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Trumps Tribunal

Wie die Innen- und Außenpolitik der USA weit über die möglichen Amtszeiten Trumps hinaus radikal verändert wird..

Von Josef Braml

(Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag erschien zuerst bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und auf dem Blog des Autors https://usaexperte.com/ und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht. Josef Braml zählt zu den renommiertesten USA-Kennern im deutschsprachigen Bereich und veröffentlicht regelmäßig in den wichtigsten Medien Deutschlands seine Analysen).

 

US-Präsident Donald Trump dreht die Mehrheit am Obersten Gericht – mit weitreichenden Folgen für Amerika und die Welt

Mit der Besetzung des nunmehr zweiten Obersten Richters auf Lebenszeit will US-Präsident Donald Trump seine unmittelbare politische Zukunft sichern, eine mögliche Wiederwahl befördern und seine Machtbefugnisse im System der konkurrierenden politischen Gewalten ausdehnen. Damit wird die Innen- und Außenpolitik der USA weit über seine möglichen beiden Amtszeiten hinaus radikal verändert. Das hat auch Einfluss auf die globale Weltordnung und die bisherige Rolle der USA als deren Hüter.

 

Höchste Autorität für grundlegende Entscheidungen

Die Ernennung von Richtern des Supreme Court ist ein hochpolitischer Akt. Mit jeder Neubesetzung stehen mit einer möglichen Veränderung der Mehrheitsverhältnisse (vgl. Tabelle 1) auch grundlegende für die Qualität der amerikanischen Demokratie und Gesellschaft bestimmende Entscheidungen auf dem Spiel.

Tabelle 1: Derzeitige Mitglieder des Obersten Gerichts der USA
NameAlterJahr der ErnennungErnannt von Präsident (Partei)
Clarence Thomas701991George Bush (R)
Ruth Bader Ginsburg851993Bill Clinton (D)
Stephen Breyer801994Bill Clinton (D)
John Roberts (Chief Justice)632005George W. Bush (R)
Samuel Alito682006George W. Bush (R)
Sonia Sotomayor642009Barack Obama (D)
Elena Kagan582010Barack Obama (D)
Neil Gorsuch512017Donald Trump (R)

 

Mit der Benennung von Brett Kavanaugh will Trump einen neuen Richter in dem neunköpfigen Gremium installieren, der eine Reihe sozialer und wirtschaftlicher Grundsatzfragen im Sinne seiner erzkonservativen Unterstützer mitentscheidet. Fragen der Sexualmoral wie Abtreibung oder Regulierungen wirtschaftlicher Aktivitäten, welche die Gesellschaft der USA zutiefst spalten, werden letztendlich von der höchsten richterlichen Instanz entschieden.

Vor allem aber entscheiden die Richter darüber, wieviel Macht der Präsident hat und welche Grenzen ihm der Kongress setzen darf. Sie bestimmen die Kräfteverhältnisse im US-System der checks and balances, der konkurrierenden und sich damit gegenseitig kontrollierenden politischen Gewalten (vgl. Abb. 1).

 

Abbildung 1: Das Verfassungssystem der USA

(Grafik durch anklicken vergrößern)

 

Von der Russland-Affäre zur Verfassungskrise?

Nach der absehbaren Bestätigung durch den Senat könnte der von Trump nominierte Kandidat Kavanaugh auch darüber mitentscheiden, ob etwa Sonderermittler Robert Mueller oder der Kongress den US-Präsidenten zu einer eidesstattlichen Aussage nötigen kann.

Als Kavanaugh seinerzeit an der Seite von Sonderermittler Kenneth Starr in der Lewinsky-Affäre gegen Präsident Bill Clinton (1993 bis 2001) vorging, vertrat er noch eine sehr weitreichende Auslegung: Falschaussagen unter Eid, auch jene gegenüber der Öffentlichkeit, seien verfassungsrechtlich hinreichende Gründe für eine Amtsenthebung. Doch als Mitarbeiter des späteren Präsidenten George W. Bush (2001 bis 2009) interpretierte der Jurist die Lage grundlegend anders: Präsidenten sollten nicht mit juristischen Verfahren von der Ausführung ihres Amtes abgehalten werden. Gleichwohl solle die Immunisierung eines Präsidenten von einer weiteren politischen Gewalt, namentlich vom Kongress, gesetzlich geregelt werden.

