Aktien

VW-Probleme: Bloomberg-Analyse über Standort Deutschland

VW wird wohl erstmals Fabriken in Deutschland schließen. Eine Analyse bespricht dazu aktuell die Probleme des Standorts.

VW Logo
VW Logo. Foto: Yen Duong/Bloomberg

VW verkündete diese Woche, dass man erstmals überhaupt in Deutschland Fabriken schließen möchte, und dass man Arbeitsplatzgarantien kündigen will. Man muss und will unbedingt Kosten einsparen. Wir haben uns das gestern mal näher angeschaut: Alleine die Kernmarke VW hat im Vergleich von 2023 zu 2019 satte 22 % weniger Pkw verkauft! Man habe noch zwei Jahre Zeit grundlegend etwas zu ändern, so das Management gestern. Mit angekündigten Maßnahmen geht VW nun klar auf Konfrontation mit den mächtigen Gewerkschaftlern. Das seit geraumer Zeit bei einem Wert von 3 liegende KGV der Aktie war die ganze Zeit ein Weckruf der Börsianer, der nicht zur Kenntnis genommen wurde. Aber jetzt ist die Krise nicht mehr übersehbar.

Bloomberg hat heut eine Analyse über die Krise bei VW veröffentlicht, die wir hier in voller Länge zeigen: An einem Montagnachmittag Mitte August pendelten die Arbeiter im Elektrofahrzeugwerk von Volkswagen in Zwickau mit steinerner Miene zwischen Fahrzeugrahmen und Plattformen hin und her. Das Werk hatte die Nachtschichten abgeschafft und hunderte von Leiharbeitern entlassen. Ein Gefühl der Vorahnung lag bereits in der Luft. „Die Stimmung ist angespannt, muss ich ehrlich sagen“, erinnert sich Ronnie Zehe, der Montageleiter in einem der neuesten und effizientesten VW-Werke.

Drei Wochen später steht die Zukunft dieser Männer und Frauen auf dem Spiel, nachdem VW, wo man den legendären Käfer gebaut hat, eine Warnung herausgegeben hat, dass er zum ersten Mal in seiner 87-jährigen Geschichte Werke schließen muss. Kurz vor der unternehmerischen Bombe kam ein politischer Weckruf, als die Rechtsextremen bei zwei Landtagswahlen im ehemaligen Osten große Gewinne erzielten und in Sachsen – wo sich Zwickau befindet – den zweiten Platz belegten.

VW-Probleme: Symbol für industriellen Niedergang in Deutschland

Deutschland steht vor dem bisher symbolträchtigsten Moment in seiner Geschichte des industriellen Niedergangs, denn sein größter Hersteller steht kurz davor, den Rubikon der Werksschließungen zu überschreiten. Die Ankündigung von VW ist mehr als eine verspätete Anerkennung der wirtschaftlichen Realität. Sie ist ein schwerer Schlag für das Selbstverständnis des Landes als Automobilstandort und einer Wirtschaft, die zu Beginn dieses Jahrhunderts der größte Exporteur der Welt war.

Die Auswirkungen sind auch kultureller und wirtschaftlicher Natur in einer Nation, die nach dem Fall der Berliner Mauer in aller Eile zusammengenäht wurde und nun feststellen muss, dass das Projekt der Wiedervereinigung seinen Preis hat. Die einwanderungsfeindliche Alternative für Deutschland (AfD) und die Linkspopulisten haben sich die Ost-West-Spaltung zunutze gemacht, und das etablierte politische Establishment war machtlos, sie zu stoppen.

Karte zeigt Produktionsstandorte von VW in Deutschland

Kurzfristig sind ihre Wahlerfolge ein weiterer Schlag für die angeschlagene Koalition von Bundeskanzler Olaf Scholz. Langfristig, mit Blick auf die Bundestagswahl 2025, stellt sich die Frage, wie man die Ursachen für die Unzufriedenheit der Wähler bekämpfen kann. Und vieles davon hängt davon ab, ob es Deutschland gelingt, eine Art weiteres Wirtschaftswunder zu vollbringen: einen raschen Übergang von einem exportorientierten Autohersteller zu einer sauberen Energiemacht, die bei Chips und Batterien die Vorhut bilden. Die Chronik des Niedergangs von VW – eine mahnende Unternehmensgeschichte darüber, dass man der Zeit hinterherhinkt – spiegelt die Fehler in dem wider, was Deutschlands Erfolgsmodell war, und lässt Zweifel an Europas Wirtschaftsmotor aufkommen, der den Kontinent weiterhin anführen soll.

