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Europäer lieben Bankguthaben – Amerikaner bauen mit Aktien Vermögen auf

Deutsche halten sehr viel Geld in Bankguthaben, während die Amerikaner auf Aktien setzen. Ein Umschwenken hierzulande wäre wichtig.

Geldscheine
Geldscheine. Grafik: Bedneyimages - Freepik.com

Das Phänomen ist gerade in Deutschland bekannt: Der „deutsche Michel“ bleibt bei dem, was er kennt, nämlich dem guten alten Sparbuch, oder auch mal Tagesgeld? Nur relativ wenige Deutsche finden den Weg an den Aktienmarkt. Das damalige große Debakel um die T-Aktie, das Platzen der Dotcom-Blase etc haben damals reihenweise Deutsche vom Aktienmarkt vertrieben. Wenn man dauerhaft nur auf Bankeinlagen setzt, schrumpft das angelegte Vermögen in der Regel, weil Zinsen nämlich oft unterhalb der Inflationsrate liegen. Weit besser machen es die Amerikaner, die ein Volk von Börsianern sind – wo wortwörtlich die „Hausfrau“ ihr Geld an der Börse investiert.

Kurzfristig mag es Zockereien geben. Aber sehr viele Amerikaner legen für ihre Rente Geld in Aktien an – direkt, über Fonds, oder auch über Pensionskassen. Auf lange Sicht entstehen so durchaus nennenswerte Vermögen. Und was auch wichtig ist: Durch eine Bevölkerung, die ihr Geld zu guten Teilen in Aktien investiert, erhält der heimische Aktienmarkt eine große Liquidität, Unternehmen haben einen einfachen Zugang zu frischem Geld für Expansionen. Und wächst eine Volkswirtschaft, geht es den Aktiengesellschaften gut, können die Anleger über steigende Aktienkurse und Dividenden daran fortlaufend partizipieren. Der Bloomberg-Experte Chris Bryant spricht aktuell davon, dass die „Sucht der Europäer nach Bargeld Wohlstand kostet“. Nachfolgend drucken wir seine Analyse im Wortlaut ab.

Europäer und Amerikaner können über vieles streiten. Über den Sinn von Eiswürfeln in Getränken, die korrekte Teezubereitung und wie viel Urlaub man haben sollte. Aber wenn es um die Frage geht, ob man Bargeld auf der Bank liegen lassen oder am Aktienmarkt investieren soll, gibt es keinen Zweifel, wer falsch liegt: Die Spargewohnheiten der Europäer vergrößern die Ungleichheit, machen sie insgesamt ärmer, als sie es sonst wären, und setzen die heimischen Unternehmen auf Kapital-Diät.

Kein Wunder, dass immer mehr Unternehmen in den USA an die Börse streben, in der Hoffnung auf eine bessere Bewertung: Dort sind die “Glorreichen Sieben” und der Rekordstand des S&P 500 salonfähige Gesprächsthemen, während viele Europäer Anlagen in Aktien mit Glücksspiel gleichsetzen. Die Erosion der Kaufkraft durch Inflation und die Alterung der Bevölkerung in Europa, die die Finanzierung der öffentlichen Renten erschweren wird, unterstreichen die Dringlichkeit, aus Bargeldhortern Anleger zu machen.

Europäer horten 14 Billionen Euro in Cash

Doch zunächst die gute Nachricht. Dank Online-Brokern, kostengünstigen börsengehandelten Fonds und sozialen Medien war es noch nie so einfach, in Aktien oder Anleihen zu investieren und sich in Finanzfragen beraten zu lassen. Die Europäer legen auch einen wesentlich höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens zurück als die Amerikaner. Das Problem ist, was wir mit dem Geld machen: In Ländern wie Großbritannien gibt es eine ausgeprägte Neigung, in den Immobilienmarkt zu investieren, manchmal auf Kosten des Erwerbs anderer Vermögenswerte. Und in Ländern wie Deutschland sind die Skepsis gegenüber dem Aktienmarkt und die Risikoaversion tief verwurzelt.