Sollte indes Mueller bei seinen aktuellen Sonderermittlungen stichhaltige Beweise vorlegen können und damit belegen, dass Trumps Wahlkampfteam und der US-Präsident von den russischen Aktivitäten gewusst oder sogar gezielt mit russischen Agenten zusammengearbeitet haben, müssten auch die Abgeordneten und Senatoren im Kongress ernsthaft ein Amtsenthebungsverfahren erwägen.

Der erfahrene Sonderermittler Mueller – er war von 2001 bis 2013 Direktor des Federal Bureau of Investigation (FBI) – hält es für erwiesen, dass sich Russlands Agenten mit Hackerangriffen bei Trumps Wahl eingemischt haben.[1] Trump bezweifelt das: „Es könnten auch andere Leute gewesen sein. Es gibt viele Leute da draußen.“ Mit dieser vagen Andeutung eröffnete sich Trump weitere rhetorische Auswege und gab den Verschwörungstheorien seiner Anhänger erneut Nahrung.[2]

Ende Mai 2018 verlangte Trump sogar, dass das Justizministerium untersucht, ob der Geheimdienst FBI oder das Ministerium selbst sein Wahlkampfteam „aus politischen Gründen infiltriert oder überwacht“ hätten. Schnell war bei Trumps Anhängern von einer Verschwörung die Rede[3] – auch Trump selbst glaubt an solche Theorien.[4] Denn Trump spricht den eigenen Geheimdiensten öffentlich sein Misstrauen aus, bezeichnet sie als „deep state“, als unkontrollierten Staat im Staate, die ihm, dem rechtmäßig gewählten Volkstribun, das Handwerk legen wollen, weil er zum Wohle seiner Bewegung gegen das Washingtoner Establishment und die Bürokratie vorgehe.[5]

Für den Fall, dass ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wird, drohten Trumps publizistische Scharfmacher bereits unverhohlen mit Gewalt und prophezeiten einen Bürgerkrieg.[6] Selbst wenn es nicht soweit kommen sollte, warnen Beobachter vor einer Verfassungskrise, schon für den Fall, dass sich Trump einer Befragung durch den Sonderermittler oder durch den Kongress entziehen sollte. Dann wäre einmal mehr jene Autorität im Staate gefragt, der die Bürger noch am meisten vertrauen: der Supreme Court.

Das Oberste Gericht war auch bei einer der größten Verfassungskrisen ausschlaggebend, indem es am 12. Dezember 2000 den Ausgang der heftig umstrittenen Präsidentschaftswahl zugunsten von George W. Bush und damit gegen seinen Herausforderer Al Gore entschied. Trotz dieses hoch umstrittenen Urteils genießt das Oberste Gericht in der US-Bevölkerung höchste Autorität. Seine Zustimmungsraten übertreffen bei Weitem die Werte der anderen politischen Gewalten, namentlich des Kongresses und des Präsidenten (vgl. Abb. 2).

Abbildung 2: Zustimmungsraten (in Prozent) für Oberstes Gericht, Präsident und Kongress

Quelle: Gallup, Mitte Juli 2018

 

Verfassungsauslegung – im Interesse Wirtschaftslibertärer

 

Doch sind auch die Rechtsprechungen des Supreme Court nicht in Stein gemeißelt. Im Laufe der Entwicklung der USA von einer Agrar- über eine Industrie- hin zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft mussten die Richter immer wieder neue Realitäten mit den (interpretierbaren) Verfassungsgrundsätzen in Einklang bringen.

