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VW vor historischer Wende? Der große interne Kampf beginnt

VW will Werke in Deutschland schließen und Job-Garantien kündigen. Jetzt beginnt wohl ein großer Kampf mit den Gewerkschaften.

VW-Chef Oliver Blume
Oliver Blume. Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg

Seit Jahrzehnten gilt: VW ist eine Art Hybrid – eine Mischung aus freier Marktwirtschaft und Staatskonzern. Das Land Niedersachsen besitzt 20 % der Stammaktien, und die mächtige Gewerkschaft IG Metall hat die Hälfte der Aufsichtsratssitze inne. Nimmt man das Land Niedersachsen dazu, das natürlich immer die Arbeitsplätze im Stammland von VW im Blick hat, ist es ein übermächtiger Block, der sich bei Problemen gegen die Kräfte stellen kann, die harte und unbequeme Entscheidungen treffen wollen oder müssen.

VW versucht die Wende – Anleger sahen schon lange Probleme

Nun hat VW gestern verkündet, man erwäge erstmals überhaupt in Deutschland ganze Werke zu schließen, und man will Arbeitsplatzgarantien aufkündigen. Das ist die maximale Kampfansage gegen die Gewerkschaften. Und wenn die Gewerkschafter sich das gefallen lassen, werden sie wohl den Druck ihrer Mitglieder zu spüren bekommen. Und wird das Land Niedersachsen schon dafür sorgen, dass bloß kein Werk im eigenen Bundesland dicht gemacht wird?

Auch strategisch stellt sich die Frage: War es der große Fehler sich bei VW volle Pulle den Elektroautos zu verschreiben? Einerseits wollen die Deutschen weiterhin Verbrenner fahren. Und andererseits gilt: Da wo die Verbraucher Elektroautos stark nachfragen – in China – sind die dortigen Konkurrenten stärker, moderner, billiger. Wie wir es gestern bereits schrieben: Die Anleger haben bei Volkswagen den Braten schon seit geraumer Zeit gerochen. Die Aktie hat ein KGV von 3, ist also quasi fast schon geschenkt zu haben an der Börse.

Die Gewinne bei Volkswagen sprudeln zwar immer noch und auch die nahe Zukunft sieht gut aus. Aber die Anleger sehen zahlreiche Probleme, weswegen der Aktienkurs sehr niedrig ist, und das KGV nur bei einem Wert von 3. Schauen wir auf den folgenden Chart: Die VW-Aktie hat – wenn man den Startzeitpunkt kurz vor Ausbruch der Corona-Krise wählt – bis jetzt satte 45 % an Wert verloren!

Chart zeigt prozentuale Entwicklung der VW-Aktie seit Ende 2019

Showdown mit Gewerkschaften steht an

Wegen des Übergewichts von Gewerkschaft und Politik im Aufsichtsrat fällt es der Konzern-Kernmarke VW am Fertigungsstandort Deutschland seit einer gefühlten Ewigkeit schwer, sich flexibel an neue Gegebenheiten anzupassen. Die jüngsten Marktprobleme kommen nun zu den internen strukturellen Problemen hinzu, und ein großer Kampf vor allem mit den Gewerkschaftlern steht bevor. „Volkswagen erwägt beispiellose Werksschließungen in Deutschland und bereitet sich damit auf einen Showdown mit den mächtigen Gewerkschaften vor, während die wichtigste Industrie des Landes um ihre Zukunft kämpft“, so formuliert Bloomberg die Lage nach der gestrigen überraschend klaren Nachricht vom VW-Management.

Weiter wird berichtet: „Das wirtschaftliche Umfeld ist noch härter geworden und neue Akteure drängen nach Europa“, sagte VW-Vorstandschef Oliver Blume in einer Erklärung. „Der Standort Deutschland gerät in seiner Wettbewerbsfähigkeit weiter ins Hintertreffen.“

Ein ausgewachsener Arbeitskonflikt wäre für den Vorstandsvorsitzenden, der auch die Sportwagenmarke Porsche leitet, eine große Bewährungsprobe, nachdem eine Reihe seiner VW-Vorgänger von Gewerkschaftskonflikten betroffen waren. Die Steigerung der Renditen bei der Marke VW ist angesichts höherer Logistik-, Energie- und Arbeitskosten schwieriger geworden. Die Marge der Marke fiel im ersten Halbjahr auf 2,3 %, verglichen mit 3,8 % vor einem Jahr. Das Unternehmen hat auch auf seinem größten Markt China an Schwung verloren, da seine Elektroauto-Modellpalette weit hinter der Konkurrenz zurückbleibt, während billigere chinesische Elektroautos nach Europa drängen.

