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Zinsen und Inflation: Ab wann wird es kritisch für die Aktienmärkte?

Steigende Zinsen an den Kapitalmärkten sind eine Gefahr für die Aktienmärkte. Aber ab welchem Niveau wird es wirklich kritisch?

Es gibt derzeit wohl kein zentraleres Thema für die Börsianer als das Wiedererwachen des „natürlichen“ Gegners für die Dividendentitel: Steigende Zinsen an den Kapitalmärkten, also der Preis für Fremdkapital, das in stetiger Konkurrenz zum Eigenkapital (z.B. den Aktien) und dessen Gewinn steht. Ein stetiges Auf und Ab, ein Wechselspiel, das die allermeisten Börsenzyklen bestimmte. Viele stellen sich deshalb die Frage, ab welchem Zinsniveau wird es kritisch für die aktuelle Hausse an den Aktienbörsen?

Zinsen und Inflation: 2020 und 2021, zwei völlig unterschiedliche Börsenjahre?

Im Coronajahr 2020 ging es bereits ab April an den Aktienmärkten um die Frage: wie schnell wird die Wirtschaft die extremen Folgen der Pandemie überwinden? Eine Zeit voller Unsicherheiten, wie sich eine Gesundheitskrise auf Menschen und Wirtschaft auswirken wird, als so genannter externer Schock, für den selbst Firmeninsider kein vorteilhaftes Wissen besaßen.

Man hoffte auf die Flexibilität der Wirtschaft und die Wirksamkeit der medizinischen Forschung und blickte weit in die Zukunft. Zum Ende des Jahres hatten sich die Rahmenbedingungen dann grundlegend verändert, aus Hoffnung wurde Überzeugung. Der 9. November als Gamechanger mit der Meldung von BionTechPfizer über die Wirksamkeit eines Präparats gegen Corona. Das Inaussichtstellen von Abermillionen an Impfdosen gegen Covid-19, die Pandemie erschien in absehbarer Zeit als überwindbar. Mit rasch erkennbaren Folgen: Aus Deflation erwuchs das Pflänzchen Inflation, aus beständigen negativen Zinsen (real) kletterte das lange Ende der Zinsen in der Folge in die Pluszone. Das Niveau ist noch sehr niedrig, aber durch den schnellen Anstieg der Kapitalmarkt-Zinsen stellte sich sofort die eingangs gestellte Frage.

Wie stark könnte sie steigen, die Inflation? Und die Zinsen?

Gebannt starren Ökonomen auf die aktuellen Inflationszahlen, die aus Übersee und der Eurozone gemeldet werden. 1,5 Prozent für die USA und 0,9 Prozent für Europa (Deutschland 1,3), eigentlich in Richtung Wunschbereich für die Zentralbanken, wenn da nicht die Geschwindigkeit des Anstiegs (in Europa) und die Inflationserwartungen an den Terminmärkten wären (2,39 Prozent für die USA).

Über die Preistreiber wie steigende Energie- und Transportkosten, stark gestiegene Rohstoffpreise, steigende Produktionskosten u.v.m., über all das wurde auf FMW schon ausführlich berichtet. Aber es dürfte auch dem letzten Hinterbänkler bewusst sein, dass man in Kürze eine Periode vergleicht, in der im Vorjahr bis zu 4 Milliarden Menschen in häuslicher Quarantäne verweilten und das Wirtschaftsleben auf Sparflamme lief. Ein weiteres Mal deshalb mein Hinweis, wenn etwas so bekannt ist, verliert es fast jegliche Börsenrelevanz.

Aber auch Wirtschaftsprofessoren sind sich uneins, wie es mit der Inflation auf mittlere Sicht weitergeht. In einem Streitgespräch zwischen Prof. Mayer (Flossbach von Storch) und Prof. Bofinger (langjähriger Sachverständiger der BuReg) im Handelsblatt wurden die unterschiedlichen Sichtweisen deutlich. Während für Peter Bofinger die Inflation keine Rolle spielen dürfte und im Jahresverlauf nur bis auf zwei Prozent steigen sollte, sieht Thomas Mayer weitaus höheres Potenzial nach oben (bis 5 Prozent?).

Die Argumentationen: Prof. Mayer sieht die steigenden Rohstoffpreise und die gewaltige Geldmenge, die ins System geflossen ist, als potenzielle Treiber an. Allein die Geldmenge M3 sei gegenüber dem Vorjahr um 12 Prozent gestiegen, bei einer geschrumpften Wirtschaft. Allerdings blieben die Lohnsteigerungen bisher aus, die die berühmte Lohn-Preisspirale in Gang setzen könnten.

Dies ist genau das schlagende Element für Prof. Bofinger, die Löhne würden zu wenig steigen und bei der Inflation der Immobilien käme nichts an, weil die Menschen in ihrem eigenen Wohneigentum säßen. Die Reisebranche würde zwar einen Boost bekommen, allerdings würde dies kompensiert durch fehlende Geschäftsreisen.

Nicht unterschätzen sollte man allerdings die große Sparrate, die diesseits und jenseits des Atlantiks aufgelaufen ist. Man wird sich in einem großen Nachholeffekt etwas gönnen – Wirtschaftsprofessor Scott Galloway aus New York spricht sogar von einer kommenden Ära der Zügellosigkeit – und die Unternehmen werden vermutlich versuchen, einen Teil der Kosten und Ausfälle wegen Corona durch Preisanhebungen auszugleichen.

