Gas

Milliardendefizit durch Energieimporte Türkei will Gasproduzent werden – bis 2030 unabhängig von Importen?

Bis 2030 will die Türkei beim Thema Gas unabhängig von Importen werden. Die Anstrengungen laufen auf Hochtouren. Hier eine Analyse.

Türkei-Flagge

Bis 2030 soll die Hälfte des Gasbedarfs der Türkei aus der eigenen Förderung kommen, und später dann komplett. Das stellte der türkische Energieminister Fatih Dönmez jetzt Ende Januar in Aussicht. Aktuell könne lediglich 1 Prozent mit Gas aus dem Schwarzen Meer abgedeckt werden. Der Direktor der staatlichen türkischen Ölgesellschaft TPAO, Melih Han Bilgin, machte klar, dass sich die eigene Förderung lohnt, um bis 2030 von der Abhängigkeit von Gaslieferungen loszukommen. Im Jahr 2022 häufte sich ihm zufolge in der Leistungsbilanz ein Milliardendefizit in Höhe von bis 100 Milliarden US-Dollar auf, das durch Importe von Energieträgern entsteht. Im Wahljahr 2023 hat die türkische Regierung im Staatshaushalt im Vergleich dazu 239 Milliarden Dollar eingeplant.

Gas aus dem Schwarzen Meer ist günstiger für die Türkei

Gas aus dem Schwarzen Meer sei für die Türkei kostengünstiger als importiertes Gas. Dies werde sich bei sinkenden Kosten auf die Bürger auswirken, erklärte laut türkischer Nachrichtenagentur Anadolu Energieminister Dönmez auf einem Energiegipfel. Im Jahr 2020 entdeckte die Türkei im Schwarzen Meer das Gasfeld Sakarya, dessen Vorkommen nach einer erneuten Evaluierung 652 Milliarden Kubikmeter umfassen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan informierte noch im letzten Jahr über die Entdeckung eines weiteren Gasfeldes im Schwarzen Meer mit Reserven von 58 Milliarden Kubikmetern Gas. Damit belaufen sich die Offshore-Gasreserven des Landes auf 710 Milliarden Kubikmeter.

Zu den Gasfunden im Schwarzen Meer sagte Dönmez Ende Januar, dass diese groß genug seien, um den Bedarf im Land etwa 30 Jahre zu decken. Neue Funde würden den Zeitraum verlängern. Die Arbeiten, um das Gas ans Festland transportieren zu können, seien zu 90 Prozent abgeschlossen. „Die Exploration neuer vielversprechender Felder geht weiter. Natürlich wollen wir in einem Idealszenario die gesamte notwendige Gasmenge innerhalb des Landes fördern können. Die Zeit wird es zeigen. Derzeit reicht die Produktion aus, um nur 1 Prozent des türkischen Gasbedarfs zu decken“, so Dönmez zu den Aussichten. Den jährlichen Gasbedarf bezifferte er auf 55-60 Milliarden Kubikmeter Gas.

Bis 2030 will die Türkei unabhängig werden

Das meiste Gas importiert die Türkei aus Russland. 2021 waren es rund 29 Milliarden Kubikmeter Gas und im letzten Jahr 20 Milliarden Kubikmeter Gas. Seit November 2022 erfolgen die Zahlungen zum Teil in Rubel. Türkischen Medien zufolge erklärte TPAO-Manager Bilgin in einem Medieninterview am 30. Januar, dass es Ziel sei, bis 2030 die Abhängigkeit der Türkei von Gaslieferungen zu beseitigen. „Im Jahr 2022 besteht in Bezug auf die Energieimporte der Türkei ein Defizit von etwa 90 bis 100 Milliarden Dollar. Das Hauptproblem des Leistungsbilanzdefizits der Türkei sind Energieimporte. Das Defizit beträgt im Monat 8-9 Milliarden Dollar. Wir versuchen, dies herunterzufahren“, erläuterte Bilgin.

Um das Defizit zu verringern, ist geplant, in der ersten Ausbaustufe des Sakarya Gasfeldes im Schwarzen Meer am Tag 10 Millionen Gas zu fördern, sprich im Jahr 3,65 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr. Der Förderstart ist für das erste Quartal 2023 vorgesehen. Mit der Fertigstellung der zweiten Ausbaustufe soll in drei Jahren die Produktion 15-16 Milliarden Kubikmetern erreichen, um 25 Prozent des Bedarfs im Land zu decken. In den 2030er Jahren sollen mehr als 50 Prozent Gasverbrauchs von dort kommen, sagte Dönmez zu den Schwarzmeerplänen. Zugleich verwies er darauf, dass die Industrie ihren Verbrauch um 13 bis 16 Prozent reduziert habe. Die Kosten großer Industriebetriebe, die Strom vom freien Markt beziehen, würden um bis zu 15 Prozent sinken. Die Preise gingen weiter zuück, und im März könne es einen Rabatt geben. Ganz auf dieser Linie ist der Haushalt für dieses Jahr auf 239 Milliarden Dollar großzügig ausgelegt. Dies soll die hohe Inflation im Land abfedern und den Machterhalt der amtierenden Regierung mit Präsident Erdogan an der Spitze sichern. Schließlich finden am 14. Mai die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt.

