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Türkei: Erdoğan feuert erneut Zentralbankchef – was macht die Lira?

Die Türkei in schwierigen Zeiten: Erdogan feuert den Notenbankchef

Im Juli 2019 entließ Erdoğan als Präsident der Türkei mitten in der Lira-Krise seinen Zentralbankchef Murat Çetinkaya und ersetzte ihn durch seinen Stellvertreter Murat Uysal, der als Verfechter einer lockeren Geldpolitik galt. Uysals Amtszeit dauerte allerdings nur knapp 16 Monate. Die Amtszeit seines Nachfolgers Naci Ağbal fällt mit nur drei Monaten sogar noch kürzer aus.

Inflation in der Türkei springt wieder an

Das Personalkarussell in der Zentralbank der Türkei dreht sich so schnell, dass einem schwindelig werden kann. Am Freitag entließ der Präsident der Türkei Erdoğan den Gouverneur der Zentralbank (TMBC) Naci Ağbal nach nur drei Monaten seiner vierjährigen Amtszeit und einen Tag nach seiner massiven Zinserhöhung als Reaktion auf die zuletzt wieder deutlich angestiegene Inflation im Land.

Ağbal, ehemaliger Finanzminister der Türkei, hatte den Leitzins seit seinem Amtsantritt als Notenbankchef im November 2020 um insgesamt 875 Basispunkte (8,75 Prozentpunkte) zur Inflationsbekämpfung erhöht und damit nicht nur gegen die Politik seines Vorgängers gehandelt, die Kreditkosten trotz zweistelliger Inflation niedrig zu halten, sondern auch gegen den ausdrücklichen Wunsch von Präsident Erdoğan.

Zuletzt erhöhte die Türkiye Cumhuriyet Merkez Bankası (TCMB) den Leitzins am vergangenen Donnerstag doppelt so stark wie vom Markt erwartet auf 19 Prozent p. a. Die Entlassung von Ağbal dürfte in direktem Zusammenhang mit dieser geldpolitischen Maßnahme stehen und das Vertrauen der Märkte in die ohnehin nur noch rudimentär vorhandene Unabhängigkeit der TCMB gegenüber Präsident Erdoğan zusätzlich erschüttern.

Trotz der jüngsten Stabilisierung des Außenwertes der Lira befindet sich die Teuerungsrate in der Türkei wieder auf dem Vormarsch. Aktuell liegt sie mit 15,6 Prozent pro Jahr deutlich über den Ständen von vor einem Jahr mit 12,4 Prozent.

Die Inflation in der Türkei

Neben der dynamischen Entwicklung der Inflation zeigt auch ein Blick auf die jüngste Stabilisierung der Türkischen Lira, dass der letzte TCMB-Gouverneuer mit seinem Zinskurs im konventionellen Sinne durchaus richtig lag, da er v. a. die Spekulation gegen die Lira und die Kapitalflucht aus der Türkei eindämmte.

Die türkische Lira unter den Notenbank-Chefs in der Türkei

Was nicht passt, wird passend gemacht

Nachfolger des vormaligen Finanzministers und Notenbankgouverneurs Naci Ağbal wird der ehemalige Weggefährte aus Erdogans Partei (AKP) und Kolumnist der islamistischen Zeitung „Yeni Safak“ Şahap Kavcıoğlu. Was diesen Mann in Krisenzeiten zum Gouverneur der TCMB qualifiziert, bleibt das Geheimnis Erdoğans. Zu vermuten ist eine Mischung aus ideologischer Nähe und Nibelungentreue.

Kavcıoğlu wird seit 2019 der vierte Gouverneur der TCMB. Seine Ernennung dürfte die Hoffnungen der Anleger weiter untergraben, dass die türkische Geldpolitik etwas anderes ist als der verlängerte Arm des Präsidenten der Republik Türkei.

Das Personalkarussell des Präsidenten Erdoğan

Die zuletzt von Naci Ağbal und zuvor schon von Murat Çetinkaya (bis Juli 2019) verfolgte restriktivere Geldpolitik, die isoliert betrachtet Sinn macht, passt nicht zur Gesamtagenda von Präsident Erdoğan. Seine Prioritäten liegen auf der schnellstmöglichen Erholung der Wirtschaft und einer deutlich besseren Wettbewerbsfähigkeit im Außenhandel. Darüber hinaus sollen die hohen Außenschulden weginflationiert werden. Legendär ist Erdoğans Aussage zur Bekämpfung von Inflation durch expansive Geldpolitik. Der offene Widerspruch zu dieser unorthodoxen These kostete im Juli 2019 Çetinkaya seinen Job als Zentralbankchef der Türkei.

Der eiserne Besen Erdoğan fegt gleichwohl nicht nur in der türkischen Zentralbank, sondern auch im Finanzministerium in Ankara und im gesamten Kabinett.

Mitten in einer der größten Währungskrisen der Türkei im Sommer 2018 gewinnt Recep Tayyip Erdoğan nach 16 Jahren Amtszeit erneut die Präsidentschaftswahlen. Mit 52,6 Prozent der Stimmen lässt er dabei seinen nächsten Herausforderer Muharrem Ince von der Oppositionspartei CHP mit 30,6 Prozent der Stimmen deutlich hinter sich.

Nur wenige Stunden nach seiner Vereidigung als Staatspräsident stellte Erdogan damals sein neues, um zehn Mitglieder geschrumpftes Kabinett vor. Das Amt des Ministerpräsidenten wurde ganz abgeschafft. Die 16 verbliebenen Ministerposten besetzte Erdoğan mit Vertrauten und Verwandten. Zum Finanzminister kürte er seinen damals erst 40 Jahre jungen Schwiegersohn und ehem. Investmentbanker Berat Albayrak, der seinen Posten aber nach 28 Monaten mangels Erfolg schon wieder abgeben musste. Offiziell trat der jetzt 42-jährige aus gesundheitlichen Gründen zurück.

Fazit und Ausblick

Präsident Erdoğan versucht schon seit Längerem, die Fiskal- mit der Geldpolitik in der Türkei zur besseren Kontrolle zu verschmelzen. Im August 2019 feuerte Erdoğan kurz nach der Entlassung des damaligen Zentralbankchefs Murat Çetinkaya die gesamte Führungsebene der Notenbank. Dazu gehörte auch der renommierte Chefvolkswirt der TCMB Prof. A. Hakan Kara. Doch die grundsätzlichen Probleme wie Lira-Crash, Überschuldung und Inflationsdynamik wurden nicht gelöst.

Mit der Verschmelzung von Geld- und Fiskalpolitik tappt Erdoğan hoffentlich nicht in die Falle so mancher Autokraten, die sich im Zeitverlauf immer mehr von inkompetenten Ja-Sagern umgeben, um ihre Macht zu festigen und ihrem Ego zu schmeicheln.

Sogar in Deutschland kann man gerade auf Ebene des Bundeskabinetts in einer „lupenreinen“ Demokratie hautnah miterleben, welche schädlichen Folgen der pure Machterhalt um jeden Preis haben kann. Oder würden Sie sich von einem Banker Ihre Prostata untersuchen lassen? Vielleicht wäre der überforderte Bundesminister für Wirtschaft und Energie als Sohn einer Krankenschwester besser für den Job des Bundeministers für Gesundheit geeignet. Doch fachliche Qualifikationen treten leider zunehmend hinter Loyalität und machtpolitische Harmlosigkeit zurück.

Wie sagt der Chefanalyst der Bremer Landesbank Folker Hellmeyer oft so passend: „Food for thought!“



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