Aktien

Guido Lingnau: Neuer Superzyklus in den USA und deren Auswirkungen

Über den Zusammenhang von Demografie und Finanzmärkten am Beispiel der USA

Folgender Text ist ein Kapitel aus dem Buch von Guido Lingnau „Auch die sicheren Häfen sind in Gefahr“ vom Oktober 2014.
Dennoch sind die dort getroffenen Aussagen nach wie vor hochaktuell, sie beleuchten den Zusammenhang zwischen Demografie und Finanzmärkten.

Es gibt einen alten Börsenspruch: „Hustet die Wallstreet, bekommt der DAX
eine schwere Erkältung.“ Das soll deutlich machen, wie sehr der deutsche
Markt (und nicht nur der) weitestgehend vom US-Markt abhängig ist. Das
gilt natürlich nicht nur im negativen sondern auch im positiven Sinne: Geht
es dem US-Markt gut, tut dies den deutschen und weltweiten Finanzmärkten
auch gut.

Die USA sind der mit großem Abstand führende Markt für Aktien und Anleihen.
Allein der Aktienmarkt kommt auf eine Marktkapitalisierung von ca. 16
Billionen US-Dollar (Deutschland: gut 1 Bio. USD), das sind knapp die
Hälfte der weltweiten investierbaren Aktienwerte. Bei den Kredit- und Anleihemärkten
sieht es ähnlich aus. Die große Finanzkrise, die im Jahr 2008
die USA erschütterte, hatte dadurch auch so gewaltige Auswirkungen weltweit.
Die Krise hat Investoren nachhaltig verunsichert. Die Folgen der Krise
werden noch für viele Jahre zu spüren sein. Vor allem die Staatsverschuldung
ist in vielen Ländern deutlich gestiegen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln
und Banken zu retten.

Die USA sind also nicht nur als Wirtschaftsnation weltweit führend sondern
in noch viel stärkerem Maße Taktgeber der weltweiten Finanzmärkte. Sie
bestimmen, wie kein anderes Land auf der Welt, ob die Börsenstimmung
steigt oder fällt. Amerika bestimmt durch ihre Nachfrage maßgeblich auch
die weltweite Inflation, über die Weltleitwährung US-Dollar den weltweiten
Zinstrend und ist maßgeblicher Innovationsträger. Und wenn das so ist,
wäre es dann nicht phantastisch, wenn es eindeutige Signale geben würde,
die einen neuen Superzyklus in den USA anzeigten?! Wenn die USA aus
ihrer trostlosen Herbstphase wieder in einen neuen demografischen Sommer
finden würde? Anleger könnten wieder langfristig planen und ruhiger
schlafen. Die Palette sinnvoller Kapitalanlagen würde wieder größer und
man könnte sicherer davon ausgehen, dass künftig ein mehr an Aktien im
Privatportfolio auch mehr an Gewinnen bedeutet. Ein neuer Superzyklus an
den US-Aktienmärkten wär auch und nicht zuletzt ein Hoffnungsschimmer
für einen demografisch nachhaltigen Vermögensaufbau für Deutschlands
Altersvorsorge-Sparer. Amerika könnte zum Zufluchtsort für unserer Altersvorsorgemilliarden
werden, zum sicheren Hafen für unser Geld.

Wie in Kapitel 2 beschrieben, fühlen sich die Aktienmärkte im demografischen
Sommer besonders wohl. Von den großen Volkswirtschaften befanden
sich nacheinander Japan, die USA und China im demografischen Sommer
und wirkten mit ihren wirtschaftlichen Erfolgen auf die gesamte Weltwirtschaft.
Seitdem sich China im Jahr 2008 aber in den Herbst verabschiedet
hatte, gab es für einige Jahre kein großes Sommer-Land mehr. Und es
sah bis vor kurzem auch so aus, als würde diese Tatsache noch länger Bestand
haben.

