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„Es ist besser, tausend Soldaten zu verlieren als einen Zentimeter Land“ China, Taiwan – und Henry Kissinger: Diplomatie statt Krieg?

Taiwan China Kissinger

Die Aussagen von US-Präsident Biden über Taiwan haben das Verhältnis zwischen den USA und China weiter verschlechtert – kann der ehemalige US-Aussenminster Kissinger vermitteln?

Diese Woche findet in New York die Generaldebatte der 77. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen statt. Der chinesische Außenminister Wang Yi traf sich nun am Montag anlässlich seiner Teilnahme mit dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger zu einem persönlichen Gespräch, wie die South China Morning Post jüngst berichtete.

Das Treffen stand noch unter dem Eindruck von Joe Bidens Auftritt bei 60minutes, ein von dem Fernsehsender CBS geführtes Interview-Format, das am Sonntag ausgestrahlt wurde und weltweit für Aufregung gesorgt hatte. Joe Biden, Präsident und Oberbefehlshaber der Vereinigten Staaten von Amerika, hatte sich zu der Aussage hinreißen lassen, Taiwan militärisch mit Bodentruppen zu verteidigen, falls China gewaltsam die Wiedervereinigung anstreben wolle. Auch auf die explizite Nachfrage des Reporters hin, „ob amerikanische Männer und Frauen die Insel verteidigen würden, blieb Joe Biden bei seiner militärischen Zusicherung und beantwortete die Frage mit einem einfachen „Yes“.

Die Aussage Joe Bidens wurde in China erwartungsgemäß nicht gut aufgenommen, denn bisher war von einer direkten militärischen Unterstützung Seitens Amerika durch amerikanische Truppen nicht die Rede. Sie wird vielmehr als weitere Provokation in einer Reihe von Provokationen empfunden, nur so lassen sich die veröffentlichten Aussagen des chinesischen Außenministers erklären, der an aggressiver Rhetorik nicht sparte. Zuvor hatte Peking noch offiziellen Protest gegen Bidens Äußerung eingelegt.

In dem Gespräch mit Henry Kissinger erwähnte Wang, China könne sich auf ein Anti-Sezessionsgesetzt berufen, um eine Widervereinigung mit Taiwan anzustreben. Zudem warnte er davor, dass Washingtons Pro-Taiwan- und Anti-Peking-Ansatz einen „subversiven Einfluss“ auf die Beziehungen zwischen den USA und China haben könnte.

„Es ist besser, tausend Soldaten zu verlieren als einen Zentimeter Land“ – Wang Yi

„Die friedliche Wiedervereinigung ist unser größter Wunsch, und wir werden unser Bestes tun, um sie zu erreichen. Aber es muss gesehen werden, dass je zügelloser die „Unabhängigkeit Taiwans“ ist, desto unwahrscheinlicher wird die friedliche Lösung der Taiwan-Frage sein“, sagte Wang gegenüber Kissinger laut einer Erklärung des chinesischen Außenministeriums von Dienstag. Und damit nicht genug, fuhr er weiter fort: „Es gibt ein altes Sprichwort in China: Es ist besser, tausend Soldaten zu verlieren als einen Zentimeter Land. Das ist der Wille und die Entschlossenheit des chinesischen Volkes. Wenn das Anti-Sezessionsgesetz verletzt wird, wird China entschlossene Maßnahmen in Übereinstimmung mit dem Gesetz ergreifen, um die Souveränität und territoriale Integrität des Landes zu schützen.“

Steht die Welt am Vorabend eines neuen Krieges zwischen China und den USA über die strittige Taiwan-Frage, oder wie lassen sich diese recht aggressiven Aussagen einordnen? Ein kurzer Rückblick auf die diplomatischen Entwicklungen in der Vergangenheit ergeben ein klareres Bild der aktuellen Stimmungslage.

Anti-Sezessions-Gesetzt als Grundlage für eine gewaltsame Wiedervereinigung Taiwans mit China

Das Anti-Sezessionsgesetz von 2005, auch Anti-Abspaltungsgesetzt genannt, bietet Peking einen rechtlichen Rahmen, um auf „friedliche Weise die Wiedervereinigung des Vaterlandes“ (Festlandchina) mit der abtrünnigen Provinz Taiwan anzustreben. Nur der Artikel 8 des Gesetzes hat die Drohung zum Inhalt, dass militärische Mittel zum Einsatz kommen können, sollte Taiwan weitere formelle Unabhängigkeitsbestrebungen unternehmen. Aber Peking ist bisher sehr vage geblieben in der Interpretation, wann und unter welchen Umständen das Gesetz geltend gemacht werden würde.

