China: Zum ersten Mal stellt ein führender Berater der Zentralbank die offizielle Linie von Xi Jinping in Frage: Huang Yiping, Mitglied des geldpolitischen Komitees der chinesischen Zentralbank und Berater der politischen Führung, spricht von einer strukturellen Krise und fordert Chinas Führung zu mutigen Reformen auf. In einem jüngsten Meinungsbeitrag, der mit der zentralen Wirtschaftsarbeitskonferenz zusammenfiel, versucht Huang zwar einen optimistischen Ton zu wahren, doch seine Worte sind eine deutliche Warnung an Chinas politische Elite.
China und Xi Jinping: Von zyklischer Krise zu strukturellem Problem
Seit Monaten betont die offizielle Lesart, dass sich Chinas Wirtschaft lediglich in einer „zyklischen Abschwächung“ befinde. Huang Yiping widerspricht – vorsichtig, aber bestimmt. Er spricht von tiefgreifenden strukturellen Schwächen, die dringend adressiert werden müssen. Ein bemerkenswerter Schritt, denn bislang haben führende Ökonomen in China selten so klar Position bezogen, ohne politisch auf Linie zu bleiben.
Huang verweist auf die anhaltende Schwäche des Immobiliensektors, fiskalische Probleme lokaler Regierungen und die Gefahr externer Schocks, etwa durch US-Zölle. Das sind keine kurzfristigen Störungen, sondern systemische Risiken, die das Fundament der chinesischen Wirtschaft erschüttern könnten.
Immobiliensektor: China und sein wackelnder Pfeiler
Der Immobilienmarkt bleibt die Achillesferse der chinesischen Wirtschaft. Er trägt rund 20% zum BIP bei und bildet den Großteil des privaten Vermögens. Doch schwache Verkäufe und stagnierende Investitionen drohen das Verbrauchervertrauen zu zermürben. Huang fordert „umfassende Maßnahmen“, um den Markt zu stabilisieren. Eine bloße Symptombehandlung reicht nicht – das System selbst muss reformiert werden.
Finanzkollaps der lokalen Regierungen
Huang adressiert ein weiteres Tabu: die finanzielle Schieflage der Lokalregierungen. Jahrzehntelang finanzierten sie sich durch Grundstücksverkäufe, doch diese Einnahmequelle versiegt. Infolgedessen kürzen Lokalregierungen ihre Ausgaben, senken Gehälter und erhöhen den Druck auf Steuerzahler – oft mit fragwürdigen Methoden.
Diese fiskalische Notlage lähmt die öffentliche Investitionstätigkeit und dämpft das Wachstum. Huang fordert eine Neuausrichtung: Die Zentralregierung müsse mehr Einnahmen an die Lokalregierungen umverteilen und langfristig die fiskalische Struktur reformieren.
Externe Schocks: Trumps Rückkehr als Risiko
Extern sieht sich China einer weiteren Herausforderung gegenüber: Donald Trump. Sollte der ehemalige US-Präsident zurückkehren, drohen neue Zölle auf chinesische Exporte – mit drastischen Folgen. Ein Zollszenario von bis zu 60 %, wie angekündigt, könnte Chinas Wachstum empfindlich treffen.
Der Zeitpunkt könnte kaum ungünstiger sein. In einer Zeit schwächelnder globaler Nachfrage verschärfen Handelskonflikte die Unsicherheiten weiter. Die Politik in Peking wird kaum umhinkommen, Antworten auf diese externen Risiken zu finden.
Zensur der Experten: Ein gefährliches Spiel
Was Huang Yipings Beitrag besonders brisant macht, ist der Kontext: Während er seine Kritik vorsichtig formuliert, werden andere Ökonomen gezielt zum Schweigen gebracht. Zhu Hengpeng und Gao Shanwen wagten es, düstere Prognosen zu äußern – Gao verlor seine Plattformen in den sozialen Medien, Zhu wurde sogar verhaftet.
Zhu Hengpeng, ein angesehener Ökonom und früherer Professor der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, hatte eindringlich vor einer wirtschaftlichen Stagnation nach dem Vorbild Japans gewarnt und gefordert, die inländische Nachfrage zu stärken. Er kritisierte, dass strukturelle Probleme wie ungleiche Vermögensverteilung die wirtschaftliche Dynamik lähmten, und rief die Führung zu umfassenden Reformen auf. Kurz nach diesen Aussagen, die über WeChat große Aufmerksamkeit erregten, wurde sein Account gesperrt – wenig später wurde Zhu Hengpeng festgenommen.
Gao Shanwen, dessen Warnungen zuletzt für Schlagzeilen sorgten, kritisierte die offiziellen Wachstumszahlen scharf und deckte eine erhebliche Diskrepanz zur Realität auf. Er sprach von bis zu 50 Millionen Arbeitslosen, die in den Statistiken fehlen.
Diese drastischen Schritte zeigt, wie sensibel die politische Führung auf abweichende Meinungen reagiert und welche Gefahren kritische Stimmen in China eingehen.
Wie lange kann Peking noch schweigen?
Huang Yiping reiht sich in die wachsende Gruppe von Experten in China ein, die – vorsichtig oder laut – auf Chinas strukturelle Schwächen hinweisen. Er folgt dem offiziellen Grundton des Optimismus, doch zwischen den Zeilen steht eine klare Botschaft: Die Zeit für Flickwerk ist vorbei.
Peking steht vor einer grundlegenden Entscheidung: Wird die Führung endlich die notwendigen Reformen angehen? Oder bleibt sie starr auf der zyklischen Erklärung beharren, während die strukturellen Probleme weiterwachsen?
Noch hält die politische Führung an ihrer optimistischen Erzählung fest, doch die Stimmen der Mahner werden lauter. Die eigentliche Frage ist nicht, ob Peking und Xi Jinping die Probleme anerkennt – sondern wie lange es sich leisten kann, die notwendigen Taten aufzuschieben.
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