Gleichwohl ist die Interpretationsfähigkeit des Verfassungstextes bis heute umstritten. Während die einen den Text nur gemäß der „ursprünglichen Absicht“ (original intent) ihrer Gründerväter auslegen wollen, sehen die anderen im Verfassungstext ein „lebendes Dokument“ (living document). Dementsprechend fordern erstere juristische Zurückhaltung (judicial restraint) und verurteilen den Standpunkt der anderen Gruppe, die weite rechtliche Auslegung, als Aktionismus (judicial activism).

Wegen des Auslegungsspielraums kann jede Richterbesetzung entscheidend sein, vor allem für Unternehmen und Wirtschaftsverbände, die keine Regulierungen ihrer Geschäftsgebaren wollen. Kavanaugh ist eindeutig dem Lager der „Originalisten“ zuzuordnen. Er plädiert dementsprechend für juristische Zurückhaltung – auch im Sinne der Wirtschaftsverbände und Interessenvertreter, die Trump und dessen Richternominierungen massiv unterstützen.

Ebenso wie andere konservative Kandidaten wurde auch Kavanaughs libertäre Gesinnung geprüft – von der Federalist Society, einer mächtigen wertkonservativen und in Wirtschaftsfragen staatskritischen Interessensvereinigung. Wie bereits Trumps erste Besetzung Neil Gorsuch stand auch der Name Kavanaugh auf einer Liste von zwei Dutzend Kandidaten, die die Federalist Society Trump schon vor dessen Wahl zum Präsidenten anbot. Trump ließ sich auf diesen Deal ein: Er versprach, als Präsident nur Kandidaten dieser Liste für das höchste Richteramt zu benennen und erhielt dafür den Segen der Federalist Society und das Geld ihrer finanzkräftigen Unterstützer.

 

 

Libertäre Bewegung: Glaubenssätze konservativen Wirtschaftsdenkens

 

Libertäre Ideen befördert auch das von den Ölmagnaten Charles und David Koch finanzierte Tea Party Movement. Tea-Party-Aktivisten zielen darauf ab, den regulierenden Einfluss des Staates auf die Wirtschaft und Gesellschaft zu unterbinden, etwa eine mögliche Regulierung des Waffenbesitzes oder Umweltauflagen und Finanzmarktregulierungen.

Trumps Regierung hat ohnehin im Sinne der Waffen-Lobby, der Öl- und Gasindustrie sowie der Wall Street, deren Zuwendungen für seine mögliche Wiederwahl notwendig sind, gearbeitet. Darüber hinaus kann der Präsident über die Judikative den Staatsabbau forcieren. Mit Gorsuch hatte Trump bereits seinen ersten regulierungsfeindlichen Mitstreiter im Obersten Gericht lanciert. Ebenso hat sich Kavanaugh im Laufe seiner langjährigen juristischen Karriere gegen staatliche Eingriffe in die wirtschaftliche Sphäre ausgesprochen.[7]

Systematisch lanciert die Trump-Administration damit ihre Strategie des Staatsabbaus auch im Bereich der richterlichen Gewalt, nach demokratischen Grundsätzen eigentlich unabhängiger Wächter und Korrektiv der Exekutive. Peu à peu arbeitet das Weiße Haus an der Ausrichtung der Bundesgerichtsbarkeit von der untersten Ebene über die Berufungsgerichte bis hin zur höchsten Instanz, dem Supreme Court. Auch mit seinen Richterbenennungen nimmt Trump in Angriff, was sein einstiger Chefstratege Stephen Bannon unter dem Schlagwort „Rückbau des Verwaltungsstaates“ angekündigt hatte.[8]

Trump kann sich dabei auf ein seit Jahrzehnten tradiertes konservatives Denken berufen. „Defunding the government“ lautet der Slogan libertärer Republikaner, und das bedeutet, dem Staat keine Mittel zur Verfügung zu stellen, es sei denn, die Finanzierung betrifft militärische oder sicherheitspolitische Belange. „Weniger Sozialstaat“ und „weniger Steuern“ sind Glaubenssätze konservativen Wirtschaftsdenkens in den Vereinigten Staaten. Wirtschaftssubjekte gelten als Individuen in freier Verantwortung. Staatliche Interventionen durch Wirtschafts- oder gar Sozialpolitik sind demzufolge überflüssig, sogar kontraproduktiv.