Zwickau
Zwickau. Foto: Iona Dutz/Bloomberg

„Die Probleme von Volkswagen sind zum Teil selbstverschuldet durch schlechte Geschäftsentscheidungen, aber VW ist auch ein gutes Beispiel für die enormen Schwierigkeiten, mit denen der Wirtschaftsstandort Deutschland zu kämpfen hat“, sagt Carsten Brzeski, Leiter Makro bei ING. „Deutschland verliert seit Jahren an Wettbewerbsfähigkeit, und das trifft nun auch die ehemaligen Kronjuwelen der deutschen Wirtschaft.“

In Zwickau, wo VW im vergangenen Jahr 247.000 vollelektrische Autos und 12.000 Karosserien für Lamborghini- und Bentley-Modelle herstellte, waren die Kostensenkungsmaßnahmen bereits in vollem Gange, bevor die Aussicht auf Werksschließungen im großen Stil aufkam. Das Werk ist voll und ganz von der viel langsameren Akzeptanz von Elektroautos in der Region betroffen, da die Modelle zu teuer sind und die Anreize schwinden. VW ist zwar immer noch sehr profitabel, hat aber eine holprige Übergangsphase hinter sich, indem man zunächst an Dieselmotoren festhielt und dann mit einer umfassenden Offensive zu weit ging.

Grafik zeigt rückläufige Verkäufe von Elektroautos in Deutschland

Das Unternehmen mit Hauptsitz in Wolfsburg war eines von hunderten von Unternehmen, die nach der Wiedervereinigung die Chance nutzten, die Ostwerke zu übernehmen, darunter auch das Werk in Zwickau. „Jede zweite Familie ist irgendwie mit diesem Volkswagen-Werk verbunden, selbst wenn es sich um den Schlachter handelt“, sagte Thomas Knabel, der örtliche Bevollmächtigte der IG Metall, die die Arbeitnehmer in diesem Werk vertritt.

Die Schließung einzelner Fabriken ist für solche Gemeinschaften verheerend – und bringt Olaf Scholz einen politischen Preis ein. Laut Bloomberg Economics erwirtschaftet die Automobilindustrie rund 4 % der gesamten Wertschöpfung in der deutschen Wirtschaft, weitere 4 %, wenn man die damit verbundenen Bereiche wie die Metall- oder Gummiverarbeitung berücksichtigt.

Martin Ademmer, Wirtschaftswissenschaftler beim BE, drückt es so aus: „Die Bedeutung der Autoindustrie für die deutsche Wirtschaft hat in den letzten Jahren abgenommen, aber sie ist immer noch ein sehr wichtiger Sektor.“ Autos sind ein integraler Bestandteil der modernen Identität Deutschlands, ein Prüfstein der Popkultur und ein politischer Leuchtstab: Ob Herbie, der Liebeskäfer in den Walt-Disney-Filmen, oder Janis Joplin in ihrem pyschedelischen Porsche aus den 1960er Jahren oder Donald Trump, der sich über die Anzahl der Mercedes-Benz- und BMW-Autos auf der Fifth Avenue in New York beschwert.

In der Tat ist die Geschichte von VW die Geschichte des Nachkriegsdeutschlands, ein Aufstieg gegen alle Widrigkeiten, verbunden mit dem Nachkriegswunder, das ein von Zerstörung gezeichnetes Land zur größten Industriemacht der Region machte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts konnte VW dank seiner Fähigkeit, die Nachfrage der wachsenden chinesischen Mittelschicht zu bedienen, dem Schicksal seiner Konkurrenten in Detroit trotzen. Doch dann wurde die Abhängigkeit von den asiatischen Verbrauchern zu einem Problem.

Unter den aufeinanderfolgenden Regierungskoalitionen in Berlin wurde der Höhepunkt der Industrieproduktion im Jahr 2017 durch den Aufstieg der fortschrittlichen chinesischen Produktion und die aufeinanderfolgenden Krisen – von der Pandemie bis zum Abbruch der billigen russischen Gasimporte im Zuge der Invasion in der Ukraine – untergraben.

Und dann ist da noch die Frage nach dem Standort des Landes. Eine Umfrage des Münchner ifo-Instituts unter 180 Wirtschaftswissenschaftlern kam im Mai zu dem Schluss, dass Deutschland als Unternehmensstandort nicht attraktiv genug sei, da die Infrastruktur durch jahrzehntelange Unterinvestitionen im Namen nahezu ausgeglichener Haushalte in Mitleidenschaft gezogen wurde, und die Bürokratie eine große Belastung für die Unternehmen darstellt.