Der Südliche Gaskorridor diversifiziert

Nach einem Peak mit 85 Prozent im letzten Oktober schwächte sich die Inflationsrate jetzt auf 57,7 Prozent ab. Um Renten-, Lohnerhöhungen und Subventionen für Energie schultern zu können, setzt die Türkei ebenfalls auf einen Gashub in Thrakien. Die Idee dazu kam im letzten Herbst vom russischen Präsidenten Wladimir Putin. Für Erdogan ist das Anlass, die geographische Lage im Gashandel als Faustpfand für lukrative Einnahmen zu nutzen. Immerhin sei Ankara aus heutiger Sicht mit seinen Pipelines und LNG-Terminals bereits in der Lage, Gas aus 15 verschiedenen Ländern zu liefern, berichtete TRT Haber zum jüngsten Abkommen zwischen Bulgargaz und Botas zu LNG-Lieferungen von der türkischen Küste über das Festland nach Bulgarien im Januar.

Nicht nur die russische Schwarzmeergasleitung Turkish Stream, auch der Südliche Gaskorridor steht dabei im Zentrum, der Gas aus Aserbaidschan über die Türkei bis nach Süditalien transportiert. Dieser „wurde vor etwas mehr als zwei Jahren eröffnet, aber wir sprechen bereits heute über die Erweiterung der TANAP von 16 Milliarden auf 32 Milliarden Kubikmeter und die Erweiterung der TAP von 10 Milliarden auf 20 Milliarden Kubikmeter, erklärte Präsident Ilham Alijew 3. Februar in Baku auf dem Ministerratstreffen zum Südlichen Gaskorridor und für grüne Energie. Dies zeige den großen Bedarf an Diversifizierung, wofür Aserbaidschan bereit sei. „Der Export von Erdgas aus Aserbaidschan wächst.“ Im letzten Jahr habe er bei 22,6 Milliarden Kubikmeter Gas gelegen. In diesem Jahr sollen es 24,5 Milliarden Kubikmeter werden. Davon sind laut Aserbaidschans Energieminister Parviz Shahbazov 10 Milliarden Kubikmeter für die Türkei vorgesehen.

Nur mit dem Handel von Gas für Europa geht die Rechnung auf

Aserbaidschan ist für die Türkei ein wichtiger Handelspartner, um eigene Gaslieferungen zu diversifizieren. Zugleich gehen die Ausbaubemühungen am Südlichen Gaskorridor mit Europas Zielen konform, zumal Lieferungen in die Balkanregion, d.h. in Länder wie Ungarn, Bulgarien und Rumänien mit im Gespräch sind. Wie Ungarn betreibt die Türkei dabei ein Doppelspiel und preist russische Gaslieferungen ein. In Sachen Nato-Erweiterung zeigte sich der ungarische Außenminister Peter Szijjarto in einem Treffen mit dem türkischen Amtskollegen Mevlut Cavusoglu in Budapest verständnisvoll für die Ablehnung der Türkei gegenüber Schweden, nach dem dort im Januar ein rechtsextremer Aktivist einen Koran verbrannt hatte.

Sechs Oppositionsparteien wollen nun in einem Bündnis gegen Erdogan in den Wahlen antreten und für die wirtschaftliche Verbesserung im Land eintreten. Ob es ihnen gelingt, ist fraglich. Ähnlich schwierig dürfte es mit den ambitionierten Förderzielen von Gas sein. Doch die hohe Abhängigkeit von russischem Gas hat ihren Preis. Selbst wenn Zahlungsaufschub oder Preiszugeständnisse möglich sind, bleibt die Rechnung hoch. Das fehlt wiederum, um die Gasproduktion im Land nach vorn zu bringen. Ein lukrativer Handel mit Europa scheint da eine zwingende Option zu sein.



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2 Kommentare

  1. das wird die Türkei mit Herr jungen Bevölkerung sehr befördern. Für Deutschland bedeutet dies eine wachsende Konkurrenz.
    Für die Türken, die hier leben eine echte Zukunftsperspektive.

  2. Pingback: Aktuelles vom 6. Februar 2023 | das-bewegt-die-welt.de

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