Dieses staatskritische Gedankengut wurde gemäß dem Slogan „Ideen haben Konsequenzen“ über Think Tanks in praktische Politik übersetzt. Die Einflussnahme von Milliardären wie den Brüdern Charles und David Koch, die neben der Tea Party auch libertäre Think Tanks wie Cato finanziell unterstützen, verdeutlicht, dass sich der politische Prozess nicht, wie es die politikromantische Bezeichnung „Graswurzelbewegung“ suggeriert, von der Basis her wildwüchsig formiert hat, sondern „von oben“ gesteuert wird. Das mittlerweile bestehende Netzwerk vieler Kleinspender an der Basis musste mit Startkapital finanzkräftiger Unternehmen, das im Englischen bezeichnenderweise „seed money“ (Saatgeld) genannt wird, kultiviert und zur Blüte gebracht werden.

 

Redefreiheit auf Kosten der Demokratie

 

Dass Geld weiterhin ungehindert die politischen Spielregeln zugunsten mächtiger Partikularinteressen bestimmen kann – auch dafür hat der Supreme Court gesorgt. Nach Auslegung des Obersten Gerichts wird auch mit einer Begrenzung von Wahlkampfspenden das Grundrecht auf Redefreiheit beschnitten. Als der Supreme Court 1976 im Fall Buckley v. Valeo die gesetzliche Regelung der Politikfinanzierung, die Wahlkampfspenden und die Ausgaben der Kandidaten begrenzt hätte, wegen Einschränkung der persönlichen Meinungsfreiheit für verfassungswidrig erklärte, wurde die rechtliche und institutionelle Position von Partikularinteressen entscheidend aufgewertet.

Die spezifische amerikanische Interpretation der Redefreiheit bedeutet zum einen, dass in der politischen Auseinandersetzung einigen Interessen mehr Gehör verschafft wird als anderen. Es wird zum anderen auch zunehmend schwierig, in dem immer größer werdenden Chor von Political Action Committees (PACs), Wirtschaftsvertretern, Interessengruppen und betuchten Privatleuten die Stimme der politischen Parteien herauszuhören.

Als der Supreme Court am 21. Januar 2010 im Fall Citizens United v. Federal Election Commission den ersten Verfassungszusatz der Meinungsfreiheit hochhielt, waren die Schleusen geöffnet. Im März 2010 verdeutlichte der U.S. Court of Appeals for the District of Columbia Circuit im Fall SpeechNow.org v. Federal Election Commission, dass PACs nunmehr unbegrenzt Spenden von natürlichen und juristischen Personen annehmen dürfen, wenn sie diese nicht an Kandidaten oder Parteien weitergeben oder ihre Kampagne mit diesen koordinieren. Jetzt können diese Organisationen, die als Super-PACs bezeichnet werden, ihrem Redefluss freien Lauf lassen.

Das Center for Responsive Politics schätzt die Ausgaben der „außerparteilichen Organisationen“, der „dunklen Quellen“ (dark money), im Wahlkampf 2016 auf über 1,4 Milliarden Dollar.[9] Natürlich dürfen diese externen Organisationen offiziell ihre Aktivitäten nicht mit den Kandidaten koordinieren, wenn sie etwa in Schlammschlachten deren Gegner mit Negativ-Anzeigenkampagnen überziehen. Doch wer kontrolliert das bei der Vielzahl von Akteuren, die im Wahlkampf für ihre Interessen werben?

Es gibt noch andere Machtwährungen. Wer wie Donald Trump über ein vielen Beobachtern nicht sichtbares politisches Netzwerk christlich rechter Basisorganisationen verfügt, kann über eine Vielzahl Gleichgesinnter, die von Haus zu Haus gehen, potenzielle Wähler direkt ansprechen und ist nicht auf die diffuse und teure Massenkommunikation der Fernsehsender angewiesen – wie es Hillary Clinton war.

