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Warum der Mehrwertsteuer-Effekt auf die Inflationsrate überschätzt wird

Brennender Geldschein als Symbol für Inflation

Die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel war bis vor Kurzem fest davon überzeugt, dass die überschießende Inflation auf Sondereffekte zurückzuführen ist. Ein Haupttreiber für die Preise sei das Auslaufen der temporären Mehrwertsteuersenkung (Mehrwertsteuer-Effekt) zum 1. Januar 2021 gewesen. Ab Januar kommenden Jahres soll sich die Inflationsrate wieder „normalisieren“. Stimmt das?

Mehrwertsteuer-Effekt auf die Inflationsrate

Um die Wirtschaft hierzulande von den Belastungen durch die Pandemie-Restriktionen etwas zu entlasten, wurde ab 1. Juli 2020 in Deutschland die Umsatzsteuer für ein halbes Jahr gesenkt. Der Regelsteuersatz reduzierte sich bis Ende 2020 von 19 auf 16 Prozent und der ermäßigte Steuersatz von 7 auf 5 Prozent. Tatsächlich sank der Verbraucherpreisindex (VPI) daraufhin von 106,6 Punkten im Juni 2020 auf 106,1 Punkte im Juli 2020. Das entsprach einem Rückgang um 0,47 Prozent. Gegenüber dem Vorjahr sank der VPI im Monat der Umsatzsteuersenkung um 0,1 Prozent. Insgesamt ging der VPI von Juni bis Dezember 2020 von 106,6 Punkten auf 105,5 Punkte zurück, also um 0,94 Prozent. Begünstigt wurde der allgemeine Preisrückgang im 2. Halbjahr 2020 durch deutlich sinkende Nahrungsmittelpreise (-2,8 Prozent) und stabile Preise für Kraftstoffe und Heizöl (+1,0 Prozent). Ab Januar 2021 zündete der Preisindex dann den Turbo und stieg bis November 2021 auf 110,5 Punkte oder um 4,7 Prozent an.

Verbraucherpreisindex Grafik

Inflationsdynamik im Jahr 2021

Zu Beginn dieses Jahres lief die temporäre Umsatzsteuersenkung aus. Das hatte natürlich auch Auswirkungen auf das allgemeine Preisniveau. Ein Blick auf die deutsche Inflationsdynamik in diesem Jahr zeigt gleichwohl über den Mehrwertsteuer-Effekt hinaus eine permanente Zunahme der Inflationsrate: Die Verbraucherpreise legten im Januar um lediglich 1,1 Prozent auf Jahresbasis zu, die Einzelhandelspreise um 1,0 Prozent. Im Juli machte sich dann bei einem Plus von 3,4 Prozent bei den Verbraucherpreisen und 4,5 Prozent bei den Einzelhandelspreisen der Sondereffekt durch die Umsatzsteueranhebung deutlich bemerkbar.

Die Inflationsrate kletterte anschließend weiter: bis November 2021 auf 5,2 Prozent bei den Verbraucherpreisen und 5,9 Prozent bei den Einzelhandelspreisen. Für den Dezember erwartet die Deutsche Bundesbank (BuBa) sogar knapp 6 Prozent Anstieg für den Verbraucherpreisindex. Zu dem Preisauftrieb wesentlich beigetragen haben in diesem Jahr neben Energie und Nahrungsmitteln u. a. auch Gebühren (11,7 %), Personenbeförderung (7,4 %), Möbel (6,5 %) und Handwerksdienstleistungen (5,8 %). Die Inflationsentwicklung zeigt 2021 eine Dynamik, die unabhängig vom Mehrwertsteuer-Effekt weit über die früherer Konjunkturzyklen hinausgeht.

Veränderung der Inflationsrate zum Vorjahr

Diese Dynamik ist zum einen ein Krisensymptom, ausgelöst durch die pandemiebedingten Verwerfungen in der Weltwirtschaft und zum anderen das Ergebnis politisch initialisierter Teuerung, v. a. bei fossilen Energieträgern. Dazu kommt noch der De-Globalisierungstrend und der Mangel an Fachkräften.

