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TTIP: EU-Kommission drückt sich bei Verhandlungen vor dem Hauptproblem

FMW-Redaktion

Heute beginnt in Miami die 11. Verhandlungsrunde zwischen EU und USA für das Freihandelsabkommen TTIP. Darin geht es um die Themenbereiche Marktzugang, Regulierungsfragen und Handelsregeln. Das mit Abstand wichtigste Thema, dass die gesamten TTIP-Verhandlungen stoppen bzw. komplett scheitern lassen könnte, wird aber auch diese Woche ausgespart: Der Investitionsschutz genannt ISDS und die damit verbundenen Schiedsgerichte.

Jean-Claude Juncker EU Kommission pro TTIP
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Die Devise lautet „TTIP durchdrücken, so schnell wie möglich“. Foto: Factio popularis Europaea / Wikipedia (CC BY 2.0)

Schiedsgerichte nicht Teil der aktuellen TTIP-Verhandlungen

Vor allem auf Drängen der europäischen Öffentlichkeit hatte zunächst Bundeswirtschaftsminister Gabriel einen geänderten Entwurf für zukünftige TTIP-Schiedsgerichte vorgelegt, den EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström kurz danach fast identisch übernahm und als ihren eigenen Vorschlag ausgab. Derzeit wird dieser Vorschlag noch vom EU-Parlament und den EU-Mitgliedsstaaten geprüft.

Folglich ist es gut nachvollziehbar, dass das ganze Thema Schiedsgerichte und damit automatisch der ganze Themenkomplex „Investitionsschutz“ (auch Investorenschutz genannt) von der jetzt beginnenden Verhandlungsrunde ausgespart wird. Die also noch offene Diskussion in der EU kann man als Begründung oder Ausrede anführen, dass man das Thema den USA jetzt noch nicht vorlegt, es ist aber trotzdem ein Ausweichen oder auch „Drücken vor Problemen“. Denn natürlich kann und sollte man das Thema offensiv mit den USA besprechen, um überhaupt mal zu erfahren, wie die USA dazu stehen. Wären Sie überhaupt bereit (!) eine abgewandelte Form eines Schiedsgerichts zu akzeptieren oder würden sie die gesamten Verhandlungen zu TTIP daran scheitern lassen? Das wäre doch mal gut zu erfahren.

Aus den bisher veröffentlichten Unterlagen des „US Trade Representative“, also dem „Gegenspieler“ der EU-Verhandler, lässt sich nicht ein Wort eines Entgegenkommens erahnen, nicht mal theoretisch, was die Schiedsgerichte angeht, Zitat: „The Miami talks will not cover ISDS, as the EU develops its alternative proposal. They will focus, for one, on government procurement standards that favor local businesses.“ EU-Kommission und vor allem auch Angela Merkel wollen unbedingt TTIP noch durchdrücken, solange Präsident Obama im Amt ist. D.h. man hat noch gut ein Jahr Zeit. Der Grund: Die Chance steht nicht schlecht, dass ein Republikaner neuer US-Präsident wird, und man glaubt, dass die USA dann die Daumenschrauben anziehen und versuchen werden mehr für sich selbst rauszuholen als es bisher Obama tut. Aber den TTIP-Vertrag bis Ende 2016 auszuhandeln ist unmöglich – das bestätigen inzwischen immer mehr EU-Politiker.


Das Bundeswirtschaftsministerium schreibt bzgl. der heute startenden Verhandlungsrunde:

„Im Fokus steht diesmal das Kapitel „Handel und Entwicklung“. Dabei geht es darum, soziale und ökologische Nachhaltigkeit in TTIP fest zu verankern. Hierzu sollen gemeinsame Vereinbarungen getroffen werden, um hohe Standards beim Arbeits-, Sozial- und Umweltschutz einzuhalten. Der Vorschlag der EU-Kommission dabei geht weit über andere Handelsabkommen hinaus: Er bekräftigt unter anderem die Beibehaltung der politischen und gesetzgeberischen Handlungsspielräume beider Seiten (das sog. „right to regulate“), die Verpflichtung auf hohe Schutzniveaus sowie die Förderung von Prinzipien zu fairen Arbeitsbedingungen (Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO). Außerdem soll festgelegt werden, dass keine Standards gesenkt werden dürfen, um Unternehmen den Handel zu erleichtern. Weitere Themen der aktuellen Runde sind daneben der weitgehende Abbau von Zöllen, um Warenimporte günstiger zu machen, und der Abbau von unnötigen Handelshemmnissen (z. B. doppelte Zertifizierungen oder Zulassungsverfahren) – ohne jedoch bestehende Standards zu senken. Daneben verhandeln beide Seiten weiterhin im Bereich der Marktöffnung für Dienstleistungen. Bei der öffentlichen Daseinsvorsorge, also etwa der Wasserversorgung oder dem öffentlichen Nahverkehr ist dabei klar, dass die Gestaltungsfreiräume der Städte und Gemeinden nicht angetastet werden – und es keinen Zwang zur Privatisierung geben darf.“