 

Christlich Rechte wurden durch Abtreibungsurteil mobilisiert

 

Christlich rechte Wählerinnen und Wähler stimmten mit überwältigender Mehrheit ganz pragmatisch für den nicht so bibelfesten und wenig keuschen Trump, weil er mit Mike Pence einen Vizepräsidentschaftskandidaten aus ihren Reihen auswählte und ihnen zugleich zusicherte, als Präsident nur von ihnen gebilligte Richter für das Oberste Gericht zu nominieren. Mit der Veränderung der Mehrheit des neunköpfigen Supreme Court soll vor allem das Abtreibungsurteil aus dem Jahre 1973 revidiert werden.

Mit der Entscheidung des Obersten Gerichts zum Rechtsfall Roe v. Wade im Jahre 1973 wurden viele Gläubige politisiert. Die Liberalisierung des Abtreibungsrechts bedeutete die Geburtsstunde der politischen Bewegung der christlich Rechten, konservativer, evangelikaler und katholischer Interessengruppen und ihrer Wählerschaft, die sich seither im Sinne einer „moralischen Mehrheit“ verstärkt für die Republikaner engagieren. Sogenannte moralische Themen (moral issues) wie Abtreibung spalten nicht nur die Bevölkerung in Befürworter und Gegner, sondern beschäftigen seit Jahrzehnten die Politik und die diversen Instanzen im amerikanischen Justizsystem.

Das Abtreibungsurteil Roe v. Wade, die Infragestellung der Steuerbegünstigung christlicher Schulen (1978) sowie das politische Engagement der Feministinnen und der Schwulenbewegung brachten all jene christlich Rechten auf den Plan, die die traditionellen Werte (family/moral values) gefährdet sahen.

Die Republikanische Partei konnte in den vergangenen Jahrzehnten starke Zugewinne im „Bible Belt“[10] verzeichnen. Die Hochburgen der Evangelikalen befinden sich heute in ländlichen Gegenden des Südens und Teilen des Mittleren Westens. „Wenn die Republikanische Partei konservative religiöse Wähler benötigt, so gilt auch umgekehrt: Evangelikale, Sozial-/Moralkonservative und vor allem die christlich Rechte benötigen die Republikaner. Religiöse Konservative sind am einflussreichsten, wenn sie Teil einer größeren konservativen Koalition sind, und die Republikanische Partei ist dafür die zugänglichste Institution.“[11] Dieses pragmatische Verständnis bildet die Grundlage für die Machtsymbiose zwischen der Republikanischen Partei und dem Organisationsgeflecht der christlich Rechten.

Mittlerweile gilt die Faustregel: Je häufiger Amerikaner den Gottesdienst besuchen, desto eher wählen sie einen Kandidaten der Republikaner. Zwar hat bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen die Demokratin Hillary Clinton keine Gelegenheit ausgelassen, ihre religiösen Überzeugungen mitzuteilen. Doch ihre Verpflichtung, vor allem gegenüber jüngeren Frauen, für das Recht auf Abtreibung einzustehen, machte sie zur idealen Bedrohung für das „Leben ungeborener Kinder“, womit sie Trump geholfen hat, wertkonservative Wähler an sich zu binden.

 

Die Kongresswahl als „Kulturkampf“

 

Sollten demokratische Senatoren Trumps Richterkandidaten Kavanaugh beim parlamentarischen Besetzungsverfahren hinauszögern oder gar blockieren wollen, würde die christlich rechte Basis der Republikaner umso mehr mobilisiert. Wegen der aktuellen Richternominierung, mitten in der entscheidenden Phase des Wahlkampfes für die Kongresswahlen am 6. November, haben die Demokraten einen umso schwierigeren Drahtseilakt zu meistern, vor allem jene Senatoren, die zur Wiederwahl in Einzelstaaten antreten müssen, die Trump bei den Präsidentschaftswahlen gewann. Einerseits fordern im sogenannten „Kulturkampf“ liberale Wählerinnen und Wähler von den Demokraten, sich für das „Recht auf reproduktive Selbstbestimmung“ einzusetzen. Andererseits werden die Volksvertreter vor allem von evangelikalen und katholischen Kirchen aufgerufen, das „Recht auf Leben“ zu verteidigen.

