Allgemein

Politische Ziele haben Vorrang vor wirtschaftlichen Zielen Russland: Sowjetisierung schreitet voran – Krisenspirale voraus

Wie der russsische Haushalt aus dem Ruder läuft

Russland Sowjetisierung

Nachdem die Europäische Union zum Jahrestag des Krieges in der Ukraine das nunmehr zehnte Sanktionspaket verabschiedet hat, erwartet Russland davon nur begrenzte Wirkung. Das Sanktions-Pingpong scheint nahezu zu verpuffen. Doch russische Wirtschaftsexperten warnen vor einer beschleunigten Krisenspirale im Land, die hohe Energiepreise und Exporterlöse im letzten Jahr vereitelt haben.

Neue Sanktionen gegen Russland wirken begrenzt

Die Wirkung des zehnten Pakets der EU-Sanktionen werde begrenzt sein, da sich russische Unternehmen und Banken auf die Beschränkungen vorbereitet hätten. Das bekräftigte Kirill Logwinow, Ständiger Vertreter Russlands bei der Europäischen Union im russischen Fernsehen am 27. Februar. „In der Praxis ändern diese Maßnahmen wenig. Schließlich wurden Lieferketten lange vor der Einführung formeller Beschränkungen unterbrochen, das heißt, jetzt haben diese Beschränkungen den Status quo konsolidiert.“ Russische Unternehmen und Banken seien für die angekündigten Einschränkungen bereit, so dass die Wirkung des zehnten Pakets „als ziemlich begrenzt angesehen werden kann“, so Logwinow.

Kernpunkte der neuen Sanktionen richten sich auf weitere 87 Personen und 34 Organisationen in Russland, deren Vermögenswerte in der EU eingefroren werden sollen. Außerdem gilt ein Einreiseverbot u.a. für Föderationsrats- und Duma-Abgeordnete, Beamte in Führungspositionen, Vize-Minister und Militärangehörige. Dazu erstrecken sich Exportverbote nun auf Dual-Use- und Advanced Tech-Güter. Dies treffe auch
auf weitere Güter zu, „die für den Ausbau der industriellen Produktion in Russland verwendet werden könnten. Bei Dual-Use-Gütern handelt es sich um Güter, die zu zivilen, aber auch militärischen Zwecken genutzt werden könnten.“ Um das Umgehen von Sanktionen durch Russland zu umgehen, ist der Transit solcher Güter in Drittstaaten über russisches Staatsgebiet verboten. Zudem wurden gegen drei weitere russische Großbanken Sanktionen verhängt.

Sonderkonjunktur unterdrücke Krise in Russland

Der Import von Erdgas und Flüssiggas aus Russland steht bislang nicht auf der europäischen Sanktionsliste. Beides bescherte Russland im letzten Jahr auf Grundlage hoher Energiepreise in Europa eine Sonderkonjunktur, die einer Krise durch Sanktionsmaßnahmen entgegenwirkten. Zu diesem Ergebnis kamen russische Wirtschaftsexperten in ihrem Bericht „Schlimmer als Krise: Wie die Wirtschaftsanomalie 2022 funktionierte und wohin dies führt“, über den die Diskussionsplattform Re:Russia.net im Februar ausführlich berichtete.

In Summe stellen die Wirtschaftswissenschafter hier der Regierung und Zentralbank mit Blick auf Anpassungsmaßnahmen in der Wirtschaft, Inflationseindämmung und Steuerpolitik ein positives Zeugnis aus. Unerwartet gut sei Russland dazu Dank Sonderkonjunktur und Reserven mit den Sanktionen zurechtgekommen.

Doch für 2023 sieht es anders aus. „Selbst bei einer Normalisierung der Exporteinnahmen, d. h. bei einer Verringerung um 100 bis 150 Milliarden US-Dollar, wird sich die Krisenspirale, die im letzten Jahr unterdrückt wurde, beginnen zu beschleunigen“, heißt es zu den Aussichten für dieses Jahr zum Bericht.

Oleg Wjugin sieht die Hauptquelle des makroökonomischen Risikos im Jahr 2023 in der Erschöpfung der nichtmonetären Quellen zur makroökonomischen Stabilität im Land. Das Erreichen des prognostizierten Niveaus der Öl- und Gaseinnahmen von 8 Billionen (rund 100 Milliarden Euro) im Jahr 2023 erscheint ihm zunehmend unüberwindbar. Im Januar 2023 seien die Haushaltseinnahmen im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel gesunken, während die Ausgaben um 60 Prozent gestiegen seien. Steueranreize, die im letzten Jahr dazu beigetragen hätten, die Rezession einzudämmen, ließen sich in diesem Jahr nur schwer wiederholen, ohne eine Inflation auszulösen.

Darüber hinaus würden Versuche, inländische Kredite über die geplanten drei Billionen Rubel hinaus aufzunehmen, einen übermäßigen Einsatz von Bundesanleihen in Refinanzierungsgeschäften mit der Bank von Russland erfordern. Um die Pläne zur Finanzierung der Haushaltsausgaben zu erfüllen, müssten nicht drei Billionen Rubel, sondern sechs Billionen Rubel vom Nationalen Wohlstandsfond herangezogen werden. Auch wenn Inflation und Finanzierung in diesem Jahr beherrschbar blieben, hätte dies in den Folgejahren ohne signifikante Kürzung von Staatsausgaben vernichtende Folgen.