Der sich abzeichnende Konflikt in einem der größten deutschen Unternehmen bedroht den Nachkriegskonsens, in dem die Arbeitnehmer einen großen Einfluss haben. Jahrzehnte alte Mitbestimmungsvereinbarungen geraten unter Druck, da neue Wettbewerber das industrielle Fundament Deutschlands ins Visier nehmen und populistische Parteien auf dem Vormarsch sind.

Grafik zeigt Entwicklung der Margen bei VW

Am Sonntag brachten die Wahlergebnisse in zwei ostdeutschen Bundesländern eine weitere Demütigung für die Sozialdemokraten von Bundeskanzler Olaf Scholz und seine beiden Koalitionspartner. Die Alternative für Deutschland (AfD) wurde in Sachsen, wo VW ein Elektroauto-Werk in Zwickau betreibt, Zweiter und gewann die Wahlen im benachbarten Thüringen – der erste Triumph einer rechtsextremen Partei bei einer Landtagswahl seit dem Zweiten Weltkrieg.

„Ich bin zutiefst besorgt, dass die VW-Konzernleitung Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausschließt“, sagte der SPD-Abgeordnete Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der Scholz-Fraktion, gegenüber Bloomberg News. „Die SPD-Bundestagsfraktion steht fest auf der Seite der Arbeitnehmer und erwartet konstruktive Gespräche“ mit den Betriebsräten und Gewerkschaften.

Der Aufsichtsrat

VW beschäftigt weltweit rund 650.000 Mitarbeiter, davon fast 300.000 in Deutschland. Die Hälfte der Sitze im Aufsichtsrat des Unternehmens wird von Arbeitnehmervertretern besetzt, und das deutsche Bundesland Niedersachsen, das einen Anteil von 20 % hält, stellt sich häufig auf die Seite der Gewerkschaften. Diese Konstellation ist Teil eines labyrinthischen Governance-Systems, bei dem die Unternehmensleitung für wichtige Entscheidungen die Unterstützung der Milliardärsfamilie Porsche-Piech und der Arbeitnehmerseite gewinnen muss.

Betriebsratschefin Daniela Cavallo sagte, das VW-Management habe gewarnt, dass die Marke, die die Modelle Golf und Tiguan herstellt, Gefahr laufe, Geld zu verlieren, heißt es in einer separaten Erklärung. Das Unternehmen erwäge die Schließung von mindestens einem größeren Automobilwerk und einem Komponentenstandort in Deutschland sowie die Abschaffung von Tarifverträgen, hieß es.

Volkswagen stellt auch die Produktion eines kompakten Elektro-SUV-Modells am Hauptstandort in Wolfsburg ab 2026 in Frage“, um die Kapazitäten des Werks auszulasten, so der Betriebsrat. Das Modell Trinity, das derzeit in Zwickau geplant ist, läuft Gefahr, verschoben zu werden. Volkswagen hat im vergangenen Jahr rund 9 Millionen Fahrzeuge hergestellt, verglichen mit einer Gesamtkapazität von 14 Millionen.

Niedersachsen sagte, man unterstütze die Bemühungen von VW zur Kostensenkung und fügte hinzu, dass in Gesprächen mit den Arbeitnehmervertretern nach alternativen Möglichkeiten gesucht werden müsse. „Wir gehen davon aus, dass sich die Frage von Werksschließungen nicht stellen wird, weil Alternativen erfolgreich genutzt werden“, sagte Stephan Weil, Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsratsmitglied. „Darauf wird die Landesregierung ein besonderes Augenmerk legen.“

Andere Zusammenstöße

Frühere Auseinandersetzungen beendeten oder verkürzten die Amtszeiten von Top-Managern, darunter der frühere Vorstandsvorsitzende Bernd Pischetsrieder, Ex-VW-Markenchef Wolfgang Bernhard und Herbert Diess, Blumes Vorgänger als Vorstandsvorsitzender. Alle drei versuchten, Effizienzsteigerungen durchzusetzen, insbesondere bei den deutschen VW-Geschäften.

