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US-Börsen: Handeln sie erneut eine imaginäre Zukunft?

Für die Akteure an den US-Börsen ist klar, dass mit den demnächst verfügbaren Impfstoffen die Covid-19-Krise bald überwunden und die Unternehmensgewinne im kommenden Jahr nach oben schießen werden. Doch wie berechtigt ist das Einpreisen dieses Zukunftsszenarios bereits im Herbst 2020?

Nicht alles für bare Münze nehmen, was an den US-Börsen eingepreist wird

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Prognosen und Kursziele der professionellen Analysten, die vor allem die Forcierung des eigenen Geschäfts zum Ziel haben, eher seltener als öfter eintreffen. Häufig geschieht sogar das Gegenteil dessen, was kursbeeinflussend behauptet wird. Wir alle erinnern uns noch an die von Larry Kudlow (Rep.), Steven Mnuchin (Rep.) und Präsident Trump höchstpersönlich in Sachen Sino-amerikanischem Handelskrieg verbreiteten Jubelmeldungen. Seit Inkrafttreten der gegenseitigen Strafzölle am 22. Januar 2018 (30 % auf Solarzellen und 20 % auf Waschmaschinen) kam kein tragfähiger bilateraler Handelsvertrag zustande. Stattdessen überziehen sich die USA und China mittlerweile mit Gesamtzöllen im Volumen von jährlich 187,5 Mrd. USD (Quelle: Statista | 150 Mrd. US$ USA, 37,5 China).

Darüber hinaus verbieten die Handelsrivalen gegenseitig das Listing einzelner Aktien des jeweils anderen Staates an den heimischen Börsen, bis hin zum Verbot des Angebots von Produkten und Dienstleistungen des Kontrahenten im eigenen Land.

Doch unzählige Male haben Algorithmen, Profiinvestoren und Privatanleger Hoffnungsmeldungen zum Anlass genommen, um ihr Geld in eine vermeintliche rosige Zukunft an den US-Börsen zu investieren. An dieser Stelle seien nur zwei Zahlen genannt, wie daneben die US-Börsen mit dem einpreisen von Illusionen statt realer Zukunft lagen: Als Trump 2016 mit dem Versprechen der Eindämmung des US-Handelsbilanzdefizits gewählt wurde, betrug dieses 799,14 Mrd. US$ p. a. (Quelle: WTO). Vier Jahre später wird allein dieses Defizit einen neuen historischen Rekord mit über 1 Billion US$ erreichen.

Der Außenhandelsüberschuss Chinas wird hingegen in diesem Jahr an den Rekord des Jahres 2015 heranreichen. Am vergangenen Wochenende hat China zudem die Gründung der größten Freihandelszone der Welt bekannt gegeben – ohne die USA und mit der Intention der verstärkten Unabhängigkeit vom Sino-amerikanischen Handelsgeschäft. Ja, Handelskriege kann man gewinnen: mit Weitsicht und Strategie. Aber nicht so, wie die US-Börsen sich die Zukunft dieser anhaltenden Auseinandersetzung vorgestellt hatten.

US-Börsen antizipierten die Richtung der Zinsentwicklung ebenfalls falsch

Ein weiteres signifikantes Fehlurteil unterlief den Marktteilnehmern an den US-Börsen bei der Entwicklung der US-Anleihemärkte.

Bei den Renditen für US-Schuldpapiere zeigt sich die angebliche Fähigkeit der Börsen, die Zukunft vorwegzunehmen am eindrucksvollsten: Noch vor Jahresfrist galten für die USA dynamisch steigende Zinsen im realen und nominalen Bereich als Konsens unter den angelsächsischen Analysten. Erst die Repo-Krise führte im Herbst 2019 langsam zu einem Umdenken. Was viele Marktteilnehmer an den US-Börsen bereits wieder vergessen zu scheinen haben, ist die außerordentliche Notzinssenkung der Fed am 17. September 2019 mit der Begründung des Notenbankchefs Jerome Powell: „Wegen der unsicheren wirtschaftlichen Entwicklung der Vereinigten Staaten kam es zu einer außerplanmäßigen Notzinssenkung der FED“. Und das noch Monate vor den negativen wirtschaftlichen Einflüssen durch COVID-19.