Es steht also viel auf dem Spiel, sowohl für die Republikaner als auch für Präsident Trump. Wenn die Republikaner das Abgeordnetenhaus und den Senat verlören, könnte Trump keine weiteren Richter im Sinne seiner Wählerbasis und finanzkräftigen Unterstützer nominieren.

Noch bedenklicher für den Präsidenten und seine Anhänger wäre: Eine einfache Mehrheit der demokratischen Abgeordneten könnte ein Impeachment-Verfahren einleiten und eine Zweidrittelmehrheit der (anwesenden) Senatoren Trump seines Amtes entheben. Auch wenn es nicht so weit kommen sollte, müsste Trump sich auf wirksamere parlamentarische Kontrollen seiner (Außen-) Politik einstellen.

 

Krisenzeiten setzen System der Machtkontrolle außer Kraft

 

Neben dem Kongress ist auch der Supreme Court ein wichtiger Spieler im institutionellen Machtgefüge der „checks and balances“, der konkurrierenden und sich damit gegenseitig kontrollierenden politischen Gewalten, in den USA. Immer dann, wenn der Kongress versagt, die Gewalt des Präsidenten zu kontrollieren, kommt der Supreme Court ins Spiel. Allerdings hält sich auch das Oberste Gericht in Krisen- und Kriegszeiten als nicht-politische Instanz eher zurück; es will dem Obersten Befehlshaber nicht in den Arm fallen.

Solange der Krieg gegen den Terrorismus andauert – und Amerika sieht sich zudem auch wieder von „revisionistischen Mächten“ wie Russland und China bedroht –, wird wohl die römische Maxime „inter arma silent leges“ (Denn unter Waffen schweigen die Gesetze)[12] auch im politischen System der Vereinigten Staaten weiterhin gelten.

Zwar wurden Versuche der Regierung George W. Bush, die eigenen Machtbefugnisse auf Kosten der Legislative und Judikative noch mehr auszuweiten, in Einzelfällen vom Supreme Court verurteilt – etwa mit der Rechtsprechung vom Juni 2008 (Boumediene et al v. Bush et al). Die Richter entschieden damals, dass die „Habeas Corpus“-Regelung[13] auch für das Gefangenenlager Guantánamo Geltung habe, woraufhin fünf der sechs klagenden Häftlinge im November 2008 entlassen wurden. Dieses Urteil erging allerdings mit einer knappen Mehrheit von fünf gegen vier Stimmen. Dabei haben die beiden von Bush ernannten Richter Samuel A. Alito und Chief Justice John G. Roberts, Jr. in ihrer – damals noch – Minderheitsmeinung den Machtanspruch und die Vorgehensweise des Präsidenten im globalen Krieg gegen den Terror gebilligt.

Ebenso wie der erste von Trump nominierte Richter Gorsuch hat sich auch sein neuer Kandidat Kavanaugh, der über fünf Jahre Oberbefehlshaber George W. Bush im Krieg gegen den Terror diente,[14] für umfangreiche Machtbefugnisse des Präsidenten ausgesprochen, vor allem in Fragen nationaler Sicherheit und insbesondere dann, wenn Gefahr in Verzug ist.[15] Allerdings warnte William Rehnquist, bis zu seinem Tod Anfang September 2005 Chief Justice (Oberster Richter) des Supreme Court, in einer eingehenden Analyse mit dem Titel „All the Laws but One: Civil Liberties in Wartime“ bereits 1998 vor der Gefahr, dass der Oberste Befehlshaber in Kriegszeiten durch zusätzliche Machtbefugnisse dazu verleitet wird, den konstitutionellen Rahmen zu überdehnen.[16]

