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Wie man die Abhängigkeit von Öl aus Russland beenden will – Expertenanalyse

Man versucht derzeit die Abhängigkeit von Öl aus Russland zu beenden. Was machen Saudi-Arabien, Kanada und Brasilien? Eine Expertenanalyse.

Öl-Förderanlage in Kanada

Russland hat die Ukraine angegriffen. Der Westen sanktioniert Russland so hart es nur irgend möglich geht. Wie man heute sieht – die EU versucht auch ihr Möglichstes. Man hat nun ein Ölembargo gegen Russland beschlossen. Bis Jahresende sollen 90 Prozent der Exporte von Öl aus Russland in die EU entfallen sein. Wie geht es weiter? Nachfolgend analysiert die Expertin Dina Ting, Head of Global Index Portfolio Management bei Franklin Templeton Investments, den Drang die Abhängigkeit von russischem Öl zu durchbrechen. Die Analyse von Dina Ting drucken wir hier wie folgt im Wortlaut ab:

Embargo gegen Öl aus Russland und Freigabe strategischer Reserven

Der von der EU geplante schrittweise Importstopp für russisches Öl reißt eine beträchtliche Lücke in die weltweite Versorgung. Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Preisinflation den Rohölpreis auf über 100 US-Dollar pro Barrel getrieben hat, versucht die Welt, ihre Abhängigkeit von russischem Öl zu durchbrechen. Führungskräfte aus dem Energiesektor und Analysten hatten bereits in den Wochen nach den Embargos durch die USA und Großbritannien festgestellt, dass mehr als 1 Million Barrel russischer Rohölexporte pro Tag „verschwanden“. Einige Tanker waren abgetaucht und umgingen möglicherweise Radarsysteme, um die Sanktionen zu unterlaufen. Sie fügten hinzu, dass sich diese Menge sogar bald verdoppeln könnte, da große ölimportierende Volkswirtschaften wie Indien und China verbilligte Lieferungen aufkaufen.

Selbst nach der historischen Freigabe von 1 Million Barrel Öl pro Tag aus den strategischen Erdölreserven der USA – ein Versuch, die Benzinpreise zu dämpfen und die Inflation zu bekämpfen – herrscht langfristig weiterhin Angst vor Produktionsausfällen und hohen Rohölpreisen. Die zugrunde liegenden Ölgewinne werden nicht nur durch Ausgaben wie Infrastrukturinvestitionen, Transportkosten, Steuern und Lizenzgebühren beeinträchtigt, sondern auch durch komplexe Faktoren wie lange Betriebsanlaufzeiten, die Fördermengen der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) und Unsicherheiten bei der Nachfrage, zum Beispiel in China.

Russland hat die höchsten Förderkosten

Unterschiedliche Methoden der Ölförderung – wie konventionelle, Offshore- und arktische Bohrungen, Schieferöl-Fracking und die energieintensive Abspaltung von schwerem Rohöl aus Ölsand – führen zu unterschiedlichen Explorations- und Produktionskosten und wirken sich daher auf den Breakeven-Preis eines Ölproduzenten aus (siehe Grafik). Dieser wird auch als technischer Breakeven bezeichnet.

Der „fiskalische Breakeven“-Punkt einer ölerzeugenden Nation hingegen ist der Mindestpreis pro Barrel, der erforderlich ist, damit die Wirtschaft ihre erwarteten Ausgaben tätigen und ihren Haushalt ausgleichen kann. Dieser unterscheidet sich in der Regel von einem „externen Breakeven“-Punkt, der anhand des Ölpreises berechnet wird, der die Leistungsbilanz eines Landes ausgleicht.

Die USA sind sowohl ein führendes Öl-Erzeugerland als auch einer der weltweit größten Öl-Konsumenten. Im Jahr 2019 wurde das Land zu einem Nettoexporteur von Rohöl, unter anderem aufgrund der zunehmenden Aktivität bei den Schieferölfeldern. Laut einer Umfrage der Federal Reserve Bank of Dallas vom März muss West Texas Intermediate (WTI) – ein leichtes, süßes Rohöl, welches als eine der wichtigsten globalen Öl-Benchmarks dient – im Durchschnitt nur 56 US-Dollar pro Barrel kosten, damit die US-Produzenten kostendeckend arbeiten können.

In diesem Jahr haben die steigenden Einnahmen von staatlichen Explorations- und Produktionsunternehmen einen Boom bei den Steuereinnahmen ausgelöst, wobei die Zahlungen des vorgelagerten Sektors an die Regierungen ein Allzeithoch von 2,5 Billionen US-Dollar erreichen werden, so sagt es das Research-Unternehmen Rystad Energy. Während Saudi-Arabien und die USA die höchsten Einnahmen haben, variieren die eingenommenen Steuern in den verschiedenen Ländern erheblich. Norwegen und der Irak beispielsweise nehmen pro gefördertem Barrel Öläquivalent (BOE) durchschnittlich etwa 100 US-Dollar ein, während die USA und Kanada weniger als 20 US-Dollar pro BOE einnehmen.

So reagieren die größten Förderländer auf den Ölboom – Saudi-Arabien

Petrostaaten wie Saudi-Arabien haben den Vorteil, dass sie über große konventionelle Ölfelder verfügen, die nahe der Oberflächenschicht der Wüste liegen. Dies ermöglicht es den staatlich kontrollierten Konzernen im Persischen Golf, ein Barrel Öl zu niedrigeren Kosten als in anderen Gebieten zu fördern. Der Anteil Saudi-Arabiens an den weltweiten Ölinvestitionen ist von etwa einem Drittel in den frühen 2000er-Jahren auf mehr als die Hälfte gestiegen. Die Vorkommen in Saudi-Arabien gehören außerdem zu den Gebieten, deren Erschließung am wenigsten kohlenstoffintensiv ist. Höhere Ölpreise und die mangelnde Bereitschaft des derzeitigen OPEC+-Vorstands, die Ölförderung zu steigern, kamen dem Wüstenstaat zugute. Der staatlich kontrollierte saudi-arabische Ölgigant Saudi Aramco hat bei seinem Börsengang im Dezember 2019 zwar den größten Börsendeal der Welt hingelegt, doch konnten die Anleger nur 1,5 Prozent des Unternehmens erwerben.