Trotz dieser Notzinssenkung notierten die nominalen Renditen (Jahreszinskupon vor Steuern) für zehnjährige US-Staatsanleihen am 18. September 2019 bei 1,77 Prozent. Heute gibt es bei gleicher Laufzeit und gut 30 Prozent höherer Staatsverschuldung mit 0,875 Prozent nur noch die Hälfte der Risikokompensation in Form des Nominalzinses (jährlicher Zinskupon). Der Realzins (Nominalzins-Teuerungsrate) lag vor Jahresfrist gar noch knapp im positiven Terrain und notierte für zehnjähriger US-Treasuries bei +0,18 Prozent. Aktuell ist der Realzins weit unter die Nulllinie gefallen auf -0,83 Prozent.

Das Hoffnungs-Déjà-vu

Was vor Jahresfrist die Handelskriegshoffnung war, ist heute die Impfstoffhoffnung. Nach Angaben der SEC (US-Börsenaufsicht) hat der Chairman und Chief Executive Officer (CEO) von Pfizer, Albert Bourla, just am Tag der Bekanntmachung der Fortschritte bei der Phase-3-Entwicklung des COVID-19-Impfstoffs am Montag, den 9. November, 132.508 eigene Aktien mit fadenscheinigen Begründungen zu einem Preis von 41,94 US$ zum Tageshöchstkurs mit einem Gesamtwert von 5,6 Millionen US$ am Markt verkauft. Seitdem fällt der Preis der Pfizer-Aktie signifikant. Der aktuelle Kurs liegt Stand 17. November, 15:52 Uhr MEZ bei nur noch 36,18 US$/Aktie. Auch deshalb, weil die Massen-Logistik und Massen-Lagerung des empfindlichen Serums sehr viel Vorbereitungszeit in Anspruch und nimmt und extrem teuer ist.

Das Vorgehen von CEO Bourla von Pfizer erinnert sehr stark an die Kommunikation des Moderna CEO Stéphane Bancel, der Mitte Oktober inmitten einer noch nicht abgeschlossenen klinischen Studie erhebliche Fortschritte bei der massentauglichen Impfstoffentwicklung medienwirksam verlautbaren ließ, nur um noch am gleichen Tag für sich und sein Unternehmen mehrere Millionen US-Dollar von Anlegern einzusammeln. Erst gestern folgte dann aus dem Hause Moderna die nächste Jubelmeldung, die sich aber nach genauerer Analyse als wenig spektakulär und damit wenig kursrelevant entpuppte.

Fiskalstimulus

Nach dem heutigen inoffiziellen Stand des Wahlergebnisses in den USA, dessen Ausgang ich selbst am Morgen nach der US-Wahl in einem Artikel falsch einschätzte, scheint die US-Politik bis zur Inauguration am 20. Januar, aber auf jeden Fall bis zur Stichwahl am 5. Januar 2021 um einen entscheidenden Mehrheitssitz im US-Senat, größtenteils blockiert zu sein.

Die republikanischen Senatoren haben nun im Kampf um diesen wichtigen Sitz im Senat ihre Präferenz zum Sparen wiederentdeckt und werden bis dahin kaum einem größeren Fiskalstimulus zustimmen. Derweil explodieren die COVID-19-Zahlen in den USA auf zuletzt 162.000 Neuinfektionen pro Tag unkontrolliert. Gleichzeitig laufen die Fiskal- und Hilfsprogramme sukzessive aus (CARES Act, Payroll Protection Programm, Main Street Lending Program,etc.).
Die heute für Oktober publizierten US-Einzelhandelsumsätze, die als wichtigste Unterkomponente des Dienstleistungssektors in den USA (47 Prozent des BIP) von essenzieller Bedeutung für die US-Ökonomie sind, waren dementsprechend schwach. Hier die nicht preisbereinigte Zeitreihe seit April 2020 bis Oktober 2020: -16,4 Prozent, +17,7 Prozent, +7,5 Prozent, +1,2 Prozent , +0,6 Prozent, +1,9 Prozent, +0,3 Prozent.

Fazit und Ausblick

Jenseits der Gewissheit, dass nahezu das gesamte globale Finanzsystem auf steigende Bewertungen angewiesen ist (Provisionen, Buchgewinne, Kapitalrenditen, Kreditsicherheiten, etc.) sind steigende Vermögenspreise an den US-Börsen nach dem Auslaufen der meisten Transfer- und Hilfsprogramme für viele Amerikaner die einzige verbliebene Vermögensquelle. Daher dürfen Verbindlichkeiten nicht ausfallen, da gleichzeitig Vermögenswerte in Billionenhöhe und damit die Grundlage des modernen Finanzkapitalismus zerstört werden würde.

