Die europäischen Aktienmärkte haben sich in diesem Jahr deutlich besser entwickelt als ihre amerikanischen Pendants. Das beste Beispiel ist der DAX, der seit Jahresbeginn fast 20 Prozent zugelegt hat, während der S&P 500 lediglich auf 1,5 Prozent kommt. Der breit gefasste Stoxx 600 könnte den US-Leitindex auf Jahressicht sogar um rekordverdächtige 25 Prozent übertreffen. Laut den Wall-Street-Strategen von JPMorgan und Citi dürfte die Outperformance europäischer Aktien noch länger anhalten.
Europäische Aktien outperformen US-Werte
JPMorgan und Citi sehen europäische Aktien in diesem Jahr so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr im Vergleich zu US-amerikanischen Aktien. Einige Strategen der Wall Street setzen darauf, dass europäische Aktien aufgrund der sich verbessernden Konjunkturaussichten für die Region die beste Performance seit mindestens zwei Jahrzehnten gegenüber den USA erzielen werden.
Laut einer Umfrage von Bloomberg unter 20 Strategen dürfte der marktbreite Stoxx Europe 600 Index zum Jahresende bei rund 554 Punkten schließen. Das würde einen Anstieg von etwa einem Prozent gegenüber dem Schlusskurs vom Freitag bedeuten.
JPMorgan hat mit 580 Punkten eines der höchsten Ziele in der Umfrage, während die Citigroup einen Anstieg um 4 % auf 570 Punkte prognostiziert. Die Analysten haben ihren Pessimismus hinsichtlich der Unternehmensgewinne etwas zurückgenommen. Im Gegensatz dazu erwarten beide Banken, dass die US-Aktienmärkte im weiteren Jahresverlauf nachgeben werden.
Die Differenz zwischen den Zielen von JPMorgan für Europa und die USA deutet darauf hin, dass der Stoxx 600 den S&P-500-Index im Jahr 2025 um satte 25 Prozentpunkte übertreffen wird. Dies wäre der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen, während die Prognosen von Citi die besten seit 2005 wären.
„Wenn wir die Phase der höchsten Unsicherheit hinsichtlich der Unternehmensgewinne bereits hinter uns haben, könnte dies die Voraussetzungen für weitere Kursanstiege und eine mögliche Neubewertung der Kurs-Gewinn-Verhältnisse schaffen, insbesondere in den stärker gebeutelten zyklischen Sektoren”, sagte Citigroup-Strategin Beata Manthey über europäische Aktien.
Alternative zu US-Aktienmärkten
Dieser optimistische Ausblick für europäische Aktien stellt eine Kehrtwende gegenüber den Erwartungen zu Jahresbeginn dar. Damals gingen die Wall-Street-Strategen noch davon aus, dass europäische Aktien deutlich hinter den US-amerikanischen zurückbleiben würden. Doch der Referenzindex hat sich erholt: Die historische Steuerreform in Deutschland und robuste Gewinne zogen Anleger an, die nach einer Alternative zu den US-Aktienmärkten suchten, die von Trumps angezettelten Handelskrieg in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Eine Umfrage der Bank of America Corp., die vor einer Woche veröffentlicht wurde, ergab, dass netto 35 % der globalen Fondsmanager europäische Aktien nun übergewichten, während das Nettoengagement in den USA auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren gesunken ist.
Die Unternehmen des MSCI Europe verzeichneten im ersten Quartal einen Gewinnanstieg von 5,3 % und übertrafen damit die Erwartungen der Analysten, die von einem Rückgang um 1,5 % ausgegangen waren. Ein Index der Citigroup zeigt ebenfalls, dass in den letzten Wochen weniger Analysten ihre Prognosen für Europa nach unten korrigiert haben.
In den USA sind die Strategen weit weniger optimistisch, was die Marktaussichten angeht. Eine separate Umfrage von Bloomberg ergab, dass Prognostiker davon ausgehen, dass der S&P 500 zum Jahresende bei durchschnittlich 6.001 Punkten liegen wird, was in etwa dem Schlusskurs vom Freitag entspricht.
Bewertungen steigen
Zugegebenermaßen hat der diesjährige Anstieg des STOXX 600 um 8,3 % Bedenken hinsichtlich der Bewertungen aufkommen lassen. Der Referenzindex wird derzeit mit dem 14,6-fachen des Gewinns gehandelt und liegt damit über dem 20-Jahres-Durchschnitt von 13,5, wie aus Daten von Bloomberg hervorgeht. Das ist jedoch immer noch niedriger als das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 von fast 22.
Sharon Bell, Strategin bei Goldman Sachs, geht davon aus, dass Anleger angesichts der relativ niedrigen Bewertungen und der hohen Konzentration in den USA weiterhin in die Region umschichten werden. „Wir stellen außerdem fest, dass die Inflation in Europa in diesem Jahr weiter zurückgehen dürfte und dass ein enger Zusammenhang zwischen niedrigerer Inflation und höheren durchschnittlichen Bewertungen besteht“, schrieb sie kürzlich in einer Mitteilung.
Unsicherheit über Zölle
Laut einer Umfrage von Bloomberg erwarten nur sechs Unternehmen – Bank of America, Deka Bank, ING, Panmure Liberum, Société Générale SA und TFS Derivatives – einen Rückgang des Stoxx 600 um mehr als 2 % gegenüber dem Freitagsschlusskurs.
Roland Kaloyan, Stratege bei SocGen, sagte, er müsse erst stärkere Gewinnentwicklungen sowie eine weitere Verringerung der mit den Zöllen verbundenen Risiken sehen, um auf eine Erholung des Stoxx 600 zu setzen. Sein Jahresendziel von 530 impliziert einen Rückgang von 3,5 %.
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„Die Unsicherheit im Zusammenhang mit den Zöllen erschwert die Aussichten zusätzlich, da viele Unternehmen zögern, klare Prognosen abzugeben. Dies deutet darauf hin, dass die vollen Auswirkungen dieser Zölle möglicherweise noch nicht in den Gewinnprognosen berücksichtigt sind“, so Kaloyan.
Gerry Fowler, Stratege bei der UBS Group AG, erklärte, dass die Bewertungen angesichts der Prognosen für ein stärkeres Wirtschaftswachstum in den nächsten zwei Jahren wie erwartet gestiegen seien. „Für weitere Gewinne müssen wir eine Phase der Unsicherheit überwinden, die das EPS-Wachstum in diesem Jahr wahrscheinlich bei null oder leicht darunter halten wird.“
FMW/Bloomberg
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