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Türkei-Inflation sinkt erstmals seit einem Jahr – die Wende?

Die Inflation in der Türkei sinkt von 75,45 % auf 71,6 %, der erste Rückgang seit Sommer 2023. Ist das die lang ersehnte Wende?

Marktstand in Istanbul
Marktstand in Istanbul. Foto: Nicole Tung/Bloomberg

Das Statistikamt in Ankara hat soeben gemeldet, dass die Inflation in der Türkei im Juni auf 71,6 % gesunken ist von 75,45 % im Mai. Damit liegt der jetzt gemeldete Wert sogar tiefer als erwartet (72,6 %). Und es ist ein Ende des Inflationsanstiegs, der im Sommer 2023 bei unter 40 % begann. Ist das wirklich der Wendepunkt, wie ihn sich die Zentralbank in Ankara erhofft? Den Leitzins hatte man zuletzt mehrmals nicht angehoben, 50 % Zinsen seien ausreichend zum Abbremsen der Inflation, so verkürzt ausgedrückt die jüngste Leitlinie der Zentralbank.

Türkei-Inflation sinkt leicht – Leitzins bei 50 % reicht aus?

Aber immerhin, der Leitzins war binnen eines Jahres von 8,5 % auf 50 % gestiegen. Das wird einen Effekt zum Abbremsen der Inflation haben. Nun muss man schauen, ob es weiter bergab geht mit der Inflation. Die folgende Grafik zeigt die monatliche Entwicklung der Inflation in der Türkei (Verbraucherpreise im Jahresvergleich) in den letzten zwölf Monaten.

Grafik zeigt Inflation in der Türkei Quelle: TradingEconomics

Die folgende Grafik zeigt im Verlauf der letzten drei Jahre die Inflation in der Türkei (blaue Linie), im Vergleich dazu in orange den Leitzins der Zentralbank.

Grafik vergleicht Leitzins und Inflation in der Türkei

Einordnung

Bloomberg ordnet die Lage in der Türkei nach der aktuellen Meldung zur Inflation wie folgt ein: Die Türkei beginnt damit, das Blatt zu wenden, nachdem sie zwei Jahre lang durch eine der schnellsten Preissteigerungsraten der Welt einen starken Druck auf die Lebenshaltungskosten ausgeübt hat. Offizielle Stellen sind optimistisch, dass der Rückgang der Inflation den Beginn einer raschen Desinflation nach einem aggressiven geldpolitischen Straffungszyklus markiert, der den Leitzins in weniger als einem Jahr um über 40 Prozentpunkte auf 50 % erhöhte.

Dennoch gehen viele Ökonomen davon aus, dass die Inflation am Ende des Jahres über dem Ziel der Zentralbank von 38 % liegen wird, wobei der steile Preisrückgang im Juli und August vor allem auf den statistischen Effekt einer hohen Basis ab 2023 zurückzuführen ist. Die Anleger beobachten genau, wie sich die Verlangsamung entwickelt, während sie sich in lokale Vermögenswerte stürzen. Der weitere Verlauf wird auch darüber entscheiden, wann Zinssenkungen wieder auf die Agenda der geldpolitischen Entscheidungsträger rücken, die mit der Warnung, dass sie ihren Kurs so lange straff halten werden, bis ein signifikanter und nachhaltiger Rückgang des zugrunde liegenden Trends der monatlichen Inflation zu verzeichnen ist, eine harte Botschaft vermittelt haben.

