China hat die Regeln der Autoindustrie neu geschrieben. Während Volkswagen noch optimierte, schuf China ein eigenes Ökosystem. Wie Volkswagen den Anschluss verlor – und was dahintersteckt.
China hat Volkswagen und die westliche Autoindustrie bei Elektromobilität überholt
Während Volkswagen an bewährten Konzepten festhielt, baute China ein völlig neues Ökosystem auf. Dieser Artikel zeigt, wie gezielte Industriepolitik, digitale Innovation und strategische Rohstoffsicherung China zum Marktführer machten.
Dies ist der zweite Teil einer Miniserie. Der erste Teil erschien unter dem Titel „VW im Umbruch: Der Wettlauf gegen den Elektropionier China“.
Volkswagen perfektioniert das Alte – Tesla erfindet das Neue
Volkswagen hat jahrzehntelang gelernt, was Kunden wie Diesel-Helmut erwarten: ein zuverlässiges Auto mit kräftigem Motor, langer Reichweite und schneller Betankung. Die Bedienung muss vertraut sein, nichts darf zu experimentell wirken. Diesel-Helmut schätzt Qualität und Beständigkeit – ein Fahrzeug ist für ihn ein Transportmittel, kein technisches Gadget.
Tesla hingegen hat nie versucht, Kunden wie Diesel-Helmut zu überzeugen. Die ersten Käufer eines Tesla Roadsters waren Tech-Fans, Early Adopters und Menschen mit einem Sinn für Innovation. Ihnen ging es um den Reiz des Neuen, nicht um Verlässlichkeit. Der Roadster war kein Massenprodukt – er war ein Statement.
Volkswagen setzte auf die Perfektionierung des Bekannten, Tesla schuf ein neues Marktsegment.
Tesla denkt Software – Volkswagen denkt Karosserie
Volkswagen baut Autos, Tesla entwickelt ein Software-Produkt auf Rädern. Während Diesel-Helmut Inspektionsplaketten sammelt, aktualisieren sich Tesla-Fahrzeuge per Over-the-Air-Updates. Ein Tesla entwickelt sich ständig weiter – genau wie das iPhone, das mit Software-Updates besser wurde.
Volkswagen denkt in klassischen Produktzyklen: Modelle wie der Golf erhalten alle fünf bis sieben Jahre ein Facelift, bleiben aber weitgehend unverändert. Tesla hat diesen Zyklus aufgebrochen. Ein Model S von 2013 und 2023 sehen fast gleich aus, fahren sich jedoch völlig unterschiedlich – dank Software.
Tesla optimiert das Laden – Volkswagen denkt zu langsam
Tesla hat nicht nur das Auto neu gedacht, sondern auch das Laden. Statt auf Drittanbieter zu warten, baute Tesla ein eigenes Ladenetzwerk. Supercharger wurden zum Herzstück des Tesla-Ökosystems: Einstecken, Laden beginnt automatisch, Abrechnung läuft im Hintergrund. Keine Apps, keine Karten, keine PINs – so einfach wie ein Smartphone.
Für Diesel-Helmut war das nie ein Problem – Tanken war für ihn ein vertrauter, einfacher Prozess. Er kannte seine Raststätten und wusste, wo das Schnitzel am besten war. Doch für die neue Generation war es genau das: umständlich. Während VW überlegte, ob sie mit Tankstellenketten oder Drittanbietern kooperieren, hatte Tesla längst ein nahtloses System geschaffen.
Volkswagen baut Autos für Kunden, die es bald nicht mehr gibt
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Das Problem: Diesel-Helmut wird bald kein Auto mehr kaufen. Die nächste Generation will ein Auto, das sich nahtlos mit ihrem digitalen Leben vernetzt, Updates bekommt und sich weiterentwickelt. Volkswagen richtete seine Elektrostrategie auf alte Verbrenner-Kunden aus.
Tesla hingegen hat neue Maßstäbe gesetzt. Vom Roadster als Statussymbol über das Model S als Tech-Ikone bis zum Model 3 als Massenprodukt – Tesla hat die Bedürfnisse der Zukunft erkannt. VW suchte Wege, Elektroautos wie einen Golf zu gestalten, während Tesla längst voraus war.
Von Kodak bis VW: Wer den Wandel ignoriert, verliert
Volkswagen hat zu lange auf Diesel-Helmut gehört und Elektromobilität „verbrennerfreundlich“ gestaltet, während Tesla neue Standards setzte. Disruptive Innovationen setzen sich nicht durch schrittweise Verbesserungen, sondern durch die Erschließung neuer Märkte durch.
