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TTIP: Die Quadratur des Kreises + Nazi-Keule für Gegner

Von Claudio Kummerfeld

Ist die Quadratur des Kreises möglich? Nein, beim Freihandelsabkommen TTIP wohl auch nicht. Nach den Massenprotesten am Wochenende in Berlin (ca. 150.000 Besucher) sieht sich die Politik vor allen in Brüssel unter Druck. So will sie die USA u.a. auffordern das Streikrecht für Arbeitnehmer bei TTIP anzuerkennen. Dass so eine Selbstverständlichkeit überhaupt angesprochen bzw. verhandelt werden muss, zeigt auf welchem Niveau die Verhandlungen stattfinden.

TTIP Abgeordnete protestieren gegen fehlende Einsichtsmöglichkeit 1
2014 protestieren EU-Abgeordnete gegen fehlende Einsichtsmöglichkeiten in die laufenden Verhandlungen mit den USA. Foto: greensefa / Wikipedia (CC BY 2.0)

TTIP und Arbeitnehmerrechte

Proteste bringen was, wenn sie nur groß genug sind. Das sieht man aktuell. Wie man aus Brüssel vernehmen kann, will nach den Massenprotesten in Berlin am Wochenende die EU-Kommission über ihr Verhandler-Team die USA dazu drängen bei TTIP weitreichende Zugeständnisse zu machen. Angeblich soll es dabei auch um so selbstverständliche Dinge wie „das Recht auf Streiken“ gehen. Unglaublich, dass darüber überhaupt diskutiert werden muss. Ist dies das Verhandlungsniveau über fundamentale jahrzehntelang erstrittene Grundrechte pfeilschen zu müssen? Selbst wenn das reibungslos über die Bühne geht und die USA bei TTIP Streiks als normales Arbeitnehmerrecht anerkennen: damit hätten US-Unternehmen, die derzeit in Deutschland Tochterfirmen haben, einen perfekten Klagegrund um vor den zukünftigen Schiedsgerichten (die werden so oder so kommen) aufgrund von Diskriminierung zu klagen.

Denn wenn die USA das Recht auf Streiken bei TTIP anerkennen sollten, heißt das ja noch lange nicht, dass sie das in den USA selbst einführen. So hat dann ein US-Konzern in den USA selbst ein ganz anderes Arbeitsrecht als bei seiner deutschen Tochter. Tritt TTIP in Kraft, kann er vor einem Schiedsgericht auf Diskriminierung klagen. Seine „Investition“ in Deutschland sei nämlich gefährdet, weil die EU mit höheren Arbeitnehmerrechten seine Rendite schmälere, da könnte er theoretisch irgendwie eine Schadenssumme errechnen. Auch wenn das Recht auf Streiken in TTIP verankert wird, bietet das einen schönen Klagegrund. Denn der Konzern kann sich darauf berufen, dass die USA die meisten Abkommen der Internationalen Arbeitsagentur ILO gar nicht ratifiziert hat (und dies wohl auch nicht tun wird). Hieraus ergibt sich ein prima Widerspruch.

Auch andere Grundrechte, die in Europa so selbstverständlich sind, dass sie gar nicht mehr angesprochen werden müssen, sollen von den USA erst einmal erbeten werden, dass sie die annehmen. Dazu gehört z.B. das grundsätzliche Bekenntnis des Gesetzgebers, dass er sich zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz bekennt. Auch geht es um die grundsätzliche Anerkennung, dass Arbeit „angemessen“ bezahlt werden muss. Neben dem vorher erwähnten Streikrecht muss von den USA auch erst einmal die Anerkenntnis abgerungen werden, dass sie das Recht von Arbeitnehmern anerkennen Gewerkschaften und Betriebsräte bilden zu können.

Dazu fallen mir gleich zwei Fragen ein. Erstens: Selbst wenn die USA all das anerkennen (schwer zu glauben), was verlangen sie dafür im Gegenzug von der EU in den Verhandlungen? Wo soll sie nachgeben? Zweitens: Über den in Deutschland und in anderen EU-Ländern bestehenden gesetzlichen Mindestlohn hat noch niemand gesprochen. Wenn TTIP in Kraft tritt und ich US-Unternehmer mit einer Tochtergesellschaft in Deutschland wäre, ist der deutsche Mindestlohn der perfekte Anlass um Deutschland vor einem TTIP-Schiedsgericht zu verklagen, weil ich sagen kann, dass ich in den USA keinen Mindestlohn an meiner Arbeiter zahle, und durch die höheren Lohnkosten hier in Deutschland diskriminiert werde. Anspruch auf Schadenersatz, Punkt!

