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Wie lange wir ohne russisches Gas durchhalten – aktuelle Expertenanalyse

Gas-Flamme auf einem Herd

Am 18. Januar hatten wir über eine hochinteressante Analyse der Commerzbank berichtet, die aufzeigt, dass Flüssiggas per Tankschiff aus Übersee noch auf lange Zeit keinen ausreichenden Ersatz für russisches Gas darstellen wird – wenn man denn komplett unabhängig von Russland als Gas-Lieferant sein möchte. Heute nun hat die Expertin Barbara Lambrecht von der Commerzbank eine Analyse veröffentlicht, die die Frage beleuchtet, wie lange die EU denn ohne russisches Gas auskommen würde.

Expertenanalyse – EU würde 2,5 Monate (oder eher 1,5 Monate) komplett ohne Gas aus Russland auskommen

Diese Thematik haben wir bei FMW in den letzten Wochen oft besprochen. Im Falle einer Eskalation der Ukraine-Krise würden massive Sanktionen der EU und der USA vermutlich scharfe Antworten Russlands provozieren. Folgen für die Versorgung mit Gas aus Russland sind unklar. Wie lange hält die EU ohne Gas aus Russland durch, und welche Maßnahmen würden Entlastung bringen? Die einfache Rechnung geht so: Laut Barbara Lambrecht würde man in einem simplen Szenario annehmen, dass Russland gar kein Gas mehr liefert. Dann würden der EU im Monat etwa gut 12 Mrd Kubikmeter an Pipeline- und knapp 1,5 Mrd Kubikmeter an LNG-Importen fehlen.

Diese Lücke müsste man mit den noch vorhandenen Reserven in Gasspeichern schließen, wo derzeit noch 33,2 Mrd Kubikmeter Erdgas vorhanden sind, womit sie zu 33 Prozent gefüllt seien (FMW-Anmerkung: Aktuellste Daten von Gas Infrastructure Europa zeigen einen aktuellen Füllstand von 32,12 Prozent). Würde man dieses Gas aus den Speichern komplett entnehmen, so ließen sich damit laut der Analyse rein rechnerisch die russischen Lieferungen für 2,5 Monate ersetzen.

Die Analyse gibt allerdings zu bedenken, dass in den kommenden Wochen auch unabhängig von einem denkbaren russischen Lieferstopp Gas aus den Speichern entnommen wird und somit nicht zur Kompensation der russischen Gasimporte zur Verfügung steht. In den letzten sechs Jahren wurden von Mitte Februar bis Ende März im Durchschnitt knapp 12 Mrd Kubikmeter entnommen. Damit werden die Vorräte voraussichtlich auch ohne Lieferstopp laut Analyse bis Ende März auf gut 20 Mrd Kubikmeter fallen. Mit diesen Reserven könne man noch etwa 1,5 Monate lang die russischen Lieferungen ersetzen.

An welchen Stellschrauben kann Europa drehen um länger ohne russisches Gas durchzuhalten?

Gibt es Maßnahmen, die man in Europa ergreifen kann, damit diese nur noch 1,5 Monate vorhandene Reserve an Gas quasi ausgedehnt werden kann? Die Experten der Commerzbank arbeiten sich in ihrer Analyse an möglichen Faktoren ab. Die Niederlande als wichtigster Gas-Produzent innerhalb der EU würden auch dank Umweltprotesten so schnell nicht mehr Gas fördern. Beim für die EU zweitwichtigsten Gas-Lieferanten Norwegen (23 Prozent Anteil) sieht man kurzfristig kaum weiteres Steigerungspotenzial bei der Liefermenge.

Am meisten Potenzial ist wohl beim Flüssiggas-Import aus Übersee vorhanden? Daran denkt man natürlich zuerst. Denn die US-Exporteure wollen sicherlich gutes Geld verdienen dank der sehr hohen Gaspreise in Europa. Die EU verfügt über 25 größere Importterminals für Flüssiggas mit einer Kapazität von 215 Mrd Kubikmeter pro Jahr, die laut Analyse (theoretisch) knapp zwei Drittel des Importbedarfs decken könnten. Aber begrenzende Faktoren seien die Kapazitäten der Anbieter, die zudem größtenteils an langfristige Verträge gebunden sind. Hinzu käme ein Verteilungsproblem. Käme es tatsächlich zu Lieferunterbrechungen aus Russland, könnte laut Analyse vor allem die Industrie in die Pflicht genommen werden. Rationierungen wären dann beispielsweise eine Option um Gas einzusparen.

Was lernen wir daraus?

Die Frage ist nun in der Realität: Wir haben Mitte Februar, und bis Frühlingsanfang würde man im Worst Case Szeanrio wohl gerade noch so durchhalten mit den Gasreserven? Laut Barbara Lambrecht bieten die Gas-Vorräte bei einem russischen Lieferstopp zwar einen gewissen Puffer – er würde aber von heute aus nur bis April reichen. Umso verständlicher sei es, dass in der Politik nun auch über (strategische) Erdgasreserven nachgedacht wird, ähnlich wie es sie für den Ölmarkt gibt. Fakt sei auch, dass viele Stellschrauben auf Angebots- und Nachfrageseite nur schwer zu drehen seien. Kurzfristige Maßnahmen beispielsweise über die Rationierung des Verbrauchs von Gas hätten hohe Kosten. Neues Angebot ließe sich nur über höhere Preise anlocken. Deutschland wäre zweifellos das Land, das in der EU am stärksten betroffen wäre.