Denn auch die Sorge der Legislative um die institutionelle Machtbalance tritt in den Hintergrund, wenn Gefahr in Verzug ist. In Krisen- und Kriegszeiten steht der Präsident als Oberbefehlshaber im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ihm kommt die Rolle des Schutzpatrons zu. Der patriotische Sammlungseffekt des „rally around the flag“ bedeutet einen immensen Machtgewinn und Vertrauensvorsprung für den Präsidenten und die Exekutive. Nicht zuletzt symbolisiert das Präsidentenamt die nationale Einheit, gilt das Weiße Haus als Ort der Orientierung, an dem in Krisenzeiten die Standarte hochgehalten wird.

US-Präsidenten konnten immer wieder nationale Krisen dazu nutzen, ihre Kompetenzen auch auf Kosten der beiden anderen politischen Gewalten auszuweiten, die Struktur des Regierungsapparats und der Verwaltung grundlegend zu verändern und auch politisches Kapital daraus zu schlagen. Wenn man bedenkt, dass sich der amtierende Präsident Trump nicht nur im Innern sondern auch außenpolitisch von immer mehr „Feinden“ bedroht sieht, stimmt das umso bedenklicher: mit Blick auf die Gewaltenkontrolle und demokratische Ordnung in den USA, aber auch hinsichtlich der regel-basierten Weltordnung, für welche die USA bislang als Vorbild und Hüter standen.

 

Zusammenfassung: Einflussnahme Trumps über den Supreme Court
  • Trump will mit der Bestimmung von Kavanaugh eine Reihe sozialer und wirtschaftlicher Grundsatzfragen im Sinne seiner erzkonservativen Unterstützer mitentscheiden.
  • Mit seinen Personalentscheidungen erfüllt Trump die Erwartungen seiner Basis christlich rechter Wählerinnen und Wähler.
  • Seine wirtschaftslibertär gesinnten Geldgeber und die christlich rechte Basis könnten auch den Ausschlag bei künftigen Wahlen geben, wie bei den am 6. November anstehenden Kongresswahlen und der möglichen Wiederwahl Trumps in zwei Jahren.
  • Bereits jetzt beeinflusst der US-Präsident über die Judikative die Gewaltenkontrolle – und damit auch seine eigenen Machtbefugnisse.
  • Der Oberste Gerichtshof greift auch bei der (De-) Regulierung der Wahlkampffinanzierung ein, Trump kann damit umso mehr die Qualität der amerikanischen Demokratie beeinträchtigen.

 

 

Anmerkungen:

[1] Amber Phillips, Mueller’s indictment of 12 Russians lands at a really awkward moment for Trump, in: Washington Post, 13.7.2018, https://www.washingtonpost.com/news/the-fix/wp/2018/07/13/muellers-indictment-of-12-russians-lands-at-a-really-awkward-moment-for-trump/?utm_term=.4d32c4ad55dd&wpisrc=nl_politics-pm&wpmm=1. (abgerufen am 26.8.2018).

[2] Donald Trump zitiert in: Ashley Parker, Robert Costa und Felicia Sonmez, Trump says he accepts U.S. intelligence on Russian interference in 2016 election but denies collusion, in: Washington Post, 18.07.2018, https://www.washingtonpost.com/politics/growing-number-in-gop-call-for-trump-to-fix-the-damage-from-helsinki-news-conference/2018/07/17/7ea15178-8902-11e8-8aea-86e88ae760d8_story.html?utm_term=.531b7cbb47db. (abgerufen am 26.8.2018).

[3] Isobel Thompson, Trump’s fear of a deep state coup has become full-blown hysteria, in: Vanity Fair, 23.5.2018, https://www.vanityfair.com/news/2018/05/trump-deep-state-coup-hysteria. (abgerufen am 26.8.2018).

