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Der Leerverkauf: Ein natürliches Regulativ

Ist ein Leerverkauf von Aktien schädlich für die Börse? Im Gegenteil. Hier ein Blick auf dieses Instrument als nützliches Regulativ.

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Börsenkurse. Foto: Jordicarnesanxhez - Freepik.com

In Krisenzeiten mehren sich häufig die Rufe nach Leerverkaufsverboten. Ich möchte Ihnen in diesem Artikel in aller Kürze die Mechaniken beim Leerverkauf näher bringen und erklären, welchen Platz das Leerverkaufen von Aktien im „Ökosystem“ der Börse einnimmt.

Der Ablauf im Überblick

Der Leerverkauf einer Aktie (auf Englisch Shortselling) stellt eine Wette auf einen fallenden Aktienkurs dar. Der Leerverkäufer borgt sich dazu Aktien von einem bestehenden Investor, die er unverzüglich am Markt verkauft, in der Hoffnung, sie zu einem niedrigeren Preis zurückkaufen zu können, um seine Schuld gegenüber dem Verleiher zu begleichen. Dieser wird dafür mit einem Zinseinkommen entlohnt, das sich über die Dauer der offenen Leerverkaufsposition akkumuliert. Für Privatinvestoren läuft das in der Praxis ganz automatisch über einen Broker, der die nötigen Transaktionen abwickelt, sofern ausleihbare Aktien verfügbar sind. Die Höhe des zu entrichtenden Leihzinssatzes hängt vom momentanen Verhältnis von Angebot und Nachfrage für entleihbare Anteile ab.

Das schwere Los des Leerverkäufers

Das Leerverkaufen ist dem Wetten auf steigende Kurse fundamental unterlegen, denn es birgt folgende Nachteile:

1)
Jeder ungehebelte Leerverkauf einer Aktie hat ein maximales Gewinnpotential von 100%, bei einem gleichzeitig undefinierten Risiko. Das liegt an der simplen Tatsache, dass der Preis einer Aktie nicht unter Null sinken kann, allerdings nach oben unbegrenzt ist. Daher gibt es faktisch keine tatsächlich ungehebelten Leerverkäufe.

2)
Ein Leerverkauf verursacht zusätzliche Kosten in Form der zu entrichtenden Leihgebühren. Steigt zum Beispiel das Pleiterisiko eines Unternehmens erheblich, so ziehen meist die Leihzinsen in ähnlichem Maße an, was einen Leerverkauf wiederum wesentlich unattraktiver macht.

3)
Ceteris paribus steigen Aktienkurse mit fortschreitender Zeit. Das mag zwar großteils mit der Ausweitung der Geldmenge bzw. der Verwässerung der Kaufkraft des Geldes erklärt sein, doch dem Leerverkäufer, der eine nominale Wette abschließt, schadet es allemal.

4)
Der Leerverkäufer kann verpflichtet sein, etwaige Dividenden an den Aktienbesitzer auszuzahlen, was zu steuerlichen Nachteilen führen kann.

Ein Leerverkauf ist im besten Fall entweder eine temporäre Wette, basierend auf einer gezielten Theorie, oder eine Absicherung gegen gewisse zeitnahe Risiken.

Des Marktes Aufsicht

Obwohl der Leerverkäufer es von Natur aus nicht leicht hat, kommt ihm eine wichtige Rolle zu: Er kann sich daran beteiligen, Exzesse einzudämmen, indem er Verkaufsdruck auf Aktien ausübt, die nach allen Regeln der Kunst als überteuert einzuschätzen sind. Noch bedeutender allerdings ist seine Funktion als marktwirtschaftliche „Marktaufsicht“. Durch Leerverkäufe können investigative Akteure von ihren Beobachtungen profitieren und an einer Ökonomie der Reputation teilnehmen.

Ein gutes Beispiel dafür ist Hindenburg Research. Das Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, kriminelle Machenschaften zu erforschen und zu dokumentieren. Bevor Hindenburg seine Funde veröffentlicht, tätigt man einen Leerverkauf in den Objekten der Nachforschung. Wenn die Qualität der Arbeit die Marktteilnehmer überzeugt, wird man profitieren. Einen solchen selbstregulierenden Prozess halte ich für wesentlich effizienter, neutraler und agiler, als durch Marktaufsichtsorgane geführte Verfahren. Allenfalls stellt das Leerverkaufen eine wichtige Ergänzung zu den statischen Mechanismen der Bürokratie dar.

Kann man durch Leerverkäufe wirtschaftlichen Schaden anrichten? Ja, natürlich! Gleichermaßen kann durch Überbewertung Kapital in absurden Unternehmungen gebunden werden und somit nützlicheren Projekten vorenthalten bleiben. Ein Leerverkauf ist per se keine mehr oder weniger schädliche Handlung als jede andere am Markt – daher sollte sie auch nicht verboten werden.



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