endlos lange Kette von direkten und indirekten Arbeitsplätzen, in Europa und weltweit. China hat im Sinne des industriellen...

FMW-Redaktion

Stahlüberkapazitäten sind in der Öffentlichkeit gar kein Thema. Hört sich trocken und langweilig an. Aber an dem Thema hängt eine endlos lange Kette von direkten und indirekten Arbeitsplätzen, in Europa und weltweit. China hat im Sinne des industriellen Aufschwungs und des Drangs zur Größe viel zu viele Stahlwerke und Produktionskapazitäten geschaffen. Inzwischen versucht man dem Problem Herr zu werden, aber immer noch sind die Stahlüberkapazitäten am Weltmarkt immens. Es wird seit Jahren viel mehr produziert, als nachgefragt wird.

Was ist die Folge? Die Chinesen veruschen seit ihren Überschuss zu Spottpreisen weit unter den Herstellungskosten auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Mit ewig langen bürokratischen Prozessen hat die EU dann doch reagiert, und Antidumping-Zölle verhängt. Das kann so ein Problem aber immer nur lindern. Denn Zölle sind immer Verzerrungen, und Überkapazitäten suchen sich dann doch immer einen Weg. Eine Mutmaßung: Chinesen verkaufen statt in die EU in ein „sauberes Drittland“, und von dort aus wird dann erneut versucht extrem günstig in die EU zu verkaufen – über Umwege. Wie gesagt, eine reine Mutmaßung!

Wie auch immer. Überschüssige Produktionsmengen versuchen immer sich einen Weg zum Abnehmer zu bahnen. Ähnlich wie derzeit am Ölmarkt muss man nun global Maßnahmen entwickeln, um die Produktionsmengen zu drosseln. Denn wenn das nicht geschieht, setzt sich ein Prozess immer weiter fort, der momentan massiv in Großbritannien, aber auch in Deutschland sichtbar ist. Werksschließungen, Fusionen, Übernahmen, Arbeitsplatzabbau – denn Hersteller aus Europa mit ihren hohen Lohnkosten können gegen unfair billigen Stahl aus Asien nicht bestehen. Darunter leiden auch massiv Zulieferer und Familien der Arbeiter. Hierzulande steht ja derzeit die Fusion der Stahlsparte von ThyssenKrupp und dem indischen Giganten Tata im Raum.

Wenn die Stahlüberkapazitäten nicht abgebaut werden, reicht auch das dauerhaft nicht aus, und irgendwann folgt die nächste „Fusionswelle“, durch die erneut hochwertige gut entlohnte Arbeitsplätze verschwinden. Die neuen Arbeitslosen können dann zusehen, wie sie als Werksvertragsmitarbeiter, Wachschützer oder sonst wo zu grandios niedrigen Löhnen neu angestellt werden. Dem scheint man sich in Brüssel und Berlin durchaus bewusst zu sein. Das Bundeswirtschaftsministerium schrieb dazu jüngst Zitat:

Die weltweiten Überkapazitäten auf den Stahlmärkten spielen eine wichtige Rolle auf der Agenda der deutschen G20-Präsidentschaft. Im am 16. Dezember 2016 gegründeten „Global Forum on Steel Excess Capacity“ geht es darum, die Ursachen für die bestehenden Überkapazitäten zu adressieren und zu beseitigen. Hintergrund sind die drastischen Preisrückgänge beim Stahl in Europa aufgrund der steigenden Stahlmengen, die vor allem aus dem asiatischen Raum auf den europäischen Markt drängen. Der Gründung ging der Beschluss der Staats- und Regierungschefs beim G20-Gipfel in Hangzhou (China) am 4./5. September 2016 voraus, das Thema Überkapazitäten auf dem Weltstahlmarkt gesondert zu adressieren.

Bis 30. November hatte Deutschland den G20-Vorsitz, und hat nach Aussagen des Bundeswirtschaftsministeriums die Stahlüberkapazitäten zu einem Haupttehma gemacht. Wir ersparen ihnen aber die ewig langen und inhaltsleeren Floskeln, die bei der Abschlusserklärung des Forum-Treffens letzte Woche verfasst wurden. Das „Global Forum on Steel Excess Capacity“ hat 33 Mitglieder, die daran arbeiten wollen die Halde abzubauen. Die Lage ist dramatisch. Trotz Treffen und Bekundungen etwas tun zu wollen (was auch immer…), ist derzeit kein Ende des Problems in Sicht. Zitat auszugsweise aus dem aktuellsten Bericht des Forums:

Andere langfristige Kräfte, wie bspw. die Digitalisierung, wirken sich ebenfalls aus und dämpfen das weltweite Wachstum der Stahlnachfrage. Die World Steel Association prognostiziert einen langfristigen Anstieg der Nachfrage von rund 1% pro Jahr. Gleichzeitig übersteigen die Kapazitäten die globale Stahlproduktion signifikant, wobei Schließungen in einigen Staaten nur teilweise weiter laufenden Kapazitätsaufbau kompensieren können. Nach OECD Schätzungen hat sich der Kapazitätsüberhang in 2016 auf 737 Millionen Tonnen belaufen, den bislang höchsten beobachteten Wert (zum Vergleich: deutsche Stahlproduktion 2016 rund 42 Millionen Tonnen). Sollte der von einigen Ländern angekündigte Kapazitätsabbau wie geplant stattfinden, würde dieses Ungleichgewicht weiter verstärkt werden. Die im Global Forum für die Mitgliedsstaaten berichteten Zahlen für 2014-2016 deuten zwar auf einen leichten Kapazitätsrückgang von 2.1% hin (2,031.4 Millionen Tonnen in 2016, ein Rückgang von 43.7 Millionen Tonnen zu 2014). Dieser Wert liegt aber noch deutlich über dem Kapazitätsniveau von 2010 laut OECD-Zahlen. Zudem reicht dieser Rückgang bei Weitem nicht aus, das strukturelle Ungleichgewicht wettzumachen. Die weltweiten Stahlausfuhrmengen blieben in den letzten beiden Jahren nach einem starken Wachstum im Jahr 2014 relativ stabil. Im Jahr 2016 sind die weltweiten Exporte auf 314 Mio. t leicht zurückgegangen, gegenüber dem Spitzenwert von 317 Mio. t im Jahr 2015.

Die unten gezeigte Grafik zeigt es überdeutlich: Das Problem heißt China. In 2016 stammten ziemlich genau 50% aller weltweiten Stahlexporte aus China. Die EU-Kommission schreibt offiziell in ihrer jüngsten Mitteilung:

„Das Problem der Überkapazität von Stahl hat reale Auswirkungen auf das Leben der Menschen – insbesondere derjenigen, die arbeitslos werden“, sagte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström nach dem Treffen in Berlin. „Das ist eine globale Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Vor der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Buenos Aires unterstreicht dieser Erfolg die Bedeutung einer wirksamen multilateralen Zusammenarbeit zur Lösung globaler Probleme. Natürlich ist unsere Arbeit noch nicht getan. Jetzt müssen wir den Worten Taten folgen lassen.“

Und was soll jetzt konkret gemacht werden? Denn bislang hat man sich in EU und USA darauf geeinigt mit Importzöllen zu arbeiten, und so eine schöne Plauder-Runde zu etablieren, die Floskeln raushaut. Aber was konkret soll das Problem lösen? Die EU-Kommission dazu im Wortlaut:

Gemäß dem gestern unter Leitung von Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries vereinbarten Paket müssen die Mitglieder des Global Forums für marktwirtschaftliche Ergebnisse in der Stahlindustrie sorgen, von marktverzerrenden Subventionen und anderen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen absehen, die zu Überkapazitäten beitragen, gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen staatlichen und privaten Unternehmen schaffen und wirksame Anpassungspolitiken einführen. Diese Vereinbarung beschreibt die marktverzerrenden Praktiken, die die Ursache für Überkapazitäten sind, und wird durch einen Überwachungsmechanismus für Kapazitäts- und Politikentwicklungen unterstützt, um die Umsetzung in den Jahren 2018 und 2019 zu verfolgen. „Unsere Industrie, unsere Arbeitnehmer, unsere Verbraucher und Bürger sind darauf angewiesen, dass diese Verpflichtungen wirksam erfüllt werden. Als Ko-Vorsitzender dieses Forums im nächsten Jahr wird die EU die Umsetzung dieser Maßnahmen aufmerksam verfolgen“, sagte EU-Handelskommissarin Malmström weiter.

Im Klartext: Man hofft darauf, dass die Chinesen im eigenen Land faire marktwirtschaftliche Bedingungen umsetzen, damit unproduktive oder überflüssige Betriebe vom Markt verschwinden. Kann funktionieren, muss aber nicht. Und die EU spricht selbst von einer Umsetzung in 2018 und 2019. Ist es bei einer Überprüfung und Folgemaßnahmen im Jahr 2020 dann vielleicht schon längst zu spät für diverse Stahlbetriebe in der EU? Und rollt dann über „Thyssen Tata“ schon die nächste Fusionswelle?


Grafik: BMWI


Stahlproduktion. Foto: Deutsche Fotothek‎ / Wikipedia (CC BY-SA 3.0 de)

Quelle: BMWI / EU-Kommission



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2 Kommentare

  1. Die Überschrift über der Tabelle stimmt nicht. Dies sind die Zahlen der Welt-Rohstahl-Produktion und nicht der Exporte. Die weltweiten Exporte belaufen sich laut obenstehendem Text auf 314 mio t.

    https://www.worldsteel.org/en/dam/jcr:44ae2d3d-62ff-4868-9f60-e17a43e75092/steel+October+2017.pdf

  2. Das ist wahrlich ein sehr interessantes Thema und es gibt immer noch sehr günstig bewerte Stahlaktien wie z.B. ArcelorMittal, der größte Stahlkonzern der Welt mit tollen Kennzahlen. Anfang 2016 konnte man hier richtig günstig zuschlagen aber auch jetzt sind manche Werte noch günstig. Oder US Steel, ist geradezu explodiert…
    Es gibt auf Wikipedia sehr gute Tabellen zur Stahlproduktion und ja das Problem heißt China, China, China…

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