Die Pläne bergen die Gefahr, die wirtschaftliche Misere in Deutschland zu verschärfen, wo die Industrieunternehmen ihre Investitionen zurückfahren. Die Marktbewertung von VW ist auf rund 51 Milliarden Euro gesunken, obwohl das Unternehmen mit einem Betriebsergebnis von 22,6 Milliarden Euro im vergangenen Jahr weiterhin Gewinne einfährt.

Grafik zeigt rückläufige Verkäufe bei Elektroautos

Die unpopuläre deutsche Regierungskoalition unter der Führung von Scholz‘ Sozialdemokraten wird von internen Streitigkeiten und abrupten Politikwechseln heimgesucht, die verheerende Folgen haben. Letztes Jahr strich die Regierung plötzlich die Anreize für Elektroautos, nachdem der Gesetzgeber die Haushaltspläne durchkreuzt hatte. Der Einbruch der Verkaufszahlen auf Europas größtem Automarkt hat seitdem eine Reihe von großen Zulieferern wie Robert Bosch, ZF Friedrichshafen und Continental in Bedrängnis gebracht.

„Die Automobilindustrie steht weltweit vor großen Herausforderungen und durchläuft einen tiefgreifenden Wandel, der den Unternehmen strategische Entscheidungen abverlangt“, heißt es in einer Erklärung des Wirtschaftsministeriums. „Es ist wichtig, dass Unternehmen und Management verantwortungsvoll und in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern handeln.“

Die Pläne von VW für weitere Kürzungen folgen auf eine Ankündigung vom Juli, in der die mögliche Schließung eines Werks in Brüssel angekündigt wurde, in dem Elektro-Audis hergestellt werden. Das Werk hat mit hohen Kosten und einer schwachen Nachfrage nach dem Luxusmodell Q8 e-tron zu kämpfen, dem einzigen Modell, das dort produziert wird. Damals senkte der Autobauer seine Jahresprognose, unter anderem wegen der zu erwartenden Kosten für die Schließung des Werks.

Das letzte Mal, dass VW eine größere Autofabrik geschlossen hat, war vor mehr als 30 Jahren, als das Unternehmen sein damals einziges US-Montagewerk in der Nähe von Pittsburgh stilllegte. Die Marke Volkswagen verfügt über Produktionsstandorte für Komponenten in Braunschweig, Kassel, Salzgitter, Hannover und Chemnitz sowie über Autowerke in Wolfsburg, Emden, Zwickau, Dresden, Osnabrück und Hannover.

FMW/Bloomberg



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4 Kommentare

  1. VW fährt überhaupt keine Gewinne ein. VW trägt einen Schuldenberg von über 400 Milliarden (sic!) Euro vor sich her. Jegliches gezahltes Gehalt, jeglicher „Gewinn“ ist nur durch das FIAT Ponzi-Schema extrahiert worden. In Wirklichkeit saugt VW lediglich (initial vom Staat geschaffene) Unternehmens“kredite“ auf, und zahlt diese als Gehälter aus. Dass da noch Autos bei rauskommen ist eher ein Nebenprodukt.

    Immer mehr Menschen verstehen, dass unser Geldsystem am Ende ist. Irgendwann auch die FMW Schreiber…

  2. Die Volkswagen Group räumt der Ekektromobilität gegenüber dem Verbrennungsmotor einen zu hohen Stellenwert ein. Es bedarf hier einer optimaleren Mischung zwischen Benzinmotoren und alternativen Kraftstoffen. Bei Ministerpräsident Stephan Weil wird jedoch für letzteres kein entsprechender politischer Wille vorhanden sein.

  3. @Holger Voss: „VW räumt der Ekektromobilität gegenüber dem Verbrennungsmotor einen zu hohen Stellenwert“ Das glaube ich nicht, es ist eher so das VW außer vielleicht dem ID7 keine Konkurenzfähigen Produkte haben. Zudem schleppen Sie Kosten vom Verbrennern-/Dieselgate und Schulden mit sich herum. Ihre Cashcow China läuft auch nicht mehr, weil dort die billige Elektroautokonkurrenz den Markt leer räumt. Das wird m.M.n. uns trotz Zölle verzögert auch hier passieren.

    https://www.youtube.com/watch?v=KPRSpFrW_OQ <- Ford Aufsichtsratsvorsitzender zu Elektroautos
    https://www.giga.de/news/bmw-auf-dem-holzweg-e-auto-chef-macht-klare-ansage/

  4. das ist eben die linksgrüne der Industrialisierung. wie bestellt so geliefert.

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