Demografische Entwicklungen haben eine recht hohe Prognosekraft, aber
es gibt sie dann ab und zu doch: Überraschungen. Als die Ergebnisse des
letzten großen Census in den USA (2010) ausgewertet waren, ich fand
diese neue Auswertungen Mitte 2013 auf den Internetseiten des US-Cenus
Bureaus, gab es eine solche Überraschung: Durch eine stärker als zuvor
prognostizierte Einwanderung jüngerer Menschen und einer teilweisen
Rückwanderung von Menschen über 40 in ihre Heimatländer zeigte sich,
dass sich eine neue Babyboomer-Generation gebildet hatte. Diese hat jetzt
gute Chancen, sich als dominierende Kraft, als neue starke Generation gegen
die alteingesessenen Babyboomer mental und wirtschaftlich durchzusetzen.
Ihre zahlenmäßige Überlegenheit ist zwar gering, sie nimmt aber
weiter zu. Und Amerikas neue Babyboomer sind im besten Alter von 22 bis
26 Jahren. It’s Summertime!

Rückblick:

Wie in Kapitel 2 schon im Detail beschrieben, gab es in den USA seit der
Weltwirtschaftskrise sogar zwei Phasen, in denen Investitionen in den Aktienmarkt
eine besonders hohe Rendite einbrachten. Der erste Superzyklus
begann im April des Jahres 1942. Das hatte sicher nichts mit irgendwelchen
Babyboomern zu tun. Im April 1942 erlebte die US-Armee ihren Tiefpunkt
im 2. Weltkrieg, als sie nach dem Überfall der Japaner auf Pearl
Habor im Dezember 1941 auf den Phillipinen gegenüber den Japanern kapitulieren
mussten. Ein Jahr später, im Jahr 1943 waren die Babyboomer
der 1920er Jahre erstmals mehrheitlich über 20. Der Superzyklus endete
dann Mitte der 1960er, als die um Einwanderer erweiterten Babyboomer ihren
40. Geburtstag gefeiert hatten. In dieser Phase konnte der Dow Jones
Index von 93 Punkten auf 950 Punkte zulegen.

Der zweite Superzyklus begann 1980 bei 759 Punkte und endete im Jahr
2000 bei 11.310 Punkten. Auch der zweite Superzyklus fand in einer demografischen
Sommerphase statt, als die um das Jahr 1959 geborenen Babyboomer
zwischen 20 und 40 Jahre alt waren.
Dass es sich hierbei um einen Zufall handelt ist zwar recht unwahrscheinlich,
auch weil dieses Phänomen ja auch in anderen Ländern beobachtet
werden konnte.

Sinkende Einkommenssteuer

Das Ergebnis ist doch recht eindeutig: Es gibt praktisch keine Übereinstimmungen
in der Entwicklung der wichtigsten Faktoren während der beiden
Superzyklen. Die einzige Übereinstimmung ergibt sich zumindest auf den
ersten Blick bei der Entwicklung der Inflation. Während der beiden Superzyklen
sank die Inflation, dazwischen stieg sie an. Doch die Inflation
sank auch nach dem Ende des zweiten Superzyklus weiter, während der
Aktienmarkt mehr als zehn Jahre unter hohen Schwankungen seitwärts tendierte.
Die Inflation eignet sich also auch nicht als Erklärung für die Superzyklen.
Um eine Übereinstimmung zwischen beiden Superzyklen zu finden,
die eine plausible Erklärung bietet, bleibt also auch nach gründlicher
Recherche nur die Demografie übrig.

Zwischen dem zweiten Babyboom und dem Jahr 1973 gingen die
Geburtenzahlen um über 25 Prozent zurück. Dann kam es zu einer erneuten
Trendwende mit wieder deutlich steigenden Geburtenzahlen in den
USA. Dies lag vor allem an der relativ hohen Geburtenrate der letzten Babyboomer
(2,1 Geburten je Frau). Dazu kam eine hohe Einwanderung. Zwischen
1989 und 1993 wurden wieder mehr als 4 Mio. pro Jahr gezählt. Im
Chart sieht es noch nicht nach einer neuen starken Gruppe aus, die man
als Babyboomer bezeichnen könnte. Außerdem kam es nach einem kurzen
Rückgang ab 1998 zu weiter steigenden Geburtenzahlen. Im Jahr 2007,
kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise, wurde sogar der Rekordwert von
1957 mit 4.316.233 Geburten leicht übertroffen. Die USA sind damit das
einzige westliche Land mit einem Geburtenrekord in den letzten 20 Jahren.