Bleiben die Notenbanken: Federal Reserve und Europäische Zentralbank haben aber bereits angekündigt ein Überschießen des „Inflation Targets“ für eine gewisse Zeit zu tolerieren. Nichtsdestotrotz äußern sich immer mehr europäische Notenbanken zu ihrer Besorgnis über steigende Zinsen. Schon ein wenig seltsam bei sehr niedrigen Zinsen und angesichts der Tatsache, dass die südlichen Länder (besonders Griechenland, aber auch Italien) die Staatsschulden zu einem Teil auf sehr lange Laufzeiten umgestellt haben. Und neue Anleihen werden im großen Ausmaß durch die EZB und ihr Aufkaufprogramm PEPP vom Markt genommen. Ist es die Furcht vor einem Ende von Quantitative Easing?

Steigende Kapitalmarktzinsen

Dass eine 10-jährige US-Staatsanleihe sich nicht bei ihrem Coronatief von 0,52 Prozent Zinsen halten werde, wenn die Wirtschaft um fünf Prozent wachsen soll, musste jedem klar sein. Was absolut überraschte, war die Geschwindigkeit des Anstiegs von 0,92 Prozent zu Jahresbeginn bis auf 1,614 Prozent binnen acht Wochen. An den Märkten brach leichte Panik aus. Zum einen wegen der speziellen Lage in den USA mit der raschen Umstellung vieler Zinsen eines Teils der insgesamt 80 Billionen Dollar schweren Gesamtverschuldung der USA. Jedes Zehntel Anstieg der Zinsen verteuert viele Finanzierungen. Zum anderen verändert sich gerade das Jahrzehnte alte Wechselspiel zwischen Anleihen und Aktien in der Präferenz der Anlage. Nach fast 40 Jahren Rückgang der Zinsen von 18,54 Prozent auf 0,52 Prozent, kann es ohne eine weitere Rezession eigentlich nur nach oben gehen. Bei einem raschen Anstieg der Zinsen gibt es für Kapitalsammelstellen plötzlich wieder die Alternative zu TINA, man könnte die Depots wieder etwas in Richtung Rentenmarkt umstrukturieren. Das globale Volumen-Verhältnis Aktienmärkte zu Staatsanleihen hatte kürzlich in etwa 110 zu 70 Billionen Dollar betragen.

Aber wäre eine Rendite von 1,6 Prozent für die 10-jährige US-Treasury bereits eine substanzielle Gefahr für die Aktienmärkte? Klar hätte man in den USA die Schwelle zur positiven Realrendite erreicht und auch die viel erwähnte Dividendenrendite des S&P 500 läge bereits gleichauf zur Rendite der 10-Jährigen. Aber so ungewöhnlich ist dieses Verhältnis nicht, wenn man den Chart der letzten Jahre betrachtet.

Die Zinsen - Vergleich Anleiherenditen mit Dividendenrenditen

Fazit

Wo also könnte die Schwelle liegen, der Tipping Point für die Rendite der großen Benchmark (10yr), wo die Aktienmärkte in den Korrekturmodus schalten würden? Die Ansichten hierzu schwanken zwischen 1,75 und 2,25 Prozent. Dies gilt für die Benchmark in den USA, der 10-jährigen Staatsanleihe und ihrer globalen Bedeutung. Die Zentralbanken haben weltweit über 10 Billionen Dollar in die Anleihemärkte gespült, um die Renditen zu senken. Sie werden mit all ihrer Macht versuchen, einen zu raschen Anstieg der Zinsen am Kapitalmarkt zu verhindern.

Die Inflationsrate ist hierfür der große Treiber und zugleich ein Parameter für die Federal Reserve. Deren gesetzlicher Auftrag, den Jerome Powell in jedem Fed-Statement gebetsmühlenartig vorträgt: „Price Stability and Maximum Employment“, bringt die Notenbank in eine weitere Zwangslage, denn die Inflationserwartungen sind weit in die Zukunft gerichtet, während die Arbeitslosendaten die Vergangenheit reflektieren.

Die Marktreaktionen in der vergangenen Woche haben aber eine weitere Ursache. Nach dem Anstieg des S&P 500 von Ende Oktober mit 3269 Punkten auf 3950 Punkte Mitte Februar war nicht nur wegen der Euphorie und der einseitigen Positionierung der Anleger eine Korrektur schon überfällig. Es musste nur ein Auslöser für Gewinnmitnahmen gefunden werden.

Dennoch wird uns das Thema Zinsen noch die nächsten Monate begleiten, zu extrem entwickeln sich gerade die großen Parameter an den Kapitalmärkten. Eine Zinswende nach vier Jahrzehnten fallender Zinsen, eine historisch einmalige Verschuldung, ebenso historisch einmalige Stimuluspakete, ein konjunktureller Wachstumsschub, der in einen Sugar Rush münden könnte und Regierungen und Notenbanken, die einen Zinsanstieg zu verhindern versuchen. Zunächst verbal beschwichtigend, dann operativ durch eine Yield Curve Control, dem Versuch auf das lange Ende der Zinsen Kontrolle zu erlangen. Viele warten daher auf den nächsten verbalen Kunstgriff von Jerome Powell am morgigen Donnerstag. Die Märkte haben die neue Gemengelage längst erfasst, man dürfte sich nicht mehr mit Beschwichtigungsfloskeln zufrieden geben.

Kommt die Inflation? Wie hoch können die Zinsen am Kapitalmarkt steigen?



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