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Top-Experte: „Riskantes Zögern“ der EZB – „Inflation ist gekommen um zu bleiben“

Das Hochhaus der EZB in Frankfurt

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat heute um 13:45 Uhr und 14:30 Uhr kein wirkliches Signal für eine frühere Zinsanhebung gegeben, um die Inflation in der Eurozone zu bekämpfen. Die Folgen sieht man derzeit – der Euro fällt gegenüber dem US-Dollar deutlich. Es ist seit 13:45 Uhr sogar bereits ein Verlust von 130 Pips auf 1,0773. Mit einem schwächeren Euro steigen die Importkosten (vor allem für Öl), und somit heizt die EZB durch ihr Zögern die Inflation eher noch an! Und was sagen die Experten? Vor wenigen Minuten hat Dr. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sich zur Entscheidung der EZB geäußert. Er betitelt seine Analyse mit den Worten „Riskantes Zögern“.

Top-Experte über Passivität der EZB

Auf ihrer heutigen Pressekonferenz gab EZB-Chefin Christine Lagarde laut Dr. Jörg Krämer im Kern die gleichen Botschaften wie nach der letzten Ratssitzung. Die EZB erwarte ein Ende ihrer Nettoanleihekäufe weiter für das dritte Quartal. Höhere Leitzinsen stünden erst „einige Zeit“ nach dem Ende der Käufe an, wobei die Wartezeit von einer Woche bis zu drei Monaten reichen könne. Außerdem habe die EZB wiederholt, dass die in Aussicht gestellte Normalisierung der Geldpolitik letztlich von der Entwicklung der Daten abhängt, faktisch vor allem davon, ob es zu einem Energieembargo gegen Russland und zu einer Energiekrise kommt, die wohl eine Rezession auslösen würde.

Dr. Jörg Krämer weist darauf hin, dass Christine Lagarde betonte, dass die Kerninflation mit 3,0 Prozent mittlerweile deutlich über der 2 Prozent-Marke liegt, was eine „hohe Aufmerksamkeit“ der EZB erfordere. Dies sei wohl der Hauptgrund, warum sich die EZB nun in ihrer Erwartung bestärkt sehe die Nettoanleihekäufe im dritten Quartal zu beenden – in welchem Monat genau, dürfte die EZB laut Lagarde auf ihrer Sitzung im Juni entscheiden, wenn ihre neuen Projektionen vorliegen.

Prognose für Zinsanhebungen

Bei der Commerzbank prognostiziere man weiterhin, dass die EZB ihre Nettoanleihekäufe im Sommer beendet und ihren Leitzins im dritten und vierten Quartal dieses Jahres sowie im ersten Quartal 2023 um jeweils 25 Basispunkte erhöht, um danach zu pausieren. Allerdings basiere diese Prognose auf der Erwartung, dass es nicht zu einer Energiekrise und einer Rezession kommt. Kommt es jedoch dazu, dürfte die EZB laut Dr. Jörg Krämer die angedachte Normalisierung ihrer Geldpolitik wohl mindestens um ein Jahr verschieben. Denn die EZB glaube, dass eine schwache Konjunktur den Lohnauftrieb so schwächen würde, dass am Ende die Inflation niedriger ausfällt.

Die Lehren der 70er Jahre

Die Erfahrung der 70er Jahre hat laut Aussage von Dr. Jörg Krämer gelehrt, dass die Inflationserwartungen trotz einer schwachen Konjunktur dann weiter steigen und die Inflation erhöhen können, wenn die Geldpolitik zu expansiv ist. Genau das sei sie momentan. Das zeige die Taylor-Regel der Commerzbank. Sie legt mit Blick auf die mittelfristigen Inflations- und Konjunkturprognosen einen angemessenen Leitzins von 1,5 Prozent nahe, obwohl man für diese Berechnung der EZB folgend einen negativen gleichgewichtigen Realzins (-0,75 Prozent) unterstellt hat. Nimmt man realistischerweise einen positiven Realzins von beispielsweise +0,75 Prozent an, dann würde sich ein angemessener Leitzins von 3 Prozent ergeben. Diese Überlegungen zeigten, wie expansiv die Geldpolitik gegenwärtig sei.

Inflation ist gekommen um zu bleiben

Fazit von Dr. Jörg Krämer: Das Abwarten der EZB sei riskant. Je länger sie an ihrer sehr lockeren Geldpolitik festhält, desto mehr würden die Inflationserwartungen steigen, und die sehr hohe Inflation würde sich dauerhaft festsetzen. Leider sei die Inflation gekommen, um zu bleiben.



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