Selbst Impfstoffe bieten, wie das Beispiel Russland zeigt, zeitnah keine Erleichterung. Auch die Mutation des Virus macht die Suche nach einem geeigneten und massentauglichen Impfstoff zu einer Sisyphus-Aufgabe. So schnell, wie die US-Börsen mit einem Wunderserum rechnen, dass die Unternehmensgewinne wieder explodieren lässt, wird dieser nicht massenhaft zur Verfügung stehen.

Im Januar 2020 findet erneut ein Arbeitstreffen zum Thema Global Currency Reset (Weltwährungsreform) statt. In Anbetracht der globalen Schuldensituation ist dies auch dringend notwendig. Allein die Tatsache, dass unter der Leitung des IWF an einer Weltwährungsreform inkl. Teil- bzw. Vollentwertung staatlicher und privater Verbindlichkeiten gearbeitet wird, konterkariert das rosarote Zukunftsszenario der US-Börsen mit kommender Konjunkturerholung inklusive explodierender Unternehmensgewinne.

Vielmehr gilt auch wegen der volkswirtschaftlich sehr destruktiven Covid-19-Seuche der Erhalt des Vermögens als oberste Anlegerpriorität ohne sinnlose kurzfristige Sektorenrotationen, Zukunftshoffnungen oder Glaubens-Investments. Die Zukunft wird eher in den Hinterzimmern des IWF, der Weltbank und der BIZ konzipiert.

Wie viele Akteure an den US-Börsen haben dieses Szenario wohl auf dem Schirm? Egal, wie man über die Eliten und deren operativ tätigen Bürokraten denkt, aber für die eigene Vermögensausrichtung sollte man sich durchaus an deren Zukunftsprojektionen orientieren, inklusive möglicher Lastenausgleichszahlungen oder Vermögensbesteuerung.

Daher empfiehlt sich gerade für mittelfristig orientierte Anleger das tägliche Grundrauschen in seiner Bedeutung zu relativieren und nicht jeden Mist aus Amerika für bare Münze zu nehmen.

Ja, es wird einen gewaltigen Stimulus auch für die US-Börsen geben – auch in Japan und Europa. Aber wohl erst bei den nächsten Notenbanksitzungen im Dezember. Die Bank of England ist mit 185 Mrd. zusätzlichen GBP Wertpapierkäufen bereits vorgeprescht. Die anderen werden folgen.

Die US-Börsen und die Impfstoffhoffnung



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13 Kommentare

  1. Stimmt China ist auf der Gewinner- und die USA auf der Verliererstrasse. Daran konnte auch Trump nichts ändern. Und die Jobs, die er seinen Gläubigen, vor allem die im Mittleren Westen, versprochen hat, sehen die ihr Leben lang nicht mehr. Nur muss man sagen, wenn dem wirklich so ist, wie geht es dann mit dem Land über dem großen Teich dann weiter. Man muss das Schlimmste befürchten, so wie das Land gespalten ist.

  2. Sie verwechseln hier zwei Tatbestände. Der CEO von Moderna hat mit einer wie wir heute wissen richtigen Meldung für die eigen Firma Geld eingesammelt. Der CEO von Pfizer hat genau gewusst, dass er nur als erster Melder einen persönlichen Gewinn rausschlagen kann. Das Mittel von Pfizer ist nur marktfähig wenn es keine anderen Mittel gibt wegen der Kühlkette. Mit der Meldung von Moderna ist das Mittel von Pfizer eigentlich Schrott. Der CEO hat aber seinen Gewinn gemacht.

  3. Mega-spannende Analyse!
    Vor allem im Hinblick auf die Zukunft (Weltwährungsreform, IWF-Treffen Davos etc.) gäbe es weiters viel zu berichten!
    Besonders, wie man sich als Anleger dann vor Enteignung/Zwangshypotheken u.a. schützen kann.
    Vielen Dank!

  4. Hallo Hr. Zipfel,
    bitte verlinken Sie ihre Artikel doch auch in der Community in ihrem YT Channel.
    Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit einer deflationären Entwicklung (defl. Depression) ein? Nur für den Fall dass die ZB´s nix (ok, war Scherz) oder zu wenig machen. Oder das der Saldo aus ZB´s pos. Stimulus vom Zusammenbruch der Kredite bei Unternehmen + Privaten konterkarriert wird. Dank & Gruß

  5. @Hannes Zipfel

    „… Selbst Impfstoffe bieten, wie das Beispiel Russland zeigt, zeitnah keine Erleichterung. Auch die Mutation des Virus macht die Suche nach einem geeigneten und massentauglichen Impfstoff zu einer Sisyphus-Aufgabe…“

    Von einem Impfstoff schließen Sie auf alle anderen? Ziemlich unreflektiert.
    Finanzjournalisten reden plötzlich über Mutationen, erklären uns hochkomplizierte medizinische Vorgänge, die sie irgendwo gelesen haben und offensichtlich nicht verstanden haben.
    Herr Zipfel, erklären Sie uns bitte mal den Vorgang und die Wirkungsweise einer mRNA Impfung. Aber fundiert, nicht von Dr. Google abgeschrieben.