Durch Ein- und Auswanderung hat sich das demografische Bild noch etwas
verändert. Die jetzt jüngere, auch als Generation Y bezeichnete Gruppe,
wurde und wird wohl auch weiterhin durch billige (nicht immer legale) Arbeitskräfte
aus Lateinamerika und gut ausgebildete und hoch motivierte legale
Einwanderer (oft Studenten) aus aller Welt verstärkt. Bei den älteren
arbeitsfähigen Menschen über 40 und bei den Kindern und Jugendlichen
verringerten sich jedoch die Zahlen. Ich kann mir das nur dadurch erklären,
dass ursprünglich eingewanderte oder vorübergehend in den USA arbeitende
Menschen mit ihren Familien nach der großen Finanzkrise wieder in
ihre Heimatländer zurückgekehrt sind. Dadurch erst erzielten die Jüngeren
ab Mitte 2012 wieder einen Vorsprung.

Da diese Entwicklung von den Demografen nicht so erwartet wurde, ging
ich zunächst von einer länger anhaltenden US-amerikanischen Wirtschaftsschwäche
aus und musste im letzten Jahr, nachdem die neuen Vorausberechnungen
verfügbar waren, meine Einschätzung ändern. Sie sehen, auch
Demografie ist manchmal, wenn es sehr knapp ist, für Überraschungen gut.
Diese absolut gesehen kleine Anpassung der Daten hat auf mein Modell
der demografischen Jahreszeiten in diesem Fall eine große Auswirkung.
Denn statt des deprimierenden Herbstes herrscht nun wieder Frühsommer
in den USA. Und die Vorausberechnungen des US-Census Bureaus gehen
davon aus, dass der zahlenmäßige Vorsprung der Generation Y gegenüber
den alten Babyboomern auch in den kommenden Jahren weiter zunehmen
wird.

Aber auch in diesem Fall gilt: Es gibt keine Garantien. Denn ob dieses bisher
nur kleine zahlenmäßige Übergewicht der Generation Y ausreicht, um
die alten Babyboomer aus ihren Positionen zu vertreiben und die Politik zu
Reformen in ihrem Sinn veranlassen kann, ist leider nicht ganz sicher. Es
gibt sowohl Zeichen die dafür sprechen, als auch Anzeichen, die dagegen
sprechen. Dafür spricht, dass innovative Entwicklungen z.B. der chancenorientierte
Umgang mit dem Fracking oder die bereits führende Rolle amerikanischer
Unternehmen und Organisationen bei der Zusammenführung von
Industrie und Haushalten mit dem Internet (Cyber-Physical-Systems, CPS
und Internet of Things, IoT).

Es gibt aber auch Zeichen dafür, dass die alten
Babyboomer ihre Machtansprüche nicht aufgeben wollen. Als neue Anführerin
der alten Babyboomer sehe ich inzwischen die neue Chefin der amerikanischen
Notenbank Fed Janet Yellen, die mit ihrer Niedrigzinspolitik in
erster Linie die Interessen der älteren Amerikaner schützt (niedrige Zinsen
verringern den Innovationsdruck, stützen etablierte Strukturen, der Erhalt
wenig effizienter Arbeitsplätze wird so subventioniert, statt profitablere Arbeitsplätze
neu entstehen zulassen). Übrigens im genauen Gegensatz zur
Politik von Paul Volcker, der zum Beginn des letzten Superzyklus mit hohen
Zinsen innovativen Veränderungen mit den Weg bereitete.