Mehr als nur ein Sondereffekt

Die Hoffnung, dass sich durch den Wegfall des Mehrwertsteuer-Effekts die Inflationsrate im kommenden Jahr wieder normalisiert, wurde mittlerweile auch von der deutschen EZB-Direktorin Isabel Schnabel aufgegeben. Ihr plötzlicher Sinneswandel hat mehrere Ursachen: Getrieben von der US-Notenbank Fed muss die EZB in Sachen Drosselung der Geldschöpfung mitziehen und ebenfalls Zinserhöhungen ins Schaufenster stellen. Andernfalls droht dem Euro eine Abwertungsspirale gegenüber dem US-Dollar. Das wiederum brächte eine nicht zu unterschätzende Importpreisinflation mit sich. Diesen Effekt kann man momentan in extremer Ausprägung in der Türkei beobachten. Daher muss Frau Schnabel nun plötzlich die Inflationsrisiken betonen. Sonst wäre eine geldpolitische Wende der EZB, zumindest verbal, nicht plausibel.

Ab Januar 2022 kommt es außerdem in Deutschland durch die nächste Stufe der CO2-Steueranhebung zu einem weiteren Inflations-Sondereffekt: eine massive administrative Teuerung bei fossilen Energieträgern. Der Liter Super-Benzin (95 Oktan) wird z. B. in der Neujahrsnacht um ca. 10 Cent teurer. Generell wird der Jahreswechsel genutzt werden, um Preise in vielen Bereichen anzuheben. Besonders Mieten, Mietnebenkosten sowie Löhne und Gehälter könnten dann ab der 2. Jahreshälfte 2022 sogar für Inflationsraten wie zum Ende dieses Jahres sorgen.

Glaubt man den Politikern und Experten, werden die pandemiebedingten Einschränkungen auch im Jahr 2022 teilweise bestehen bleiben. Damit wird sich der Stress bei den Lieferketten fortsetzen. Vor allem ausgehend von China, wo eine Null-Toleranz-Politik in Sachen SARS-CoV-2 immer wieder zu Fabrik- und Hafenschließungen führt. Materialknappheit, Lieferverzögerungen und Logistikengpässe sind schon jetzt ein wesentlicher Preistreiber. Auch dieser Sondereffekt verschwindet nicht mit dem Jahreswechsel. Die Energiewende in Deutschland ist ein weiterer Effekt, der die Preisinflation nachhaltig beeinflusst. Neben den teurer werdenden CO2-Zertifikaten stiegen die Strom- und Gaspreise zuletzt auf neue Rekordstände an.

Durch eine Kettenreaktion entwickelt eine sich beschleunigende Inflation quasi kinetische Energie, wie eine Seifenkiste, die bergab an Geschwindigkeit gewinnt. Einmal in Fahrt, ist sie schwer wieder aufzuhalten. Gestiegene Kosten werden entlang der Wertschöpfungskette von den betroffenen Unternehmen weitergegeben. Durch höhere Lohnforderungen zum Ausgleich für die gestiegenen Lebenshaltungskosten droht ein Teufelskreis. Zwar ist die von den Notenbanken gefürchtete Preis-Lohn-Preis-Spirale in Deutschland noch nicht wirklich in Gang gekommen, doch der Ampel-Koalitionsvertrag sieht für 2022 eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro vor. Das sind im Vergleich zu dem ab Januar 2022 geltenden Mindestlohn in Höhe von 9,82 EUR noch mal 22,2 Prozent mehr. In vielen Betrieben werden all diejenigen, die bereits jetzt um die 12 Euro brutto pro Stunde verdienen, aber höher qualifiziert sind, auf eine Beibehaltung des Lohnabstands pochen und ebenfalls mehr Geld verlangen. Dann beschränkt sich der Mindestlohneffekt nicht mehr nur auf die knapp 2 Mio. Beschäftigte, die ihn erhalten. Ganz abgesehen davon, dass die stark gestiegene Inflation schon jetzt Druck auf die Tarifverhandlungen ausübt.