Das Ergebnis ist, dass die europäischen Haushalte (einschließlich Großbritanniens) Ende 2022 fast 14 Billionen Euro in Bargeld und Bankeinlagen hielten, wie aus einer Studie der European Fund and Asset Management Association (Efama) hervorgeht, die letzten Monat veröffentlicht wurde. Diese Barmittel machen laut Eurostat 34% des gesamten Finanzvermögens der privaten Haushalte in der EU aus; über 40%, wenn illiquide Beteiligungen an nicht börsennotierten Unternehmen herausgerechnet werden, wie es die Efama in ihrer Analyse getan hat.

Grafik zeigt Cash-Anteile je nach Land

Einige dieser Ersparnisse wurden angehäuft, als die Menschen während der Pandemie eingesperrt waren, und könnten nun zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt wieder einen anständigen Zinsertrag abwerfen. Nichtsdestotrotz kann man der Warnung der Efama kaum widersprechen, dass die meisten Europäer “weiterhin einen unverhältnismäßig hohen Anteil ihres Geldes in Bankeinlagen halten”. Im Gegensatz dazu machen Investmentfonds nur 10,5% des Finanzvermögens der europäischen Haushalte aus (nach der Definition der Efama), während börsennotierte Aktien weniger als 6% ausmachen.

Das Engagement der Privatkunden auf den europäischen Kapitalmärkten ist erschreckend gering. Nur 13% der Haushalte im Euroraum besitzen Investmentfonds, während 11% direkt börsennotierte Aktien besitzen, so die Erhebungsdaten der Europäischen Zentralbank. Nicht viel besser sieht es in Großbritannien aus, wo sich die Zahl der Kleinanleger mit direktem Aktienbesitz in den letzten zwei Jahrzehnten auf nur noch 11% halbiert hat.

Die finanziellen Folgen liegen auf der Hand: Der Wert der Aktien, Investmentfonds, Anleihen, Lebensversicherungen und Pensionsfonds, die von privaten Haushalten gehalten werden, beträgt in der EU nur etwa 90% des BIP, verglichen mit mehr als dem dreifachen des BIP in den USA und 182% in Großbritannien, so die Zahlen der Association for Financial Markets in Europe (Afme) für das erste Halbjahr 2023.

US-Haushalte investieren deutlich mehr am Kapitalmarkt als Europäer

Wenn Haushalte in der Europäischen Union ihre Vermögensallokation ändern und ihren Anteil an Aktien um bescheidene 5 Prozentpunkte erhöhen würden, könnte dies Kapital in Höhe von 1,8 Billionen Euro für produktive Investitionen freisetzen, errechnete die Denkfabrik New Financial im vergangenen Jahr. Ähnlich könnte Großbritannien 740 Milliarden Pfund an Kapital freisetzen, wenn die privaten Haushalte ihren Anteil an Aktien und Investmentfonds auf ein Viertel des gesamten Finanzvermögens erhöhen würden. Dies könnte auch dazu beitragen, die Ungleichheit zu verringern: Mehr als 80% der börsennotierten Aktien im Euroraum gehören wertmäßig den reichsten 10% der Haushalte, während die unteren 50% nur 2% besitzen, so die EZB.

Reiche besitzen Großteil der Aktien

Amerikaner halten nur 13% ihres Geldvermögens in bar, etwa die Hälfte in Unternehmensanteilen und Investmentfonds. Mehr als ein Fünftel der US-Familien hält direkt Aktien, und die Gesamtzahl steigt auf 58%, wenn man indirekte Anlagen wie Rentenkonten mit einbezieht.

Diese Unterschiede sind zum Teil kulturell bedingt und spiegeln auch das weniger großzügige Sozialversicherungssystem der USA wider, das die Amerikaner dazu zwingt, über steuerbegünstigte 401(k)-Pensionspläne Vermögen aufzubauen. Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte letzte Woche auf einer Bloomberg-Veranstaltung, es sei sein “großer Traum”, dass Deutschland individuelle 401(k)-ähnliche Investmentkonten einführt, um einen neuen Staatsfonds zu ergänzen, der ab diesem Jahr jährlich 12 Milliarden Euro in globale Aktien investieren soll. “Das ist ja das Hauptziel: die Kapitalmarktabstinenz der deutschen Bevölkerung zu überwinden”, sagte er.