Die Nazi-Keule für die TTIP-Gegner

Seit Kurzem versuchen einige Mainstream-„Leitmedien“ verstärkt die TTIP-Gegner in die rechte Ecke zu stellen – so aktuell auch gestern der Welt-Chefkommentator Torsten Krauel. Linke würden sich mit Rechten verbünden um gemeinsam gegen TTIP zu kämpfen. Wie auch bei anderen Themen kann man mit der Nazi-Keule vieles kaputtmachen, wenn man nicht mehr mit seinen Argumenten weiter weiß. Die „Welt“, wie man weiß ein konservatives Blatt, kann eindeutig zum „Pro TTIP“-Lager gezählt werden. Bei so einem Massenprotest wie am Wochenende in Berlin kann man mit einer Diskreditierung wie „da laufen Nazis mit“ und „von Nazis durchsetzt“ gut Stimmung gegen die TTIP-Gegner machen und ihre Seriosität und Ernsthaftigkeit in Frage stellen. Aber bei immer mehr Menschen scheint diese Art der Diffamierung nicht mehr zu funktionieren.

Torsten Krauel führt in seinem Artikel auch an, dass der deutsche Mittelstand (also nicht die bösen Großkonzerne) ja für TTIP sei. Dass es eine Massenbewegung im deutschen Mittelstand gegen TTIP gibt, verschweigt Herr Krauel – oder weiß er von dieser Initiative gar nichts? Wie viele andere Leitartikler beschreibt Krauel in seinem Artikel die „falschen Ängste“ der anscheinend schlecht informierten Demonstranten, gepaart mit Verschwörungstheorien und einem Schuss Nazi-Ideologie. So kann man es wohl zusammenfassen. Da macht es sich der gute Herr aber eindeutig zu einfach und hat sich mit den konkreten Kritiken zu TTIP nicht auseinandergesetzt. Eine solch große Masse von 150.000 Menschen muss er irgendwie herabsetzen, wenn sie gegen „sein“ TTIP protestiert. Am Einfachsten geht das mit der Nazi-Keule, mit der man notfalls alles kaputtschlagen kann. Bereits im März hatte eine Anwältin, die am Weltbank-Schiedsgericht in Washington „Richterin“ spielt, die Nazi-Keule gegen die TTIP-Gegner geschwungen. Die Kritik am Freihandelsabkommen sei ausländerfeindlich gegenüber US-Konzernen…

Die nächste TTIP-Verhandlungsrunde

Ab nächstem Montag 19. Oktober beginnt die nächste TTIP-Verhandlungsrunde zwischen EU und USA. Man darf gespannt sein, ob der mündige EU-Bürger gleich danach oder erst in ein zwei Jahren ganz am Ende der Verhandlungen erfährt, ob die USA so nebensächliche Dinge wie das Streikrecht und die Existenz von Gewerkschaften anerkennen oder nicht.




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12 Kommentare

  1. Änliches konnte man auch im Qualitätsmedium SPON lesen.

    http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ttip-bei-der-demo-marschieren-rechte-mit-kommentar-a-1057131.html

    Ich kann über derartige journalistische Auswüchse leider gar nicht mehr lachen und fühle mich an Geschichten meiner Großeltern erinnert, die im tausendjährigen Reich angesiedelt waren.

    1. und dann solche Kommentare aus dem Fanblock:

      „65. Leider hat z.B. auch die AfD
      helle_birne 10.10.2015
      zur Teilnahme aufgerufen, das ist richtig, gleichwohl ist die Pauschalkritik in dem Beitrag überzogen. Die Veranstalter und nicht rechts gesinnte Teilnehmer der Demo haben allerdings die moralische Pflicht, eine Unterwanderung durch Rechte unbedingt zu verhindern und – wenn man solche Teilnehmer enttarnt – diese sofort friedlich, aber konsequent aus der Demo zu entfernen, und zwar gleichgültig, ob sie sich durch ruhiges und friedliches Verhalten tarnen oder offen als Anhänger z.B. der AfD auftreten oder sogar gewalttätig werden. Bei einem zahlenmäßigen Überhandnehmen dieser Personen muß die Demo abgebrochen werden, sonst demonstrieren Linke unter dem Banner der Rechten, und das darf nicht sein!“

      Manche Menschen fordern immerzu Demokratie, haben aber leider keine Ahnung was Demokratie ist.

