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Brexit: Wem schadet er mehr, der EU oder den Briten?

Angesichts des Anschwellens der Coronazahlen und der großen Spannung vor den US-Wahlen, sind die Verhandlung um den Brexit der Briten ein wenig in den Hintergrund gerückt. In dieser Woche läuft wieder einmal ein Ultimatum aus. Kommt es noch zu einer Einigung vor dem endgültigen Datum, dem 31. Dezember? Und gibt es schon Fakten zu den Frühschäden des Austritts der Briten?

Brexit: Was für Folgen hätte ein No-Deal?

Darüber wird schon seit dem Referendum über den Brexit von 2016 gemutmaßt. Fakt ist bereits, dass bis zum Ende des letzten Jahres Ende 2019 die Investitionen bereits um mehr als 15 Prozent hinter dem Durchschnitt der Vorjahre zurückgeblieben sind. Doch sollte es bis zum 31. Dezember keinerlei Vereinbarung geben, wird dies in jedem Fall wirtschaftliche Auswirkungen auf beiden Seiten haben. Wie waren die bisherigen Wirtschaftsbeziehungen?

Der Export von Gütern und Dienstleistungen der Briten in die EU betrug bislang etwa 14 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes, im Falle der EU in Richtung GB betrug der Anteil nur ganze drei Prozent.

Von Seiten deutscher Unternehmen hat man die lange Zeit seit dem Referendum nicht untätig verstreichen lassen. So ist der Export von Deutschland auf die Insel von 2016 bis vor Kurzem von 7,5 auf 5,6 Prozent gefallen. Gerade in letzter Zeit haben die hiesigen Unternehmen registriert, mit welcher Verbissenheit Boris Johnson den harten, kompromisslosen Brexit vorantreibt. Es ist wie zumeist an der Börse: Was man lange hat kommen sehen, wird versucht zu antizipieren, um den schweren Folgen entgegenzuwirken. Schocks entstehen immer durch das Unerwartete aus heiterem Himmel oder gar durch den berühmten „Schwarzen Schwan“. Klar wird ein harter Brexit beide Seite treffen, mancher Ökonom rechnet für Großbritannien mit einem Rückgang des Trendwachstums um 1,5 Prozent.

Aber wird es keinerlei Vereinbarungen auf dem so bedeutsamen Finanzsektor oder im Güter- und Reiseverkehr geben oder gar beim Handel mit Medikamenten? Zu Zeiten von Corona, wo dem schwedisch-britischen Pharmakonzern AstraZeneca mit seiner Impfstoffentwicklung eine entscheidende Rolle zukommen könnte? Die Pandemie jedenfalls kommt für Großbritannien mit seinem Austrittsvorhaben praktisch zur Unzeit.

Die aktuelle Coronakrise

Was die Covid -19-Infektionen betrifft, hat Großbritannien bereits eine schwere Zeit hinter sich. Nachdem man es zunächst mit einer Herdenimmunisierung versuchte, rückte Boris Johnson entsetzt davon ab, als ihm Wissenschaftler die mögliche Zahl an Todesopfern nahegelegt hatte. Trotz der Wende steht die Nation mit 894.000 Infektionen und fast 45.000 Corona-Toten (an oder mit Corona), der höchsten Zahl an Opfern in Europa derzeit in den Statistiken. Dies findet auch in den Wirtschaftszahlen der zweitgrößten Ökonomie Europas seinen Widerhall.

In den Monaten April bis Juni brach die Wirtschaft Großbritanniens um -20,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal ein. Das war der schlimmste Absturz seit Beginn der britischen Quartalsstatistik im Jahr 1955. Das Land war damit das Schlusslicht Europas, noch vor Spanien, welches den Negativrekord mit einem Einbruch um 18,5 Prozent erleiden musste. Durch die Coronakrise wird Großbritannien wirtschaftlich auf den Stand von 2003 zurückgeworfen.

Das einst so stolze britische Pfund

Das Pfund Sterling, einst der Stolz der Briten und die älteste noch bestehende Währung, hat längerfristig schon eine Entwicklung erlebt, die durch den Brexit noch deutlich beschleunigt werden könnte. Bis in die Hälfte des letzten Jahrhunderts hinein, war das Pfund die globale Leitwährung, die Hälfte der weltweiten Währungsreserven bestand aus der britischen Währung und die Bank of England hatte weltweit sehr großen Einfluss. Dann begann der Abstieg, Mitte der 1970-er-Jahre hatte die britische Währung nur noch einen Anteil von vier Prozent an den globalen Währungsreserven, dabei ist es bis heute geblieben.

Und der Außenwert des GDP?

Das britische Pfund kostete vergangene Woche nur noch 1,10 Euro. Vor gut vier Jahren und dem überraschenden Brexit-Referendum im Juni 2016 musste man noch über 1,30 Euro dafür bezahlen. Auch eine Folge des ewigen Hickhacks um den Sonderweg der britischen Regierung.