Ein weiteres Prognoserisiko verbirgt sich hinter der ethnischen Divergenz
der demografischen Jahreszeiten. Denn die zahlenmäßig und wirtschaftlich
dominierende Gruppe der weißen US-Amerikaner ist eindeutig im demografischen
Herbst, die lateinamerikanischen Einwanderer sind ganz eindeutig
im Frühling und nur die drittwichtigste Bevölkerungsgruppe, die „Black or
African American Population“ ist im demografischen Sommer. Alle Altersgruppen
zusammen ergeben aber auch einen Sommer. In Schweden hatte
die Einwanderung vieler Asylsuchender aus Afrika einen Rücksetzer vom
Herbst in den Sommer ermöglicht, warum sollte das in den USA jetzt an
ethnischen Fragen scheitern?

Erwartung

Es kommt zu einer zunehmend normalen Notenbankpolitik. Durch die restriktivere
Geldpolitik könnten die Aktienmärkte und auch die Wirtschaft noch
einmal schwächeln. Vorstellbar und wünschenswert ist, dass die Anleihekäufe
der Fed allerspätestens bis zum Herbst 2014 eingestellt werden und
im kommenden Jahr begonnen wird, die kurzfristigen Zinsen schnell auf
über zwei Prozent anzuheben. In China könnte das der Auslöser für die
dortige Krise sein. Eine Anpassungsrezession wäre ebenfalls wünschenswert,
weil in dieser Rezession vor allem veraltete Strukturen leiden und teilweise
abgewickelt werden würden. Dadurch steigen die Ressourcen für
den künftigen Aufschwung. Eine Rezession könnte diesen Aufschwung
durch einen Produktivitätsschub verstärken, wie zu Beginn des Superzyklus
Anfang der 1980er Jahre.

Es besteht eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die USA schon
seit 2012 in einem neuen Superzyklus an den Aktienmärkten befinden, der
bis ca. 2031 andauern dürfte. Die USA haben eine (fast) perfekte demografische
Struktur. Viele Ökonomen werden diesen neuen Boom als Erfolg der
lockeren Geldpolitik erklären. Doch das Gegenteil ist wohl der Fall. Die zu
lange erfolgten Anleihekäufe haben wahrscheinlich einen größeren Effizienzgewinn
der US-Volkswirtschaft sogar verhindert. Die Y-Boomer hätten
dieses billige Geld für ihre Innovationen gar nicht benötigt.

Wie der Geburtenchart deutlich erkennen lässt, gab es von 2005 bis 2009
eine weitere geburtenstarke Phase in den USA mit einem neuen Geburtenrekord
im Jahr 2007, in dem sogar noch mehr Babys zur Welt kamen als im
bisherigen Rekordjahr 1957. Wenn diese Babyboomer mindestens in gleichem
Maße, wie die bisherigen Boomer-Generationen durch Einwanderung
Verstärkung bekommen, könnte diese ab 2027, also noch vor dem Ende
des im Jahr 2012 angebrochenen und eigentlich nur bis 2031 andauernden
demografischen Sommers, diesen bis zum Jahr 2047 verlängern. Vor uns
lägen dann jetzt noch 33 Jahre mit guten Gewinnmöglichkeiten am US-Aktienmarkt!
Besser geht’s nimmer.

Nutzen Sie die kommenden drei Jahre zum langsamen Aufbau eines Portfolio-Anteils
an US-Aktien. Ideal sind ETFs auf den MSCI America oder den
S&P 500. Der Technologie-Werte-Index Nasdaq ist nach einer Korrektur sicher
auch als weitere Beimischung gut geeignet. Es könnte ebenfalls sein,
dass Chemiewerte aufgrund der niedrigen Gaspreise ihre Outperformance
der letzten Jahre fortsetzen können.