Clayton Christensen beschreibt in seinem Innovator’s Dilemma, dass Unternehmen scheitern, wenn sie sich zu sehr an bestehende Kunden anpassen. Beispiele wie Kodak, Nokia und IBM zeigen: Wer den Wandel ignoriert, verliert. Tesla hat diesen Ansatz konsequent verfolgt und neue Maßstäbe gesetzt – mit Software, eigenem Ladenetz und ständigen Updates.
Doch Tesla ist nicht mehr allein. BYD und NIO brechen mit alten Regeln und schaffen ein eigenes, staatlich gefördertes Ökosystem – mit Fokus auf Software und innovativer Batterietechnologie. Während VW von Aufholjagd spricht, hat China längst Fakten geschaffen.
China als Architekt der Disruption -2019: Der Moment, in dem VW die Zukunft verlor
Ein ikonischer Moment verdeutlicht die fehlgeleiteten Prioritäten der westlichen Automobilindustrie: Auf der IAA 2019 wurde Herbert Diess, damaliger VW-Chef, dabei beobachtet, wie er die Spaltmaße des ID.3 akribisch inspizierte. Die Szene wurde zum Symbol für das Festhalten an traditionellen Qualitätsmerkmalen, die für die Zukunft des Automarktes kaum noch eine Rolle spielen.
In China interessiert sich kaum jemand für Spaltmaße. Hier zählen digitale Integration, benutzerfreundliche Software und ein nahtloses Ökosystem. Während VW noch Karosserielinien perfektionierte, hatten chinesische Hersteller wie BYD und NIO längst erkannt, was moderne Käufer wollen – und darauf reagiert.
Von der Kopie zur Innovation: Chinas Aufstieg
Noch vor wenigen Jahren wurde Chinas Autoindustrie im Westen nicht ernst genommen. „Billig, aber schlecht“ lautete das Urteil vieler europäischer Manager. Tesla galt als Innovator, chinesische Hersteller als Nachahmer. Doch China hat kein altes Modell verbessert – es hat ein eigenes Ökosystem geschaffen.
Während Tesla Premiumkunden ansprach und VW noch mit Diesel-Helmut rang, setzte China auf Pendler, Taxiunternehmen und Stadtbewohner. Die ersten chinesischen Elektroautos waren nicht perfekt, aber günstig, praktisch und auf den eigenen Markt zugeschnitten. Ein Muster, das sich bereits in anderen Branchen bewährt hat: Japan dominierte mit sparsamen Autos, Südkorea mit Unterhaltungselektronik, China mit Smartphones. Nun wiederholt sich die Geschichte im Automarkt.
Made in China 2025: Das strategische Erfolgsmodell für E-Autos
Der Aufstieg der chinesischen E-Auto-Industrie resultiert aus einer langfristigen Strategie. Die 2015 gestartete Initiative „Made in China 2025“ setzte den Fokus auf Elektromobilität, Batterieproduktion und Digitalisierung. Subventionen und Infrastrukturmaßnahmen machten E-Autos massentauglich. Bereits 2015 wurde vorgeschrieben, dass neue Wohnanlagen eine Mindestanzahl an Ladeplätzen enthalten müssen. Auch öffentliche Parkplätze wurden frühzeitig mit Ladesäulen ausgestattet.
Ein weiterer Faktor ist die einfache Nutzererfahrung. In China kann jeder an Ladestationen per WeChat oder Alipay bezahlen – ein Kontrast zu Europas unübersichtlichen Ladekarten und variierenden Preisen. Während NIO mit einem landesweiten Netz von Batteriewechselstationen eine Alternative zum klassischen Laden geschaffen hat, setzen BYD und XPeng auf tief in den Alltag integrierte digitale Plattformen. Ihre Fahrzeuge sind nahtlos mit Apps, Cloud-Diensten und Smart-Home-Systemen verbunden und bieten ein Ökosystem, das weit über das reine Fahren hinausgeht.
Das Taxi-Aus: Volkswagen verliert Chinas Straßen
Ein besonders schmerzhaftes Beispiel für den Bedeutungsverlust westlicher Hersteller ist der Taximarkt in Shanghai. Jahrzehntelang dominierten VW-Modelle wie der Santana das Straßenbild – doch heute setzen die meisten Flotten auf Elektrofahrzeuge chinesischer Anbieter.
Dies ist mehr als nur ein symbolischer Verlust. Es zeigt, wie schnell westliche Hersteller Marktanteile verlieren, wenn sie zentrale Trends ignorieren.
Afrika, Lithium, BRICS – China und seine geheime Waffe
China hat nicht nur die Produktion von Elektroautos vorangetrieben, sondern sich auch die nötigen Rohstoffe gesichert. Mit der Belt and Road Initiative sicherte sich das Land den Zugang zu wichtigen Vorkommen seltener Erden – insbesondere in Afrika. Südafrika spielt eine zentrale Rolle als Lieferant kritischer Materialien für Batterien und Elektromotoren.