  6. @COLUMBO: In der von Ihnen zitierten und kritisierten Text-Passage beziehe ich mich auf die Sekundäranalyse basierend auf folgendem ARD-Beitrag: https://www.mdr.de/brisant/nerz-farm-corona-virus-mutation-impfung-100.html

  7. @A.S.: Wir werden heute noch ein separates YT-Video produzieren und dieses Thema mit aufgreifen. Link zum YT-Kanal: https://www.youtube.com/channel/UCBRIiLTP7LFML7bQmPJW01g

  8. @Martin Schneider: Noch ist Moderna von einem massenmarkttauglichen Impfstoff weit entfernt. Dennoch hat der CEO mit der Hoffnung auf eine „kurzfristige“ Markteinführung und sehr ambitionierten Aussagen zur Wirksamkeit des Serums Anleger für eine Kapitalerhöhung und Investments am Sekundärmarkt geködert. Auf diese Tatsache wollte ich passend zum Thema des Artikels hinweisen.

  9. Werter Herr @Hannes Zipfel

    Dann erklären Sie bitte den Lesern, daß Sie sich auf die Nerzfarmen in Dänemark beziehen. Das ist ein spezieller Fall und kann nicht verallgemeinert werden. Daß Viren mutieren können, ist nichts Neues, heißt aber noch lange nicht, daß Impfstoffe nicht funktionieren. Mutation heißt auch nicht unbedingt, daß das Virus gefährlicher wird, auch das Gegenteil ist möglich.
    Warum schreiben Sie vom ARD ab, anstatt sich mittels medizinischer Literatur oder bei Fachleuten kundig zu machen? Ist allerdings aufwändiger und schwieriger, aber es macht seriöse Journalistenarbeit aus.

  10. Es ist schon erstaunlich, welche Beurteilungsfähigkeit sich hier Laien bezüglich der Impfstoffentwicklung zuschreiben. Wir haben in Deutschland über 400.000 Ärzte, von denen die allermeisten keine Ahnung von den Interna in dieser Materie haben und dies auch zugeben. Selbst Dr. Drosten und Co verweisen in Fragen auf die Spezialisten. Man kann auch den fast 80-jährigen Dr. Fauci ignorieren, einen Immunologen, der schon seit Ronald Reagan alle Präsidenten in Virenfragen beraten hat und der sehr zuversichtlich ist. Was haben wir für eine Ansammlung von Wissen auf diesem Gebiet hier.

  11. @Columbo-Fan

    Seit ich sehe, wieviel Unsinn bei Medizinthemen geschrieben wird, werde ich zunehmend mißtrauisch, wieviel Unsinn mir möglicherweise bei Finanzthemen aufgetischt wird. Von letzteren verstehe ich nämlich nicht allzuviel.

  12. Es ist störend, dass sich die Columbiner ( Columbo + Fan) als einzig Wissende gegen den ganzen Rest den
    Impfstoff in kurzer Frist proklamieren.Leider erinnere ich mich, dass seine Ansichten bei Ausbruch der Pandemie sehr unzutreffend waren und anscheinend erst nach Fällen in der näheren Umgebung revidiert wurden. Zuerst schöngeredet, dann meinte man sämtliche Impfrisiken in Kauf zu nehmen wegen des selbst erlebten Unheils.Die rechthaberischen Kommentare über eine Sache ,DIE NOCH NIEMAND GENAU ABSCHÄTZEN KANN, sind inflationär und überflüssig.

  13. @Impfgegner

    Richtig, GENAU abschätzen kann das niemand, denn Schätzungen sind per Definition UNGENAU!
    Es geht immer nur um Wahrscheinlichkeiten.

    Es scheint derzeit drei große „Wahrheiten“ zu geben:
    1-Die US-Wahl wurde gefälscht.
    2- Mund/Nasenschutz ist sinnlos.
    3-Impfstoffe gegen Covid sind lebensgefährlich.
    1 kann ich nicht beurteilen.
    2 und 3 haben laut derzeitiger Datenlage eine geringe Wahrscheinlichkeit.

    @Impfgegner, wenn Sie eine bessere Idee haben, wie man dem Virus Herr werden könnte, dann bitte, bitte heraus damit!

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