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Wikipedia schreibt über das Gesetz: Es wurde am 14. März 2005 fast einstimmig angenommen (von 2896 Delegierten enthielten sich lediglich zwei der Stimme) und ist ein Zeichen dafür, dass von Seiten der Volksrepublik China „separatistische“ Bewegungen, auch auf dem Festland, keinesfalls geduldet werden. Somit steht das Gesetzt in der Tradition der „Ein-China-Politik“ der Volksrepublik.

Taiwan Policy Act ist die Lunte am Pulverfass Taiwan

Letzte Woche, am 14. September, hat der Ausschuss für auswärtige Beziehungen der USA ein Gesetz verabschiedet, dass die Beziehungen zu Taiwan erheblich vertiefen und verstärken würde und als Ergänzung und Neugestaltung des Taiwan Relations Acts von 1979 dienen soll. Der Taiwan Policy Act gilt als die „umfassendste Umstrukturierung der US-Politik gegenüber Taiwan“ und würde den Inselstaat in den Status eines formellen diplomatischen Verbündeten heben.

Der bisherige Entwurf besagt, dass Taiwan „wie ein wichtiger Nicht-NATO-Verbündeter“ behandelt werden sollte, und ergänzt den alten Relations Act um „Waffenlieferungen, die der Abschreckung von Angriffshandlungen durch die PLA (People‘s Liberation Army, Volksbefreiungsarmee) förderlich sind.“ Der US-Verteidigungsminister wird auch angewiesen, ein Ausbildungsprogramm einzurichten, das Taiwans Verteidigungsfähigkeiten und die Interoperabilität der Streitkräfte verbessert.

Die weiteren verteidigungsbezogenen Bestimmungen lesen sich wie ein militärischer Beistandspakt: Genehmigung von 6,5 Milliarden US-Dollar an ausländischen Militärfinanzierungsmitteln über einen Zeitraum von vier Jahren für Ausrüstung, Ausbildung und andere Militärhilfen, um die Modernisierung des taiwanesischen Militärs zu beschleunigen. Zudem gibt es eine Bestimmung, Sanktionen gegen die oberste politische Führung und die größten Banken des chinesischen Festlandes zu verhängen, wenn Peking eine „signifikante Eskalation der Aggression“ durchführt oder „physische oder politische Kontrolle“ über Taiwan gewinnt.

Zu den Maßnahmen, die dies auslösen könnten, gehören eine Seeblockade, ein großer Cyberangriff oder die Eroberung der abgelegenen Inseln Taiwans. Der Taiwan Policy Act beinhaltet noch weitere Bestimmungen, die von Peking durch die Bank als Provokation empfunden werden. Über den Beschluss muss noch im Senat und im Repräsentantenhaus vor dem Ende der Kongresssitzungen im Januar abgestimmt werden, damit er von Präsident Joe Biden unterzeichnet werden kann und in Kraft tritt.

Allerdings würde dies die bisherige „Ein-China“-Politik der USA praktisch auf den Kopf stellen, wie Beamte des Weißen Hauses anmerkten. Bisher gibt es noch keinen Abstimmungstermin im Senat, aber der Beschluss könnte die Spannungen um Taiwan erheblich verschärfen. Peking lehnte in einer ersten Reaktion das Gesetz entschieden ab, und die Sprecherin des Außenministeriums, Mao Ning, erklärte öffentlich: „Es stellt eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas dar, verletzt das Völkerrecht und grundlegende Normen in den internationalen Beziehungen und sendet ein ernsthaft falsches Signal an die separatistischen Unabhängigkeitskräfte Taiwans.“ Soweit zum politischen Rahmen, in dem das Gespräch zwischen Henry Kissinger und Wang Yi, dem chinesischen Außenminister stattfand.

Henry Kissinger und Richard Nixon nahmen vor 50 Jahren erste diplomatische Beziehungen zu China auf

Kissinger – den Wang „einen alten und guten Freund“ nannte – wird in China für seine bahnbrechende Rolle bei der Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und China vor fünf Jahrzehnten verehrt und diente seitdem als wichtiger Kanal für bilaterale Kommunikation. Und so musste sich der alte diplomatische Haudegen Kissinger noch so einiges von seinem „alten und guten Freund“ Wang anhören: „Der Ausbruch eines neuen Kalten Krieges zwischen China und den Vereinigten Staaten wird nicht nur für China und die Vereinigten Staaten, sondern auch für die ganze Welt eine Katastrophe sein“, warnte Wang und forderte, „die US-Seite sollte zu einer rationalen und pragmatischen China-Politik zurückfinden, auf den richtigen Weg der drei gemeinsamen chinesisch-amerikanischen Kommuniqués zurückkehren und die politische Grundlage der chinesisch-amerikanischen Beziehungen beibehalten.“

Wang kritisierte auch Pelosis Besuch in Taiwan und den Taiwan Policy Act, der bis zu 6,5 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe für die Insel bereitstellen würde, und sagte: „Die oberste Priorität ist es jetzt, die Taiwan-Frage richtig zu verwalten, sonst wird sie subversive Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen China und den USA haben.“ Ob Henry Kissinger während des Gesprächs auch zu Worte kam, blieb bisher noch ungeklärt.

