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TTIP: Wer dagegen ist, war einfach nur „unzureichend informiert“…

Von Claudio Kummerfeld

Aus vielen Politikbereichen hört man derzeit: Der Bürger, der anderer Meinung ist, muss nur besser und umfangreicher informiert werden, dann wird er sofort einsehen, dass seine Meinung falsch war. Besonders gilt dies seit Monaten für die Debatte rund um TTIP, wo Politik, Wirtschaftsverbände und so manche Pressevertreter sich wohl gar nicht vorstellen können, dass viele Bürger verdammt gut informiert sind…

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Kritik an TTIP. Nervende EU-Abgeordnete, nervende Bürger? Foto: greensefa / Wikipedia (CC BY 2.0)

Woher kommt eigentlich die arrogante (ja, so sehe ich das) Haltung vieler Politiker, Verbandsbosse und auch von so manchem Journalisten, dass der Bürger, der nicht die passende Meinung äußert, lediglich „falsch oder unzureichend informiert“ ist? Diese Formulierung soll den Bürger erst einmal lächerlich machen, denn damit wird er öffentlich als dumm hingestellt. Somit ist er in der Defensive. Warum verwendet der „böse Politiker“ diese Formulierungen seit Monaten immer öfter?

Die meisten Funktionäre werden wohl schlicht und einfach genervt sein, dass sie vor allem durch das Thema TTIP ständig mit Protesten, Unterschriftenlisten, Bürgerinitiativen uvm überhäuft werden, dass sie gefragt werden, dass sie Anfeindungen aushalten müssen, dass sie „ihre“ Projekte nicht einfach so durchziehen können, wie es noch vor Jahren üblich war. Bei TTIP gibt es z.B. das beliebte Argument der Befürworter „warum haben die Gegner denn nicht bei all den anderen Freihandelsabkommen demonstriert?“ Eine gute Frage. Es liegt an der Weiterentwicklung der sogenannten Zivilgesellschaft, die jetzt die Augen aufmacht in Sachen EU-Politik, um die man sich die letzten Jahrzehnte gar nicht richtig kümmerte.

Langsam begreifen die Bürger, wie wichtig die EU-Politik für sie geworden ist und möchten bei dem wichtigsten politischen Vertrag des Jahrzehnts, was TTIP wohl sein wird, mitbestimmen. Unglaublich, nervig, stressig, unnötig, so werden viele Politiker die ständige Einmischung der Bürger empfinden. So mag es beispielsweise auch gewesen sein bei der Herbstveranstaltung der Mittelstandsinitiative „Unternehmer Positionen Nord (UP)“, veranstaltet von der HSH Nordbank in Hamburg letzte Woche. Der mit diskutierende Philosoph Peter Sloterdijk wird folgendermaßen zitiert:

„Die Frage nach dem Misstrauen vieler Europäer dem Abkommen und damit auch den USA gegenüber begründete Sloterdijk mit der schlechten Kommunikationspolitik der involvierten Parteien. Dass die Verhandlungen hermetisch abgeschirmt geführt würden, sei ein Verstoß gegen diejenigen Spielregeln, die gerade durch das Abkommen garantiert werden sollen.“

Man darf Sloterdijk also folgendermaßen verstehen: Die EU-Bürger sind anscheinend nur deswegen misstrauisch gegenüber TTIP eingestellt, weil die Kommunikationspolitik von EU und USA gegenüber der Öffentlichkeit schlecht gewesen ist. Wäre sie umfassend informiert gewesen, hätte es keinerlei Kritik gegeben, so kann man den Umkehrschluss sehen. So sieht das Selbstverständnis vieler Funktionäre aus (ja, ich benutze mal diesen Überbegriff Funktionäre). Das „Volk“ kann gar nicht gegen die Inhalte sein, weil man selbst diese Inhalte ja gut findet. Also muss der Protest des Volkes woanders herrühren. Das Motto lautet „wir erklären es dem Volk jetzt umfassend, dann wird es einsehen, dass seine Ängste unbegründet waren.

In der Politik scheint grundsätzlich das Verständnis und die Bereitschaft zu fehlen zu erkennen, dass es in der Bevölkerung und bei Aktionsgruppen sehr viele Menschen gibt, die bestens informiert sind und Kritik zu ganz konkreten Inhalten haben – da könnte man Themenfelder erwähnen wie z.B. die Schiedsgerichte, bei denen sich Wirtschaftsminister Gabriel nur nach endlos langen Protesten bewegte und sich selbst plötzlich zum „Vorreiter der Bewegung“ machte, ähnlich EU-Kommissarin Cecilia Malmström. Sie brachte vor Kurzem aber ihre wahre Geisteshaltung gegenüber den TTIP-Gegnern zum Ausdruck, als sie zur ständigen Kritik sagte ihr Mandat „stütze sich nicht auf die Bürger in Europa, sondern auf das Parlament“. Formal richtig, aber damit schafft man eine Abgrenzung um nicht ständig von Protesten „genervt zu werden“.

