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Bloomberg Opinion Volkswagen und Rivian: Chris Bryant über den „Wolfsburger Sugardaddy“

Ist die Vollkswagen-Partnerschaft mit Rivian ein toller Schachzug, oder eine Verzweiflungstat? Hier dazu eine interessante Analyse.

Ein Elektroauto von Rivian
Ein Elektroauto von Rivian. Foto: Kyle Grillot/Bloomberg

Volkswagen verkündete gestern ein Joint Venture mit Rivian, die Wolfsburger pumpen 5 Milliarden Dollar. Ist es der gute strategische Schritt, oder eine Verzweiflungstat, weil man es selbst nicht gebacken bekommt. Der Bloomberg Opinion Kolumnist Chris Bryant hat dazu eine Analyse veröffentlicht, die wir hier im Wortlaut zeigen: Es sagt viel über die missliche Lage von Volkswagen — immerhin Europas umsatzstärkster Autohersteller — aus, dass die Rettung in einem Milliardenscheck für ein US-Start-up besteht, das seit seiner Gründung 20 Milliarden Dollar verloren hat, im vergangenen Jahr nur 57.000 Autos gebaut hat und voraussichtlich noch auf Jahre hinaus Geld verbrennen wird.

Die gestern angekündigte Gründung eines Joint Ventures mit Rivian Automotive zur Entwicklung von Software für Elektrofahrzeuge, bei dem VW bis 2026 bis zu 5 Milliarden Dollar in Form von Eigenkapital und Darlehen bereitstellen wird, bietet Vorteile für beide Parteien: Rivian erhält dringend benötigtes Kapital und größere Skaleneffekte, während die schwerfälligen Wolfsburger einen agileren Partner bekommen, der tatsächlich etwas von Software und Elektrofahrzeugen versteht (die internen Software-Bemühungen von VW waren größtenteils kläglich).

Aber es ist viel einfacher, eine Ehe zu verkünden, als sie zum Erfolg zu führen. Die Geschichte der Automobilindustrie ist voll von gescheiterten Allianzen und ungleichen Unternehmenskulturen. Investoren beider Unternehmen, die sich von der Verbindung eine schnelle Lösung der jeweiligen Probleme erhoffen, könnten schwer enttäuscht werden.

Grafik zeigt schwindende Barmittel bei Rivian, weswegen das 5 Milliarden-Investment von Volkswagen Ruhe bringen dürfte.

Nach der Entlassung von Volkswagen-Chef Herbert Diess – auch bekannt als Mr. ‘Voltswagen’ – im Jahr 2022 hat der Autohersteller seine Strategie, proprietäre Software zu entwickeln, neu bewertet, nachdem die Ergebnisse enttäuschend ausgefallen waren und wichtige Modellanläufe wie der des elektrischen Porsche Macan verzögert hatten. Der neue Chef Oliver Blume hat keinen Hehl aus seiner Frustration über die schwerfällige Softwaresparte von Volkswagen gemacht, die in den letzten zwei Jahren insgesamt rund 4,5 Milliarden Euro verloren hat und derzeit umstrukturiert wird. Er ist viel offener für Hilfe von außen und verfolgt einen maßgeschneiderten, regionalen Ansatz.

Im vergangenen Jahr hat Volkswagen eine Minderheitsbeteiligung an XPeng erworben, um von der Expertise des chinesischen Unternehmens in den Bereichen Fahrzeugsoftware und Konnektivität zu profitieren, nachdem die eigenen Elektrofahrzeugangebote von VW die Kunden vor Ort nicht überzeugen konnten.

Jetzt machen sich die Wolfsburger an Rivian heran. Das in Kalifornien ansässige Unternehmen hat eine aufregende Marke und einige beeindruckende Fahrzeuge entwickelt, konnte jedoch nicht schnell genug wachsen, um die massiven Investitionen zu amortisieren. Das Ergebnis war ein enormer Cash Burn, der durch die Entscheidung vom März, den Bau einer 5-Milliarden-Dollar-Fabrik in Georgia vorerst zu stoppen, nicht behoben wurde.

Im Gegensatz zu Fisker, das letzte Woche Insolvenz anmeldete, hat Rivian mit Amazon bereits einen wohlhabenden Hauptaktionär, doch dessen Priorität liegt auf Nutzfahrzeugen.

Die Aktionäre von Rivian können nun zuversichtlicher sein, dass die Lichter auch in den nächsten Jahren nicht ausgehen werden. Der gestrige Anstieg der stark gefallenen Aktie um 23 % ist der Inbegriff einer Erholungsrallye. Sie sollten sich jedoch nicht zu sehr davon mitreißen lassen: Ein Joint Venture, das von zwei Co-CEOs geleitet wird, von denen jedes Unternehmen einen ernennt, scheint für Streitigkeiten prädestiniert zu sein. Die ersten Produkte mit einer gemeinsam entwickelten Softwarearchitektur werden erst in einigen Jahren auf den Markt kommen.

Dies ist nicht Rivians erste Liebelei: Eine Partnerschaft mit Ford wurde 2021 aufgelöst, nachdem der Auto-Gigant beschlossen hatte, Elektrofahrzeuge selbst zu entwickeln. Eine Partnerschaft mit Mercedes über die Produktion von Lieferwagen wurde 2022 nach nur wenigen Monaten beendet. Volkswagen hat eine ähnlich durchwachsene Erfolgsbilanz bei der Zusammenarbeit mit anderen: Im Jahr 2022 zog VW die Investitionen in Argo AI, ein Start-up für autonomes Fahren, zurück, was zu einer Wertberichtigung in Höhe von fast 2 Milliarden Euro führte.