Da meinen wir: Genau diese Themengebiete wären der richtige Anlass auch anzusprechen, auf welche Art und Weise Unternehmen und Staaten in Zukunft Streitigkeiten zur Wasserversorgung, Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz etc beilegen wollen.

Ab sofort herrscht bei TTIP „Transparenz“

Auch ganz offiziell heißt ab sofort das neue Motto der EU-Kommission bei TTIP: „Transparenz“.

Zu Frau Malmström´s Ankündigungen möchten wir bemerken: Wir haben uns die ersten von der EU veröffentlichten Kapitel zu TTIP durchgelesen und ausführlich analysiert, die die EU veröffentlicht hat. Nicht ein konkret mit den USA ausverhandelter § befand sich darin, auch nicht was die USA zu den EU-Vorschlägen erwidert haben oder was deren Vorschläge waren. Zusammengefasst kann man sagen: Die von der EU-Kommission veröffentlichten ellenlangen Texte sind inhaltsleer, und sie zu lesen ist Zeitverschwendung, denn Konkretes findet man darin leider nicht. Gerne würden wir etwas anderes schreiben, aber das Wort „Transparenz“ könnte man vielleicht zum Unwort des Jahrzehnts machen. Denn wie viele andere Institutionen auch redet die EU-Kommission jetzt von Transparenz, aber das würde bedeuten alles offenzulegen und für jedermann zugänglich zu machen.

Denn das, was Cecilia Malmström mit „Transparenz“ und „Veröffentlichen“ meint, sind leider nicht die tatsächlichen Verhandlungstexte zwischen EU und USA, sondern nur abgespeckte allgemeine Floskeln über das, was die EU gerne als Verhandlungsziel erreichen würde. Was aber genau verhandelt oder besprochen wird, erfahren laut dem EU-Abgeordneten und versierten Experten Sven Giegold noch nicht mal die Bundestagsabgeordneten.

Zum Schluss nochmal unsere Anmerkung bzw. Vermutung, warum die EU-Verhandler das Thema Schiedsgerichte bisher in den Verhandlungen mit den USA noch nicht mal angesprochen haben: Sie wissen schlicht und einfach nicht weiter. Sie sehen im Augenblick die enormen Proteste aus der europäischen Bevölkerung, von NGO´s usw. Die Überlegung der EU-Kommission könnte sein: Wenn wir jetzt bei den aufgeheizten Gemütern in der europäischen Bevölkerung das Thema Schiedsgerichte in die Verhandlungen bringen und die USA auf die ursprüngliche Version von Schiedsgerichten beharren – was dann? Dann ist man in einer enorm schlechten Position, da sich z.B. Bundeswirtchaftsminister Gabriel nach Druck aus der Bevölkerung öffentlich festlegte TTIP mit den alten Schhiedsgerichten werde es nicht geben. Was dann, was wenn die USA aber darauf bestehen? Die EU-Kommission scheint zu hoffen, dass sich in 2016 vielleicht die Gemüter wieder beruhigt haben und es nicht so auffällt, wenn man sich nicht an seine eigenen Worte hält. Aber diesmal hat man wohl die Rechnung ohne den Proteststurm „des Volkes“ gemacht.

Erst wenn die Schiedsgerichte in den Verhandlungen zur Sprache kommen, wird es ernst! Aber mal abgesehen davon: Alles andere ist auch noch nicht fertig verhandelt worden – es wurden bisher nur einige Kapitel besprochen, geklärt ist noch gar nichts.




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4 Kommentare

  1. Schritt für Schritt und wenn keiner meckert, drücken wir es durch – oder wie war gleich das Juncker-Zitat? Alles nur Salami-Taktik, es kommt folglich später auf die Tagesordnung, wenn der erste Schritt erst einmal durch ist. Das wird übel werden.

  2. Mein grösster Wunsch ist es noch zu erleben wie diese Volksverräter verurteilt und bestraft werden.

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