Die ehemalige EU-Kommissarin Viviane Reding wird auf der Herbstveranstaltung der Mittelstandsinitiative zitiert mit den Worten „man habe es versäumt die EU-Bürger von Anfang an vollumfänglich über das Abkommen aufzuklären“. Da ist er wieder, der Standard-Spruch. Aufklären, informieren – inhaltliche Auseinandersetzung findet nicht wirklich statt!

Die „Welt“ zitierte vorletzte Woche den GfK-Experten Klaus Hilbinger mit den Worten

„Das Interesse an TTIP hängt stark vom Bildungsniveau ab. In der breiten Bevölkerung scheint das Thema noch nicht angekommen zu sein – deswegen besteht weiterer Informationsbedarf“.

Die „FAZ“ macht in ihrem Artikel vom 25. Oktober mit der Überschrift „Die TTIP-Gegner nerven“ pauschal alle, die anderer Meinung sind, zu Pegida-Anhängern, zu Anti-Amerikanern oder doofen Wutbürgern, die einfach nur Angst vor allem Neuen haben. Mit dem Hinweis, dass die vor Kurzem stattgefundene Anti TTIP-Demo in Berlin die größte Demo seit dem ersten Golfkrieg war, versucht man hier unterschwellig einen Bezug herzustellen, dass die Demo letztlich nur gegen die USA gerichtet war und nicht gegen die Inhalte.

Natürlich gibt es bei der Anti TTIP-Bewegung auch Menschen, die für Pegida sind und auch welche, die einfach nur die USA hassen, aber sollen deswegen die Menschen, die konkrete Bedenken oder Änderungswünsche haben, zuhause bleiben? Dieser heutige Artikel soll, ohhh Verwunderung, kein totaler „Anti TTIP“-Artikel sein. Geht es bei diesem Abkommen hauptsächlich um die klassische Zollfreiheit (Freihandel), und werden diverse Änderungen vorgenommen, kann (!) TTIP eine gute Sache sein! Aber die Pro TTIP-Lobby aus Politik, Wirtschaftsverbänden und einigen Publizisten hat sich seit Monaten eine Strategie zurecht gelegt Kritiker z.B. in die rechte Anti USA-Ecke zu stellen wie z.B. die Anwältin Sabine Konrad, die beim Internationalen Schiedsgerichtshof ISCID in Washington als Schiedsrichterin fungiert. Sie äußerte im März diesen Jahres sogar ganz offen den Vorwurf Kritik an TTIP sei ausländerfeindlich. Oder man versucht Kritiker lächerlich zu machen, in dem man sie wie kleine dumme unwissende Kinder darstellt, denen man lediglich erklären muss, wie ihr Spielzeug funktioniert.

Der CDU-Politiker und für die transatlantischen Beziehungen zuständige Jürgen Hardt wies seinen Parteikollegen und Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (immerhin im Rang über Angela Merkel) Ende Oktober in einem Interview beim Deutschlandfunk in die Schranken, in dem er dessen Kritik an der mangelnden Einsicht in die aktuellen TTIP-Verhandlungsinhalte für Abgeordnete als quasi, so nennen wir es mal, sinnlos und nervig abtat. Denn, so fassen wir ihn mal zusammen, die Abgeordneten des Deutschen Bundestags könnten sämtliche Vertragsinhalte doch eh einsehen, wenn der Vertrag fertig ausgehandelt ist. Dazu diese Anmerkung: Wenn der Vertrag fertig ausgehandelt ist, kann der Abgeordnete aber nicht mehr mit Kritik oder Änderungswünschen in den laufenden Prozess eingreifen. Er kann dann nur noch kurz lesen und darf JA oder NEIN sagen. Sagt er NEIN, weil ihm ein Passus im Vertrag nicht passt, gilt er als böser Spielverderber!

Grundsätzlich ist anzumerken: So wird das nichts mit einer ernsthaften Akzeptanz bei den kritischen Teilen der Bevölkerung. Ein wirkliches Auseinandersetzen mit inhaltlicher Kritik (!) ist nicht wirklich zu erkennen!




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5 Kommentare

  1. Guter Artikel, danke dafür.
    Die frendgesteuerten Politiker und gleichgeschalteten Medien werden noch den Druck erhöhen müssen damit der nicht so geheime Vertrag abgeschlossen und im „nachhinein“ darüber diskutiert werden kann.
    Weder den Politikern noch den Medien ist Deutschland wichtig und so verhalte ich mich wie die Leitmenschen, man sollte sich nicht an die Dinge binden die man mal hatte – Flexibilität ist der Trick zur Zufriedenheit.