Der überwiegende Teil des saudi-arabischen Ölgiganten ist im Besitz des Königreichs, und die Öleinnahmen tragen zur Finanzierung zahlreicher anderer Sektoren wie Infrastruktur und Bankwesen bei. Im ersten Quartal 2022 legte das Bruttoinlandsprodukt Saudi-Arabiens um 9,6 Prozent zu, wie aus Anfang Mai veröffentlichten vorläufigen Regierungsdaten hervorgeht. Sollten sich die Schätzungen bestätigen, würde die Wachstumsrate, beflügelt durch den Aufschwung des Ölsektors, den höchsten Anstieg seit 2011 markieren, so die saudische Generalbehörde für Statistik. Neben dem Energiegeschäft unternimmt Saudi-Arabien gezielte Anstrengungen, um seine Exporte und sein Investitionspotenzial durch Tourismus und Bereiche außerhalb des Erdölsektors zu diversifizieren.

Kanada: Widerstand durch Umweltschutz-Aktivisten

Energie ist mit rund 17 Prozent der zweitgrößte Sektor des FTSE Canada Capped Index. Um einen Beitrag zur weltweiten Energiesicherheit zu leisten, hat Kanadas Minister für Bodenschätze vor Kurzem angekündigt, dass das Land die Kapazität hat, das Angebot seines größten Exportguts Rohöl bis Ende 2022 um bis zu 300.000 Barrel pro Tag zu erhöhen. Der Großteil des kanadischen Produktionswachstums stammt aus den abgelegenen Ölsandvorkommen in der energiereichen Provinz Alberta. Dieser Abbau ist jedoch auch mit den höchsten Kapitalkosten der Branche, den längsten Erschließungszeiten und erheblichem Widerstand von Umweltschützern und First-Nation-Aktivisten verbunden. Kanadas Ölsande gehören nach denen Saudi-Arabiens zu den größten Vorkommen der Welt, und das Land fördert zudem Rohöl aus konventionellen, Schiefer- und atlantischen Tiefseebohrungen (wenn auch in rückläufigem Umfang). Mittlerweile hat sich Kanada an der Seite seiner Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel dazu verpflichtet, die Energiewende im Einklang mit den globalen Klimaverpflichtungen voranzutreiben.

Brasilien: Politische Unsicherheit vor den Wahlen

Der Energiesektor macht rund 16 Prozent des FTSE Brazil RIC Capped Index aus. Brasiliens Pre-Salt-Region umfasst einige der weltweit größten verbleibenden Ölfelder, die tief unter Wasser liegen und nur schwer auszubeuten sind. Die großen Erdölkonzerne des Landes haben in diesem Jahr dank der Förderung von hochwertigem Rohöl aus diesen ergiebigen Offshore-Tiefseefeldern gute Ergebnisse erzielt. Analysten verweisen auf die beeindruckende Produktionseffizienz und das Potenzial für internationale Investitionen, die eine erhebliche Expansion ermöglichen. In Anbetracht der Tatsache, dass die wichtigen Präsidentschaftswahlen des Landes noch Monate entfernt sind, könnte die politische Unsicherheit die Nachhaltigkeit der jüngsten regulatorischen Änderungen, von denen die Öl- und Gasproduzenten profitieren, gefährden.

Breakeven bei der Förderung von Öl je nach Land



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3 Kommentare

  1. Industriepräsident Siegfried Russwurm stellte aktuell fest, daß die deutsche Industrie in der Vergangenheit den von Russland eingeräumten Premiumstatus, welcher moderate Erdöl- und Erdgaspreise mit sich brachte, im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durchaus schätzte. Also gilt es doch, auf diesen wieder hinzuarbeiten, nachdem der Ukraine-Krieg, den nicht nur Russland zu verantworten hat, beendet ist.

  2. Ich bin am letzten WE über einen neuen Begriff gestolpert: Pipelineistan.

    https://globalenergymonitor.org/projects/global-fossil-infrastructure-tracker/tracker-map/

    Echt spannend und erhellend. Zudem wird die Geopolitik ‚greifbarer‘.

  3. Na das ist ja mal wieder ein Artikel! Teilweise ja ganz interessant, aber die Headline nicht ansatzweise getroffen. Alle Infos sind mehr oder weniger alt. Nix zu, wie geht´s weiter, ohne sehr günstige Langfristverträge mit Rußland über Gas und Öl, die uns in den letzten Jahren einen wirtschaftlichen Vorteil (auch Dank Gerhard Schröder) gebracht haben.
    Fehlt da das meiste der tollen Analyse dieser „Expertin“?
    Ratlosigkeit bei den Wirtschafts- und Analysehausbossen?
    Einfach nur geil ist auch die Aussage über die Förderkosten. Das Lachen der Russen höre ich bis hier her.
    Deshalb sind in den USA, vor nicht all zu langer Zeit, auch die Fracker alle den Bach runter bei 30 Dollar und weniger. Den Iranis und Saudis reichen ja auch um die 10 Dollar, weil die so super Sozialstaaten haben und alle Leute in Oasen des Schlaraffenlandes wohnen. So ein Mist, und das von Franklin Templeton.
    Leute verwaltet euch selbst, denn was da für Personal demnächst auf uns zu kommt ….

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