VW ist in der Krise, im September wurden mehrere Werkschließungen ins Spiel gebracht. Im Augenblick befindet man sich mit den Gewerkschaften in der Verhandlungsphase. Können Werkschließungen noch abgewendet werden? Unklar. Fakt ist, dass es jede Menge Probleme gibt, die seit Jahren im VW-Aktienkurs bereits sichtbar waren. Als die Geschäfte noch blendend liefen und man hoffnungsfroh in die eigene Elektroauto-Zukunft blickte, sahen die Börsianer bereits die Probleme auf die deutschen Autobauer zurollen, und zwar besonders auf VW. Das sah man vor allem am traumhaft günstigen KGV von 3, das normalerweise einen Anlegersturm auf die VW-Aktie hätte auslösen müssen. Aber die Börse handelt die Zukunft, die Anleger sind seit geraumer Zeit im Käuferstreik. Der folgende Chart zeigt: Die VW-Aktie fiel in den letzten zwei Jahren um 44 %, während der Dax um 51 % anstieg.
VW in der Krise – Bloomberg-Analyse
Bloomberg hat aktuell eine Analyse veröffentlicht über die Krise bei VW. Hier dazu die Aussagen im Wortlaut: “Das Auto”. Ein Slogan, der einst das ganze Selbstbewusstsein von Europas größtem Automobilhersteller ausdrückte. Die Kernmarke des VW-Konzerns mit Sitz in Wolfsburg steht für technische Innovation und globale Marktpräsenz mit beliebten Modellen wie Tiguan, Golf und Passat. Doch die weltweite Expansionsstrategie fand 2015 mit dem Dieselskandal um manipulierte Motoren ein jähes Ende. Seitdem kämpft das gewaltige Auto-Imperium mit dem disruptiven Technologiewandel in der Automobilindustrie und den veränderten Marktbedingungen. VW steuert auf die größte Krise seit gut 50 Jahren zu, als ein Ölpreisschock und eine weltweite Rezession zu harten Einschnitten zwangen. Schon oft hat der Konzern bewiesen, dass er Rückschläge wie den Dieselskandal oder die Corona-Pandemie wegstecken kann. Doch diesmal scheint ein Ausweg nur mit drastischen Maßnahmen möglich.
Was sind die Probleme bei VW?
Die Kostenstruktur, die Marktbedingungen und bessere Elektroautos der Wettbewerber. In Europa hat sich die Nachfrage nach Autos nach der Pandemie nicht so schnell erholt wie in anderen Regionen. Zudem haben die Gewinne von VW in China lange Zeit die Ineffizienzen auf dem Heimatmarkt kaschiert. Doch die Verkäufe von VW auf dem größten Absatzmarkt des Unternehmens entwickeln sich schwächer als in Wolfsburg erwartet. Und wenn chinesische Kunden Autos kaufen, gehen sie derzeit lieber zu einheimischen Wettbewerbern oder zu Tesla, die VW vor allem im Softwarebereich deutlich überlegen sind. Anfang September kündigte das VW-Management erstmals in der 87-jährigen Geschichte des Konzerns an, Werksschließungen in Deutschland zu prüfen und warnte vor betriebsbedingten Kündigungen.
Wie will das Management die Probleme lösen?
Laut Vorstand sind die Produktionskosten in Deutschland zu hoch, die Produktivität zu niedrig und es gibt deutlich mehr Fertigungskapazitäten als der Markt in Europa benötigt. Die Zahlen des dritten Quartals untermauern die Krise. Die Marge schrumpfte auf 3,6% — der niedrigste Wert seit mehr als vier Jahren — und der Konzerngewinn brach um 64% ein. Um Werksschließungen eventuell zu vermeiden, sind laut Management unter anderem Lohnkürzungen von 10% und der Verzicht auf Sonderzahlungen zwingend notwendig. Eine Garantie, dass es nicht zu Schließungen kommt, gibt es allerdings nicht. Um die Maßnahmen umsetzen zu können, hat VW bereits eine Reihe von Tarifverträgen gekündigt, darunter den seit 1994 geltenden Standortsicherungsvertrag, der betriebsbedingte Kündigungen bis 2029 ausschließt. Die Tarifverhandlungen mit der mächtigen IG Metall laufen. Eine Einigung zeichnet sich bislang nicht ab, stattdessen bereitet die Gewerkschaft Warnstreiks vor.
Wie wurde VW zum Symbol des deutschen Wirtschaftswunders?
Als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg noch in Trümmern lag, lief in den Werkshallen von Volkswagen ein Auto vom Band, das schon bald zum Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs werden sollte: der Käfer. Günstig, verfügbar und einzigartig im Design verbreitete er sich schnell und trieb die globale Expansion von VW voran. Dem Käfer folgte der Golf, der 1974 eine eigene Automobilklasse neu definierte. Der wirtschaftliche Erfolg ließ die schwierige Geschichte des Volkswagenwerks, dessen Grundstein einst Adolf Hitler gelegt hatte, immer mehr in den Hintergrund treten. Sein Plan, ein erschwingliches Auto für die Massen zu schaffen, war die Grundidee des Volkswagenwerks und führte schließlich zur späteren internationalen Expansion. Das Wachstum der Wolfsburger half, andere Branchen wie die Stahl- und Zulieferindustrie anzukurbeln und prägte so den Weg Deutschlands zur Exportnation.
Welche Rolle spielt die Politik bei VW?
Eine deutlich größere Rolle als bei den meisten anderen Unternehmen in Deutschland. Zum einen, weil der Konzern nicht nur am Stammsitz in Niedersachsen einer der größten Arbeitgeber des Landes ist. Und zum anderen durch die besondere Eigentümerstruktur: Das Land Niedersachsen hält 20% der Stimmrechte am Volkswagen-Konzern und ist damit zweitgrößter Aktionär nach den Milliardärsfamilien Porsche und Piech. Damit verfügt Niedersachsen über eine Sperrminorität und kann wichtige Entscheidungen blockieren. Zudem stellen die Arbeitnehmervertreter die Hälfte der Sitze im 20-köpfigen Aufsichtsrat und haben dort erheblichen Einfluss. Die starke Rolle der Gewerkschaften erklärt sich auch daraus, dass die Nationalsozialisten Gewerkschaftsvermögen beschlagnahmten, um damit das Volkswagenwerk zu finanzieren.
Wie geht es nun weiter?
Am drängendsten sind die Probleme bei Volkswagens Kernmarke VW: Markenchef Thomas Schäfer peilt ab 2026 eine operative Marge von 6,5% an, in den ersten neun Monaten dieses Jahres lag die Marge der Marke VW bei gerade einmal 2,1%. Nun muss er Milliardenbeträge zusätzlich einsparen. Doch Schäfer hat dabei erheblichen Gegenwind: Die Nachfrage in Europa dürfte mau bleiben, in China gibt es kaum Hoffnung auf eine schnelle Trendwende. Und in den USA sind die Wolfsburger traditionell nicht so stark vertreten wie in Europa und China. Auf dem wichtigen chinesischen Markt soll eine weitreichende Kooperation mit dem Hersteller XPeng helfen. Die ersten gemeinsamen, günstigeren Modelle sollen aber erst 2026 auf den Markt kommen. Das Problem: Die großen globalen Konkurrenten wie Tesla und BYD sind derzeit alle schneller unterwegs.
FMW/Bloomberg
Kommentare lesen und schreiben, hier klicken