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Wirecard und die Aktienkultur in Deutschland: Ein Shortseller urteilt

Wirecard hat Insolvenz angemeldet. Die Shortseller haben nicht locker gelassen und gewonnen. Der bekannteste Shortseller der Gegenwart, Carson Block, gibt darüber ein paar Aufschlüsse

Wirecard hat Insolvenz angemeldet. Die Shortseller haben nicht locker gelassen und gewonnen. Aber welches Licht wirft die rasante Pleite eines Aktienwertes aus dem Prime Standard auf das Aktienland Deutschland und seine Überwachungssysteme? Ein Gastbeitrag des bekanntesten Shortsellers der Gegenwart, Carson Block, gibt darüber ein paar Aufschlüsse.

Wirecard: Der Triumph der Leerverkäufer

Sehr unbeirrt haben sich Leerverkäufer in den letzten Jahren bei ihrer Disposition gegenüber den Statements der verantwortlichen Vorstände bei Wirecard verhalten. Nach dem großen Ereignis am letzten Donnerstag – der Verweigerung des Testats durch KPMG, weil 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz nicht auffindbar ware –  haben die Leerverkäufer zunächst nicht weniger als 2,4 Milliarden Euro verdient. Nach Erhebungen des Researchhauses S3 Partners haben sie zum Freitag ihre Shortpositionierung noch ausgebaut, auf 27 Millionen Aktien (meldepflichtige gem. Bundesanzeiger über 0,5 Prozent und andere). Dann am gestrigen Donnerstag – innerhalb einer Woche nach der Verweigerung des Testats – der Paukenschlag mit dem Antrag auf Insolvenz mit der Folge, dass alle 123 Millionen Aktien des Unternehmens Wirecard wohl wertlos werden. Wie konnte so etwas geschehen unter den Augen vieler Behörden, die durch ständige Zeitungsberichte von englischen und deutschen Blättern, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und ständigen Verschiebungen der Jahresbilanz gewarnt gewesen sein mussten?

Ein Beitrag des Gründers und CEOs des Finanzmarktanalyse-Hauses Muddy Waters, Carson Block, in der „Welt„, gibt darüber etwas Auskunft und wirft ein ganz schräges Licht auf die Überwachungssysteme des deutschen Aktienmarkts. Hier einige der interessantesten Passagen im Auszug:

Wie kann es sein, dass trotz der Hinweise seit 2008, dass irgendetwas mit Wirecard nicht stimmt, die Firma mit mutmaßlichem Betrug trotzdem eine Marktkapitalisierung von 24,4 Milliarden Euro erreicht, in den Dax 30 aufsteigt und seit 2008 mehr als 2,5 Milliarden Euro frisches Kapital einsammelt?
Der Grund ist nicht, dass die mutmaßlichen Betrüger so raffiniert waren. Es ist vielmehr so, dass die BaFin wiederholt zur Waffe gegriffen und den Whistleblowern nachgestellt hat, die vor Wirecard gewarnt haben.

Es geht vielmehr um eine Aufsichtsbehörde, die vom Weg abgekommen ist und die mit ihrem „beschützenden“ Verhalten dafür gesorgt hat, dass der Betrug von Wirecard und die Verluste der Investoren überhaupt erst ein derartiges Ausmaß annehmen konnten.
Im Jahr 2008 hat ein ehemaliger Vorstand der deutschen Aktionärsschutzvereinigung SDK vor Wirecards Bilanzierung gewarnt. Während der Vorstand verhaftet und anschließend auch wegen gesetzeswidrigem Verhalten in anderen Angelegenheiten verurteilt wurde, wurde offensichtlich kein Versuch unternommen, sich Wirecard einmal ernsthaft anzuschauen.
Im Jahr 2016 veröffentlichte ein neuer „Short Seller“-Aktivist namens Zatarra Research einen kritischen Bericht über Wirecard – und seine beiden Chefs wurden jeweils Ziel strafrechtlicher Ermittlungen.
Seit 2018 hat der amerikanische Investigativ-Journalist Roddy Boyd vier Artikel über Wirecard veröffentlicht – und wurde zum Gegenstand einer strafrechtlichen Ermittlung.
Im Jahr 2019 veröffentlichte die „Financial Times“ eine Serie von Artikeln, in denen sie Ungereimtheiten bei Wirecard aufzeigte – einschließlich der Tatsache, dass die Behörden in Singapur gegen eine Wirecard-Tochterfirma wegen möglichen Betrugs ermittelten.
Die BaFin unterdessen machte keinerlei Anstalten, wegen möglichen Betrugs bei Wirecard zu ermitteln. Stattdessen griff sie zu der außergewöhnlichen Maßnahme, ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien zu verhängen – erstmalig tat die BaFin dies für die Aktie eines einzelnen Unternehmens.

Carson Blocks Schlussfolgerung:

Es gibt zahlreiche in Deutschland gelistete Unternehmen, von denen er glaubt, dass sie auf himmelschreiende Weise das Gesetz gebrochen haben. Da Deutschland grundsätzlich eine gesetzestreue Gesellschaft ist, bestehe hierzulande eine Menge Grundvertrauen, dass die anderen sich auch an die Spielregeln halten. Doch genau dieses Umfeld mache es böswilligen Individuen so leicht, ihre Taten am helllichten Tag zu begehen.
Und das sei auch genau der Grund, warum Länder mit hohen Vertrauenswerten effektive Aufsichtsbehörden brauchen. Doch wenn die Aufsichtsbehörde so inkompetent und zaghaft wie die BaFin agiere, werde der deutsche Markt zum Paradies für Finanzkriminelle. Um noch mehr solcher beschämenden Krisen zu vermeiden, müsse Deutschland dringend bei der BaFin aufräumen.

Fazit

Gegen Betrug kann kein System absolute Sicherheit bringen. Aber die Vorgänge bei Wirecard in einem Land, dem man großes Vertrauen entgegenbringt, schreien zum Himmel. Die Vorkommnisse um den Dieselskandal von Volkswagen haben den Glauben in die „teutonischen Tugenden“ schon sehr erschüttert. Der Imageschaden ist da, gerade deshalb, weil wir Deutsche gerne mit dem Finger auf andere zeigen, die sich fehlerhaft verhalten haben.

BaFin-Chef Hufeld hat sich angesichts der Fehler seiner Behörde schon einmal reuig gezeigt. Ob dies für die deutsche Regierung genug ist, angesichts der Tatsache, dass der deutsche Finanzsektor als sehr geschwächt darsteht, in Europa und in der Welt, auch wegen seiner schwachen Aufsichtsbehörden?

Der Skandal um Wirecard wird uns noch lange beschäftigen



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