Nachhaltig stimulierend ist eine Kapitalspritze von Volkswagen auch nicht immer: Die Aktien von Xpeng sind um zwei Drittel gefallen, nachdem die anfängliche Begeisterung über die im vergangenen Sommer angekündigte Partnerschaft angesichts anhaltender Verluste des chinesischen Konzerns abgeflaut war.

In der Zwischenzeit hat sich die Marktkapitalisierung von VW seit Februar 2022 auf nur noch 55 Milliarden Euro mehr als halbiert. Die Ingenieurskunst von Volkswagen ist unbestritten, aber das Unternehmen hat die unglückliche Angewohnheit, große Summen für wenig Gegenleistung auszugeben (siehe zum Beispiel die Pläne, ein Netzwerk von Batteriefabriken aufzubauen).

Langfristig könnte die Partnerschaft mit Rivian dazu beitragen, die Softwareausgaben im Vergleich zu den Ausgaben, die VW allein getätigt hätte, zu senken, aber kurzfristig bedeutet dies höhere Ausgaben — Volkswagen hat seine Cashflow-Prognose für das Gesamtjahr um 2 Milliarden Euro gesenkt. Und wenn Rivian erneut das Geld ausgeht, kann man darauf wetten, dass die VW-Zentrale in Wolfsburg den ersten Anruf erhält.

Ehrlich gesagt wäre ich zuversichtlicher, wenn Volkswagen mit einem Technologiegiganten wie Alphabet oder Apple angebandelt hätte, anstatt mit einem weiteren erfolglosen Newcomer. Aber in einer Welt, in der Software-Code die Zukunft des Automobils bestimmen wird, hat VW zumindest den Wert der Bescheidenheit erkannt.

FMW/Bloomberg



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6 Kommentare

  1. Dr. Sebastian Schaarschmidt

    Die Frage ist eher – ob die E- Mobilität wirklich das „Heilsversprechen“ für die Zukunft ist.

    Tesla hat jedenfalls gestern von der Meldung profitiert. Zudem wurde der Wert gestern wieder massiv durch zahlreiche Analysten gepusht.

    Jetzt ist Tesla mit nem 600er KGV bewertet, es waren aber auch schon mal weit über 1000…

    Vielleicht spekuliert man auch auf ein neues Förderprogramm, seitens der Regierungen. Erinnern wir uns, vor nicht allzu langer Zeit gab’s mehere tausend Euro für ein neues E- Fahrzeug.

    Natürlich wie immer von der Allgemeinheit zu tragen…mit Marktwirtschaft hat das nichts mehr zu tun…

    Denn warum musste ein Unternehmen gefördert werden, was damals mehr wert war, als alle damaligen Dax Aktien zusammen…

    Diese Frage musste damals gestellt werden…

    1. Also, das was VW gerade bei Rivian eingekauft hat – Software -know-how – ist unabhängig davon ob das Auto ein Verbrenner, Hybrid oder reines eAuto ist. Die Schnittstelle zum Fahrer wird nicht wieder so werden, wie vor 50 Jahren und die Online-Verbindung zu dicken Rechenzentren des Herstellers – für was auch immer – genauso. Das heißt die Technik im Auto muss sich ändern und wer das nicht gut und billig hinbekommt hat keine Zukunft.

  2. VW will mit Rivian-Software und -Hardware ein Fahrzeug für die USA bauen – ähnlich wie mit XPeng – und man hat eine Lizenz für die Software von Rivian gekauft. Ich denke beides sind Dinge, die ständig in der Autoindustrie gemacht werden, weshalb das funktionieren wird. Allerdings ist das nur ein temporärer Rettungsring, die Rettung für VW ist das noch nicht.

    Übrigens, kürzlich lass ich von einer Zusammenarbeit bei Software mit Amazon. Also, Google und Apple sind toxisch, aber andere Tech-Konzerne sind OK. Aus deutscher Sicht scheint mir das verständlich zu sein.

  3. Naja, dann hat VW es ja auch wohl schon gemerkt, dass es ohne Verbrenner nicht gehen wird.

    Volkswagen steckt 60 Milliarden Euro in neue Verbrenner

    https://www.merkur.de/wirtschaft/volkswagen-investitionen-milliarden-euro-verbrennermotor-elektroauto-zr-93148517.html

    Viele Grüße aus Andalusien
    Helmut

    1. Rivian ist eine Tochter von Amazon!
      Ein weiterer Konzern wird gestutzt und irgendwann wird VW von der Bildfläche verschwinden,es ist ja alles so gewollt und der Untergang der deutschen Wirtschaft voran getrieben.

  4. Ja Deutscher, VW wird wohl zwangsläufig von der Bildfläche verschwinden. Denn selbst die Chinesen würden VW nicht geschenkt übernehmen. Warum sollten sie auch?
    Aber vielleicht werden die Produktionskapazitäten bald besser bei VW ausgelastet sein, wenn auf Rüstung umgestellt wurde.
    Die Lager mit Rüstungsgütern voll bekommen ist nicht so sehr das Problem. Aber die Produktion bei einem laufenden Krieg mit Russland so hochzudrehen, dass die Granaten nicht schneller verschossen werden, als hergestellt werden können, ist eher das Problem.

    Viele Grüße aus Andalusien
    Helmut

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