Die Antwort der Regierung Scholz lautet, in einem überstürzten Versuch die Wähler im unruhigen Osten zu besänftigen, in dem man vor allem großzügige Subventionen an Unternehmen verteilt, die sich dort ansiedeln, siehe Intel und TSMC. Dieser Ansatz allein wird die schwindende Wettbewerbsfähigkeit des Landes auf lange Sicht nicht verbessern, sagte Jens Spahn von der CDU, der im Wirtschaftsausschuss des Bundestags sitzt. Er warnte diese Woche, dass „VW nur die Spitze eines großen Eisbergs ist“.

Monika Schnitzer, eine Wirtschaftswissenschaftlerin, die die Regierung berät, warnt, dass es zu früh sei, den Status des Landes als führender Industrieakteur abzuschreiben. „Deutsche Unternehmen können weiterhin erfolgreich sein, wenn sie sich durch neueste Technologien und hochwertige Produkte auszeichnen und gleichzeitig die Kosten unter Kontrolle halten“, sagte sie. „Deutschland hat immer noch viele Weltmarktführer, vor allem unter den so genannten Hidden Champions, die Nischenmärkte beherrschen.“

In Zwickau, in einer Region, die bereits von politischen Unruhen heimgesucht wird, hat die Ankündigung von VW zumindest etwas Klarheit gebracht, auch wenn die Arbeitnehmer Mühe haben, die düstere Stimmung zu durchschauen. Das Werk hat den Dienstplan für jedes einzelne Team komplett neu aufgestellt, was für die Beschäftigten mit Familien, Betreuungspflichten und gesundheitlichen Problemen ein Stresspunkt war. „Wir haben uns hier einen sehr guten Lebensstandard erarbeitet“, sagte Zwickaus Bürgermeisterin Constance Arndt. „Ich sehe mehr Licht als Schatten, aber die Menschen merken jetzt, dass es schnell zu Ende gehen kann.

FMW/Bloomberg



Kommentare lesen und schreiben, hier klicken

Lesen Sie auch

5 Kommentare

  1. Konservativ sein, heißt, an der Spitze des Fortschritts zu stehen. Also Bewährtes einerseits bewahren, dieses aber stets auf den bestmöglichen innovativsten Stand bringen versuchen. Somit also an der Automobilindustrie festhalten, aber verbrauchsarme Benzinmotoren und alternative Kraftstoffe herstellen. Und in diesem Zusammenhang eine KFZ-Steuer beschließen, die den Kraftstoffverbrauch bei der Staffelung der KfZ-Steuer berücksichtigt.

    1. Ziel muß hierbei sein, daß Deutschland weiterhin die besten Autos der Welt baut.

      1. Für mich wäre Schritt 1, das predige ich seit 2010, die Händler endlich aus der Gleichung zu nehmen.

        Ich habe bei meinen 2. Porsche 14 % Rabatt auf den Listenpreis bekommen. Der Audi Händler hat 26 % auf einen A4 Avant Ausstellungswagen gegeben. (Keine Beschädigungen, sofort mitnehmen)

        Für dieses Geld kann man a) Preisreduktionen durchführen (um mit China mitzuhalten), b) Qualität steigern und/oder die Marge anpassen.

        1. Am FMW-Nutzer Thomas: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Ich spreche mich nicht für Preiskontrollen aus. Bitte in meinem FMW-Feld beim Thema bleiben.

  2. VW kann gar kein Werk schließen wenn das Land und die Miatarbeitervertretung das nicht absegnen. Diese beiden Parteien haben die Mehrheit bei VW. Blume provoziert nur. VW hat ein China Problem und hat auf zu viele falsche Pferde gesetzt. VW hat keiner gezwungen zu spät auf elektro zu setzen und dann in einer HauRuck Aktion voll auf den Elektro Zug zu springen als dieser schon wieder an Fahrt verlor. Dazu kommt das die Software überhaupt nicht Konkurrenzfähig ist. Würde VW die besten Produkte entwickeln würden sie auch keine Probleme haben.

Hinterlassen Sie eine Antwort

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert




ACHTUNG: Wenn Sie den Kommentar abschicken stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zur Verwendung der Kommentarfunktion zu.
Weitere Information finden Sie in unserer Zur Datenschutzerklärung

Meist gelesen 7 Tage