Abbildung 1: Top Reserve-, Förder- und Raffinationländer nach Rohstoff in Prozent. Quelle: NOW GmbH
Während Europa und die USA nun versuchen, eigene Lieferketten aufzubauen, hat China längst Fakten geschaffen. Batteriehersteller wie CATL und BYD sind nicht nur Marktführer, sondern auch Schlüsselpartner westlicher Konzerne.
Volkswagen und die Disruptionsfalle
Einst Marktführer in China, hat VW seine Spitzenposition verloren. BYD und andere chinesische Hersteller setzen auf smarte Software, günstigere Preise und eine engere Verzahnung mit dem digitalen Alltag. Deutsche Hersteller hingegen gelten zunehmend als altmodisch.
Wie hätte VW reagieren müssen, um relevant zu bleiben? Der nächste Teil gibt Einblicke in mögliche Strategien.
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Der Artikel unterstellt, dass bald alle E-Autos wollen. Das glaube ich nicht. Elon Musk hat die Praxistauglichkeit des E-Autos angehoben, die Regierungen haben weltweit durch Regulierung unterstützt, und es gibt sicher ein Publikum, dem es wichtig ist, das Auto auch als „Playstation“ zu benutzen.
Aber die Regulierung pro E und contra Verbrenner schwindet nun und es hat sich bereits gezeigt, dass es wesentliche Kundenkreise gibt, denen schon an den modernsten Verbrennern zu viel Spielerei verbaut ist. Das ist keine Frage des Alters, sondern des Lebensumfelds.
Der maßgebliche Fehler der westlichen Autokonzerne war mE nicht, dass sie das E-Auto verschlafen haben (haben sie), sondern dass sie ihre Kernkompetenz beim Verbrenner nicht verteidigt haben.
Sie sind einer schwachsinnigen Politik gefolgt und haben sogar lukrative Modelle eingestellt.
Auf der volkswirtschaftlichen Ebene war der Fehler, eine riesige kommunistische Diktatur zur WTO zuzulassen. Damit mußten die Firmen dorthin, obwohl von Beginn an klar war, das China sich nicht an die Regeln halten würde. Nun ist China in der Position, praktisch jeden Markt durch staatliche Dominanz zu übernehmen.
Und da die Regierung sich an der Macht hält, in dem sie den Wohlstand der Bevölkerung mehrt (an sich in Ordnung), ist sie selbst ebenfalls Getriebene.
@Felix: Wel he lukrativen Modelle eingestellt?
Die Kernkompetenz beim Verbrenner haben sie doch noch, aber das interessiert in Zukunft nicht mehr.
ESOX: Schau Dir einfach die Modellpolitik von VW an und höre, was die Mitarbeiter sagen. Was dei Zukunft betrifft: Warum sollten Verbrenner keine Zukunft haben? Sie erfüllen einige Anforderungen besser als E-Autos. E-Autos könnten nur mit ganz anderen Batteriesystemen die Oberhand gewinnen. Das ist nicht absehbar sondern liegt im Bereich der Spekulation. Und dort sind analog auch Verbesserungen am Verbrenner denkbar.
@Felix: Ich weiß nicht was die VW Mitarbeiter erzählen, aber ob das für die Kunden relevant ist, ist fraglich. Die einzigen Vorteile von Verbrennern sind noch, dass sie größere Reichweite und schneller betankt werden können. In allen anderen Kriterien ist der Verbrenner unterlegen. Zur Entwicklung von Verbrennern muss ich sagen, dass diese von Jahr zu Jahr verschlechtern, D.h. geringere Lebensdauer, mehr technische Probleme. Bei E Autos hingegen entwickelt sich die Batterietechnik rasant und ist jetzt schon ausreichend gut. Am Ende entscheidet der Preis. Und VW hat einen Run auf den 3i zuletzt gehabt, weil sie den attraktiv angeboten haben. Sie haben mehr als geplant verkauft und die Aktion wieder eingestellt. Somit sind die Hersteller eigentlich selbst verantwortlich wie viel sie an E Autos verkaufen.
„Tesla denkt Software“
Das mag gut und gerne sein. Die Softwarequalität von Tesla ist, um es nett zu sagen, mit Teslas Spaltmaßen auf Augenhöhe. Und bevor hier jemand kommentiert, bei den Spaltmaßen haben sie aufgeholt. Bei Software ist es komplizierter, da muss man den ganzen **** neu schreiben bzw. kämpft von frühs bis abends gegen Altlasten die man irgendwie am Laufen halten muss.
Diesel-Helmut ist doch unser Helmut aus Andalusien :-). Jetzt hat er sogar schon seinen eigenen Artikel bekommen.