Fazit

Aus den bisherigen Fakten ist zu schlussfolgern, dass der ungeregelte Brexit den Briten mehr schaden sollte, als der EU. Aber haben sich die Unternehmen in der langen Zeit der Austrittsverhandlungen nicht schon auf das Austrittsszenario vorbereitet, die Börsen das Ergebnis eingearbeitet? Wann hat denn je ein absehbares Ergebnis Investoren wirklich beim Eintritt noch geschockt – Einzelfälle ausgeschlossen? Aber will Boris Johnson wirklich auf Biegen und Brechen den No-Deal-Austritt Großbritanniens durchziehen, auch wenn sich die Pandemie in der zweiten Welle noch verstärken sollte? Wo Zusammenarbeit in Europa gefragt ist, weiland sich Chinas Aufschwung weiter fortsetzt und auch den USA mit ihrer „America-First-Politik“ ein geschwächtes Europa gar nicht so ungelegen käme?

Es sind für gewöhnlich immer die externen Schocks, die Gewitter aus heiterem Himmel, die für Ungemach sorgen. Aber das Pokern des Boris Johnson – wem hängt das mittlerweile nicht schon zum Halse heraus?



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7 Kommentare

  1. Studien haben ergeben, dass GB in einer ersten Phase nach dem Brexit Nachteile zu verkraften haben wird, die allerdings sich dann später gegenüber der EU in Vorteile wandeln werden. GB hat nämlich dann gleiche Chancen auf Seiten der Finanzstrategien wie Japan, während die EU massiv weiter auseinanderdriften dürfte. Dies kann dann die EU nur noch durch weitere restriktive Massnahmen im Finanzbereich bewältigen und dabei die Bürger weiter massiv schädigen. Der Kapitalsozialismus breitet sich ja bereits aktuell übermässig aus. Europa wird dabei immer mehr gleichzeitig zum Satellitengebilde Chinas, wobei in der EU die Planwirtschaft mit ihren restriktiven Vorgaben, was wie konsumiert und produziert werden darf.

    1. @Mike Lohmann, das ist eine interessante These. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Quellen zu diesen Studien angeben könnten. Nicht, dass ich Ihren Aussagen misstrauen würde, aber als links-versiffter Kommunist halte ich es natürlich lieber mit Lenin: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

      Was Ihre weiteren Aussagen ab Satz Nr. 3 betrifft, bin ich eher dem wesentlich älteren und ebenso weisem Sprichwort zugeneigt: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!

      1. @Leftutti, wenn Sie doch nur selbst das von Ihnen zitierte ältere und ebenso weise Sprichwort umsetzen könnten.

        1. Habe ich doch getan, und mich lieber nicht zu den Aussagen geäußert! Die sprechen einfach auch ohne Kommentar für sich…

  2. Vielleicht tritt nach dem Brexit George Soros wieder auf den Plan, und wird den Engländern eine weitere Lektion erteilen…

  3. „Dies kann dann die EU nur noch durch weitere restriktive Massnahmen im Finanzbereich bewältigen und dabei die Bürger weiter massiv schädigen“. Restriktive Maßnahmen im Finanzbereich?!?! Wann gab es die zuletzt?
    Restriktiv, Definition: einschränkend, beschränkend. Im Finanzbereich?

    Restriktiv dann schon wieder beim Konsum und der Produktion. Ich vermute hier eine typisch deutsche Anspielung auf Autos, Landwirtschaft, Energiewirtschaft. Überholte Technologien auf Basis von Otto und Diesel, Kohle und Atom? Denken von heute bis bestenfalls morgen.

    Restriktiv sind doch nur die eigenen Gedanken, die Ängste und Vorbehalte vor einer Zukunft, die nicht im eigenen Kontrollbereich liegt, weil sie von den nächsten Generationen bestimmt sein wird.
    Neues, Innovatives, Anderes, da scheint es dem konservativ-deutschen Schisser die Haare im gut rasierten Hipster-Nacken aufzustellen. Erst recht dem typisch amerikanischen Machtpolitiker im besten Alter von 75 bis 85. Verhindern lässt sich die Welt mit all den hohlen Phrasen dennoch nicht, nur sinnlos und schädlich verzögern. Weil Tatsachen und Zukunft aktuell fluktuierenden Emotionen und politischen Befindlichkeiten eines voraus haben: Zeit und Energie.

  4. Wie ein Brexit funktionieren soll ist mir noch immer schleierhaft. Rückrat von GB GB sind Finanzdienstleistungen für die EU. Warum sollte die EU weiterhin britches Firmen erlauben, die EU zu schädigen?
    Gibraltar ist eine boomende Insel. Man lebt dort von Firmen, die kaum Steuern zahlen müssen, Tatsächlich gehen die Steuern anderen EU Ländern verloren. Ich darf kein Casino eröffnen. In Gibraltar kann man dagegen ganz leicht Glücksspiel für die EU anbieten. Ohne schützende Hand durch GB bei Abstimmungen dürften viele Geschäftsmodelle bald Geschichte sein. Sollte die EU Selbstbewusst werden, wäre dies das Ende von Automobil, Luftfahrt und Dienstlestungen in GB

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