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Volkswagen befindet sich auf Berg- und Talfahrt – oder?

Volkswagen Symbolfoto

Zum Beginn des Novembers kamen die Meldungen Schlag auf Schlag, die mittel- oder unmittelbar den deutschen Autobauer Volkswagen betrafen. Fast alles davon lässt den Leser positiv gestimmt zurück (jüngst auch tolle Quartalszahlen). Grund genug für den kritischen Beobachter, einen neugierigen Blick in die Materie zu werfen.

Die Lage bei und Volkswagen und den anderen Herstellern

Der Automarkt im Inland ist im Oktober gegen den Trend gewachsen, und das mit 12,7 Prozent nicht unbeträchtlich. Diese Angabe ist herstellerübergreifend, und beinhaltet mit 7% Wachstum auch private Käufer. Damit lässt sich ausschließen, dass Autohäuser sich kurzfristig mit Kommissions-PKW eingedeckt haben, um die Zahlen zu pushen. Die US-Regierung hat Pläne vorübergehend auf Eis gelegt, auf europäische Autoimporte Strafzölle zu verhängen. Dies erzeugt großes Aufatmen, wird aber mittelfristig nicht ohne Folgen bleiben, da die unausgesprochene Forderung dabei immer im Raum steht, Teileproduktion und Endmontage in die USA zu verlegen, um dort Arbeitsplätze zu schaffen.

Prompt sehen die Kollegen bei N-TV die Autowerte an der Frankfurter Börse im Aufwind. Und nicht nur das: Der Kurs von Volkswagen-Vorzugsaktien hat eine Talsohle durchschritten und befindet sich auf Kurs nach oben. N-TV geht sogar so weit, den Kauf von Capped-Bonus-Zertifikaten auf Volkswagen-Aktien anzuregen, auch wenn Sie dies nicht als Empfehlung verstanden wissen wollen. Knapp zehn Prozent Bruttoertrag haben die Spezialisten als machbar innerhalb 14 Monaten errechnet.

Der Dieselskandal scheint vergessen

Bei der Manipulation von Motorsteuergeräten, um die Messwerte auf dem Prüfstand zu verfälschen, und so die staatlichen Prüfer zu täuschen, war der Volkswagen-Konzern federführend. Teure Pflicht-Umbaumaßnahmen, hohe Strafen, Imageverlust und ein länderübergreifendes Infragestellen der Diesel-Technologie waren die Folge. Auf diesem Nährboden wuchsen auch die Forderungen nach Fahrverboten für Diesel-KFZ. Manch einer hat die Autobranche im Allgemeinen, und Volkswagen im Speziellen schon am Rande des Ruins gewähnt.

Doch nicht also. Der Absatz läuft weiterhin gut. Entweder haben die Käufer den Skandal schon vergessen, oder er hat sie nie interessiert. Vielleicht sieht der eine oder andere Volkswagen sogar als Freiheitskämpfer, der mit den Manipulationen auf arbeitsplatzvernichtende Regulierungswut der Bundesbehörden reagiert hat. Schließlich ist die deutsche Bevölkerung – siehe gewaltsame Proteste beim G20-Gipfel, die anhaltende Popularität von geschichtlich fragwürdigen Persönlichkeiten wie Che Guevara, oder die Freitags-Schulschwänzerbewegung – durchaus bereit, bei der Gesetzeskonformität ein Auge zuzudrücken, wenn es der guten Sache dient.

Die spezielle Situation für VW dank Elektro-Mobilität

In der ersten Novemberwoche hat VW mit der Produktion des ID.3 begonnen, des ersten reinen Großserien-Elektroautos. Mit großem Bahnhof inklusive Vorstandschef Herbert Diess und Kanzlerin Angela Merkel war der Medienrummel garantiert. Passend dazu ließ die Regierung verkünden, dass Subventionen in Form von Kaufprämien für E-Autos angehoben werden sollen.

Diess und Merkel können sich angesichts dieser Entwicklungen leicht in die Kamera stellen und verkünden, es sei keine Frage mehr, ob sich das Elektroauto durchsetzt, sondern wie schnell und in welcher Region der Welt zuerst. Wie sagt der Volksmund: Mit vollen Hosen ist gut stinken. Die Sache hat allerdings noch einen großen Haken – und angesichts der geplanten Produktion nur von 100.000 Einheiten pro Jahr darf angenommen werden, dass Volkswagen dies weiß. Zum Vergleich: nur das Modell Golf wird nur in Deutschland weit mehr als doppelt so oft verkauft.

Das grundlegende Problem für E-Autos

Der elektrische Strom für E-Autos ist nicht unbeträchtlich. Wenn ein Tesla Model 3 an die Ladestation fährt, dann verleibt er sich Strom ein, mit dem ein haushaltsüblicher Backofen fast 24 Stunden mit offener Klappe auf heißester Stufe betrieben werden könnte – und dies jedoch in nur einer Stunde.

Ein vergleichbarer Audi A5 benötigt für den Tankvorgang etwa drei Minuten – kommt damit aber doppelt so weit. Unter Beiseitelassen aller Vorgänge wie Anfahrt an die Zapf-/Ladesäule, anschließen des Zapfmechanismus und des Bezahlvorgangs müssen also 40 elektrische Ladesäulen aufgestellt werden, um eine herkömmliche Zapfsäule zu ersetzen. Dies gilt übrigens nur bei der derzeit modernsten Technologie, der „Supercharger“-Säulen für Tesla – alle anderen E-Mobile laden noch wesentlich langsamer.

Mit allen peripheren Anlagen wie Verkaufsräumen, Toiletten, Waschanlage oder Parkplätzen kann eine große Tankstelle mit 20 PKW- und 15 LKW-Säulen schon einmal 8.000 Quadratmeter groß werden. Das sind ein bis zwei Fußballfelder. Etwa 14.500 Tankstellen existieren in Deutschland – die meisten davon natürlich deutlich kleiner. Aber egal, wie man es rechnet: die volle E-Mobilität würde die Fläche von etwa 40.000 Fußballplätzen erfordern. Sollen wir schon einmal beginnen, den Thüringer Wald abzuholzen, um Platz zu schaffen?

Ein Supercharger zieht 60 Kilowatt aus dem Stromnetz. So viel Strom verbrauchen etwa 200 Haushalte (Wohnung mit 2 Personen) in der gleichen Zeit, gerechnet am Durchschnittsverbrauch eines 2-Personen-Haushalts von 2.000 KWh im Jahr. Davon 40 Stück, die eine Diesel-Zapfsäule ersetzen? Schnell wird deutlich, dass sowohl die E-Werke, als auch die Stromleitungen dafür noch gar nicht existieren, ganz zu schweigen von den Kraftwerken, die diese Menge auch erst einmal produzieren müssen.

Wir sehen also: der Weg ist weit, den wir gehen müssen, um die totale E-Mobilität zu erreichen. Die Hausaufgaben, die dafür zu erledigen sind, fallen aber nicht mehr in die Amtszeit von Frau Merkel, und wahrscheinlich auch nicht in die aktive Vorstandstätigkeit von Herrn Diess. Mag sein, dass Volkswagen und deren Aktienkurs noch einige Zeit im Aufwind sein werden. Die Zukunftsaussichten stellen sich mir aber eher als Blase dar. Ich sehe daher keinen Anlass, mich jetzt mit Capped-Bonus-Zertifikaten von VW einzudecken.



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