Ausblick auf 2022

In Anbetracht der Vielzahl an Inflationstreibern wird sich der Teuerungstrend in 2022 wahrscheinlich nicht umkehren. Natürlich spielen die hochvolatilen Energiepreise eine wesentliche Rolle. Auffällig ist aber, dass die Preise in der Breite des gesamten statistischen Warenkorbes dynamisch ansteigen – auch in der Kernrate ohne Energie und Nahrungsmittel. Bedingt durch den Wegfall des Mehrwertsteuer-Effekts kann die Inflationsrate im Januar durchaus auf 3 Prozent p. a. fallen. Das bedeutet aber nicht, dass der Verbraucherpreisindex (VPI) dann sinkt. Lediglich die statistische Bezugsgröße aus dem Vorjahr erhöht sich. Die Inflationsrate wird wohl deutlich über dem früheren Inflationsziel der EZB in Höhe von 2 Prozent verharren.

Im Falle eines Konjunktureinbruchs, ausgelöst durch „Fehler“ bei der Geldpolitik, kann es auch zu einem temporären Einbruch der Preise kommen. Diese breite Prognosespanne zwischen Inflation und Deflation ist der Tatsache geschuldet, dass die Zentral- und Notenbanken mittlerweile quasi im Alleingang das Wohl und Wehe der Weltwirtschaft und der Finanzmärkte bestimmen. Das fragile Gleichgewicht zwischen Boom und Bust scheint den Notenbanken durch den Corona-Schock entglitten zu sein. Ihre ultralaxe Geldpolitik ist die eigentliche Hauptursache der aktuell hohen Preisinflation. Es wird eine „Mission Impossible“ für die Geldpolitik, die Kontrolle über die Preise, die Konjunktur und die Finanzmärkte im kommenden Jahr zurückzuerlangen.

Da Notenbanken in einem Fiat-Geld-System Deflation sehr effektiv durch das digitale Schöpfen neuen Geldes bekämpfen können, ist das Szenario anhaltender Preisrückgänge allerdings vernachlässigbar. Das große Risiko ist und bleibt eine außer Kontrolle geratene Preisinflation, gegen die „moderne“ Geldpolitik machtlos ist. Denn die Folgen ernsthafter Inflationsbekämpfung, wie sie Anfang der 1980er Jahre noch möglich war, wären für die aufgeblähten Finanzmärkte und überschuldete Volkswirtschaften von Europa über Nordamerika bis China heute nicht mehr auszuhalten.



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5 Kommentare

  1. Ich würde mich sehr wundern, wenn die Inflationsrate im Januar/Februar 22 deutlich unter 10 % bleiben würde.
    Die Hersteller, Importeure, Großhändler und Logistiker werden bei den Preisverhandlungen (mit dem Einzelhandel) für das Jahr 2022 ihre gestiegenen Kosten weitergeben müssen.
    Dann werden die Arbeitnehmer ihre Lohnforderungen stellen, um die Inflation zumindest mit gestiegenen Löhnen auszugleichen. Mal sehen, womit die Ärmsten der Armen (z. B. Grundsicherungsempfänger im Alter) abgespeist werden. Die 0,67 % Erhöhung der Grundsicherung für 2022 lässt einiges erahnen.

  2. Bravo, ein toller, sehr aufschlussreicher Artikel. Aber warum reagieren eigentlich die Edelmetalle, wenn überhaupt, nur mit Stagnation?!? Wann hatten wir je eine solche negative Realrendite, gepaart mit einer totalen Überschuldung der Haushalte, die einen nennenswerten Anstieg der Zinsen m.M. nicht zulassen können . . .