Und, so möchte ich anmerken: Auch wenn wir uns in Europa mit einer Schramme und verdammt teuren Verbraucherpreisen für Gas ins Frühjahr „retten“. Wie geht es denn weiter in der nächsten Heizperiode im Winter 2022/2023? Wird die deutsche Politik bis dahin realistische Ideen umsetzen, wenn man sich denn – wie es offensichtlich der Wille ist – unabhängiger von Gas aus Russland machen möchte?



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10 Kommentare

  1. Hochbegabt und Grün

    Kein Problem. Wir bauen einfach noch ein paar Windräder und PV Anlagen und heizen dann klimaneutral mit Strom.. 😉

    1. Hinterherhinkend und Blau

      Bessere Idee. Wir züchten noch ein paar Kommentatoren wie dich und argumentieren dann mit Stroh statt Hirn.. 🙄

    2. Bauernschlau und Blau

      @Hochbegabt und Grün
      Ziemlich gute Idee, einfach, verständlich und schnell umsetzbar. Dazu günstig, wirtschaftlich sinnvoll, technisch machbar und hoch verfügbar. Schön, dass ab und an die Muse der Verständnis eine Bresche in die Ignoranz schlägt 😏

    3. Wir benötigen dringend weitere, sichere und sehr saubere Kernkraftwerke, genau wie unsere EU-Nachbarn. Zu dieser Einsicht kommen die Jungen die zur Zeit erbarmungslos alle Erungenschaften der älteren Generation niedermachen und sich respektlos gebärden, mit Sicherheit ganz schnell.

      1. Oh weh, ist der Atom-Opa noch immer beleidigt und angefressen?
        Über 100% sichere und tatsächlich saubere Kernkraftwerke ohne neuen Atommüll bei gleichzeitiger vollständiger und zufriedenstellender Klärung des bestehenden Entsorgungsproblems könnte man auch mit uns respektlosen Rotzlöffeln reden.

  2. Wie viel Gas haben Deutsche Firmen an Poland und Ukraine verkauft?

  3. @Claudio Kummerfeld, worauf genau wollen Sie eigentlich hinaus mit Ihrer alarmistischen Worst Case Future Andeutung?
    Sind Sie frustriert oder froh, dass der Untergang ein weiteres Mal verschoben wurde?
    Auch wenn wir uns in Europa mit einer Schramme und verdammt teuren Verbraucherpreisen für Gas ins Frühjahr „retten“, diese Situation wird immer wieder drohen, wenn wir nicht endlich schlauer werden und aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen. Wesentlich schlimmere Katastrophen drohen leider alternativlos. Mit oder ohne Gas und all dem Wohlstand. Das weiß und erlebt inzwischen jedes Kind, seit mindestens 20 Jahren.

    Kremlin ist einmal mehr außer Konrolle, gewohnt unzuverlässig, deutlich mehr Belastung und Bedrohung, statt Partner.
    Natürlich ist Europa von Russland abhängig, wie auch Russland von Europa.
    Win-Win oder Lose-Lose, eine Frage der Einstellung.
    Die deutsche Politik kann nur dann realistische Ideen umsetzen, wenn diese im föderalen Blockiersystem auch realisiert werden. Solange die alten einflussreichen süddeutschen Ganoven weiterhin Lobby-Politik der milliardenschweren Fossilien als Notwendigkeit verkaufen können, lässt es sich fröhlich skeptisch kritisieren.
    Am Ende hat es meist den Eindruck, dass traurige Figuren triumphierend und ohne eigenes Konzept auf ein Scheitern der Energiewende hoffen.

  4. Hochbegabt und Grün

    @Hinterherhinkend und Blau

    Guter Beitrag. Leider nur das Thema verfehlt. Das Thema lautet heizen und nicht argumentieren.

    Soviel zu Stroh statt Hirn ;-)

    Vielleicht können wir ja ihren Stroh verbrennen?

  5. @Hinterherhinkend und Blau
    Bevor man über Energie redet, schaut man bei Wiki, da wird geholfen:

    Da wollt ihr hin: Aluminium-Luft-Batterie 4,7

    Hier sind wir aber: Restmüll 8–11, Braunkohle (Brikett) 19,6, Kernspaltung Natururan (0,72 % 235U) 6.48ehoch5

    Dann denken und feststellen: Die Energiewende kann nicht funktionieren.
    Ansonsten warme Klamotten kaufen, falls die Gaslieferungen ausfallen.:-)

    1. Hinterherhinkend und Blau

      @temudschin, die gravimetrische Energiedichte ist ein wirklich überzeugendes Kriterium, wenn wir über Stromerzeugung, Gebäude oder Verkehr reden! Wo genau nochmal liegt die bei Photovoltaik, Solarthermie und Windkraft?
      Bis das geklärt ist, heizen wir weiter mit Uran und fahren mit Restmüll und Braunkohlebriketts, den Tender im Schlepptau. Wir erfinden das Berufsbild des Heizers aus den guten alten Zeiten der Dampflok neu. Müllschippe statt Müllkippe, klasse Idee 🙈

      Und wenn schon, dann wollen „wir“ hierhin:
      Vollständige Umwandlung von Masse in Energie: 8.98e10
      Oder zumindest dahin: Proton-Proton-Reaktion: 6.27e8
      Zumindest aber: Wasserstoff: 120

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