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Verpfändung zukünftiger Steuereinnahmen: Die totale Anleihe-Perversion der Pleitestadt Chicago

Wer pleite oder de facto pleite ist, wird unendlich kreativ, wenn es darum geht trotzdem liquide zu bleiben. So auch die drittgrößte Stadt der USA Chicago und der sie umschließende Bundesstaat Illinois. Der hat nämlich unlängst ein Gesetz verabschiedet, dass es Kommunen in Illinois erlaubt...

FMW-Redaktion

Wer pleite oder de facto pleite ist, wird unendlich kreativ, wenn es darum geht trotzdem liquide zu bleiben. So auch die drittgrößte Stadt der USA Chicago und der sie umschließende Bundesstaat Illinois. Der hat nämlich unlängst ein Gesetz verabschiedet, dass es Kommunen in Illinois erlaubt Schuldtitel zu verkaufen, die mit zukünftigen Steuereinnahmen besichert sind. Diese zukünftigen Steueransprüche beziehen sich auf Steuereinnahmen des Bundesstaat Illinois, die wie bisher üblich teilweise an die Kommunen wie die Stadt Chicago weitergeleitet werden.

Geht Chicago nun eines Tages endgültig pleite, würden Anleiheinhaber unmittelbar Zugriff auf diese Steueransprüche der Stadt Chicago haben. Und so geschieht es nun in der Realität. Die Stadt Chicago wie auch der Bundesstaat Illinois sind de facto völlig pleite, überschuldet, am Ende, so richtig im Eimer! Jeder weiß es, niemand macht ein Geheimnis daraus. Die Bevölkerungszahl in Chicago sinkt derzeit deutlich, die Leute machen sich aus dem Staub, die Kriminalitätsrate explodiert.

Illinois hat in seiner Pensionskasse eine Deckungslücke von 130 Milliarden Dollar. Aktuelle Rechnungen können nicht sofort bezahlt werden. Beobachter der Kreditmärkte in den USA sprechen davon, dass Chicago und Illinois an einem Punkt der Überschuldung und des Defizits angekommen sind, wo der totale finanzielle Kollaps nicht mehr abzuwenden, sondern nur noch eine Frage der Zeit ist.

Daher ist die Frage: Wer gibt ihnen noch Geld, und zu welchen Konditionen? Um überhaupt noch neues Geld zu bekommen, und das noch zu akzeptablen Zinsen, wendet man sich an wen? Richtig, an Goldman Sachs. Und so ersann man mit der Stadt Chicago die Idee eine Art Sondervehikel zu bauen. Die Stadt gründete daher vor kurzem die Sales Tax Securitization Corp (kein Witz). Allein schon der Name klingt pervers. Eine Firma, die zukünftige Steuereinnahmen verbriefen soll.

Man plant aktuell 3 Milliarden Dollar über dieses Vehikel für die Stadt Chicago einzuwerben. Am heutigen 6. Dezember sollen in einem ersten Schritt 575 Millionen Dollar eingeworben werden. Und siehe da, Fitch Ratings hat diese Anleihe mit einem AAA-Rating versehen. Wunderbar, alles in Ordnung!? Denn warum auch nicht. Wenn die Gläubiger dieser Anleihe ganz vorne in der Schlange stehen, wenn zukünftige Steuereinnahmen verteilt werden, erhalten sie ihr Geld ja immer zurück, stimmts?

Das ist so eine Sache. Wenn die Stadt nun wirklich am Ende ist, und ihr niemand mehr Geld leiht, geht sie in die Insolvenz. Aber es kommen ja fortlaufend neue Steuern rein, mit der Lehrer, Ärzte, Polizisten, Pensionäre uvm bezahlt werden müssen. Wird die Stadt Chicago dann in der Realität sagen: Ach, dann verhungert doch alle, wir müssen zuerst die Anleihegläubiger dieser Steuerverbriefung befriedigen? Das ist der Knackpunkt. In so einem krassen Notfall könnten sich die Stadtväter einfach über diese Anleihebedingung hinwegsetzen. Wer sollte sie daran hindern? Müssten dann FBI-Agenten die Stadtväter dazu zwingen den Gläubigern ihr Geld zu überweisen? Vor diesen Szenario warnen auch Beobachter der Kreditszene in den USA. Im Fall der Fälle, würden die Gläubiger dieser Anleihe in der Realität wirklich als erste Geld erhalten, noch bevor man Lehrern und Polizisten ihr Gehalt zahlt?

Andere US-Bundesstaaten haben unlängst ähnliche Gesetze erlassen wie Illinois. Chicago gilt als großer Testfall, ob die Märkte diese Art von Anleihen annehmen. Wenn ja, dürften andere Pleite-Regionen in den USA auch anfangen munter und fröhlich zukünftige Steuereinnahmen vorrangig an Anleihegläubiger zu verpfänden.


Skyline of Chicago. Photo: Allen McGregor – https://www.flickr.com/photos/allenmcgregor/7721314076 / Wikipedia (CC BY 2.0)



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9 Kommentare

  1. Die Kämmerer vieler deutscher Städte und Gemeinden werden das sicherlich aufmerksam studieren und schon mal eine Blaupause in die Schublade legen.

  2. …“Fitch Ratings hat diese Anleihe mit einem AAA-Rating versehen. Wunderbar, alles in Ordnung!? “

    Da faellt mir ja gleich LEHMANN BROTHERS ein!!!
    Keine Angst….Es dauert nicht mehr lange

  3. Interessanter Beitrag, das sind die ultimativen Auswüchse neoliberaler Wirtschaftspolitik. Die Menschen zahlen Steuern nicht mehr an den Staat, sondern direkt an private Gläubiger.

  4. Kreative Finanzpolitik, aber nicht konsequent. Einfach um die Anleihenpakete ein schönes Schleifchen machen und weltweit an Rentner und größenwahnsinnige Bankenchefs verticken. Landesbanken werden gerne genommen und auch die DB wird kein Fettnäpfchen auslassen, wenn man ein bischen zocken kann.

  5. Passt genau in die Anlagekategorie als die Goldmänner durch Tricks die Griechenland-Verschuldung verschleierten um den EU -Beitritt zu ermöglichen.Nach meinen Informationen haben sie beim Kollaps von Griechenland kräftig mitgeshortet.
    Früher waren es Taxifahrer u.Hausfrauen die einen Crash ankündigten, ich glaube heute sind es die Perversitäten der Finanzbranche mit Kunstwährungen u.Schrottanleihen
    die das Spielcasinos einbrechen lassen.

    1. Die heutigen Hausfrauen schwingen sich mittlerweile elegant um eine Eisenstange.

  6. Das Spielchen lässt sich beliebig fortsetzen. Als nächstes werden öffentliche Gebäude, Einrichtungen, Schwimmbäder, Parks….. verpfändet.So kann das noch lange gehen.

  7. chicago seit über 100 jahren in den händen der demokraten. nice

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