Von Claus-Peter Sesin
Warum Blasen bislang immer geplatzt sind – und warum sie, wie Guy Haselmann von der kanadischen Scotia Bank erläutert, auch diesmal platzen werden.
Gut fünf Jahre nach dem Lehman-Crash hängen Regierungen und Banken immer noch an der Geldinfusions-Nadel der Notenbanker, obwohl die fortlaufenden Keynes- und sonstigen Stützprogramme bereits Billionen an (zumeist frisch aus der Druckerpresse stammenden) Stimulusgeldern verschlungen haben. Die Geldflut floss zu einem erheblichen Teil in die Börsen, deren Anstiege – wie von den Regierungen und Notenbankern gewünscht – die Illusion eines wirtschaftlichen Aufschwungs nähren.
„Es ist schwierig abzuschätzen, inwieweit die globale Wirtschaft von diesen Stimulusgeldern profitiert hat“, schreibt Guy Haselmann, Leiter der New Yorker Niederlassung der kanadischen Scotia-Bank. Sicher sei nur, dass Wachstumsraten und die Lage an den Arbeitsmärkten auch fünf Jahre nach Beginn der „Großen Rezession“ noch unter den langjährigen Durchschnittswerten lägen. Wenn der Stimulus tatsächlich starke Wachstumsimpulse auslösen würde, hätten sich diese längst zeigen müssen.
Die meisten Ökonomen glauben nach wie vor, dass das Wachstum nachhaltig anziehen werde und dass steigende Zinssätze dies bestätigen. Sollte sich diese kollektive Erwartung indes nicht erfüllen, könnten Zweifel an der offiziellen Stimuluspolitik aufkommen, und die resultierende Vertrauenskrise könnte die Märkte erneut in den Keller schicken.
Haselmann ist überzeugt, dass die Risiken und Kosten der US-Geldpolitik gemessen am möglichen Nutzen zu hoch sind. Das amerikanische QE-Programm und die Nullzinspolitik hätten sich bislang vor allem dahingehend ausgewirkt, dass Reiche noch reicher und Arme noch ärmer wurden. Die reichsten 10 Prozent der Amerikaner profitierten am stärksten, weil sie 80 Prozent aller Aktien besitzen. Ungeachtet dessen hält die Fed an ihrer These fest, dass die von ihr erzeugte Vermögenspreis-Inflation wegen des „Wealth Effects“ zu erhöhten Verbraucherausgaben führe, die wiederum den Arbeitsmarkt beflügeln sollen.
Doch selbst innerhalb der US-Notenbank gibt es kritische Stimmen, die diese Erwartung in Frage stellen. Zweifel drängen sich schon deshalb auf, weil die Wirkungen bislang deutlich schwächer als erhofft ausfielen. Insbesondere die Verbrauchernachfrage blieb unter Erwartung – und die US-Wirtschaft hängt zu ca. 70 Prozent am Konsum.
Jeremy Stein, Mitglied des „Board of Governors“ der Fed, schrieb im Februar, dass er zudem unerwünschte Nebenwirkungen der lockeren US-Geldpolitik befürchte: Eine lange Periode zu niedriger Zinsen könne Anreize schaffen, zu viel Kredite aufzunehmen oder bei Finanzgeschäften mit zu hohen Hebeln zu arbeiten, um die Eigenkapitalrenditen hochzutreiben.
Die Nullzinspolitik (ZIRP) hat US-Firmen dazu inspiriert, sich stark zu verschulden (u. a. durch Bondemissionen), um sich die historisch niedrigen Zinsen langfristig zu sichern. Das Geld floss jedoch nicht in Neuinvestitionen – die Zentralbanker so gern als Begründung für ZIRP anführen -, sondern diente vorwiegend dazu, höhere Dividenden auszuschütten und eigene Aktien vom Markt zurückzukaufen.
Haselmann befürchtet, dass die Nullzinspolitik kontraproduktive Folgen haben wird: ZIRP hindere die Fed daran, ihr „duales Mandat“ (Inflationsbegrenzung bei gleichzeitiger Stützung des US-Arbeitsmarktes) zu erfüllen: Die mit technologischer Modernisierung einher gehenden Produktivitätssteigerungen würden es den Firmen ermöglichen, immer mehr Arbeitskräfte zu entlassen. Ihre dadurch verbesserte Wettbewerbsfähigkeit zöge Preisnachlässe nach sich. Im Endeffekt könnte dies zu verminderten Verbraucherausgaben führen – was dem Fed-Ziel, diese zu steigern, entgegen stünde.