Noch mehr Sommerländer

Unter den anderen Industrieländern sind langfristig aus rein demografischer
Sicht wohl nur Schweden und Australien interessant. Beide Länder dürften
aber erst ein Kauf sein, wenn sie ihre Überwertung am Immobilienmarkt ab-
gebaut haben und die nicht unwahrscheinliche Finanzkrise überwunden haben.
Später könnte auch noch Großbritannien folgen (ab ca. 2023). Sommerländer
finden sich ansonsten nur unter den Schwellenländern. Aber da
gibt es eine ganze Reihe interessanter Investitionsmöglichkeiten.
Unmittelbar von der wahrscheinlich guten US-Entwicklung werden Länder
profitieren, die schon heute wirtschaftlich eng mit den USA verflochten sind.
Hier sticht Mexiko heraus, da mehr als drei Viertel des Außenhandels mit
dem nördlichen Nachbarn abgewickelt wird. Auch für die neuen Sommerländer
Kolumbien, Venezuela, Vietnam und Ägypten sind die USA das
wichtigste Exportland. Zweitwichtigster Handelspartner sind die USA für
Chile, Brasilien und Südafrika. Dort liegt bisher jeweils China an erster
Stelle, aber das muss ja nicht so bleiben.
Tabelle x.x: Aktuelle Sommerländer sortiert nach dem Anteil der Exporte in
Exportland Nach USA USA (Platz) Alter Babyboomer
Mexiko 78,0% 1 20
Kolumbien 39,4% 1 20
Venezuela 39,3% 1 22
Vietnam 17,0% 1 22
Indien 12,7% 1 16
Chile 12,2% 2 23
Brasilien 11,1% 2 30
Thailand 9,9% 3 36
Ägypten 8,2% 1 29
Südafrika 7,9% 2 25
Indonesien 7,8% 5 37
Russland 6,4% 2 28
Estland (2008) 4,8% 7 27
Litauen (2006) 4,3% 8 28
Tunesien 4,3% 5 28,5
Türkei 33,5
Polen 30,5
Tschechien 39

Asien oder Lateinamerika?

Wenn es um die besten Wachstumschancen geht, wird meist Asien an erster
Stelle genannt. China, Indien, Indonesien, Malaysia oder Thailand und
nicht zuletzt Korea haben sich in den letzten zehn – fünfzehn Jahren hervorragend
entwickelt. Asien ist auch der Kontinent mit den meisten Einwohnern,
denn deutlich über die Hälfte aller Menschen leben dort. Ein Drittel
des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird inzwischen in Asien produziert.
Damit hat Asien Amerika und Europa bereits überholt und es wächst
weiter überdurchschnittlich. Im Vergleich zum Bevölkerungsanteil von über
60 Prozent gäbe es allerdings noch erheblichen Nachholbedarf.

In Sachen Marktkapitalisierung der investierbaren Aktiengesellschaften
hinkt Asien allerdings weiter vor allem den USA aber auch noch Europa
hinterher: Nur knapp 20 Prozent der weltweit investierbaren Aktienwerte
stammen von asiatischen Unternehmen. Und da sind die japanischen mit
derzeit ca. acht Prozent Anteil schon mit enthalten. Allein Großbritannien,
Frankreich und Deutschland kommen schon auf ca. 15 Prozent (Europa
insgesamt: 23,9 Prozent, Quelle: MSCI Indices).

Und Lateinamerika? Das sieht dagegen wie ein Winzling aus. Lateinamerikas
Aktiengesellschaften schaffen es nur auf schlappe 2,2 Prozent Anteil,
obwohl fast 9 Prozent der Weltbevölkerung dort leben und der Anteil am
Welt-BIP bei 8 Prozent liegt. Die Größe, die Dynamik und der Nachholbedarf
sprechen wohl eindeutig für Asien als künftig interessantesten Kontinent
für die Aktienanlage. Im Vergleich dazu sieht es in Lateinamerika auch
aufgrund der derzeitigen Schwäche Brasiliens nicht mehr ganz so gut aus.
Warum also könnten Aktieninvestments in Lateinamerika in den nächsten,
sagen wir mal zehn Jahren, mehr Chancen und weniger Risiken bieten als
Anlagen in Asien (von Europa mal ganz zu schweigen)?