Rückzug ausländischer Unternehmen wirkt toxisch

Auf der Frühjahrspressekonferenz des Ost-Ausschusses im Februar zog Geschäftsführer Michael Harms aus dem Rückzug aus Russland eine positive Bilanz. Demnach habe der deutsche Handel mit Mittel- und Osteuropa im Jahr 2022 einen neuen Höchststand von 562 Milliarden Euro erreicht, während sich die Exporte nach Russland um 45 Prozent verringerten.

Die drastischen Einbußen ließen sich durch zweistellige Exportsteigerungen in andere Märkte mehr als wettmachen. Der deutschen Wirtschaft sei es überraschend schnell gelungen, ohne russische Energielieferungen zurechtzukommen. „Wir haben immer gesagt, dass die russische Wirtschaft nicht über Nacht zusammenbrechen wird. Aber die Sanktionen, der Rückzug ausländischer Unternehmen und der Exodus hunderttausender junger Arbeitskräfte haben eine toxische Wirkung. Wir erleben eine Desintegration Russlands aus der Weltwirtschaft und eine beispiellose Rückabwicklung marktwirtschaftlicher sowie technischer Errungenschaften der letzten 30 Jahre“, schlussfolgerte Harms.

Zugleich führt der Ost-Ausschusses die schnelle Entkoppelung von Russland nur zum Teil auf die EU-Sanktionspakete zurück. „Die Mehrheit der deutschen Unternehmen im Russland-Geschäft tut wesentlich mehr, als es die Sanktionen verlangen.“ Sie habe das Neugeschäft eingestellt oder sei dabei, das Russland-Geschäft komplett einzustellen, erklärte Harms. Nur in Branchen, für die keine EU-Sanktionen in Kraft seien, wie dem Gesundheits- und Agrarsektor liefe noch mehr oder weniger normaler Geschäftsbetrieb. „Die vielzitierten Statistiken zum angeblichen Verbleib der meisten Unternehmen in Russland sind irreführend, weil ein hundertprozentiger Rückzug hochkompliziert und zeitraubend ist“, sagte Harms. „Der russische Staat tut inzwischen alles, um einen weiteren Exodus ausländischer Unternehmen zu verhindern.“

Russland durchschreitet Sowjetisierung

Täglich aktualisieren Professorinnen und Professoren von der Yale-Universität eine Liste von Unternehmen, die in Russland wirtschaftlich weiter aktiv sind und zum Teil oder ganz den Betrieb, wie ihrerseits angekündigt, eingestellt haben. Darunter sind deutsche Unternehmen wie der Stahlkonzern Salzgitter, der Mode- und Lifestyle-Konzern Gerry Weber oder der Süßwarenhersteller Zentis, die Business as usual in Russland betreiben.

Mode- und Süßwaren aus dem Westen waren in DDR-Zeiten sehr gefragt. Um Devisen abzuschöpfen, waren sie in sogenannten Intershops erhältlich. Für kaufwillige Kundschaft kamen später ausgewiesene Delikatgeschäfte hinzu, um den Gaumen der Bevölkerung zu kitzeln. Solange solche Waren im Land kursieren, wirkt das in gewisser Weise stabilisierend. Es bremst die Krise bzw. macht sie aushaltbar.

Nach diesem Muster schreitet die Sowjetisierung der Wirtschaft in Russland voran. So geht Jewsej Gurwitsch im Bericht davon aus, dass der Haupttrend jetzt darin bestehen wird, die Wirtschaft schrittweise zu „sowjetisieren“, in der Hoffnung, die potenzielle Krise zu vermeiden.

Dieser Trend manifestiere sich auf vielfältige Weise. Das zeigten etwa die rasche Isolierung der russischen Wirtschaft von der Weltwirtschaft, die wachsende formelle und informelle Rolle des öffentlichen Sektors, erhöhte Haushaltsausgaben für Verteidigung und Sicherheit und die Ausweitung der Militärproduktion.

Das Wesen dieser „Sowjetisierung“ bestehe indes nicht darin, die Marktwirtschaft als solche aufzugeben, sondern es gehe um politische Ziele, die eindeutig Vorrang vor wirtschaftlichen Zielen hätten. Der Aufbau der Rüstungsproduktion habe der russischen Wirtschaft paradoxerweise geholfen, die äußeren Anzeichen einer Krise zu vermeiden. „Aber schon im nächsten Jahr wird sich der Konflikt zwischen politischen Prioritäten und wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit ganz deutlich manifestieren“, so Gurwitsch.



Kommentare lesen und schreiben, hier klicken

Lesen Sie auch

11 Kommentare

  1. Russische Führer haben immer behauptet, dass die Russen ohne Westen gut zurechtkommen.
    Jetzt haben sie ihre historische Chance…zu einem neuen Nord Korea zu werden.