Glücklicherweise ist die Abneigung der Europäer gegenüber Aktienbesitz nicht überall so ausgeprägt. Die nordischen Länder halten relativ wenig Bargeld und haben laut Efama-Analyse einen vergleichsweise hohen Anteil an börsennotierten Aktien und Pensionsfonds. Wie kann man also die Menschen überzeugen, zu investieren? Neben einem gut ausgebauten Rentensystem kann die Stärkung der Finanzkompetenz helfen, wobei ich skeptisch bin, ob Unterrichtseinheiten über das Wunder des Zinseszinses die Patentlösung sind (was wissen Sie noch aus Ihrer Schulzeit?). Ich bin eher von Maßnahmen überzeugt, die die Verbraucher zu Investitionen anregen, ohne dass sie allzu viel darüber nachdenken müssen, und so das Problem der Trägheit überwinden (mit dem ich zugegebenermaßen auch zu kämpfen habe).

In Schweden beispielsweise wurde die staatliche Rente vor mehr als zwei Jahrzehnten so reformiert, dass die Arbeitnehmer 2,5% ihres Einkommens in eine so genannte “Prämienrente” investieren müssen. Wenn der Einzelne nichts anderes angibt, wird das Geld in einen Standardfonds investiert, der zwischen 2000 und 2022 eine durchschnittliche jährliche kapitalgewichtete Rendite von 9,8% erzielte. In ähnlicher Weise hat Großbritannien 2012 die automatische Einschreibung in die betriebliche Altersversorgung eingeführt und schreibt seit 2019 einen Mindestbeitrag von 8% des Einkommens vor; die Zahl der Teilnehmer hat sich zwischen 2011 und 2019 verzehnfacht.

Steuereffiziente Anlagekonten wie das schwedische Investeringssparkonto, die italienischen Piani Individuali di Risparmio-Sparpläne oder die britischen Individual Savings Accounts sind ebenfalls eine gute Möglichkeit, die Menschen dazu zu bringen, ihr Geld besser anzulegen. Um die Ungleichheit zu verringern, bin ich dafür, Kinder mit steuerfinanzierten Treuhandfonds auszustatten, die in einen gut diversifizierten Aktienindex investiert werden. Auf diese Weise können auch ärmere Familien ein Gefühl für den Aktienmarkt bekommen und die Empfänger können die Magie des Zinseszinses direkt beobachten.

Europäer, die ihre gesamten Ersparnisse bei der Bank parken, sind sich der finanziellen Schwierigkeiten, die auf sie zukommen, möglicherweise nicht bewusst. Deshalb sind Rentenübersichten so wichtig, die dem Einzelnen einen klaren Überblick über seine Rentenansprüche aus öffentlichen und privaten Rentenversicherungen geben. Der erste Schritt zur Überwindung der Sucht besteht darin, zu erkennen, dass man ein Problem hat. Die Bargeldsucht in Europa ist ein großes Problem.

FMW/Bloomberg



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2 Kommentare

  1. Wenn man Aktien kauft, dann sicher keine deutschen oder europäischen Aktien, sondern US-Aktien.

  2. Wenn Haushalte in der Europäischen Union ihre Vermögensallokation ändern und ihren Anteil an Aktien um bescheidene 5 Prozentpunkte erhöhen würden, könnte dies Kapital in Höhe von 1,8 Billionen Euro für produktive Investitionen freisetzen, errechnete die Denkfabrik New Financial im vergangenen Jahr.

    „produktive Investitionen“

    Wenn man Aktienrückkäufe als produktive Investitionen definiert dann stimmt die These, dass in Amerika den Unternehmen ganz viel Geld für Investitionen zur Verfügung steht und dies aus Sinnvoll eingesetzt wird.

    Die Amerikaner sind Buchwertvermögend.

    Buchwerte sind mal hoch und mal niedriger und dann ist das so eine Sache mit dem Vermögen, wenn die mal sinken.

    Aber Buchwerte wachsen ja immer wie Bäume in den Himmel. Das kann nicht anders sein.

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