In diesem Buch geht es ja bekanntlich um Demografie und in Sachen Demografie
sieht Lateinamerika richtig gut aus, während es in Asien, vor allem
in China und Japan echt mies aussieht. Zu den Problemen in diesen beiden
Ländern war ja schon ausführlich in Kapitel 5 zu lesen. Aber auch in Thailand,
Südkorea und Indonesien steht eine demografische Zeitenwende bevor.
In Indien sieht es zwar besser aus, aber die richtig guten Aktienjahre
fangen wahrscheinlich erst nach 2020 an. Demografisch top sind nur Vietnam,
Iran und die Türkei (wenn man diese nach Asien einordnet).

Viel, viel besser sieht es dagegen in Lateinamerika aus. Brasilien hatte ja
als erstes Land im Süden Amerikas den demografischen Sommer schon
2003 erreicht und hätte eigentlich noch ca. zehn gute Jahre vor sich. Die
aktuelle Schwäche könnte also jetzt eine gute Einstiegsmöglichkeit bilden.
Als Nummer zwei ist gerade Chile dazu gestoßen. Beide haben den großen
Nachteil, dass ihre Wirtschaft recht stark vom Export nach China abhängt.
Das betrifft vor allem Chile, das fast ein Fünftel seines Exportes, vor allem
Kupfer, nach China exportiert. Die Aktienkurse sind in beiden Ländern parallel
im Jahr besonders stark unter die Räder gekommen. Auch wenn die
Kurse noch einmal im Zusammenhang mit einer China-Krise verlieren sollten,
die Märkte haben beide langfristig durchaus Potenzial.

Kolumbien und Mexiko sind taufrische Sommerländer. Dieser Sommereintritt
ist ja nicht immer unproblematisch. Wenn eine neue starke Generation
anfängt ihre Interessen gegen die etablierten Strukturen durchzusetzen,
weht oft für einige Jahre ein etwas rauerer Wind und es kann die ersten
fünf, sechs Jahre auch noch einmal zu einem Rückkehr der Inflation kom-
men. Trotzdem, Kolumbien und Mexiko sind derzeit meine Langfrist-Favoriten.
Die Demografie ist bestens und die enge Verbindung zu den USA
dürfte sich zusätzlich sehr positiv auswirken.

Selbst für das von der Wirtschaftsleistung viertgrößte Land Lateinamerikas
Venezuela sieht es demografisch recht gut aus. Ähnlich wie in Mexiko sinken
die Geburtenzahlen seit ca. 20 Jahren, genauer gesagt seit 22 Jahren.
Aber die permanente Auswanderung lässt den Eintritt in den Sommer nicht
genau vorher bestimmen. Venezuela sollte eigentlich durch seinen Reichtum
an Erdöl zu den wohlhabenderen Ländern in Südamerika gehören.
Doch hier zeigt sich, wie viel eine schlechte Regierung verderben kann. Venezuela
dürfte das am schlechtesten regierte Land Südamerikas in den
letzten 20 Jahren gewesen sein. Die sozialistische Verteilungspolitik war
aber auch durch das in Südamerika stärkste Bevölkerungswachstum möglich.
Zwischen 1980 und 2014 hat sich die Bevölkerung glatt verdoppelt.

Auch die für Länder mit vielen Kindern typischen hohen Inflationszahlen hat
Venezuela zu schaffen gemacht. Doch Venezuela hat jetzt die große
Chance, dass sich Inflation und Sozialismus verabschieden und sich stattdessen
Wohlstandswachstum und Marktwirtschaft mehr Raum verschaffen.
Venezuela könnte durch seine Demografie jetzt eine Wende zum Besseren
schaffen. Demografisch und wirtschaftlich gibt es eine recht große Übereinstimmung
mit dem Brasilien von vor gut zehn Jahren.