  2. „Schlecht informiert“ ist schon deshalb ein Witz, weil die Vertragsbestimmungen der Öffentlichkeit gegenüber geheim gehalten werden. (sogar Parlamentarier dürfen nur eingeschränkt Einsicht nehmen).

    Das TTIP hat nur(!) Nachteile für die Bürger der EU.

    Hier übrigens eine Karikatur, die einen der zahlreichen und eklatanten Widersprüche dieser liberalistischen „Deregulierungs“- und „Freihandels-Erleichtungs“-Ideologen prima auf die Schippe nimmt: http://www.gocomics.com/mattwuerker#mutable_1370124

    Eine Gefahr, die fast nirgendwo angesprochen wird, ist, daß das TTIP und das pazifische Gegenstück das „TTP“ strategisch die wirtschaftliche Isolierung Rußlands (Chinas/ Kasachstans/Weißrußlands usw.) zum Ziel hat. Neben der wirtschaftlichen Unterjochung der jeweiligen nationalen Staatswirtschaften und -finanzen unter die Knute der Großkonzerne (bzw. Superreichen/Oligarchen) dienen TTIP und TTP aber auch den wirtschaftlichen ‚Erwürgens‘ Rußlands. Denn fruchtbare wirtschaftliche Beziehungen der EU-Staaten mit Rußland sind nach Einführung des TTIP und des TTP nicht mehr möglich.

    Darüber hinaus begleiten TTIP und TTP auch das militärische (Raketenstationen + etliche Großmanöver der Nato an Rußlands Grenzen) ‚Erwürgen‘ Rußlands. Und auch dieses wirtschaftliche ‚Erwürgen‘ Rußlands erhöht die Gefahr eines neuen Weltkrieges ganz enorm. Auch das Japan des 2. Weltkrieges (für welches ich ansonsten keine Sympathie empfinde) wurde durch die wirtschaftliche Blockadepolitik der USA zum – seitens der damaligen US-Politik durchaus beabsichtigten – Verzweiflungsangriff auf Pearl Habor verleitet.

    Frankreich sträubt sich gottseidank noch gegen TTIP. Hier die interessante These, daß die Pariser Attentate gerade deswegen erfolgten: http://www.politaia.org/terror/steckt-ttip-hinter-dem-paris-massaker/ .

    1. „Frankreich sträubt sich gottseidank noch gegen TTIP. Hier die interessante These, daß die Pariser Attentate gerade deswegen erfolgten: http://www.politaia.org/terror/steckt-ttip-hinter-dem-paris-massaker/ .“
      Find ich sehr interessant, so etwas habe ich auch schon vermutet.
      Selbst wenn die Ausgrenzung Russlands und Chinas das Primärziel sein soll, stellt sich mir hier die Frage: Geht es uns danach mit TTIP besser? Ich meine Nein.

  3. Da gibts nur EINS:

    Verhandlungen für beendet und gescheitert erklären,
    denn sie sind rundum undemokratisch, da geheimer als geheim, …
    UND DANN
    neue Verhandlungen beginnen
    von Anfang an offen und transparent
    nachlesbar für JEDEN im Internet
    und am Ende steht die VOLKSabstimmung in jedem Land,
    denn die Menschen müssen damit leben.

  4. Allein die Tatsache, dass sich die USA aufgrund ihrer NSA-Aktivitäten einen unfairen Verhandlungsvorteil bei den Freihandelsabkommen (TTIP, TISA, …) verschafft, wäre schon Grund genug, diese Verhandlungen erst mal auf Eis zu legen. Darüberhinaus sollte bekannt sein, dass die USA die meisten der internationalen Arbeits-, Umwelt- und Arbeitsschutzabkommen bis heute nicht ratifiziert hat, diese also offensichtlich zur Disposition stehen würden.
    Auch Lammert hat Recht mit seiner ablehnenden Haltung!
    Verkehrte Welt?
    http://youtu.be/QqoSPmtOYc8
    Und im übrigen: nach der Wahl ist vor der Wahl:
    http://youtu.be/0zSclA_zqK4
    Und was sagen unsere Bundestagsabgeordneten dazu?
    http://youtu.be/QGOx8I0COYg
    PS: Was die angebliche neue Transparenz anbelangt, hat die zuständige EU-Kommissarin Malmström jüngst folgendes erklärt: Bisher hat die EU nur einige ihrer eigenen Verhandlungsangebote ins Internet gestellt, nicht aber die Angebote der Amerikaner und gemeinsame Texte, die den Stand der Gespräche zusammenfassen. Noch Fragen?

    Rock-Blogger, Blog-Rocker und Roll’n Rocker Sigismund Rüstig posted auf multimediale Weise Meinungen und Kommentare zu aktuellen Reiz-Themen in Form von Texten und Liedern.

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