[4] Julie Pace, Trump acknowledges for first time he’s under investigation, in: Associated Press, 16.6.2017, https://www.apnews.com/0172a576e8124251b5478818d1944632. (abgerufen am 26.8.2018).

[5] Isobel Thompson, Trump’s fear, a.a.O. (Anm. 3).

[6] Oliver Georgi, Eine Amtsenthebung wird zum Krieg führen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ.net, 18.5.2017, http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/donald-trump-eine-amtsenthebung-wird-zum-krieg-fuehren-15021952.html. (abgerufen am 26.8.2018).

[7] Ausführlicher: Scott Shane, Steve Eder, Rebecca R. Ruiz, Adam Liptak, Charlie Savage und Ben Protess, Influential judge, loyal friend, conservative warrior — and D.C. insider, in: New York Times, 14.7.2018, https://www.nytimes.com/2018/07/14/us/politics/judge-brett-kavanaugh.html. (abgerufen: 26.8.2018).

[8] Philip Rucker und Robert Costa, Bannon vows a daily fight for ‘deconstruction of the administrative state’, in: Washington Post, 23.2.2017, https://www.washingtonpost.com/politics/top-wh-strategist-vows-a-daily-fight-for-deconstruction-of-the-administrative-state/2017/02/23/03f6b8da-f9ea-11e6-bf01-d47f8cf9b643_story.html?utm_term=.4c32d95b233d. (abgerufen am 26.8.2018).

[9] Center for Responsive Politics, https://www.opensecrets.org/outsidespending/cycle_tots.php?cycle=2018&view=A&chart=N#summ. (abgerufen am 26.8.2018).

[10] Region im Süden der USA, in der der evangelikale Protestantismus am stärksten verbreitet ist.

[11] John Green et al: Murphy Brown Revisited. The Social Issues in the 1992 Election, in: Michael Cromartie, Michael (Hrsg.): Disciples and Democracy. Religious Conservatives and the Future of American Politics, Washington, DC/Grand Rapids, MI 1994, S. 43-64, hier S. 64.

[12] Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze. Im Krieg ist das Recht kraftlos. Cicero, Rede für Milo § 11 a.A.S.a.C 88, J 114 u. V 32. Übersetzung von Detlef Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München: Beck, 1982, S. 197.

[13] Es geht um das elementare Recht jedes Häftlings in demokratisch verfassten Staaten, die Verfassungs- oder Gesetzmäßigkeit seiner Festnahme vor Gericht anzufechten.

[14] In der Bush-Regierung arbeitete Kavanaugh zunächst als Assistent des White House Counsel Alberto González und später als Assistent des Präsidenten und White House Staff Secretary.

[15] Ausführlicher: Scott Shane et al., Influential judge, a.a.O. (Anm. 7).

[16] William H. Rehnquist, All the Laws but One: Civil Liberties in Wartime, New York und Toronto: Alfred A. Knopf/Random House, 1998.

 

By Phil Roeder – Flickr: Supreme Court of the United States, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32650356



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2 Kommentare

  1. Ich bin sehr froh darüber dass sich Trump und sein Wunschkandidat Kavanaugh gegen das hysterische linksliberale Establishment durchgesetzt haben. Nicht mal die Schmierenkampagne mit dem angeblichen Vergewaltigungsopfer hat da noch geholfen. Sie hat sich als Lügnerin, politische Aktivistin, Vertreterin der Pharmalobby und Abtreibungsbefürworterin und Perverse entlarvt (Gangbang-Partys).

    1. @frank, damit bleiben Sie doch deutlich untr dem Niveau des Autors! Selbst Anhänger von Trump wissen doch, dass die Vorwürfe gegen Kavanaugh sicher nicht aus der Luft gegriffen sind! Der Artikel zegt doch auf, wie systematisch extremkonservative Richter-Kandidaten von einflußreichen Gruppen gepusht werden – und da wollte man sich durch solche Vorwürfe aus der Bahn werfen lassen..

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