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1 Dollar kostet mehr als 19 Lira Türkei: Zentralbank ohne erneute Zinssenkung

Die Zentralbank in Ankara hat den Leitzins heute nicht noch weiter abgesenkt. Hier ein Blick auf die aktuelle Problemlage.

Türkei-Fahne

Die Zentralbank hat heute entschieden den Leitzins der Türkei bei 8,5 % zu belassen. Zumindest nicht noch tiefere Zinsen, möchte man da sagen? Die türkische Lira notiert nämlich immer tiefer. Inzwischen muss man mehr als 19 Lira für 1 US-Dollar bezahlen. Vor einem Jahr waren es noch weniger als 15 Lira, vor zwei Jahren waren es 8,20 Lira. Im folgenden TradingView Chart sehen wir seit dem Jahr 2018 als blaue Linie den Verlauf im türkischen Leitzins, dazu in orange die Entwicklung der Inflation. Während die Inflation regelrecht explodierte von 20 % auf 85 %, wurde der Leitzins von Sommer 2021 bis Ende 2022 immer weiter abgesenkt von 19 % auf 8,5 %.

Leitzins in der Türkei bleibt erst mal stabil auf viel zu niedrigem Niveau

Auch wenn der Leitzins jetzt nicht weiter gesenkt wird, und auch wenn die Inflation zuletzt von 85 % auf 55 % gefallen ist: Die Diskrepanz ist immer noch gigantisch. Eigentlich müsste der Leitzins deutlich höher liegen, um diese viel zu hohe Inflation in der Türkei zu bekämpfen. Aber Präsident Erdogan bleibt bei seiner Linie, dass er möglichst niedrige Zinsen sehen will. Und durch zahlreiche von ihm durchgeführte Personalwechsel bei der Zentralbank in Ankara bleibt die Geldpolitik für die Türkei weiterhin äußerst locker.

Die Entscheidung stand laut Bloomberg im Einklang mit der Einschätzung der Zentralbank, dass sich der Leitzins auf einem „angemessenen“ Niveau befindet, nachdem er im Februar um einen halben Prozentpunkt gesenkt worden war. Das ist eine Ansicht, die die Zentralbank in ihrer heutigen Erklärung bekräftigte. In einer Bloomberg-Umfrage waren Ökonomen fast gleichmäßig darüber geteilt, ob die Zentralbanker heute eine Pause einlegen oder die Zinsen senken würden.

Vor der Wahl

Angesichts der bevorstehenden kritischen Wahlen im Mai hat die Zentralbank über weite Strecken dieses Jahres eine dovishe Haltung eingenommen, auch wenn das Preiswachstum weiterhin über 55 % pro Jahr liegt. Geleitet von der unkonventionellen Überzeugung, dass niedrigere Zinsen die Inflation in der Türkei senken können, hat sich Präsident Erdogan darauf konzentriert, die Wirtschaft mit billigen Krediten vor den Wahlen anzukurbeln. Die beiden Erdbeben haben das Kalkül der Zentralbank erschwert. Rekorddefizite in den öffentlichen Finanzen und in der Leistungsbilanz bedeuten, dass sie vorsichtig vorgehen muss, um die Wirtschaft mit geldpolitischen Impulsen zu unterstützen. Das Finanzministerium hat erklärt, dass die Erdbeben, bei denen mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen, einen wirtschaftlichen Schaden von schätzungsweise 104 Milliarden Dollar verursachen werden.

Die Dringlichkeit für Präsident Erdogan wird laut Bloomberg  immer größer, da sein Regierungsbündnis gegenüber der Opposition an Schwung zu verlieren droht. Im jüngsten Versuch, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, hat der türkische Staatsfonds seine Pläne für eine Kapitalspritze für staatliche Kreditinstitute verstärkt. Die bisherigen Bemühungen zeigen jedoch gemischte Ergebnisse. Da die türkische Lira unter Druck steht, hat die Zentralbank den Unternehmen den Zugang zu billigen Krediten erschwert, da sie befürchtet, dass die Unternehmen die Mittel zum Kauf von Devisen verwenden werden.

Lira bereits zu stark gefährdet für noch tiefere Zinsen

Der gewichtete durchschnittliche Zinssatz für Geschäftskredite in der Türkei stieg in diesem Monat auf 16,2 %, und verzeichnete damit den stärksten wöchentlichen Anstieg seit mehr als einem Jahr. Die Kosten für Verbraucherkredite lagen deutlich über 20 %. Für die Märkte bedeutet dies, dass die Lira wahrscheinlich bereits zu stark gefährdet war, um eine weitere Zinssenkung zu verkraften. Außerdem bleiben die internationalen Entscheidungsträger trotz einer plötzlichen Bankenkrise weiterhin zurückhaltend, was für die Türkei ein Risiko darstellt, da ihre offiziellen Kreditkosten inflationsbereinigt bereits zu den niedrigsten der Welt gehören.

Lira-Terminkontrakte zeigen, dass Händler nach der Wahl mit einem Rückgang der Lira rechnen, unabhängig davon, wer die Wahl gewinnt. Ohne auf höhere Zinsen zurückzugreifen, hat die Zentralbank versucht, die Währung stabil zu halten, zum Teil durch Interventionen durch die Hintertür und durch Maßnahmen, die von den Exporteuren verlangen, dass sie einen Teil ihrer Deviseneinnahmen abtreten.

Ein weiterer Grund für die Zentralbank, von einer geldpolitischen Lockerung abzusehen, ist, dass ihre Reserven zusätzlich unter Druck geraten sind, weil sie den Großteil des Leistungsbilanzdefizits der Türkei finanzieren muss, das im Januar einen Rekordwert von fast 10 Milliarden Dollar erreichte. „Der anhaltende Druck auf die Bruttoreserven seit Anfang des Jahres bei einer stabilen Lira bietet nicht viel Spielraum für akkommodierende Finanzbedingungen“, so die Wirtschaftsexperten von Morgan Stanley, darunter Alina Slyusarchuk, in einem Bericht.

FMW/Bloomberg



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