    1. @ hebsche

      Bitte schauen Sie sich doch mal das „Big Picture“ der, z.B. letzten 50 Jahre an.

      https://de.tradingeconomics.com/commodity/gold

      Nach Stagnation sieht der Chart dann meines Erachtens nicht mehr aus. Im August 2020 hatten wir den bisherigen Peak und sind nun ehr in einer Konsolidierungsphase die vielleicht noch etwas anhält. Mittelfristig wird vermutlich eine Richtungsentscheidung kommen.

      Noch gibt es auch noch genügend andere vermeintlich sichere und bezahlbare (bzw. finanzierbare) Sachwerte …..es haben viele lieber Immobilien als „Betongold“ gekauft. Das ist der Wertspeicher Nummer 1 in Deutschland und anderswo.

      Gerade bei Immobilien wird nun aber die Finanzierung ab dem nächstem Jahr vermutlich spannend werden.

      Werden die Banken einem einen Kredit für 1 Prozent oder sogar weniger zuteilen, wenn sie bzw. der Markt davon ausgehen müssen, dass die Inflationsrate in den nächsten Jahren ehr über als unter 2 Prozent betragen wird?
      Wie werden sich die Anleihenrenditen entwickeln, wenn sich die Inflation auf diesem Niveau festsetzt?
      Wer kauft den noch Anleihen, wenn die Inflation über 2 aber die Verzinsung bei unter Null verbleibt, wenn die Notenbanken als Käufer sich am Markt zurückhalten?
      Was ist, wenn die Banken plötzlich 3 Prozent Zinsen für einen Kredit verlangen (müssen) und dazu noch eine angemessene Tilgungsrate? Machen dann Beispielsweise noch Hauspreise von jenseits der 500 Tausend Euro in Kleinstädten Sinn bzw. sind diese dann noch für eine breite Masse finanzierbar? Vor allem wenn die Löhne nun nicht zeitnah angepasst werden, obwohl das „Leben“ (also Produkte des täglichen Bedarfs) bereits teurer werden.

      Vielleicht werden dann einige auf ehr bezahlbare Sachwerte, wie Gold oder auf spekulative Werte wie Bitcoin etc. ausweichen (müssen) und sie fangen dann an diese wie Klopapier im April 2020 zu kaufen. Das weiß man halt vorher nicht.

  3. Mein Kompliment,Herr Zipfel für Ihren Kommentar.Herr Fugmann hatte nicht zuviel versprochen.
    Schon jetzt höre ich aus der Bekanntschaft meiner Frau,dass sehr sehr viele Familien praktisch keine Ersparnisse mehr haben und die Verzweiflung ist groß,gerade auch die der Rentner,die hilflos zusehen
    müssen,dass ihre Rente immer kleiner wird.Für die Jüngeren allerdings in Bezug auf Renten sicherlich
    noch weitaus aussichtsloser.
    Allerdings sehe ich eine extreme Verschärfung fast sämtlicher Probleme für 2022.
    Noch ist es für viele nicht real greifbar,vor allem anscheinend nicht für die meisten GEZ Beschäftigten.
    Sie lassen das Fest entspannt auf sich zukommen und freuen sich auf eine „bessere Welt“.
    Ich freue mich auch auf auf eine bessere Welt.Die wird allerdings wahrscheinlich erst frühestens dann kommen,wenn alle Alles verloren haben.
    Ich hoffe sie bekommen wenigstens ihre Freiheit zurück.Dafür müssen sie allerdings selbst etwas tun,wenn sie nicht in einer Abo-Welt aufwachen wollen.Ich rede hier von „sie“,da das immer noch die Mehrheit zu sein
    scheint und wir leben ja in einem Kollektiv !

  4. Da sieht man, dass Viele weit weg von der Realität leben.Wie oft hat man erzählt,dass sehr viel in der Pandemie Erspartes nur wartet,
    bis es ausgegeben werden darf.Das sind sicher diese verzerrten Statistiken, die Durchschnittswerte beinhalten.
    Die grosse Masse der Durchschnittsbürger wird sicher nicht als Pandemiegewinner hervorgehen.

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