Schatz- und Finanzminister Mehmet Simsek sagte Anfang der Woche, es sei „wichtig“, dass die Inflation unter 42% sinke – das ist der obere Bereich der Jahresendprognosen der Zentralbank, aber immer noch etwa das Achtfache der offiziellen Zielrate von 5%. „Die Verschlechterung des Preisverhaltens und die Starrheit der Dienstleistungsinflation sind Herausforderungen für die kommende Zeit“, sagte Muhammet Mercan, Chefökonom der ING Bank für die Türkei. „Wir gehen davon aus, dass die Zentralbank ihren straffen Kurs beibehalten wird.“

Während die Inflationserwartungen unter den Marktteilnehmern sinken, erweisen sich die Aussichten der Haushalte als hartnäckiger, da sie einen Preisanstieg von 71,5 % in einem Jahr erwarten. Unverankerte Erwartungen können zu vorgezogenen Ausgaben führen, wenn die Verbraucher glauben, dass die Preise in Zukunft weiter steigen werden. Die Zentralbank hat erklärt, dass sich die Inlandsnachfrage immer noch auf einem „inflationären Niveau“ befindet.

Dennoch wirkt sich die restriktivere Politik auch auf die Wirtschaft aus. Ein von der Istanbuler Industriekammer und S&P Global erstellter Indikator für das türkische verarbeitende Gewerbe liegt seit drei Monaten unter der 50er-Marke, die eine Expansion von einer Kontraktion trennt, und die Unternehmen haben ihre Verkaufspreise im Juni so wenig erhöht wie seit viereinhalb Jahren nicht mehr.

In Zukunft wird das Augenmerk mehr auf den fiskalischen Bemühungen liegen, die den Ansatz der Zentralbank ergänzen. Bislang haben expansive Maßnahmen wie ein Vorruhestandsplan und ein starkes Lohnwachstum zu Beginn des Jahres „die Wirkung der Straffung der Politik begrenzt oder verwässert“, so Ercan Erguzel, Wirtschaftsexperte bei Barclays Plc.

FMW/Bloomberg/Turkstat



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4 Kommentare

  1. Selbst habe ich keine Erfahrung mit dem Leben in der Türkei.
    Aber der Neffe meine Frau ist türkischer Staatsbürger.
    So wie er mir sagte, ist die hohe Inflation für den „normalen“ Bürger kein besonderes Problem. Denn Erspartes für die Zukunft wird sowieso in Gold geparkt.
    Selbst bei der Anschaffung von Gütern mit längerer Lieferzeit, wird zumindest in Gold gerechnet. Die Einbauküche, die in 6 Monaten geliefert wird, kostet z. B. 100 Gramm Gold bei Vertragsabschluss. Was dann aber ganz oder zum Teil auch tatsächlich später in Gold bezahlt wird. Oder eben mit der Anzahl bunter Zettel, die für Gold an dem Tag der Lieferung bezahlt werden müssen.
    Der Anteil bunter Zettel sind dann für den Lieferanten oft für die Betriebskasse und die Steuer und das Gold für die private Sparbüchse.
    Auf der Rechnung steht immer die nationale Währung.
    Ohne bunte Zettel geht es natürlich auch nicht. Denn der Tee und das Frühstück am Morgen in der Bar wird mit bunten Zetteln bezahlt.

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

    1. … wie im Mittelalter, mit einem Goldbeutel rumlaufen.

      1. Nein fancy_trader.
        Bunte Zettel sind schon praktisch.
        Übriges nimmt Gold weniger Platz ein als Banknoten.
        Etwa 1,3 Millionen Euro an Gold haben in einer Milchtüte von einem Liter Platz.
        Versuchen Sie mal das an Scheine in die Milchtüte zu bekommen.
        Außerdem ist es ja auch wichtig, dass der Bürger schleichend durch die Inflation enteignet werden können, und der Staat sich entschulden kann; das geht mit Gold nicht.
        Ich habe noch nie mit Gold direkt bezahlt, sondern würde es vorher in bunte Zettel umtauschen.

        Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  2. @Helmut
    Der Cousin meines besten Freundes hat erzählt, dass die Tante seiner Freundin gehört hat, dass der Chef ihres Nachbarn von seiner Schwiegermutter erfahren hat, dass der Bruder ihres Kollegen von einem alten Schulfreund gehört hat, dass der Sohn seines früheren Mitbewohners angeblich in der Türkei mit Gold bezahlt

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