Sparer könnten auf ZIRP ebenfalls mit Konsumverzicht reagieren, weil sie sonst ihre durch Nullzinsen gefährdeten Sparziele nicht erreichen. Sie würden dazu schlichtweg mehr sparen. Auch dies steht den Fed-Zielen entgegen. Banken könnten wegen ZIRP ihre Kreditvergabe einschränken, weil sie an den Krediten nicht mehr genug verdienen. Dies torpediert das Fed-Ziel der Kreditausweitung. Nicht einmal die inzwischen auch in Europa angedachten negativen Einlagezinsen versprächen Besserung. „Es wäre absurd anzunehmen, dass sich die Leute dann mehr Geld leihen“, meint Haselmann.
Die aktuelle US-Geldpolitik sei neuartig und historisch unerprobt. Dies könnte im Endeffekt dazu führen, dass die Fed selber zu einer Quelle finanzieller Instabilität wird – sei es durch Aufpumpen von Vermögenspreisblasen, die dann platzen, durch Erreichen einer Obergrenze bei ihrer inzwischen bereits auf über vier Billionen Dollar aufgeblähten Bilanz oder durch andere, bislang noch unbekannte Faktoren.
Im aktuellen Nullzinsumfeld suchen Anleger verzweifelt nach Rendite. Dies treibt sie in Anlagen, die für ihr Risikoprofil ungeeignet sind, deren Liquidität sie überschätzen (insbesondere in Krisensituationen) und die stärker als erwartet fallen könnten. Tückischerweise zählen besonders riskante Assets in einem Nullzinsumfeld zu den am besten performenden Titeln. Wer sich an Charts orientiert, könnte daher leicht auf das falsche Pferd setzen. Insgesamt führe das Geldgedrucke der Zentralbanken zu einer nachteiligen Veränderung des Verhaltens und der Anlegerpsychologie, die Fehlinvestitionen begünstigt. Das allgegenwärtige Mantra „don’t fight the Fed“ gibt solchen Anlegern eine falsche Gewissheit und führe zu unangemessener Risikofreudigkeit.
Die Versprechungen der Fed, die Leitzinsen noch möglichst lange tief zu halten – selbst wenn sich die Wirtschaft nachhaltig erholt -, treiben die Assetpreise vorläufig immer höher. „Investieren“ wird heute darauf reduziert, nach größtmöglicher Rendite Ausschau zu halten, statt nüchterne Ertrags-Risiko-Kalkulationen durchzuführen. In der Folge sinken die Erträge immer tiefer, während die Risiken immer stärker steigen. In gleichem Maße schwindet – psychologisch – die Fähigkeit der Risikoeinschätzung, weil Gier bekanntlich die Hirne vernebelt. Auch Anlageberater sind nicht immun gegen solche Effekte.
Die Marktverzerrungen infolge von QE und ZIRP werden, so glaubt Haselmann, auf die aktuelle Boom-Phase erneut eine typische Bust-Phase (Börsenabsturz) folgen lassen. „Easy Money“ sei historisch in fast allen Blasen der treibende – und bei der späteren Liquiditätseintrocknung zerstörerische – Faktor gewesen.
„Am Ende kommen (unmanipulierte) Assetpreise immer wieder auf ihren fundamentalen Wert zurück. Dies ist der Grund, warum jede Blase irgendwann platzt“, resümiert Haselmann. Zwar unterliegen Zentralbanker und Politiker zunehmend der Illusion, eine Art allumfassender „zentraler Kontrolle“ über die Märkte und über das Leben der Menschen gewonnen zu haben. Sie glauben, ihre Politik habe genau kalkulierbare Effekte, die definiert und gemanagt werden können. Doch dass sich diese Illusionen am Ende bewahrheiten, sei „sehr unwahrscheinlich“.
Aktuell straft die Geldpolitik die Sparer, während sie Risikonehmer und Spekulanten belohnt. So etwas hat sich historisch stets als langfristig nachteilig für ein Land erwiesen. Es wäre weit sinnvoller, das Sparen zu fördern, statt auf ein labiles Wachstum aus immer stärker verschuldeten Verbrauchern und immer aberwitziger agierenden Spekulanten zu setzen und dieses Kartenhaus mühsam mit zentraler Kontrolle und Manipulation vor dem Einsturz zu bewahren.
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