Hintergrundwissen: Sind China und Taiwan tatsächlich „Ein-China“?

Die Geschichte Taiwans und Chinas sind zwar eng miteinander verknüpft, aber sie als „Ein-China“ zu bezeichnen, ist historisch nicht ganz so eindeutig. Taiwan wurde nämlich hauptsächlich erst im 17. Jahrhundert durch China dauerhaft besiedelt, und zwar während der Kolonialherrschaft der Niederländer. Entdeckt wurde Taiwan übrigens von den portugiesischen Weltenseglern, die sie Ilha Formosa tauften, die „schöne Insel“.

Bis dahin war es zu keinen nennenswerten Expeditionen seitens China nach Taiwan gekommen. Als Machtstreitigkeiten in China dazu führten, dass die damalige Ming-Dynastie immer schwächer wurde, flohen Loyalisten 1661 mit 35.000 Soldaten in 400 Dschunken nach Taiwan und vertrieben die Holländer. Allerdings konnten sie sich nicht lange unabhängig halten und wurden 1682 von der durch die Mandschuren gegründeten Qing-Dynastie unterworfen.

Ab da beginnt in etwa historisch gesehen die Zugehörigkeit zum chinesischen Festland. Allerdings wird Taiwan im japanisch-chinesischen Krieg von 1894/95 an die Japaner verloren und bleibt bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges eine japanische Kolonie, die auch Luftangriffen der Alliierten ausgesetzt ist. Und hier wiederholt sich in etwa auch die Geschichte, denn während des Zweiten Weltkrieges bricht in China eine Revolution aus, die Mao Zedong an die Macht bringt. Seine Gegner, die Anhänger der Kuomintang, fliehen 1949 nach Taiwan, wie knapp dreihundert Jahre zuvor die Loyalisten der Ming-Dynastie. So kommen immerhin über zwei Millionen Menschen, darunter auch viele Wissenschaftler, Ingenieure, Intellektuelle und angehörige der „alten Elite“ nach Taiwan und sorgen dort für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Sie waren ein entscheidender Faktor beim schnellen Aufstieg Taiwans vom armen Agrarland zum modernen Industriestaat in den folgenden Jahrzehnten.

Außenpolitische Krise Taiwans beginnt 1971

Die erste außenpolitische Krise entwickelte sich ab 1971. Und hier liegen auch die Wurzeln des heutigen Konfliktes, der in den letzten Wochen immer klarer zum Vorschein kommt und vielleicht auch schon bald offen ausgetragen wird. 1971 kam es zu einer Resolution der UN-Generalversammlung, die beschloss, die Volksrepublik China als einzig rechtmäßigen Vertreter des chinesischen Volkes anzuerkennen. Durch den Austausch der Vertreter in den UN-Organen gegen „nationalchinesische“ wurde Taiwan de facto von der UN ausgeschlossen. Eine neuerliche Mitgliedschaft war bisher aufgrund des Vetorechts Chinas ausgeschlossen.

1979 nahmen die USA, die langjährige Schutzmacht Taiwans, diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China auf und brachen die offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan ab. Das Verhältnis zum Inselstaat wurde durch den Taiwan Relations Act von 1979 geregelt. Dieser sieht zwar militärische Hilfe in Form von Waffenlieferungen, aber keinen direkten militärischen Beistand vor. Taiwan wird von den meisten Ländern dieser Welt nicht offiziell anerkannt. Bisher war die Politik der USA in Bezug auf Taiwan und China strategisch zweideutig und eher unklar. Somit konnten die USA gleichzeitig die Beziehung zu Peking aufrechterhalten und abschreckend wirken, um einen Übergriff Chinas auf Taiwan zu verhindern.

Der jetzt vorliegende Taiwan Policy Act, sollte er in seiner jetzigen Form bestehen bleiben, würde die Beziehung zu Taiwan auf eine neue Stufe heben und käme einer inoffiziellen Anerkennung des Inselstaates gleich. Wie wird die Führung in Peking auf den Taiwan Policy Act reagieren, sollte er tatsächlich in Kraft treten?



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1 Kommentar

  1. Irgendwie sehe ich da starke Parallelen der USA zu ihrem „Ukraine Act“

    Könnte man da nicht „sogar“ auf die Interpretation eines in sich zusammenfallenden
    „Weltreiches“ kommen,die die ganze Welt mit runterzieht ?

    Am meisten tun mir die Nationen (einschl unserer) leid,die sich diesem Sog anscheinend oder mit Sicherheit ?
    nicht entziehen können.

    Ich nehme einmal an,dass diese Meinung nicht sonderlich „exotisch“ ist

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