Argentinien ist auch so ein Beispiel, wie es die Politik so richtig versauen
kann. Denn die Demografie sieht dort ähnlich aus wie in Brasilien. Beide
Länder gerieten Ende der 1990er Jahre mit der sogenannten Asienkrise in
eine schwere Wirtschaftskrise, die durch eine hohe Auslandsverschuldung
bei schlechter Wirtschaftsentwicklung und hoher Inflation gekennzeichnet
war (ähnlich: Türkei). Ab 2001 verschärfte sich die Situation mit der weltweiten
Lage nach dem Platzen der Internetblase dramatisch. Während Brasilien
(und die Türkei) diese Krise durch die richtigen Weichenstellungen
meisterte und seitdem von der demografischen Dividende lebt, hat es Argentinien
mit dem scheinbar leichteren Weg (Auslandsschulden wurden
einfach einseitig nicht mehr bedient) bis heute nicht wirklich geschafft, seine
Wirtschaft wieder flott zu bekommen.

Fazit: Nach demografischen Kriterien dürften sich Aktien- und auch Rentenanlagen
in Lateinamerika in den kommenden mindestens zehn Jahren lohnen.
Rückschläge sind dann Kaufgelegenheiten, wie derzeit in Brasilien.

Wenige Lichtblicke in Asien

Asien wird wahrscheinlich weiter überdurchschnittlich wachsen. Aber der
Aktienmarkt wird dieses Wachstum wohl nicht nachvollziehen. Ausnahmen
könnte es in Vietnam und Indien geben. Vietnam ist eines der reinsten
Sommerländer weltweit. Die Babyboomer sind jetzt um die 24 Jahre alt. Für
Vietnam spricht auch der hohe Exportanteil in die USA. Dagegen sprechen
die fehlenden politischen Freiheiten und die zunehmenden Spannungen mit
China. Langfristig sind vietnamesische Aktien meiner Meinung nach eine
etwas exotische aber wahrscheinlich ertragreiche Beimischung.

Indien ist noch Frühlingsland, was auch an den höheren Inflationszahlen
gut erkennbar ist. Doch in Indien haben die Geburtenzahlen schon im Jahr
1971 ihr großes Wachstumstempo verlangsamt. Der jährliche Anstieg der
Geburten hatte sich in nur zwei Jahren halbiert. Dieser Knick im Geburtentrend
vor gut 40 Jahren kann auch die Ursache dafür sein, dass die indischen
Wachstumsraten zuletzt rückläufig waren. Indien könnte zwischen
1991 und 2011 einen demografischen Sommer erlebt haben, ähnlich dem
Englands während des Aufstiegs der dritten Kondratieff-Welle. Diese kam
auch durch einen Knick im Geburtentrend zustande, ohne dass die Geburtenzahlen
gesunken wären.

Im Jahr 1998 wurde der bisherige Höchstwert bei den Geburten erreicht.
Seitdem gehend die Zahlen leicht aber beständig zurück. Die neuen indischen
Babyboomer sind jetzt also 16 Jahre alt und viele von ihnen arbeiten
bereits. Die Bevölkerung insgesamt wächst mit 1,3 Prozent pro Jahr (USA:
0,8 Prozent) auch nicht mehr so stark, wie es früher einmal der Fall war. So
kann Indien mehr Geld in die Qualität ihrer Infrastruktur investieren und das
Bildungsniveau weiter verbessern. Die relative Abnahme der Kinderzahl erhöht
die Erwerbstätigen-Quote, was schon früher zu einer Abnahme des Inflationsdrucks
führen könnte, als es in westlichen Ländern beim Übergang
zwischen Frühling und Sommer zu beobachten war.



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3 Kommentare

  1. Das Buch ist schon zwei Jahre alt, aber es ist immer noch aktuell.
    Es öffnet Einblicke aus anderer Perspektive und lässt die demografische Entwicklung wichtiger erscheinen, als die vielfach kurzfristige Denkweise der meisten Händler.
    Ich für meinen Teil investiere Zug um Zug in solide amerikanische Dividendenwerte und werde es weiterhin tun.
    Zudem ist es Wasser auf die Jahrhunderthausse-Mühlen des bullischen Kollegen
    ;-)

  2. Was würde der USA-Demographie-Papst – Harry S. Dent – wohl dazu sagen?

  3. PS: Dent’s Buch 2014 „The Demographic Cliff“

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