      1. Es geht in unserer heutigen Zeit nicht mehr um rechts oder links, sondern um Faschismus oder Demokratie.
        Unsere Regierung ist faschistisch. Sie stützt sich auf das internationale Finanzkapital und nutzt den Flüchtlingsstrom zur Spaltung der deuschen Arbeitnehmer.
        Dabei nutzt sie geschickt die humanitäre Hilfe, die genau betrachtet gar keine Hilfe ist, sondern Millionen von Menschen in ein Unglück stürzen. Sowoh die Deutschen, als auch die Asylanten werden betrogen.

        Der NEUE DEUTSCHE FASCHISMUS stützt sich auf die verblendeten Gutmenschen. Wenn die Gutmenschen erwachen, ist alles zu spät.
        Deutsche wehrt euch, es ist eure Pflicht!

  2. Man muss die sich selbst als solche gekrönten „Leitmedien“ exakt mit dem selben Kaliber befeuern: rechte Schmierblätter im Auftrag des Alleininteressierten und bestenfalls die Schmierfinken direkt beim Namen nennen. Die wahren Nazis haben sich mittlerweile als Linke und vermeintlich Konservative getarnt (und sind es mitnichten).

    1. Zur Ergänzung:

      Den Artikel des Herrn Neubacher bezeichnete der SPON unsprünglich als Kommentar. Jetzt, nachdem in den Kommentarseiten Widerstand signalisiert wird, schwenkt man um und spricht von „Polemik“.

      Armseelig!

      Interessanter Weise beschweren sich die Leser jedoch nicht, dass man gewissen Menschen das Demonstrationsrecht absprechen möchte, sondern formulieren nur ihre Sorge als „Rechts“ bezeichnet zu werden.

      Ich frage mich, wo das Problem liegt, wenn ein Rechter und ein Linker gegen eine Sache demonstrieren, die beide angeht.

      1. Da besteht überhaupt kein Problem, nur kapieren das solche Hohlbirnen einfach nicht. Die würden auch bestreiten, dass die Sonne scheint, wenn das jemand von der AfD sachlich korrekt feststellt. -)

  3. Anti.TTIP-Demonstration von ca.200000 interessierten Menschen in Berlin am Wochenende!Reaktion:Regierung&Wirtschaft wollen ihre Anstrengungen verstärken um die „Ungläubigen&Dummen“von den“ unglaublichen“Segnungen dieses Geheimdienstgesetzes zu überzeugen!Unterscheidet uns eigentlich noch irgendwas von Regierungen a la Erdogan?

  4. Es hat schon einen Grund, das die Auflagen von WELT, Spiegel etc. ständig sinken…

    Das wird sich (vielleicht) dann wieder ändern, wenn klar zwischen sachlichem Bericht und Meinung getrennt wird. Im Moment wird das alles schön vermischt und durch den links-grünen Filter gekippt. Da unterscheiden sich die linken und rechten Ideologen kein bisschen. Die Kommentarspalten zeigen aber auch, das ganz viele Leute nicht mehr drauf reinfallen, sondern ihre eigenen Gehirnzellen bemühen.

  5. Wirklich lustig an den Verhandlungen finde ich ja das Argument von Herrn Gabriel, mit diesem Abkommen würden die „Standards“ für künftige Abkommen festgeschrieben. Glaubt der Mann wirklich, er kann in Verhandlungen mit z.B. China sagen: “ Diese Klausel müsst Ihr jetzt aber akzeptieren, die haben wir schon in unserem Vertrag mit den Amis drinstehen – die ist jetzt Standard.“ OK, ein bitterarmes Dritte-Welt-Land lässt sich vielleicht so überrumpeln- aber jeder der eine Wahl hat, lacht ihn nur aus….

  6. Schöne neue Weltordnung. Man sieht immer deutlicher in was wir da hinein schlittern.
    Diese Seite wird selbstverständlich von uns verlinkt.
    http://www.DDRZweiPunktNull.de

  7. Superartikel. Vielen vielen Dank! Statt dwn les ich nur noch hier. Den Rest (Lügenpresse) kann man getrost vergessen. Bitte standhalten.

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