    1. Hallo Marko, Russland treibt Handel mit 3/4 der Weltbevölkerung.
      Natürlich kommt es zu Beginn von Sanktionen immer zu Engpässen.
      Wenn Spanien morgen die Gurken für Deutschland sanktioniert, dann gibt es auch bei Gurken einen vorübergehenden Engpass in Deutschland.
      Aber dann werden andere Wege gesucht und auch gefunden.
      Russland hat nun etwa 600 Öltanker zur Verfügung. Alleine diese zu bedanken dauert 600 Tage. An 10 Ladesttationen 60Tage.
      Es ist einfach nicht zu fassen, wie blind Deutschland mit den eigenen Sanktionen in die wirtschaftliche und finanzielle Katastrophe läuft, und andere Länder sich eine goldene Nase verdienen und vor Lachen über Deutschland nicht in den Schlaf kommen.
      Merkt denn Niemand, wie Deutschland (auch mit der Sprengung der Gasleitungen) und mit den Sanktionen ruiniert werden soll?
      Und das alles wird noch durch die grüne Sekte verstärkt, wo es nur geht. Einen Wahnsinn nach dem Anderen.

      Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  2. …Politische Ziele haben Vorrang vor wirtschaftlichen Zielen…

    Och, da kenne ich aber auch ein anderes ein Land, wo die Bevölkerung und die Medien noch jubeln, wenn das Land deindustrialisiert wird, um politische Ziele durchzusetzen.

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

    1. Gut auf den Punkt gebracht.

      Der ganze Artikel schreit nach einer analogen Betrachtung der prekären Situation der deutschen Wirtschaft. Da wäre eine nüchterne Gegenüberstellung durchaus lesenswert.

      Mein Gefühl sagt mir allerdings, das eine ebenso kritische Betrachtung dessen von Frau Bollinger-Kanne nicht zu erwarten ist.

  3. Damit die Sowjetisierung in gewohnter Manier voran schreitet muss Oberst Dr. Wladimir Wladimirowitsch noch ein paar Länder einverleiben.

  4. Wenn der Westen in seiner Arroganz so weiter macht ,wird es wohl nach „Sozialistischer US -Bundesstaat Kalifornien, auch Sozialistische US -Bundesstaat en und Sozialistische Europäische Union heißen. Ein Teil der Menschen in Deutschland kann mit diesen „Begriffen“ etwas anfangen, der andere Teil wird es „lernen“

  5. warten wir. Mal zwei bis drei Jahre ab. Dieser Abgesagt kommt doch etwas schnell.

  6. Der ernstgemeinte Versuch der Demokratie und Einhaltung eines Minimums an Menschenrechten sind sicher das Gegenteil von Arroganz. Arrogant sind die, die ihre Bevölkerung davon ausschließen wollen.

    1. “ ernstgemeinte Versuch der Demokratie und Einhaltung eines Minimums an Menschenrechten “

      Welches Land schwebt Ihnen da vor ? Deutschland in Zeiten von Corona ? Schweden und Japan haben sich da deutlich von der „deutschen Freiheit und Demokratie abhoben, die hatten keine Lockdowns, Freiheitsbeschränkungen, irrwitzige Maskenzwänge und auch keine Engpässe auf Intensiv. Deutschland mit den mit Abstand meisten Intensivbetten weltweit hatte Überlastungen ??? Desinformation oder haben die in Deutschland was falsch gemacht ? Nein iwo, ein Deutscher macht nichts falsch, das wäre Russenpropaganda

  7. Naja, da die deutschen Autohersteller ja nun auch ihre Autoproduktion noch mehr nach China verlegen, kommen die Russen doch ganz einfach an deutsche Autos. Die Chinesen werden sich über die deutschen Sanktionen freuen.

    Russland-Sanktionen: Jeder dritte Neuwagen in Russland kommt aus China – DER SPIEGEL

    https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/russland-sanktionen-jeder-dritte-neuwagen-in-russland-kommt-aus-china-a-b8511459-1031-438e-ac94-8d71db4a1c2d

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  8. Hallo helmut
    Die Russen haben sofort reagiert, ebenso wie die Chinesen und ihre Autos, die jetzt natürlich billiger sind rübergeschickt.
    „In China ist der Automarkt zuletzt kräftig gewachsen. Deutsche Hersteller hinken jedoch hinterher: Sie verkauften weniger Autos als 2021.“
    Immerhin verkauft die dt. Autoindustrie 37% ihrer Wagen nach China. Aber Baerbock meint ja wir seien zu abhängig von China. Wir sollen von keinem abhängig sein, ja ? aber Geld wollen wir verdienen …

    https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/autoindustrie-deutsche-autobauer-verlieren-in-china-marktanteile/28883500.html

    Bezahlschranke für den ganzen Artikel; steht aber ansonsten breit im Netz

Hinterlassen Sie eine Antwort

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert




ACHTUNG: Wenn Sie den Kommentar abschicken stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zur Verwendung der Kommentarfunktion zu.
Weitere Information finden Sie in unserer Zur Datenschutzerklärung

Meist gelesen 7 Tage